Heute geht es das letzte Mal nach oben. Als ich aus dem Zelt schaue, freue ich mich, dass der Himmel blau ist und die Berge wieder zu sehen sind. Nur in der Ferne liegt ein bisschen Hochnebel über dem Tal. Aber ich gehe in die andere Richtung.

Erstmal geht’s zur Rezeption. Ich sage der Dame, dass ich letzte Nacht auf der Zeltwiese übernachtet habe. Nein, ich habe kein Auto und auch kein Fahrrad. Sie findet es super, was ich mache und will nur 10 € von mir haben. Ich baue mein Zelt ab und als ich gerade meinen Rucksack schultere, zeigt mir ein älterer Herr den Daumen nach oben und ruft mir zu, dass ich ja noch ein richtiger Camper wäre. Wahrscheinlich meint er mit Zelt statt mit dem Wohnwagen. Wir gehen nebeneinander her zum Waschhaus und er fragt mich aus. Früher wäre er auch viel in den Bergen unterwegs gewesen. Es gesellt sich noch jemand dazu und mein Begleiter zeigt direkt auf mich und erzählt, was ich mache. Jetzt haben sie was zum Reden. Schön, dass ich für Unterhaltung sorgen konnte.

Ich mache mich auf den Weg aus dem Ort. An der Straße entlang, an Häusern vorbei und zwischen Weiden her, durch Breitmoos und nach Einsiedl. Dort geht es in den Wald. Mein erstes Ziel ist auf jeden Fall der Gamsknogel. Ich hätte liebend gerne im Reichenhaller Haus übernachtet, aber das hat seit ein paar Tagen geschlossen. Und einen Winterraum gibt es nicht. Also muss ich entweder direkt absteigen nach Bad Reichenhall oder ich finde weiter oben einen geeigneten Schlafplatz und kann eventuell morgen früh noch auf den Hochstaufen. Mal sehen, was sich ergibt.

Ich folge der Forststraße in Serpentinen nach oben. Zwischendurch kürze ich über einen schmalen Pfad ab. Meine Gedanken sind gerade irgendwie schon bei den nächsten beiden Wochen. Im Alltag nach der Wanderung. Es steht so viel an, dass ich kaum Zuhause bin. Erst bin ich beruflich in Emmerich am Rhein, Vechta und Walldorf. Dann geht es direkt zu meinen Eltern nach Oberstdorf. Wir haben meiner Mama eine Ballonfahrt geschenkt, die lösen wir ein. Zum Sonnenaufgang über den Alpen. Das wird gut. Ich freue mich auf alles, was ansteht. Erstmal habe ich aber noch 3 Tage hier. Besser erstmal zurück ins Hier und Jetzt.

Ich kann nicht viel sehen, dafür ist der Wald zu dicht. Nach einer Weile gibt es aber ein paar Gucklöcher zwischen den Bäumen.

Über einen sehr schönen Steig geht es weiter nach oben. Nach fast 3 Stunden erreiche einen Sattel und die Kohler Alm. Hier bekomme ich endlich auch Sonnenstrahlen ab. Das tut gut.

Nach einem kurzen Stück über die Wiese komme ich an den Abzweig zum Gipfel. Ich überlege kurz, meinen Rucksack zwischen den Bäumen zu verstecken, aber ich habe lieber alles dabei. Dann kann ich oben was überziehen, Fotos machen, essen, wie auch immer. Ich habe keine extra Tasche dabei, wo ich ein paar Sachen reinpacken könnte.

Die nächsten 250 Höhenmeter sind anstrengender als der ganze lange Anstieg vorher. Es geht in vielen Kehren steil nach oben. Es ist ein Hang voller Latschenkiefern und vielen Felsen. Die hohen Stufen sind besonders anstrengend. Ein paar Mal brauche ich meine Hände, es gibt kurze Seilversicherungen und eine kleine Leiter. Ich freue mich gar nicht auf den Abstieg.

Je höher ich komme, desto besser wird der Blick. Über das Wolkenmeer. Rechts der Fels ist der Zehnerstein. Da geht’s dran vorbei.

Und hinab nach Inzell. Ich kann den Campingplatz und das Natur-Freibad erkennen. Hinten sieht man auch den Hochgern, Hochfelln und Ruhpolding. Wo ich gestern hergekommen bin.

