Heute steht eine lange Etappe an. Daher geht es früh los. Ich stehe vor Sonnenaufgang auf, gehe duschen, ziehe mich an und packe zusammen. Als es hell ist, um kurz vor 8 Uhr, bin ich startklar. Heute ganz ungewohnt, frisch geduscht und mit gewaschenen Klamotten.

Ich folge erstmal dem GR10. Was heißt, dass es viele Wegmarkierungen gibt. Sogar durch den Ort komme ich gut, ohne auf die Karte schauen zu müssen. Los geht’s. Mittelmeer, ich komme. 70 Kilometer sind es nur noch.

Es geht direkt in den Wald und nach oben. Über Waldboden und Felsen. Viele hohe Stufen hoch.

Es ist noch schön frisch ohne die Sonne. Das ist gut für den schweißtreibenden Aufstieg. Ich bin froh, dass es kein dichter, dunkler Wald ist. Oft habe ich freie Sicht in den Himmel.

Arles-sur-Tech liegt jetzt weit unter mir. Und dahinter thront der Canigou im Sonnenschein. Selbst von der Küste soll man den Berg noch sehen können.

Zum Weg kann ich nichts spannendes berichten. Ich folge dem Pfad durch den Wald. Immer weiter. Erst ist es ziemlich steil, dann folgen Kehren, die weniger steil sind. Wenn ich mal zwischen den Bäumen hindurch ein bisschen Aussicht habe, sehe ich nur weitere Berge voller Wald.

Nach fast 2 Stunden und den ersten 600 Höhenmetern erreiche ich einen Pass. Am Col de Paracolls mache ich in der Sonne eine kurze Pause. Wie schön, mal keine Bäume um mich zu haben. Ich esse zwei saftige Pflaumen, die ich gestern gekauft habe. Die schmecken gut. Die anderen beiden verwahre ich mir für morgen früh.

Nun geht es wieder ein Stück nach unten. Ich komme an vielen selbstgemalten Schildern vorbei für Schlafmöglichkeiten.

Mir ist ein bisschen langweilig, die ganze Zeit nur durch den Wald zu laufen. Ich hoffe, dass der Weg sich nicht so zieht heute. Zumindest verändert sich der Wald immer wieder. Mal ist alles mit Moos überzogen, dann ist der Boden bedeckt mit Blättern oder mit Kastanien. Es gibt Teile mit vielen umgekippten Bäumen, dann wieder hohe gerade Stämme, die mit langen Pflanzen umwickelt sind.

Beim Abstieg bleibe ich mit meinem Fuß unter einer Wurzel hängen und falle hin. Aufstehen und weiter. Das Brennen am linken Bein lässt schnell nach. Es blutet nicht mal. Ich wische mir den Dreck von den Handflächen. Auch keine sichtbaren Schrammen.

Plötzlich stehe ich vor einer Hängebrücke. Maximal 2 Leute dürfen die Holzplanken zeitgleich betreten, sagt ein Schild über der Brücke. Es ist ganz schön wackelig. In der Mitte ducke ich mich unter einem großen Spinnennetz hindurch. Das möchte ich nicht im Gesicht haben.

Ich folge einer Straße und biege dann wieder ab auf einen Pfad durch den Wald. Zwischendurch kann ich schon ein paar Steinhäuser durch die Bäume erkennen. Bei Montalba, wo eine alte Kirche steht und es Wasser geben soll, will ich Pause machen. Ich sollte gegen 12 Uhr dort sein. Hunger habe ich jedenfalls schon. Bisher habe ich 2 Müsliriegel gegessen.

Ich höre schon von weitem Hundegebell. Ich nähere mich langsam dem Parkplatz und den Häusern. Aber mir kommt kein Hund entgegen. Das Bellen verstummt nach einer Weile wieder. Dann laufen sie bestimmt nicht frei herum. Weiter umschauen mag ich mich hier trotzdem nicht. Ich mache es mir auf den Steinen über der Wasserstelle bequem und koche meine Nudelsuppe. Dazu gibt es Baguette. Die Stärkung ist gut.

Es parkt ein Auto auf dem Parkplatz. Das französische Pärchen lässt ihren Hund aus dem Kofferraum. Ich beobachte ihn, aber er interessiert sich gar nicht für mich. Dann habe ich auch keine Angst. Sie fragen mich, ob ich auch mit dem Auto hier bin. Den HRP kennen sie nicht, sie fragen immer wieder, ob ich den GR10 wandere. Sie sprechen auch kein Englisch, also ist es etwas schwierig.

Nach der Pause geht es wieder bergauf. Nochmal 500 Höhenmeter bis zum nächsten Pass. Natürlich weiter zwischen Bäumen her. Mein Kopf hat sich schon wieder Gedanken gemacht über die ganzen Höhenmeter, aber es ist kein Problem. Ich bin schnell unterwegs, schwitze und komme außer Atem. Aber es fühlt sich gut an. Da der Weg etwas langweilig ist, nehme ich es einfach als sportliche Herausforderung heute.

