Viel geschlafen habe ich nicht. Es war sehr laut und unruhig die ganze Nacht. Aber ich fühle mich trotzdem ausgeruht. Und meinen Füßen geht es sehr viel besser als gestern.

Eigentlich wollte ich um 8 Uhr starten. Ich habe nämlich gegen 11 Uhr eine Verabredung, wo ich mich schon drauf freue. Ich schreibe aber erst noch den Bericht von gestern und bis ich mein Zelt abgebaut und alles eingepackt habe, ist es fast halb 9. Na gut, dann ist das so. Dann kürze ich meinen Weg ein bisschen ab und gehe in Bregenz nicht den großen Schlenker am See entlang.

Zuerst muss ich aber mal schauen, wie ich an der Baustelle direkt am Campingplatz vorbeikomme. Laut Schildern ist der Weg bis zum Grenzübergang nach Österreich gesperrt. Die Alternative über die Straße wäre schon ein Umweg. In der Rezeption ist es gerade leer, also frage ich nach. Es werden Bäume gefällt, deswegen die Sperrung. Am Wochenende passiere dort aber nichts, ich solle einfach an der Absperrung vorbeigehen. Die Brücke am Grenzübergang sollte passierbar sein.

Soweit so gut. Der Weg ist tatsächlich frei. Die Brücke aber ist über die komplette Breite abgesperrt und die Gitter sind mit Eisenketten und Schloss befestigt. Den Fußweg nach links, falls ich nicht über die Brücke komme, gibt es irgendwie nicht. Auch nicht auf der Karte. Also stehe ich vor dem Gitter und schaue mir das Geländer an. Rucksack abnehmen, zuerst rüberschieben und vorsichtig hinterher klettern sollte funktionieren. Das Geländer hat waagerechte Stahlseile, die ich wie Leitertritte benutzen kann. Es ist etwas abenteuerlich mit dem Fluss unter mir, aber es klappt gut. Nur einen blutigen Finger hole ich mir.

Nun geht es die ersten paar Tage durch Österreich. Der breite Fuß- und Radweg führt mich bis nach Bregenz. Links direkt die Bahngleise, rechts der Bodensee. Vorbei am Yachthafen und am Strandbad. An einem steinigen Strand wasche ich mir das Blut von den Fingern und hole noch ein Startfoto nach.


In der Nähe eines Stegs sehe ich 3 Menschen im Wasser. Sie bewegen sich nicht so viel, quatschen und schwimmen oder treiben auf dem Rücken liegend vor sich hin. Als ob das Wasser überhaupt nicht kalt wäre.

Bregenz kommt schnell näher. Mir kommen Fußgänger und Jogger entgegen, die alle freundlich grüßen. Ich gehe durch den Bregenzer Hafen, vorbei an ein paar größeren Schiffen.

Ich schaue auf die Karte und auf die Uhr und suche mir einen Weg durch Bregenz bis zur 4. Brücke über die Bregenzerach. Dort ist der Treffpunkt. Dann habe ich ja noch genug Zeit bis zur Seebühne zu gehen. Der Weg kommt mir nun auch schon bekannt vor. 2021 habe ich genau an dieser Stelle den Nordalpenweg beendet und mein Ziel-Foto gemacht. Das sind schöne Erinnerungen.

Da die Tore zur Bühne und den Tribünen der Seebühne offen sind, schaue ich mir das Bühnenbild an. Das ist immer ziemlich aufwendig gemacht und sieht super aus. Dieses Jahr wird die Oper „Der Freischütz“ aufgeführt. Meine Eltern haben sich die Vorstellung vor ein paar Wochen angeschaut und waren begeistert.

