Ich bin ganz froh, dass ich hier in der Hütte liege und nicht im Zelt. Der Wind tost ganz schön da draußen. Als ich morgens die Augen öffnen, sehe ich durch die milchigen Fensterscheiben ganz viel orange. Ich klettere vom Bett, ziehe schnell meine Daunenjacke an und gehe nach draußen. Das ist ein schöner Sonnenaufgang.

Louis, der Franzose, kommt auch raus. Er meint, das wäre sein erster Sonnenaufgang auf der Wanderung. Er wäre immer erst später aufgestanden. So viele habe ich jetzt auch nicht gesehen. Aber zwischendurch mal. Oft ist der warme Schlafsack zu der Zeit von Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang doch verlockender.

Ich ziehe mich um und packe zusammen. Louis stapft schon los, als ich noch Zähne putze. Ich rufe ihn hinterher, dass er in die falsche Richtung geht. Bis später dann. Wir werden uns an der Hütte sehen. Da will ich heute Mittag was essen. Ich habe gestern Abend extra noch nachgeschaut. Die nächsten drei bewirtschafteten Hütten haben alle noch geöffnet. Sie schließen erst nächste Woche für den Winter.

Um halb 9 gehe ich auch los.

Es geht lange ohne viel Höhenunterschied am Hang entlang. Ein schöner Weg. Wieder schaue ich, ob ich das Meer entdecke. Aber es sind zu viele Wolken am Himmel. Heute Morgen habe ich mir schon eingebildet, Meeresrauschen zu hören. Das war komisch. Es war nur ein kurzer Moment. Vielleicht weil ich so darauf fixiert bin und ständig Ausschau halte.

Die Wolken sorgen aber auch für ein schönes Licht und eine ganz besondere Stimmung. Noch eine Stunde nach Sonnenaufgang ist ein orangener Streifen am Himmel zu sehen.

Ich gehe links von den zackigen Felsen entlang. Dahinter geht es steil runter. Ich mache zig Fotos, es sieht so toll aus. Ich kann mich gar nicht satt sehen an den Lichtspielen und den Bergen im Nebel.

Auf der linken Seite sieht es ganz anders aus. Viel klarer.

Ich gehe am Waldrand entlang. Schon die ganze Zeit höre ich komische Geräusche. Manchmal klingt es wie Hundebellen, dann eher winseln. Es klingt irgendwie leidend. Auf einer Lichtung ein ganzes Stück weiter sehe ich dann auch kurz 2 Tiere. Es könnten Hunde sein. Ich gehe schneller. Gut, dass der Wanderweg nach rechts den Hang hinauf führt. Plötzlich entdecke ich vor mir auf dem Weg einen Mann. Erst ziemlich spät, seine Tarnkleidung erfüllt ihren Zweck. Er hat ein Gewehr über der Schulter hängen, schaut angestrengt in Richtung der Geräusche und spricht in ein Walkie Talkie. Ich will ihn erst fragen, was da los ist im Wald. Aber irgendwie gehe ich einfach vorbei und grüße nur kurz. Ich bin froh, als ich keine Geräusche mehr höre.

Auf einem breiten Pass komme ich an einem Wegweiser vorbei. Wahrscheinlich der erste und auch einzige Wegweiser, wo der HRP drauf steht.

Nun folge ich einem breiten steinigen Weg. Nach einer Weile wundere ich mich, dass jemand seinen Rucksack mitten auf den Weg gelegt hat. Dazu ein Fernglas. Etwas unterhalb der Straße entdecke ich hinter einem Baum noch zwei Männer in Tarnkleidung. Sie scheinen ein Tier geschossen zu haben und nehmen es gerade auseinander. Da schaue ich nicht genauer hin. Ich erinnere mich daran, dass mir jemand am Anfang der Wanderung erzählt hat, dass im Oktober die Jagdsaison beginnt.

Noch ein letztes Nebel-Berge-Wolken-Bild. Ganz schön künstlerisch heute.

Ich gehe über eine weitläufige Hochebene. Am Wegweiser mache ich eine kurze Pause. Auf der Karte sehe ich noch einen Pfad, der wohl unmarkiert ist. Über den Grat, ein paar Gipfel und direkt zu der Stelle, wo ich heute mein Zelt aufstellen will. Es gibt keinen Wegweiser in die Richtung. Und gerade jetzt habe ich keinen Empfang mehr. Ich überlege. Es kann natürlich so ein einfacher Grat sein wie gestern, aber hier wären es insgesamt 7 Kilometer und 3 Stunden laut Handy. Und ich weiß nicht, ob es den Pfad überhaupt gibt. Nein, heute nicht. Ich bleibe beim ursprünglichen Plan, steige zur Hütte ab und nehme dann den markierten Weg. Wäre ich nicht alleine, hätte ich es probieren wollen. Aber hier ist niemand sonst. Der Franzose ist wahrscheinlich schon unten an der Hütte inzwischen.

Also biege ich nach links ab und gehe über die Wiese den gelb-roten Markierungen nach. Knapp 500 Höhenmeter geht es nach unten.

Der felsige Pfad führt in Kehren durch den Wald. Und kommt an einem Fahrweg raus. Ich nehme eine steile Abkürzung weiter nach unten. Zwei Serpentinen kann ich so umgehen, dann gehe ich die Schotterstraße entlang. Ich esse ein paar Nüsse. Meine Mischung habe ich im letzten Ort mit knackigen und gesalzenen Maiskörnern aufgepeppt. Die sind hier wohl ganz beliebt.