Ich überhole das Pärchen mit dem Hund und lasse sie schnell hinter mir. Zwischendurch halte ich im Wald nach Tieren Ausschau, aber die meisten Geräusche kommen dann doch von den Kastanien, die von den Bäumen fallen. Ich erschrecke mich, als eine stachelige Hülle direkt vor meinen Füßen landet, aufspringt und die Kastanien sich verteilen. Hoffentlich bekomme ich keine auf den Kopf. Vielleicht muss man hier zur Sicherheit mit einem Schirm wandern gehen im Herbst. Zur Kastanien-Abwehr.

Ich freue mich, als die Bäume niedriger werden. Es dauert dann aber doch noch eine halbe Stunde bevor ich aus dem Wald herauskomme. Am Pass Col de Cerda mache ich noch eine kurze Pause in der Sonne. Das Wetter ist perfekt heute. Trotz Sonne nicht zu warm. Es ist echt angenehm. Und für die Anstiege bin ich dankbar für den Schatten der Bäume.

Oben auf dem Pass könnte man gut sein Zelt aufstellen auf der ebenen Wiese. Von hier geht es noch weiter nach oben. Ich biege nach links ab und folge dem breiten Pfad.

Es fehlen noch 400 Höhenmeter zum Gipfel. Der Weg wird steiler und führt durch einen weitläufigen Nadelwald. Es ist viel Platz zwischen den hohen Bäumen. Ich steige die Kehren hinauf. In meinem Kopf spielt sich das spannende Finale eines Berglaufs ab, wo ich gerade in Führung gehe. Nicht stehen bleiben, nicht schlapp machen, nur noch 150 Höhenmeter.

Bald teilt sich der Pfad. Ich folge nun nicht mehr dem GR10, sondern halte mich rechts, um zum Gipfel zu kommen. Jetzt gibt es nur noch vereinzelt gelbe Markierungen. Es geht um ein paar Felsen herum und am Hang entlang. Dann wird der Pfad sehr schmal und ich zwänge mich zwischen Ästen und Sträuchern durch. Und das hört gar nicht auf. Der Pfad ist ziemlich zugewuchert. Ich dachte, der Gipfel ist beliebt und es würde einen ordentlichen Weg dorthin geben.

Rechts von mir ragen ein paar Felsen hinauf und oben kann ich zwei Menschen erkennen. Ich klettere über Steine und ducke mich unter tief hängenden Ästen hindurch. Dann warte ich, um die beiden Leute vorbeizulassen. Der Kerl sagt zu mir, dass dies nicht der Gipfel ist. Der wäre noch 200 Meter weiter. Jetzt sehe ich auch unter mir eine gelbe Markierung. Die war vorhin verdeckt. Also wieder runter und dem Pfad weiter folgen. Es kommt mir trotzdem komisch vor. Nun sehe ich gar keine Markierungen mehr. Ich folge einer Spur im Gras und klettere ein paar Felsen hinauf. Irre ein bisschen herum. Es ist kein eindeutiger Weg zu erkennen. Laut Karte ist das auch noch nicht der Gipfel. Von oben erkenne ich weiter unten wieder eine Markierung und eine Art Pfad. Also klettere ich wieder hinunter. Schön vorsichtig, die hohen Grasbüschel geben nicht viel Halt. Darunter ist es total steil.

Ich finde den Pfad wieder, der hoch zu den nächsten Felsen führt. Hier ist nun auch der Name des Gipfels in den Stein geritzt. Wobei es nicht so richtig wie ein Gipfel aussieht. Aber es gibt eine schöne Aussicht.

Ich mache eine kurze Pause und fülle meine Wasserflasche wieder auf. In meinem Wasserbeutel habe ich noch etwas Wasser. Dabei fällt mir auf, dass etwas fehlt. Oh nein, ich habe eine Pflaume verloren. Sie muss beim Ducken unter den Ästen herausgefallen sein. Das ist traurig, ich hatte mich so auf mehr frisches Obst gefreut. Dann esse ich die letzte Pflaume lieber direkt. Bevor ich sie auch noch verliere.

Laut Karte ist oben auf den Felsen der Roc de Frausa. Also gibt es ein Gipfelfoto auf 1.421 Metern. Auch wenn es nicht wie ein Gipfel wirkt. Die Aussicht wird von ein paar hohen Felsen versperrt.

Weiter geht es. Ein Stück weiter sehe ich die katalanische Flagge oben auf ein paar Felsen wehen. Das ist der nächste Gipfel. Der Pfad ist ja total eindeutig zu erkennen. Gar kein Problem. Hoffentlich wird es bald wieder besser. Das mag ich gar nicht, mich so durch die Büsche zu kämpfen. Da muss ich mich heute Abend wohl mal wieder nach Zecken absuchen. So wie am Anfang der Tour.

Zumindest verlaufe ich mich nun nicht mehr. Es geht durch eine Rinne die Felsen hinauf und dann nach rechts weiter zum Gipfel.

Ich habe mich durchgekämpft zum Roc de Fraussa auf 1.450 Meter Höhe. Der Gipfel wird auch Roc de France genannt.

Er liegt genau auf der Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Nach links schaue ich auf das französische Mittelmeer.

Rechts liegt die Küste Spaniens. Das Meer ist nun noch viel näher als die letzten beiden Tage.

