Wir haben die Tür der Hütte aufgelassen. Aus dem Schlafsack sehe ich, dass es immer noch ziemlich bewölkt ist. Als ich aufstehe, sehe ich jedoch über mir die hell leuchtenden Sterne und in die andere Richtung den Vollmond. Da ist der Himmel klar. Richtig schön. Ich nehme Matte und Schlafsack mit zum Gipfelkreuz und kuschel mich dort oben wieder ein. Die anderen beiden suchen sich auch einen Platz auf den Felsen. Die Sonne geht erst in einer Dreiviertelstunde auf, sie schickt aber schon ein paar warme Farben vor.

Es ist wunderschön. Ich schaue mich immer wieder um. Im Tal leuchten die Lichter wie zig kleine Punkte. Der Mond wirkt total groß und strahlt jetzt auch in einem warmen Licht. Es haben sich ein paar kleine Wolken in Linien davor geschoben, was noch besser aussieht. Und im Osten verändern sich die Wolken und Farben ständig ein bisschen.

Es gibt keine schönere Art, den Tag zu starten. Drumherum kalte Luft, im Schlafsack schön warm, alles ruhig und friedlich und einfach die Natur-Schauspiele beobachten. Ich strahle und sage zu den anderen: „Das wird ein schöner Tag“.

Vielleicht erinnert ihr euch daran, dass ich das in Norwegen schon geschrieben habe. Ich kann nicht erklären, wieso. Aber ich liebe das Gefühl, da draußen irgendwo Zähne zu putzen. An der frischen Luft und einfach irgendwo in der Natur. Es ist ein Gefühl von Freiheit.

Gegen halb 9 ist alles gepackt und es geht weiter. Barbara hat sich schon auf den Weg gemacht und nimmt den östlichen Abstieg. Ich verabschiede mich noch von Simone, die es lieber noch ein bisschen hinauszögert. Für sie geht es zurück nach Hause.

Der Pfad schlängelt sich wieder durch die Latschenkiefern und geht mal hoch, mal runter. Es sind einige größere Felsstufen dabei. Nach kurzer Zeit habe ich nochmal einen schönen Blick zurück auf das Gipfelkreuz.

Als ich unten am Rotöhrsattel ankomme, treffe ich die ersten anderen Menschen. Hier kommt auch der Weg raus, wenn man von der Tutzinger Hütte kommt. Noch ein Stück weiter runter und dann teilt der Weg sich wieder. Ich entscheide mich für den Gratweg. Der andere Weg führt etwas unterhalb am Hang entlang. Vor dem Latschenkopf treffen sie sich wieder. Es geht also hinauf. Über Felsen. Immer wieder brauche ich die Hände und es gibt einige Passagen mit Seilversicherung.

Es ist echt anstrengend heute. Und ich habe so einen Durst. Hier oben gibt es keine Quelle und ich habe nicht mehr viel Wasser von gestern. Ich mache eine kurze Pause und esse einen Riegel. Vielleicht gibt der mir ein bisschen mehr Energie. Dann geht es weiter. Steil hoch und wieder runter, dann dasselbe nochmal. Über die Achselköpfe. Wie viele Köpfe sind das denn? Vielleicht hätte ich heute doch den unteren Weg nehmen sollen.

Als ich gerade ein paar Felsen hinabklettere, höre ich Geräusche. Da laufen 3 Steinböcke direkt unter mir her. Ein ganz kleiner ist dabei. Sie bleiben auf den Felsen beim nächsten Anstieg stehen. Und bewegen sich auch nicht weg, als ich näher komme.

Ich will ihnen Platz zum Abhauen lassen, aber sie wollen anscheinend nicht. Also gehe ich langsam an ihnen vorbei. Als ich mich nochmal umdrehe, schaut mir einer noch hinterher. Das sieht gut aus.

Dann komme ich endlich am Probstalmsattel raus, wo die Wege wieder zusammenkommen. Dort treffe ich die 3 Männer wieder, die ich vorhin am Sattel schon gesehen habe. Sie haben den unteren Weg genommen. Ich hänge mich an sie dran. Jetzt geht es wieder ein bisschen hoch. Aber auf einem etwas einfacheren Weg. Sie wollen mich überholen lassen, aber ich gehe gerade lieber langsam hinter ihnen her. Für mehr fehlt mir die Kraft.

Als wir einen anderen Wanderer überholen, der gerade Pause macht, bekomme ich mit, dass sie auch einen Teil des Maximilianswegs laufen. Cool, das sind die ersten anderen Maxi-Wanderer, die ich treffe. Ich spreche sie darauf an und so kommen wir ins Gespräch.

