Ich schlafe relativ wenig. Liege viel wach. Das Gewitter bleibt aus, es regnet nur zwischendurch. Ich höre die Windböen, bekomme aber nichts davon ab. Hier in der Senke ist es wohl geschützt genug. Ich höre Hufgetrappel. Und ein paar Tierlaute. Vielleicht das Bellen eines Rehbocks? Es hört sich sehr tief an, nach einem größeren Tier. Vielleicht ist es ja auch ein Hirsch. Ich bleibe ruhig in meinem Zelt liegen. Ich will ja kein Tier unnötig verschrecken, das gerade versucht, sich Winterspeck anzufuttern. Ich frage mich, ob so ein Tier die Abspannleinen meines Zeltes sieht und auch nicht darüber stolpern würde.

Ich schaue aus es dem Zelt. Oh. Da ist nichts mehr. Es ist alles weiß. Die Welt um mich herum ist vom Nebel verschluckt. Ich ziehe mich an, heute mit voller Regenmontur. Es ist frisch und tröpfelt immer wieder. Dann mache ich mich mal auf den Weg.

Nachdem ich durch das hohe Gras zurück zum Weg gestapft bin, sind meine Füße ziemlich nass. Der erste Teil vom Weg ist schrecklich rutschig. Aber ich habe ja gestern schon einen breiten Schotterweg gesehen. Das dürfte also nicht so lange dauern. Und tatsächlich taucht nach 15 Minuten schon die Piesenhauer Hochalm im Nebel auf. Da beginnt der breite Weg.

Gerade als ich am Haus vorbeigehe, öffnet sich die Tür und eine Frau kommt heraus. Sie grüßt mich freundlich und fragt zum Glück nicht, wo ich so früh denn herkomme.

Bis zum Abzweig zur Hochplatte geht es aufwärts. Den Gipfel spare ich mir aber wohl lieber heute. Mit Gipfeln, die so heißen, habe ich einfach kein Glück. Ich kann einen schmalen, sehr lehmigen und matschigen Pfad erkennen. Das würde nicht so viel Spaß machen. Und man sieht auch nichts.

Also folge ich dem Fahrweg nun abwärts. An mehr Almhäusern vorbei, durch den Wald und immer weiter durch den Nebel.

Unter diesem Baumstamm her und noch ein paar Kehren hinab. Dann komme ich am Parkplatz der Hochplattenbahn raus.

In den Siedlungen Niedernfels und Piesenhausen gibt es so viele gelbe Wander-Wegweiser, dass man sich gar nicht verlaufen kann. Sonst muss man in den Orten doch zwischendurch mal auf die Karte schauen.

Mein Handy klingelt, es ist Tom vom Hochgernhaus. Ich habe heute Nacht einen Schlafplatz sicher, aber eventuell bin ich alleine da oben. Die Wirtin sei krank. Für den Fall, dass niemand da ist, soll ich einfach einfach die erste Tür vom Nebengebäude nehmen, da wären zwei Betten, da wäre es am gemütlichsten. Und er fragt, ob ich denn auch versorgt bin und was zu Essen dabei habe. Er ist super nett. Das stört mich ja nicht, wenn ich alleine bin heute Abend. Ich hatte mich zwar auf was leckeres zu Essen gefreut, aber gut. Ein Dach über dem Kopf ist super, wo ich auch meine Sachen aufhängen kann zum Trocknen. Morgen soll das Wetter wieder schöner werden.

In Marquartstein gehe ich zum Supermarkt und kaufe für heute Abend ein. Ich hole mir eine Stärkung beim Bäcker und setze mich an den einzigen Tisch. Ich habe noch genug Zeit. Ich brauche maximal 3 Stunden für den Aufstieg. Dann kann ich auch eben noch von gestern schreiben. Das sollte ja schnell gehen. Denke ich. Als ich fertig bin, sind doch wieder 2 Stunden um.

Ich überquere die Tiroler Achen und folge der Straße bis zum Wanderparkplatz. Unterwegs halte ich noch bei einem anderen Bäcker. Es gibt eine Quark-Semmel für mehr Bergauf-Energie. Das andere vorhin war ja Mittagessen – oder Frühstück. Wie man es nimmt. Da mache ich mir im Moment keine Gedanken drum. Ich verbrenne jeden Tag sehr viel mehr als ich esse. Laut meiner Uhr sind es täglich um die 2.000 Kilokalorien zusätzlich.

Dann kann ich ja jetzt ganz entspannt aufsteigen. Ich freue mich über den schönen Waldweg. Auch wenn ich weiterhin nicht weit sehen kann.

Bald komme ich aber wieder auf eine Forststraße. Und irgendwie schaltet sich automatisch der Bergauf-Turbo ein. Ich marschiere ohne Pausen zügig den Berg hinauf. Es fühlt sich gut an, wenn man so viel Kondition aufgebaut hat.

Wenn ich zur Seite schaue beim Gehen, dann sieht das gut aus. Durch meine sich ständig wechselnde Perspektive verschieben sich die Baumstämme. Und durch den Nebel sieht es noch besser aus, ein bisschen mystisch.

Ich komme aus dem Wald, aber an meiner Sicht ändert das nichts. Die anderen Berge drumherum muss ich mir heute denken.

Noch ein paar steile Kehren, ich komme erst an der Moaralm vorbei, dann taucht das Hochgernhaus über mir auf. Und es brennt Licht. Das heißt, es ist doch jemand da. Geschafft.

In der Stube ist sonst niemand. Nur der Hüttenwirt Ali und seine Frau Maike. Ich werde herzlich empfangen und trinke erstmal eine Johann-Schorle. Dann hängen wir meine nassen Sachen und mein noch tropfendes Zelt in der Stube auf. Es gibt sogar eine warme Dusche, das ist ja ein Luxus. Ich ziehe mich um und als ich vom Nebengebäude wieder rübergehe, kann ich zumindest ein bisschen Wald erkennen.

Aber einen Liegestuhl werde ich wohl nicht mehr brauchen heute.

Es ist ein total schöner und entspannter Abend. Ali fährt ins Tal zum Einkaufen, Maike bleibt hier. Dann bin ich nicht alleine und sie kann ein bisschen aufräumen und vorbereiten, da ihre Eltern morgen zu Besuch kommen. Zwischendurch serviert sie mir eine große Portion Linseneintopf. Wir unterhalten uns super. Später setzt sie sich zu mir und gibt mir einen Pott Kakao mit Sahne-Turm aus. Sehr lieb und liebevoll zubereitet. Sie erzählt mir vom Leben hier auf der Hütte und ich erzähle von meinen Wanderungen. Wenn ich mal eine Saison was anderes machen möchte, hätte ich hier auch direkt einen Job.

Ich erzähle ihr von meinen Plänen für morgen und es ist überhaupt kein Problem, um 6:15 Uhr schon zu frühstücken. Dann kann ich um 6:45 Uhr losgehen und zum Sonnenaufgang auf dem ersten Gipfel stehen. Es soll nämlich wieder schön werden und aufklaren. Dann habe ich genug Zeit für die lange Etappe nach Inzell.


18,7 km
4:20 h
1.069 hm
996 hm
1.489 m