Nach etwas über 3 Stunden Gehzeit erreiche ich das Refuge de Mariailles. Dann kann ich jetzt eine lange Pause machen. Ich hatte mit 2 Stunden mehr gerechnet, so stand es auch auf dem Wegweiser heute Morgen. Da war ich wohl sehr viel schneller unterwegs heute.

Vor der Hütte stehen auf Felsen verteilt ein paar Picknicktische. Ich klettere zu dem obersten, an dem Louis sitzt. Die Hütte macht erst um halb 1 auf. Also in 50 Minuten. Wir sitzen in der Sonne und unterhalten uns gut. Über die Sicherheit, seinen Job zu behalten während man wandert und über den Sprung ins Abenteuer, obwohl man Angst hat.

Ich schaue mich um. Direkt hinter uns hängt eine Slackline. Zwischen den Felsen und über dem Abgrund. Da muss ich direkt an Heinz Zak denken, Kletterer und Fotograf, der über so extreme Slacklines balanciert. Ich habe in Oberstdorf mal einen Vortrag von ihm gesehen. Ich bleibe schön auf den Felsen stehen.

Ich male mir schon aus, was es gleich alles leckeres zu Essen geben könnte. Bis mir gesagt wird, dass es heute nur Sandwiches gibt. Na toll. Dann nehme ich eins mit Käse und Tomate. Sandwiches sind hier immer belegte Baguettes. Es schmeckt gut, ich könnte aber noch 2 davon essen. Das ist mir nur zu teuer. Ich trinke eine Orangina, sitze noch ein bisschen rum und dann gehe ich weiter. Louis bleibt hier, da er sich heute Abend mit einem Freund trifft. Vielleicht sehen wir uns ja die nächsten Tage nochmal.

Ich gehe den Trampelpfad von der Hütte zu den Wanderwegen wieder nach oben und folge einem schmalen Pfad durch den Wald. Erstmal fülle ich noch mein Wasser auf, als ich an einer Zapfstelle vorbeikomme. Und halte meine dünnen Handschuhe unter das kalte Wasser und ziehe sie an. Meine Hände sehen inzwischen, wahrscheinlich nach der ganzen Sonne, wieder wild aus. Ich hätte nicht gedacht, dass ich 3 Jahre später noch so viel von der Berührung des Riesen-Bärenklaus habe. Ich habe Blasen an den Fingern und seit 2 Tagen juckt es wieder ziemlich. Vor allem nachts im warmen Schlafsack. Aber auch jetzt bei der prallen Sonne. Die Wolken haben sich inzwischen verzogen. Die nassen Handschuhe kühlen nicht so stark wie gehofft, aber zumindest lässt der Juckreiz etwas nach.

Nun geht es nach oben. Mit einer sehr moderaten Steigung. So ist es kaum anstrengend. Ich bin dennoch froh über den Schatten im Wald.

Nach den ersten 300 Höhenmetern werden es weniger Bäume und der Gipfel zeigt sich. Die rechte Spitze ist der Gipfel des Canigou.

Mein Plan ist es, heute mein Zelt auf der letzten ebenen Wiese unterhalb des Gipfels aufzustellen und dann morgen ganz früh aufzusteigen. Vielleicht sogar zum Sonnenaufgang. So kann ich den Menschenmassen bestimmt entgehen. Es ist nämlich einer der beliebtesten Berge in den Pyrenäen und gilt als heiliger Berg der Katalanen. Und jetzt am Wochenende und bei dem guten Wetter ist da bestimmt einiges los.

Ich mache alle 100 Höhenmeter eine kurze Trinkpause. Mir kommen ziemlich viele Leute entgegen. Ich komme an einer kleinen Hütte vorbei. Nur noch 200 Höhenmeter. Und es ist noch so früh.

Hoffentlich finde ich einen Bach, der fließt. Bisher kann ich kein Wasser sehen oder hören. Ich gehe etwas vom Pfad weg in die Richtung, wo auf der Karte ein Bach eingezeichnet ist. Den finde ich nicht, es ist alles ziemlich trocken. Dann muss es heute mit dem Wasser aus dem kleinen klaren See funktionieren.

Direkt am See finde ich ein flaches Stück Wiese. Hier sind auch ein paar Feuerstellen, anscheinend ein beliebter Platz. Vom Weg kann man mich nicht sehen. Hier fühle ich mich sicher genug, um 16 Uhr schon mein Zelt aufzubauen.

Nach und nach kommen die Kühe um die Ecke. Sie schauen mich eine Weile an, dann gehen sie um mein Zelt und den See herum. Nachdem sie eine halbe Stunde im mich herum gegrast haben, verschwinden sie wieder und suchen sich eine andere Wiese. Dann ist es auch leiser. Es ist echt laut mit den ganzen Kuhglocken direkt um mich herum.

Ich esse meine Thunfisch-Nudeln und eine winzige Tüte Chips, die ich in der Hütte gekauft habe. Dann ziehe ich mich um und schreibe. Es sind wieder Wolken aufgezogen und verstecken nun den Gipfel. Ich bin gespannt, wie es morgen früh aussieht. Ich stelle mir den Wecker auf 5 Uhr und schaue dann mal, wie es aussieht und ob ich wirklich Lust habe, so früh schon loszugehen und 400 Höhenmeter im Dunkeln aufzusteigen.


21,4 km
5:15 h
863 hm
937 hm
2.380 m