Eigentlich will ich wieder früh los. Ich bin aber erst nach 8 Uhr fertig mit Schreiben. Gestern war ich dann doch zu müde. Das Bell-Konzert hat heute Nacht eine lange Pause gemacht. Jetzt geht es weiter. Ich baue mein Zelt ab. Auf dem Parkplatz direkt nebenan versammelt sich eine Gruppe Radfahrer. Eine Frau deutet auf meinen Rucksack und sagt „Bon Courage“. Das habe ich nun schon häufiger gehört. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Guten Mut“.
Ich schaue mich um. Die Straße ist gesperrt, der Asphalt hinter dem kleinen Erdwall als Barrikade ist weggebrochen. Dahinter sieht alles normal aus. Also gehe ich weiter und überquere den Bach, der die kaputte Straße in Beschlag genommen hat. Dann geht es auf dem Asphalt in Serpentinen nach oben. Hoffentlich sind die Grundstücke mit Hunden alle eingezäunt. Es sieht so aus.
Ich rufe meine Tante an, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Etwas über mir bellt ein Hund, er steht aber hinter einem Zaun. An der nächsten Ecke bleibe ich stehen. Erst als ich aufgelegt und auf die Karte geschaut habe, gehe ich weiter. Bleibe aber direkt wieder stehen. Auf der anderen Seite ist kein Zaun. Der Hund liegt nun in der Einfahrt auf der Straße. Er bellt, bewegt sich aber nicht. Hier bin ich wohl noch weit genug weg. Na super. Ich möchte nicht da vorbeigehen. Ich schaue nochmal auf die Karte. Vielleicht kann ich ja einen anderen Weg nehmen. Vielleicht nach rechts die Straße hoch und in der nächsten Kurve querfeldein nach oben zur Serpentine darüber. Das sieht auf der Karte nicht so steil aus. Wenn ich mich umschaue aber schon. Und wer weiß, ob ich da herkomme mit den Grundstücken weiter oben.
Oder ich gehe wieder runter in den Ort und nehme den GR10. Das ist zwar ein großer Umweg, aber nach ein paar Kilometern stößt er wieder auf diesen Weg. Da gibt es keine Häuser entlang des Weges. Als ich noch überlege, kommt von rechts ein Auto. Der Mann lässt die Scheibe herunter und fragt mich auf französisch, ob ich den Weg suche. Ich deute auf den Hund und sage, dass ich Angst habe. Die Frau versteht wohl Englisch und übersetzt. Sie diskutieren ein bisschen, ob es einen anderen Weg gibt, den ich nehmen könnte. Auch wenn sie meinen, dass der Hund freundlich wäre. Sie nehmen mich ernst und machen sich nicht lustig darüber, dass ich mich nicht traue. Irgendwann deutet die Frau dann auf die hintere Tür. Sie könnten mich eben an den Häusern vorbeifahren.
Das geht mir total gegen den Strich, jetzt in ein Auto zu steigen. Eine Regel, die ich vor meiner ersten Weitwanderung aufgestellt habe lautet, alles aus eigener Kraft zu schaffen. Ohne motorisierte Hilfe. Jetzt denke ich allerdings nicht lange nach. Die Angst siegt und ich quetsche mich mit meinem Rucksack auf die Rückbank. Neben eine alte Frau und einen kleinen Hund.
Wir fahren los und der große Hund springt auf als wir an ihm vorbei fahren. Mir wird ein bisschen anders, als er den ganzen Weg bis zur nächsten Kurve laut bellend neben dem Auto her rennt. Ich bin so dankbar, jetzt gerade im Auto drin zu sitzen. Hinter der Kurve sehe ich ihn nicht mehr. Der Mann fährt noch eine Serpentine weiter und hält dann an. Er fragt mich, ob es hier okay ist. Wir sind an allen Häusern mit Hunden vorbeigefahren. Sie fragen ganz interessiert, was ich mache und die Frau meint, dass sie vor 3 Tagen auf Facebook gelesen hat, wie ein HRPler in Banyuls angekommen ist. Sie meint, ich wäre sehr mutig. Ich bedanke mich nochmal und dann drehen sie und fahren wieder. So herzliche Menschen.
Abends schaue ich nach und tatsächlich waren es nur 600 Meter mit 30 Höhenmetern, die ich mit der Aktion nicht selber gelaufen bin. Das ist ja nichts.
Ich folge der Straße weiter. Es kommen noch ein paar Häuser, aber ohne Hunde. Die Straße ist nun eine steinige und holprige Piste. Ich habe noch zwei platt gedrückte Schokobrötchen, die gibt es beim Gehen. Der Weg ist langweilig.

