Ich lehne mich aus dem Bett, um besser sehen zu können. Aus dem Fenster schaue ich genau Richtung Osten. Der Himmel hat einen wunderschönen Farbverlauf von dunkelorange bis hellblau. Ich hänge mir meine Bettdecke um und setze mich gegenüber auf den Tisch. Von hier kann ich besser sehen. Draußen vor der Hütte tummeln sich auch schon Leute, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Die markante Spitze, die man links sieht, ist die Kampenwand. Da geht es heute hin.

Meine Zimmergenossen sind morgens zum Glück noch nicht so gesprächig und ich ignoriere sie auch einfach und lasse mich nicht stören. Ab 7:30 Uhr gibt es Frühstück. Also ziehe ich mich an und gehe nach unten in die Stube. Laufe aber doch schnell nochmal hoch und hole meine Kamera. Jetzt kommt die Sonne gerade zum Vorschein. Nur der Himmel hat sich ziemlich zugezogen. Das wird wohl nicht so ein sonniger Tag.

Ich quatsche noch mit den beiden Frauen vom Nachbartisch gestern Abend. Sie sind ganz interessiert, was ich mache. Und ich finde es immer lustig, wenn ich wildfremde Leute treffe, die meinen Blog schon kennen.

Um Viertel vor 9 bin ich bereit loszugehen. Der Wind ist sehr viel frischer als die letzten Tage.

Über felsige Waldwege und weite Wiesen steige ich ab. An Almhäusern vorbei, über breite Schotterwege und dann wieder durch den Wald. Bis ich nach 1,5 Stunden einen ersten Blick auf das Schloss Hohenaschau habe.

Über Asphalt geht es an ein paar Häusern vorbei, unterhalb vom Schloss um den Schloss-Hügel herum und am Wanderparkplatz und an der Talstation der Kampenwandbahn vorbei. Jetzt fängt der Anstieg an. Über mir schweben die Gondeln der Seilbahn den Berg hinauf. Die machen es sich so einfach. Dann kann man ja gar nicht das tolle Gefühl nach der Anstrengung genießen. Wenn man es aus eigener Kraft geschafft hat. Wahrscheinlich ist das den Leuten auch egal.

Ich folge der breiten Schotterstraße. Hinter der ersten Kurve überhole ich eine Familie. Das kleine Mädchen sitzt bockig auf dem Weg und möchte nicht weitergehen. Der Weg teilt sich und ich entscheide mich für den linken Weg. Weiter oben kommen sie wieder zusammen, aber hier habe ich weniger Kehren. Wahrscheinlich ist es dafür steiler.

Zwischendurch ist es ein schöner Waldweg. Hier zwischen den Felsen hindurch. Dann wieder ein Schotterweg und später eine Teerstraße.

Ich komme aus dem Wald. Um mich herum Wiesen und Beschilderungen für die verschiedenen Skipisten im Winter. Über mir habe ich nun schon einen guten Blick auf die Kampenwand. Die sieht schön felsig aus. Auf der Zacke ganz links entdecke ich ein großes Gipfelkreuz. Das wird mein Ziel sein.

Mich begleitet nun der Blick auf den Chiemsee. Ein Radfahrer überholt mich. Ohne Motor und im Schneckentempo. Das finde ich noch viel anstrengender als hier hoch zu wandern.

Beim Blick nach oben kann ich immer weiter die Teerstraße sehen. Die wird doch nicht bis kurz unter den Gipfel führen. Gibt es hier gar keine schönen Bergpfade? Wenn das so weitergeht heute, habe ich ja gar nichts spannendes zu schreiben.

An der Gorialm beschließe ich eine Pause zu machen. Mir fehlen zwar noch etwa 400 Höhenmeter, aber da ich nicht vorhabe zur Sonnenalm zu gehen, weiß ich nicht, ob ich später noch irgendwo was zu Essen bekomme. Viele Almen haben schon geschlossen. Ich bin geschwitzt und fange schnell an zu frieren, wenn ich mich nicht bewege. Also ziehe ich mir meinen Pulli über, setze mich auf die Terrasse, trinke einen Schorle und esse ein Spiegelei-Brot. Ich bin echt froh, dass mein Körper das mitmacht. Bisher habe ich keine Probleme damit, dass mir schlecht wird bei der Anstrengung bergauf, wenn ich vorher was esse. Aber das kenne ich nur zu gut von bisherigen Wanderungen.