Jetzt geht es über eine Überführung über die Bahngleise und durch Wohngebiete und kleine Straßen zum Fluss. Ich überquere die Bregenzerach und folge dem Schotterweg daran entlang. Auch hier bin ich damals hergegangen. Da kann ich mich aber an blauen Himmel und Sonnenschein erinnern. Jetzt ist es bewölkt und grau. Auf der Sandplatte mitten im Fluss ist heute niemand zu sehen. Der Wasserstand ist aber auch viel zu hoch. Da kommt man gerade gar nicht hin.

Pünktlich erreiche ich den Treffpunkt und suche mir direkt neben der Brücke einen Platz auf der Wiese. Da sitze ich zwischen Straße und Radweg, stärke mich mit einem Knäckebrot und warte voller Vorfreude. Meine Eltern wandern heute und morgen mit mir. Sie haben es von Zuhause nicht so weit hierhin und sollten gleich mit dem Bus ankommen.

Eine halbe Stunde später geht es dann zu dritt weiter. Das ist super. Ich starte meine Wanderungen gerne alleine, aber das habe ich ja nun gestern und heute Morgen schon. Nun freue ich mich über die Begleitung.

Foto von Hartwig Senftleben

Wir folgen dem Fluss bis nach Wolfurt und biegen dann in den Wald auf einen schmalen Wanderweg ab. Ab hier geht es bergauf. Vor lauter quatschen und erzählen achte ich allerdings gar nicht so auf die Umgebung.

Unser nächstes Ziel ist der Dreiländerblick. Dort führen wohl einige Wege hin. Wir haben an den Wegweisern immer 2 oder sogar 3 verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl. Es geht durch winzige Siedlungen, über breite Schotterwege und schmale Waldwege. Und Zeit für ein bisschen Schabernack haben wir immer zwischendurch.

Foto von Hartwig Senftleben

„Man muss nicht das Land verlassen, um neue Welten zu entdecken!“ Das steht auf einem Schild am Baum. Das sehe ich auch so. Das passt zu meinen Wanderungen. Vielleicht teilweise auf Europa ausgedehnt, aber man findet immer wieder so schöne, neue Gegenden nah der Heimat, da muss man nicht unbedingt weit reisen für.

Es geht weiter hinauf und die Aussicht wird immer besser. Noch ein letztes Stück über die Wiese.

Dann erreichen wir den Gasthof und Aussichtspunkt Dreiländerblick. Von hier hat man einen klasse Blick auf den Bodensee und auf alle 3 Länder. Deutschland, Österreich und die Schweiz. An der Bregenzerach da unten sind wir vorhin noch entlanggegangen.

Der Gasthof hat geschlossen, es gibt nur Getränkeautomaten, wo man sich bedienen kann. Am meisten freue ich mich auch über die Verpflegung, die meine Eltern mitgebracht haben. Tofu-Brote und Rohkost. Das schmeckt.

Foto von Hartwig Senftleben

Nach der Pause und Stärkung nehmen wir noch den Rest der ersten Steigung für heute in Angriff. Der Schneiderkopf ist nur ein 15-minütiger Abstecher vom Weg, den Gipfel nehmen wir natürlich mit. Der Pfad ist nach dem ersten Wegweiser nicht mehr zu erkennen und wir gehen einfach die Wiese hoch. Hinter dem Buckel kommt uns ein Mann entgegen und der Pfad ist auch wieder zu erkennen. Laut ihm würde es kein Gipfelkreuz geben. Da hat er aber wohl geträumt oder in die falsche Richtung geschaut. Hinter der nächsten Kurve steht ein großes Kreuz. Das ist hier zwar nicht der höchste Punkt, aber okay. Lassen wir das mal gelten für heute. Hier also das erste „Gipfel“-Foto auf dem Schneiderkopf auf 971 Meter Höhe.

Durch eine Senke am Waldrand entlang kommen wir zurück auf die Teerstraße. Bis nach Alberschwende geht es bergab. Die Straße entlang, an schönen Holzhäusern vorbei, über die Wiese. Gegenüber ist schon unser Tagesziel, der Brüggelekopf, zu sehen. Und unten im Ort sticht ein großes blau-weißes Zelt ins Auge. Ein Zirkuszelt?