Immer weiter geht es durch den Wald. Mein Hörspiel möchte ich nicht hören. Nicht, dass ich dann ein Bellen nicht bemerke. Also schreibe ich einfach beim Gehen schon ein bisschen von meinem Morgen.

Es geht an ein paar Steinhäusern vorbei. Hier ist niemand.

Als ich weitergehe, kann ich zwar niemanden sehen, aber plötzlich höre ich doch Gebell. Und es hört sich an, als würde es näherkommen. Ich sehe noch keine Hunde, also werden sie mich wohl auch nur hören. Ich fange an zu rennen. Vielleicht bin ich uninteressant, wenn ich um die nächste Kurve bin. Vielleicht bin ich dort weit genug weg vom Gelände, was die Hunde bewachen wollen. Im Laufen schaue ich mich immer wieder um. Ich möchte nicht rennend erwischt werden von den Hunden. Das Bellen wird immer lauter. Mein Herz klopft. Ich höre auch eine Männerstimme, die anscheinend die Hunde zurückruft. Aber sie hören nicht. Ich bin um die Kurve und gehe nun lieber wieder. Das Bellen ist ziemlich nah. Als ich mich umdrehe, kommt ein Hund angeschossen, rennt an mir vorbei und stellt sich mir knurrend und bellend in den Weg. Der andere Hund bleibt hinter mir stehen. Ich bleibe stehen und bewege mich nicht mehr. Beobachte die Hunde angespannt. Ich frage mich immer, ob sie meine Angst spüren. Nach einer Weile schnüffeln sie am Straßenrand und wirken gelangweilt. Als ich einen Schritt weiter mache, sind sie direkt wieder da und knurren mich an. Die Männerstimme kommt näher und irgendwann hören die Hunde dann und laufen zurück. Zum Glück. Ich höre sie nun winseln, sie bekommen wohl ordentlich Ärger.
Jetzt ist der Weg wieder frei. Ich gehe mit Tränen in den Augen weiter. Ich mag nicht mehr. Keine Hunde und keine langweilige Straße. Ich bin nun die ganze Zeit angespannt und bei jedem Geräusch, dass ein Bellen sein könnte, zucke ich zusammen. Das macht keinen Spaß so. Ich muss runter in den Ort und dahinter wieder hoch. Ich suche die Karte nach Gebäuden am Weg ab. Da ist es wahrscheinlicher, dass es Hunde gibt.
Nach zwei Stunden, am Pass Coll del Priorat, komme ich an eine Wegkreuzung. Das Gebäude, was auf der Karte eingezeichnet ist, ist nur ein großer Wassertank. Hier fällt mir das erste Mal ein Grenzstein auf. Ich habe mich schon gewundert, dass es an den vielen Stellen, wo ich nach Spanien und zurück nach Frankreich gewechselt bin, nie Grenzsteine gab.

Endlich geht es mal weg von dem breiten Fahrweg. Ich biege auf einen schmalen Pfad in den Wald ab. Erst geht es ein bisschen nach oben und dann nur noch runter. Ich erschrecke mich ein wenig, als rechts vom Pfad auf einem Felsen jemand sitzt. Ivo macht eine Trinkpause. Wir gehen zusammen weiter und unterhalten uns dabei. Wir können schon die Motorengeräusche hören. Das hört sich nach viel Verkehr an unten im Tal.

Wir kommen an einer Ruine vorbei und folgen der Asphaltstraße unterhalb einer alten Festung. Über einen Pfad geht es zu einem großen Parkplatz. Le Perthus ist ein kleiner Grenzort. Auf dieser Seite der Straße ist man in Frankreich, auf der anderen Seite in Spanien. Wahrscheinlich gibt es hier auch wieder irgendwelche Steuervorteile. Im Supermarkt gibt es vor allem Alkohol und Tabak. Außerdem alles in Großverpackungen. Wie am Flughafen. Ich kaufe ein Baguette und etwas Käse für die Pause gleich. Außerdem noch eine Tüte Chips für den letzten Abend im Zelt. Frisches Obst gibt es leider nicht.
Ich gehe die laute Straße entlang. Nichts wie weg hier. Den Wasserhahn für Trinkwasser, der auf meiner Karte eingezeichnet ist, finde ich nicht. Ich komme aber an einer Toilette vorbei. Also fülle ich mein Wasser am Wasserhahn nach. Den Geschmack nach Chlor überdecke ich mit meinem Pulver mit Zitronengeschmack. Das funktioniert so halbwegs gut. Nach einem kleinen Stück Asphalt biege ich auf einen erdigen Weg ab. Nun geht es wieder nach oben. Sobald man den Verkehr nicht mehr so doll hört, werde ich mir einen Pausenplatz suchen.