Nach dem Essen möchte ich weiter und mich wieder warmlaufen. Es geht noch eine ganze Weile die Teerstraße weiter hinauf, dann geht es über einen Schotterweg zur Steinlingalm. Hier ist ja was los. Und hier hätte ich auch einkehren können. Ich könnte ja noch ein Stück Kuchen essen. Aber nein, jetzt ruft mich der Gipfel. Da ist er zu sehen.

Der restliche Aufstieg ist als schwarze Tour markiert. Ich bin mir unsicher, ob wegen den ganzen Halbschuh-Touristen hier oder ob es wirklich schwierig wird. Wir werden sehen. Auf jeden Fall ist jetzt Schluss mit breiten Wegen. Über schmale Pfade geht es steil die Wiese hinauf. Dann durch Latschenkiefern und schließlich wird es sehr felsig. Vor mir ist alles nur noch grau. Oh, wie ich das mag. Viele Leute kommen mir ganz langsam entgegen, sie tun sich schwer mit dem Abstieg über die Felsblöcke und das rutschige Geröll. Hoch geht das einfacher.

Ich nehme die Hände zur Hilfe um die Felsen hinaufzusteigen. Es gibt viele Tritte und Vorsprünge, die man als Griffe benutzen kann. Man geht zwischen senkrecht stehenden Felsplatten her. An einer Rinne warte ich bis die anderen Leute unten sind und genug Platz ist.

Die beiden Mädels vor mir machen mir Platz. Sie meinen, ich wäre so schnell unterwegs und ob ich den Weg schon kennen würde. Um ein paar Ecken und über mehr Felsblöcke. Dann stehe ich vor dieser Stelle. Das sieht ziemlich luftig aus nach unten. Ich stehe davor und habe sofort Bilder vom Großen Krottenkopf letztes Jahr im Kopf. Mir ist ein bisschen mulmig zumute. Ich stehe eine Weile davor und schaue mir die Felsen und Tritte genau an. Es ist trocken und nicht rutschig. Ich versuche es ganz langsam.

Es ist tatsächlich auch nur ein sehr luftiger Schritt, danach geht es etwas besser. Zumindest habe ich wieder Fels unter den Füßen. Es geht nochmal um die Ecke und mit Seilversicherung ein Stück höher. Da vorne steht das Gipfelkreuz. Direkt davor wird es nochmal etwas schmaler. Vorsichtig gehe ich weiter. Über eine kurze Brücke aus Metall geht es rüber auf den schmalen Gipfel-Fels. Geschafft!

Ich stehe auf dem Kampenwand Ostgipfel auf 1.664 Meter Höhe.

Auch wenn es bewölkt und diesig ist in der Ferne, ist die Aussicht gut. Hier habe ich auch einen guten Blick auf die Felsen unter mir, wo ich hergekommen bin. Die anderen Leute, die hinter mir waren, drehen vor der luftigen Stelle um. Nur ein Pärchen kommt noch hinauf.

Das Gipfelkreuz, auch Chiemgaukreuz genannt, ist 17 Meter hoch. Im Wanderführer steht, dass es sogar nachts beleuchtet wird zu besonderen Anlässen. Hier auf dem schmalen Gipfel, wenn man direkt darunter steht, kann man es gar nicht so gut erkennen. Es könnte auch einfach eine lange Metallstange mit vielen Wappen und Schriften dran sein.

Ich ziehe mir was über und mache es mir auf den Felsen bequem. Hier möchte ich am liebsten bleiben und nicht wieder absteigen. Hier gefällt es mir. Da habe ich mir wohl umsonst Gedanken gemacht, dass es heute nichts spannendes zu berichten gibt.

Um nicht denselben Weg wieder zurückzugehen, möchte ich auf der Südseite absteigen. Nur ein kurzes Stück zurück vom Gipfel, den Abzweig habe ich vorhin schon gesehen. Laut Wanderführer soll das auch nicht weiter schwer sein.