Den nächsten Weidezaun öffne ich und lasse meine Eltern durchgehen. Beim Schließen berühre ich wohl irgendwie den Draht, wo der Strom durchfließt. Und bekomme einen ordentlichen Stromschlag. Oh Mann, ist das unangenehm. Durch meinen rechten Arm und durch beide Beine in den Boden. Am stärksten merke ich es im rechten Fuß. Das brauche ich nicht nochmal. Es fühlt sich noch eine Weile leicht kribbelnd an.

Vor dem Ort geht es über einen Hügel. Meine Beine sind inzwischen ziemlich schwer und meine Füße müde. Ich werde bergauf immer langsamer und fühle mich gerade ziemlich schlapp. Mama hat auch einen kleinen Hänger und so trotten wir langsamer weiter. Papa ist nicht so schnell müde zu bekommen, läuft vor und wartet an der nächsten Bank oder Abzweigung auf uns.

Am Dorfplatz von Alberschwende füllen wir unser Wasser am Brunnen auf und sammeln Kraft für den letzten Anstieg. Es kommen nämlich nochmal etwa 400 Höhenmeter. Da es keine andere Übernachtungsmöglichkeit gab, schlafen wir im Gasthof oben auf dem Brüggelekopf. So haben wir eben heute einen langen Tag und morgen dann einen kürzeren und entspannten Sonntag. Alleine hätte ich mein Zelt irgendwo aufgebaut, aber mit meinen Eltern habe ich uns dann noch Betten organisiert.

Auf geht es also. Am Zirkuszelt vorbei und in breiten Serpentinen die Straße hinauf. Es fängt an zu regnen und wir wünschen uns, dass es gleich durch den Wald geht, damit wir im Schutz der Bäume gehen können. Das kommt aber erst später. Ein kurzes Stück geht es durch den Wald, dann über eine Wiese am Waldrand entlang. Über einen Fahrweg und dann wieder in den Wald. Wir folgen einem schmalen, wurzeligen Pfad. Die ganzen hohen Stufen sind ganz schön anstrengend für die Oberschenkel. Mama und ich schauen nochmal auf die Karte. Das sind nur die letzten 100 Höhenmeter, die so steil sind. Das schaffen wir.

Papa wartet oben und ich rufe herauf, ob er die Hütte schon sieht. Noch ein kleines Stück weiter und dann kommt das Dach in Sicht. Es hat aufgehört zu regnen. Der Weg ist aber matschig und rutschig. Dann haben wir es geschafft. Das war ein langer erster Tag.

Foto von Hartwig Senftleben

Man kann wohl auch mit dem Auto hier hoch fahren. Aber wir freuen uns darauf, dass nach dem Wandern und der Anstrengung alles noch viel besser schmeckt. Wir haben schon riesigen Hunger. Wir lassen unsere Schuhe und Jacken im Trockenraum und beziehen unser Zimmer. Ein 5er-Lager auf dem Dachboden. Die Schrägen sind zwar so niedrig, dass wir nur in der Mitte aufrecht stehen können, aber ansonsten ist es gemütlich.

Ich bin froh, dass dieser Alpengasthof den Stil einer Hütte hat. Das mag ich. Wir ziehen uns um und suchen uns zum Aufwärmen in der Stube Plätze am Ofen. Während wir auf das Essen warten, spielen wir ein paar Runden Dobble. Es ist ein gemütlicher Hütten-Abend. Mit großem Kaiserschmarrn zum Nachtisch. Wir sind nur ziemlich müde sind und gehen früh ins Bett. Ich freue mich darüber, dass der erste lange Tag mit so vielen Höhenmetern super geklappt hat. Das sind doch gute Voraussetzungen für den Rest meiner Tour.


27,1 km
6:40 h
1.165 hm
407 hm
1.164 m