Mir kommt ein Wanderer entgegen. Er strahlt über das ganze Gesicht. Da muss man einfach auch lächeln. Wir verstehen uns ganz gut, wenn er französisch spricht und ich auf Englisch antworte. Er ist in Banyuls gestartet und geht bis zum Pic Carlit. Jedes Jahr ein Stück vom HRP. Er meint, er wäre heute schon drei anderen Frauen begegnet, die fast am Ziel angekommen sind. Davon ist bestimmt eine Orietta gewesen. Er beglückwünscht mich. Ich glaube, er hat verstanden, dass ich heute noch bis nach Banyuls gehe.
Der Weg führt nun durch die pralle Mittagssonne. Es ist so warm. Und sehr trocken hier. Ich habe das Gefühl, dass ich den Staub schmecken kann. Unten an der Straße stand ein Schild, dass Feuer verboten sind wegen Waldbrandgefahr. So trocken wie alles ist, würde wahrscheinlich der kleinste Funke reichen.

Ich setze mich zwischen stachelige Büsche in den Schatten und esse mein Baguette mit Käse. Der Aufstieg ist anstrengend. Vielleicht weil es so warm ist. Oder vielleicht weil meine Beine noch müde sind von gestern. Ich gehe langsam weiter. Auf der Karte ist noch ein Gebäude am Weg eingezeichnet. Ich gehe ein kleines Stück querfeldein, damit ich nicht so nah daran vorbei muss. Von oben sehe ich dann, dass es eher eine Ruine ist.
Ich folge lange einem breiten Weg. Dann wieder einem Pfad durch den Wald. Kurz sehe ich durch die Bäume eine Straße unterhalb vom Pfad. Jetzt ist es nicht mehr so weit bis zum Pass Col de l’Ouillat und der Hütte dort. Also trinke ich auch mein letztes Wasser. Der Pfad führt eine ganze Weile durch hohe stachelige Gräser und Büsche mit Dornen.

Oben angekommen geht es dann wieder durch den Wald. Jetzt mehr oder weniger auf einer Höhe. Der Pfad ist ganz schön. Ich finde in einer Lücke zwischen den Bäumen einen schönen Aussichtspunkt und mache noch eine kleine Pause.

Um halb 4 erreiche ich die Hütte. Es ist ganz schön was los. Man kommt mit dem Auto hierhin und der Parkplatz ist voll. Gegenüber auf der Wiese mit Picknicktischen steht ein Zelt. Hier wollte ich auch vielleicht schlafen, aber das ist mir zu voll. Ich setze mich auf die Terrasse, trinke eine kühle Orangina und frage nach Eis. Ich hatte auf der ganzen Tour noch kein Eis. Und tatsächlich habe ich Glück. Also gibt es drei Kugeln. Das allerbeste daran sind allerdings die paar dünnen Scheiben frischer Apfel zur Deko.
Jetzt ist es ja noch früh. Vielleicht gehe ich doch noch weiter. Zum nächsten Gipfel und ein kleines Stück runter. Da soll es einen Picknickplatz und eine Wasserquelle geben. Da kann ich bestimmt mein Zelt aufstellen. Das ist nur eine Stunde von hier.
Also mache ich mich wieder auf den Weg. Ich will noch mein Wasser auffüllen, finde aber die Wasserstelle nicht oder sie ist trocken. Ich hätte ja auch in der Hütte fragen können. Naja, die Stunde schaffe ich auch ohne Wasser. Es geht durch einen lichten Wald nach oben. Ich quatsche mit ein paar Spaziergängern, die mich ansprechen. Wie oft ich das schon gehört habe. Wir wollten die Wanderung auch machen – vielleicht klappt es ja irgendwann. Einfach machen und nicht so lange warten.
Ich gehe durch den lichten Wald nach oben und über den breiten Bergrücken über die Wiese. Direkt an der Grenze entlang. Rechts von mir liegt Spanien, links Frankreich. Der Weg gefällt mir und nach dem blöden Tag heute tut das gut.
In der Ferne sehe ich einen hohen Funkmasten und ein paar Leute. Direkt da ist auch der Gipfel. Zwischen ein paar Gebäuden und mehr Masten. Die stören zwar ein bisschen die Sicht, aber es ist trotzdem schön. Das Meer ist nun so nah, dass ich ein paar Schiffe erkennen kann. Noch sind es winzige Punkte.

Hier bin ich wohl jetzt das letzte Mal über 1.000 Meter hoch. Morgen geht es nur noch nach unten. Natürlich gibt es auch noch ein Gipfelfoto auf dem Pic Neulós auf 1.257 Meter Höhe.