Naja. Ich stehe vor einer schrägen, sehr steilen Felswand, die nach unten führt. Mit Stahlseil. Und wenigen Tritten. Wie soll ich denn da runterkommen? Ich ziehe meinen Rucksack fester, damit er mich möglichst wenig behindert und nicht nach hinten zieht. Ich gehe die Tritte im Kopf durch. Steige eine Stufe runter, aber es ist zu schmal. Mit Rucksack passe ich kaum zwischen die Felsen. Nach einer Weile traue ich mich mit einem Fuß einen großen Schritt zu machen. Komme aber nicht weiter. Nochmal zurück und auf Anfang. Mann, ohne Rucksack wäre das so viel einfacher. Da wäre ich längst unten wahrscheinlich. Kurz überlege ich, ihn zuerst runterzuschmeißen. Aber dafür ist es zu hoch. Hinterher bekommt er so viel Schwung, dass er ganz den Berg runterpurzelt. Umdrehen? Noch nicht, noch ein Versuch. Ich halte mich gut am Seil fest, erreiche mit dem linken Fuß einen Spalt und steige langsam rückwärts hinab. Stocke ein paar Mal um Halt mit meinen Füßen zu suchen. Die erste Stufe wäre geschafft. Für die nächste Schräge setze ich mich auf den Hintern und stemme mich mit Händen und Füßen gegen die Felswand. Stück für Stück rutsche ich ein Stück weiter. Noch ein paar große Stufen und dann stehe ich auf einer kleinen Ebene. Puh, da haben meine Beine ein bisschen gezittert. Hier der Blick zurück nach oben.

Jetzt geht es einfacher weiter. Über einen schmalen Pfad und in Kehren weiter hinab. Nochmal ein kleines Stück mit Seilversicherung, dann über viele Wurzeln. Mir kommt ein Pärchen entgegen und sie sind genauso erstaunt wie ich, jemanden zu treffen. Diese Seite wäre sehr einsam und wenig begangen. Im Gegensatz zu der Wander-Autobahn auf der Nordseite.

Bis zu einer Kreuzung ist es immer wieder etwas rutschig. Danach folge ich lange einem schönen Steig am Steilhang entlang. Hier treffe ich auch tatsächlich niemanden mehr.

Unterhalb vom Hochalpenkopf komme ich auf eine Wiese. Vor mir kann ich den Weiterweg und den Gipfel der Hochplatte sehen.

Rechts von mir liegt ein breiter Rücken, wo ich vielleicht gut einen Schlafplatz finden würde. Auch wenn es erst halb 4 ist.

Ich überlege hin und her. Der Wanderführer hat die Sonnenalm als Unterkunft vorgeschlagen. Das war mir aber zu teuer mit 119 € für einen Lagerplatz inklusive Essen. Es ist wieder eine private Hütte. Meine Etappe für heute habe ich eigentlich schon geschafft. Morgen geht es zum Hochgernhaus, das ist von hier schon eine kurze Etappe dann. Ich könnte jetzt noch weitergehen zur Hochplatte, aber da vorne ist noch eine Alm und dann sieht es steil aus, wo die Bäume stehen. Also doch lieber hierbleiben, wenn es sich schon anbietet. Der Weg sieht einfach aus, dann kann ich vielleicht morgen mit Stirnlampe losgehen und zum Sonnenaufgang auf die Hochplatte.

Ich gehe über den Sattel bis zum Ende. Laut Karte ist das ein eigener Gipfel. Also gibt es auch noch ein Foto. Auf dem Ramseck auf 1.438 Metern.

Ich habe ein wenig Empfang und prüfe nochmal das Wetter. Morgen soll es regnen. Und heute Nacht eventuell gewittern. Das ist nicht gut. Aber das Gebiet ist so groß, die Wahrscheinlichkeit, dass das Gewitter direkt über mir stattfindet, ist gering. Ich gehe trotzdem wieder etwas runter, dass ich nicht am höchsten Punkt bin und auch nicht die höchsten Bäume um mich habe. Ich breite meine dünne Matte aus und liege Probe. Nein, hier liegen zu viele dicke Äste herum. Nicht, dass heute Nacht bei viel Wind noch mehr davon herunter krachen. Ich probiere noch eine Stelle, sehe aber dann, dass ich in einem verteilten Ameisenhaufen liege. Alle guten Dinge sind drei. In einer Wiesenmulde unter einer Tanne fühle ich mich wohl. Hier bleibe ich. Da ich nicht glaube, dass hier jetzt noch jemand lang geht, baue ich mein Zelt auch einfach schon auf.

Mit Aufbauen, Schlafplatz bereiten, Umziehen und Essen vergeht schon immer einiges an Zeit. Als ich mich auf meine Luftmatratze setze, platzt direkt mit einem lauten Knall die nächste Luftkammer auf. Bitte halte noch ein paar Nächte. Wenn ich ein bisschen Luft rauslasse und mich hinlege, dass das Gewicht gleichmäßiger verteilt ist, geht es.

Mit Sonnenuntergang ist dann halt einfach Schlafenszeit. Auch wenn es erst 19 Uhr ist.


17,7 km
5:10 h
1.050 hm
1.180 hm
1.673 m