Ich habe mich allerdings geirrt, dass der Pfad nach dem Gipfel dann wieder besser zugänglich ist. Er führt weiter ziemlich zugewuchert an den beiden hohen Funktürmen vorbei. Erst nach weiteren 10 Minuten geht es wieder in einen Nadelwald mit viel Platz. Das ist besser. Den Aufstieg für heute habe ich nun hinter mir. Jetzt geht es nur noch runter.

Ich folge dem Pfad durch den Wald, der in Kehren nach unten führt. Ich komme an einer Schotterstraße raus. Wo ich erstmal warte bis zig Motorradfahrer vorbeigefahren sind. Hinter einem alten und anscheinend verlassenen Steinhaus finde ich zwischen den Bäumen einen Picknickplatz mit Wasserstelle. Ich fülle meine Flasche nach. Als ich meine Knie beuge, um mich auf die Steinbank zu setzen, entfährt mit ein kurzes schmerzhaftes Stöhnen. Ich bewege meine Beine, die Knie fühlen sich etwas steif an. Sie wollen mir wohl mitteilen, dass es mal reicht nach fast 1.900 Höhenmetern hoch und schon über 1.000 Höhenmetern nach unten. Aber ich möchte noch etwa eine Stunde weitergehen. In Las Illas soll es einen kleinen kostenlosen Campingplatz geben.

Beim Gehen habe ich auch keine Schmerzen. Nur meine Füße werden müde. Es geht über die breite Wiese hinab und weiter auf einem Pfad durch den Wald. Dann komme ich auf eine staubige Piste, der ich lange folge.

Als es um eine Kurve geht, habe ich nochmal eine schöne Aussicht. Nun immer mit dem Meer im Hintergrund.

Irgendwann geht es vom Fahrweg über eine Weide und dann wieder einen Pfad entlang. Bis ich zu den ersten Häusern von Las Illas komme. Jetzt reicht es mir auch für heute. Ich war schon lange nicht mehr so fertig. Meine Füße schmerzen. Ich komme an der Gîte d’étape vorbei. Das sind einfache Unterkünfte für Wanderer, die es hier immer wieder gibt. Ich möchte aber mein Zelt aufstellen. Wo auf der Karte der Biwak-Bereich eingezeichnet ist, stehe ich vor einer abgesperrten Baustelle. Aber auf der anderen Seite finde ich ein Schild „Aire de bivouac“. In der Feuerstelle brennt ein großes Feuer, aber es ist niemand sonst hier. Ich schaue mich um und gehe zurück zur Straße, wo ein Mann mit seinem Hund auf einer Mauer sitzt. Ich frage ihn nach Wasser. Er spricht Englisch und meint, am alten Rathaus gibt es eine Toilette und Wasser. Also laufe ich nochmal ein Stück die Straße nach oben.

Direkt vor der kleinen Wanderer-Unterkunft ist die Toilette. Sogar mit Dusche. Und daneben gibt es einen Wasserhahn. Durch die große Terrassentür winkt mir Ivo. Er schläft drinnen. Ich sage kurz hallo und will dann mein Zelt aufbauen. Als mir mein Handy herunterfällt, verliere ich beim Aufheben fast das Gleichgewicht. Mann, ich bin echt erledigt.

Ich baue schnell mein Zelt auf der Wiese auf. Liegen tut gut. Jetzt noch umziehen und kochen. Während ich warte, dass das Wasser für die Nudeln kocht, esse ich schon eine halbe Tüte Chips auf. Gerade als mein Essen fertig ist, höre ich Schritte. Jemand bleibt direkt vor meinem Zelt stehen und ich höre meinen Namen. Da steht Ivo mit zwei Schälchen in der Hand. Er hat zu viel Linsensuppe gekocht und wollte mir etwas abgeben. Dafür stehe ich auch nochmal auf. Das ist lieb. Und es schmeckt richtig gut. Die Suppe ist gut gewürzt und mit Ingwer, Knoblauch und Salbei. Das mag ich. Wir stehen vor meinem Zelt, essen die Suppe und reden noch ein bisschen. Ivo meint, er ist es von Zuhause gewohnt für 4 Leuten zu kochen und es fällt ihm echt schwer, hier nur kleine Portionen für sich zu kochen. Da helfe ich ihm doch gerne. Ich bedanke mich nochmal bei ihm und dann geht er wieder.

Das war eine super Vorspeise. Oder war es jetzt der Zwischengang zwischen Chips und Thunfisch-Nudeln? Mir wäre das viel zu aufwendig, nach so einem langen Tag noch groß zu kochen. Da muss das mit dem Essen schnell gehen.

Ich muss mich echt überreden, noch ein bisschen zu schreiben und nicht direkt die Augen zuzumachen. Um mich herum bellen überall Hunde. Es ist ein sehr langes Konzert, dass es bei diesem Schlafplatz kostenlos dazu gibt. Als ob alle Hunde im Ort sich über die Distanz unterhalten würden. Oder sich gegenseitig zu mehr bellen anstacheln.


28,0 km
7:45 h
1.903 hm
1.613 hm
1.453 m