Die anderen Leute gehen nach und nach. Zwei Spanier sitzen noch auf den Steinen. Sie machen eine Mehrtagestour und wollen unterhalb in der kleinen Hütte übernachten. Da könnte ich auch schlafen, aber ich möchte die letzte Nacht nochmal im Zelt verbringen. Ich hoffe nur, dass es tatsächlich Wasser gibt. Ich habe keinen Tropfen mehr. Sonst gibt es nichts warmes zu Essen und auch nichts zu Trinken bis ich morgen auf dem Weg irgendwo Wasser finde.
Ich sitze auf einem Felsen und schaue auf die Uhr. Es ist kurz vor 17 Uhr. Die Sonne geht inzwischen um 19:20 Uhr schon unter. Ich bleibe jetzt einfach sitzen und schaue mir den Sonnenuntergang von hier oben an. Ich kann ja solange schreiben. Oder telefonieren. Der Empfang ist gut. Der Blick Richtung Westen ist super. Dann habe ich wenigstens noch einen schönen Abschluss heute. Eigentlich wollte ich den Tag heute „Notwendiges Übel“ nennen nach den Hunden und den langweiligen und staubigen Straßen. Bis zur Hütte hat mir der Tag gar nicht gefallen. Bei so einer Weitwanderung kann eben nicht jeder Tag nur schön sein. Aber jetzt ist mir der Titel doch zu negativ.
Ich esse die letzten Nüsse auf. Als es später windiger wird, ziehe ich meine lange Hose und die Daunenjacke über. Wenn die Sonne weg ist, wird es sowieso wahrscheinlich schnell kalt. Tagsüber ist es zwar super warm, aber ohne Sonne merkt man, dass kein Sommer mehr ist.
Schon ab halb 7 verfärbt der Himmel sich leicht.

Richtung Westen haben sich ein paar dicke Wolken gebildet. Ich schaue zu, wie die Sonne langsam verschwindet. Es ist auch ein Blick zurück auf meinen Weg vom Atlantik, in die Richtung aus der ich komme.

Als die Sonne nicht mehr zu sehen ist, schultere ich meinen Rucksack. Meine Stirnlampe brauche ich nicht, es ist noch genug Licht da. Ich gehe über die Wiese runter und in den Wald. Hier ist es doch schon fast zu dunkel. Es ist aber nur ein kurzes Stück. Ich gehe schnell und weiche dabei den dornigen Ranken aus. Daran will ich nicht mit meiner Daunenjacke hängenbleiben.
Eine Viertelstunde später höre ich Wasser. Perfekt. Ich freue mich, dass es aus dem Rohr in der kleinen Betonwand sprudelt, die mitten auf der Wiese steht. Direkt daneben finde ich eine kleine ebene Fläche, wo ich mein Zelt aufbaue.

Zwischen den Bäumen kann ich den Mond sehen, der noch nicht hoch am Himmel steht. Er sieht ganz rötlich aus. Das sieht gut aus. Es ist schwer zu fotografieren. Ich stelle meine Kamera in den manuellen Modus und probieren ein paar Belichtungen aus. Offenblende und nur kurz belichten. Dann ist zwar drumherum alles dunkel, aber man erkennt den Mond gut.

Ich hole Wasser und koche im Dunkeln meine Thunfisch-Nudeln. Ich lausche den Windböen. Es ist immer faszinierend, wenn man die Böen hört. Nach einer Weile weiß ich, welche mein Zelt treffen werden und welche nur weiter oben über die Bäume hinweg fegen. Ich liege lange wach und beobachte, wie der Wind die Zeltwände nach innen drückt. Er scheint aus allen Richtungen zu kommen.
Ich nehme mein Handy und schaue in den Wetterbericht. Morgen soll es noch windiger werden. Eigentlich wollte ich ein Stück hinter Banyuls an der Küste irgendwo mein Zelt aufstellen, wenn ich angekommen bin. Aber direkt am Meer ist es bestimmt ziemlich windig. Also schaue ich nach anderen Unterkünften. Und buche mitten in der Nacht ein Hotelzimmer. 45 € pro Nacht und nah am Strand. Das Gemeinschaftsbad auf dem Flur stört mich nicht, das ist ja auf dem Campingplatz nicht anders. Irgendwann weit nach Mitternacht schlafe ich erst ein.
Volkmar Vetter
Hi und hallo,
…. fast geschafft; ich habe soeben noch einen Ankommen Schluck gesendet.
Herzlichen Glückwunsch von Volk meer .
Sven
Auch blöde Tage sind irgendwann zu Ende.
Das mit dem Auto ist aber nicht Sophie like. In der Situation allerdings die einzig richtige Entscheidung. Wichtig dabei ist, seine Regeln auch mal auszusetzen wenn es sinnvoll ist. Das Eis und das bisschen frische Obst entschädigt für einiges oder?