Am Latschenkopf auf 1.712 Meter Höhe ist einiges los. Ich lasse schnell ein Gipfelfoto machen. Achte aber nicht ganz so viel auf meine Umgebung, da wir die ganze Zeit quatschen.

Ich erzähle von meinen anderen Touren und frage nach ihren Plänen. Andy, Heiko und Peter gehen morgen noch bis zum Tegernsee. Dort endet ihre Tour für dieses Jahr. Und sie schlafen heute in der Lenggrieser Hütte. Der hatte ich bisher nicht so viel Beachtung geschenkt, da sie etwas ab vom Weg liegt. Aber vielleicht wäre das eine Alternative zum Wildcampen heute.

Ich bin so froh, als Heiko mir etwas von seinem Wasser abgibt. Er hat noch genug und meins ist inzwischen leer. Wir gehen gemeinsam weiter und machen uns an den Abstieg. Nach links zweigt noch ein Weg ab. Das sind nur 5 Minuten Umweg, den Gipfel möchte ich eben mitnehmen. Die anderen gehen schon weiter.

Auch hier auf dem Vorderen Kirchstein auf 1.670 Metern lasse ich ein Foto machen. Und mache im Gegenzug ein paar Fotos von den anderen Leuten hier oben. Der zweite Gipfel für heute.

Und es geht weiter runter. Mir kommen immer mehr Leute entgegen. Hinten am Brauneck fährt eine Bahn. Das erkennt man schon daran, wie die Leute hier herumlaufen. Die sind niemals alle aus dem Tal hier hochgelaufen. Eine Weile geht es noch über einen schmalen Pfad und viele Wurzeln über den Grat. Dann komme ich auf einen breiteren Schotterweg. Ich hole die 3 Männer wieder ein. Wir beobachten die Gleitschirmflieger, die hier oben starten. Aus solcher Nähe habe ich den Start auch noch nicht gesehen. Das muss schon schön sein, so durch die Luft zu gleiten.

Auch wenn es super voll ist und mir der Gipfel nicht so gut gefällt. Ich schlage trotzdem kurz am Kreuz an. Der Brauneck auf 1.555 Metern.

Ich werde auf meinen Rucksack angesprochen und erzähle, was ich mache. Dann geht es weiter, noch ein paar Meter runter und zum Brauneck-Gipfelhaus. Ich brauche dringend was zu trinken. Ich fülle meine Flasche am Waschbecken auf der Toilette auf. Dann bestelle ich mir eine große Johannisbeer-Schorle und eine Brezel als kleine Stärkung.

Ich sitze draußen mit Andy, Heiko und Peter zusammen. Wir unterhalten uns gut, es ist eine entspannte Runde. Ich habe noch eine ganz schöne Strecke vor mir heute. Aber ich achte nicht so auf die Zeit und genieße die Sonne und die Gesellschaft.

Die 3 fahren mit der Bahn runter und gehen dann zur Lenggrieser Hütte. Vielleicht sehen wir uns ja heute Abend wieder. Ich mache mich an den Abstieg zu Fuß. Natürlich nehme ich nicht die Bahn.

Ich folge dem breiten Schotterweg. Ich bin etwas verwirrt über die Menge an Wegen und Kreuzungen und Wegweisern. Ich nehme den linken Weg. Am Ende steht derselbe Wegweiser, dem ich gerade gefolgt bin und zeigt wieder zurück. Da stimmt doch irgendwas nicht. Vielleicht kann ich einfach links über die Skipiste gehen. Ich schaue auf die Karte auf meinem Handy. Oh, ich hätte weiter oben schon abbiegen müssen. Na toll. Der Weg ist aber nicht weit weg. Vielleicht kann ich so um den Hang rumgehen und wieder auf den Weg kommen. Es ist allerdings sehr viel steiler als es aussah. Das lasse ich doch lieber. Also wieder zurück zum Schotterweg und 2 Kehren nach oben. Die Wegweiser sind doch richtig. Keine Ahnung, was ich da vorhin gesehen habe.

Jetzt bin ich auf dem richtigen Weg nach unten. Und sofort kann ich verstehen, wieso man hier die Bahn nehmen würde. Der Abstieg ist schrecklich. Ein richtig steiler und durch den Schotter teils rutschiger Weg. Das macht keinen Spaß. Es wird auch nach den ersten Kehren nicht besser. Zwischendurch gibt es mal ein paar Meter, die nicht ganz so steil sind. Dann geht es wieder so steil weiter. Über mir die Bahn, am Speichersee für die Beschneiungsanlagen vorbei und Richtung Tal.

Hier merke selbst ich nach einer Weile meine Knie und die starke Belastung. Ich mag nicht mehr. Es ist immer noch ein ganzes Stück nach unten.

Irgendwann wird es dann flacher. Fast geschafft. Im Moment habe ich den Gedanken, mir für heute einfach ein Zimmer in Lenggries zu nehmen.

Ich folge einer langen Straße und komme in den Ort. Im Zentrum mache ich an der Eisdiele Pause. Vielleicht bessert Zitronen- und Heidelbeereis ja meine Laune.

Ich überlege, was ich mache. Bin aber total unentschlossen. Ich habe jetzt schon 600 Höhenmeter Anstieg und etwa 1.500 Höhenmeter Abstieg auf meiner Uhr. Der Maximiliansweg würde mich jetzt wieder nach oben führen. Und zwar über den Geierstein und bis zum Fockenstein. Nochmal 1.100 Höhenmeter Anstieg. Und laut Schildern über 3 Stunden. Das wird von der Zeit knapp. Und Kraft habe ich dafür gerade auch nicht mehr. Eigentlich wollte ich hinter dem Fockenstein dann irgendwo mein Zelt aufstellen.

Alternativ könnte ich auch zur Lenggrieser Hütte gehen. Das wären 600 Höhenmeter hoch. Das würde ich wohl noch schaffen. Und es wäre echt schön, den Abend mit den anderen zu verbringen. Allerdings möchte ich morgen unbedingt zum Campingplatz am Schliersee und hätte dann eine 10 Stunden Tour vor mir. Dabei wollte ich eigentlich extra früh losgehen und nachmittags ankommen, dass ich Zeit habe, meine Klamotten zu waschen und ein bisschen die Füße hochzulegen. Das passt irgendwie alles nicht richtig.

Ich studiere die Karte. Ich könnte ja auch unterhalb der Gipfel durchs Tal am Hirschbach entlang gehen. Dann hätte ich wahrscheinlich einen einfachen Weg und noch weniger Höhenmeter. Irgendwo Richtung Hirschtalsattel könnte ich mein Zelt aufstellen. Aber ich würde die Gipfel verpassen. Und das bei diesem schönen Wetter. Es ist bestimmt traumhaft da oben gerade.

Es wird die dritte Variante. Mit der Option noch zur Hütte abzubiegen. Dann muss ich mich jetzt noch nicht entscheiden. Ich gehe also durch den Ort und folge dann der Schotterstraße wieder nach oben. Der Weg ist langweilig, aber das ist mir gerade egal.

Am Hirschbach finde ich direkt eine Stelle, wo ich wahrscheinlich gut mein Zelt aufstellen könnte. Wieder auf der anderen Seite vom Bach, zwischen den Bäumen. Es ist sehr verlockend. Mich einfach jetzt schon hinzulegen. Aber ich überrede mich selber, noch ein Stündchen mindestens weiterzulaufen.

Es ist so warm heute. Schon fast zu warm. Ich habe viel zu wenig getrunken und fühle mich schlapp. An meiner rechten Hand habe ich seit ein paar Tagen einen Ausschlag. Die Pöckchen werden immer größer und fangen jetzt an zu jucken. Das erinnert mich an den Riesen-Bärenklau in Norwegen und wie schmerzhaft das war. Hoffentlich habe ich nicht wieder so eine giftige Pflanze berührt. Gemerkt habe ich jedenfalls nichts. So, das waren meine Mecker-Minuten. Weiter geht’s.

Am Abzweig zur Lenggrieser Hütte bleibe ich stehen. Vielleicht doch zur Hütte? Auch wenn es morgen dann ein langer Tag wird? Ich würde schon gerne. Aber meine Füße nehmen mir die Entscheidung ab und laufen geradeaus weiter. Ich freue mich doch so auf einen freien Nachmittag auf dem Campingplatz morgen. Also, falls ihr das lest, Andy, Heiko und Peter – ich hoffe, ihr hattet einen schönen Abend und habt es euch gut gehen lassen.

Ich schaue mich nun die ganze Zeit um. Aber es ist rechts und links sehr steil. Das wird schwierig einen Schlafplatz zu finden. Auf dem Hirschtalsattel folge ich den verschiedenen Wegen ein Stück, aber entdecke auch keine gute Stelle. Ich gehe quer über die Weide, Kühe sind hier oben zum Glück nicht mehr. Dahinter im Wald werde ich fündig. Allerding ist etwas weiter oben ein Hochsitz. So ganz wohl fühle ich mich hier nicht. Mangels Alternativen bleibe ich aber und baue mein Zelt erst auf kurz bevor es dunkel wird.

Jetzt nur noch essen, schlafen und neue Kraft sammeln.


22,3 km
6:05 h
1.053 hm
1.596 hm
1.783 m