Mein Magen knurrt. Ich habe richtig Hunger. Die beiden belegten Brötchen heute Morgen haben wohl nur für die ersten 800 Höhenmeter gereicht. Dann gibt es gleich am Gipfel eine Stärkung. Ich könnte ja auch meinen Kocher rausholen. Ich habe noch eine Packung Ramen, die ich eigentlich für den Abend am Hochgernhaus gekauft hatte.

Aber erst geht es noch ein paar Kehren aufwärts. Dann kommt das Gipfelkreuz in Sicht und gibt mir einen Energie-Schub. Nur noch ein paar Schritte.

Ich schlage am Gipfelkreuz auf dem Gamsknogel auf 1.750 Meter Höhe an.

Die Aussicht ist fantastisch. Nach Osten der Grat zum Zwiesel. Man kann eine Überschreitung der Kette bis zum Hochstaufen machen. Eine schwarze Tour mit sehr ausgesetzten und luftigen Stellen. Ich habe mir gestern Abend ein Video davon angeschaut und diesen Weg für heute ausgeschlossen. Oder besser gesagt, mir verboten hier zu stehen und darüber nachzudenken, ob ich es nicht doch machen soll. Das muss nicht heute sein. Nicht nach dem langen Aufstieg, mit dem großen Rucksack und so nebenbei.

Richtung Süden ist der Watzmann zu sehen. Und auch wieder der Hochkönig.

Und nach Nordwesten immer noch der Blick ins Tal und auf meinen gestrigen Weg.

Der Gipfel ist sonnig und gemütlich. Es ist fast windstill. Also hole ich tatsächlich meinen Kocher raus. Dafür muss ich ein bisschen kramen, der ist ganz unten im Rucksack. Den brauche ich normalerweise erst abends. Mein Rucksack ist immer so gepackt, dass ich in der richtigen Reihenfolge an die Sachen rankomme und eben nicht viel kramen muss.

Sobald ich mit der Tüte knistere, kommen die Bergdohlen an. Die sind ein bisschen nervig, sie kommen sehr nah. Bald holen aber andere Wanderer ihre Brote raus und ich bin die Vögel los. Auf dem Gipfel schmeckt das Essen immer besonders gut. So auch hier.

Nach der langen Pause und Stärkung habe ich neue Energie. Während ich da so sitze, kommt mir die Idee, dass zum Abschluss der Berg-Etappen ja auch ein Gipfel-Biwak toll wäre. Hier würde das super funktionieren. Aber ich möchte noch ein bisschen weiter. Auf dem Hochstaufen? Ich schaue mir Bilder vom Gipfel an. Das sieht aus, als würde man da ein Plätzchen finden. Dann sehe ich einen Bericht, dass die Gebirgsjäger aus der Kaserne unten in Bad Reichenhall dort Übungen machen und biwakieren. Dann kann ich das auch. Selbst das Wetter ist auf meiner Seite.

Mit der neuen Idee im Kopf gehe ich weiter. Ich muss später noch schauen, ob ich mir die zusätzlichen Höhenmeter zutraue. Knapp 1.100 Höhenmeter rauf habe ich ja schon. Aber jetzt geht es erstmal wieder runter. Die Felsen sind trocken und griffig und der Abstieg klappt problemlos. An allen Stellen, wo ich mir beim Aufstieg Gedanken gemacht hatte, gibt es genug Tritte.

Zurück am Abzweig folge ich nun den Schildern Richtung Zwieselalm. Ich brauche auf jeden Fall noch Wasser. An der Kohler Alm gab es eine Tränke. Aber an der nächsten Alm gibt es sicher auch was. Dann brauche ich keinen Umweg gehen. Ich folge nun einem sehr schmalen Steig am steilen Hang entlang. Über Wurzeln, Felsen, Steine. Ein ständiges Auf und Ab. Da ist ein Ameisenhaufen auf dem Weg. Der Pfad ist sehr chaotisch. Natürlich irgendwie, ohne dass Menschen groß eingegriffen haben. Sonst sind die Wegewarte vom Alpenverein ja schon an vielen Stellen sehr fleißig, es ein bisschen einfacher und sicherer zu machen.

Der Ausschlag und die Bläschen an meiner rechten Hand jucken heute sehr. Was das wohl war? Leider habe ich hier auch nichts zum Kühlen. Kein kaltes Wasser oder Schnee.

Ich habe nun immer den Watzmann im Blick.

Als ich nach etwa einer Dreiviertelstunde einen Abzweig erreiche, hängt dieses Schild über dem Wegweiser. Damit ist der Steig gemeint, den ich gerade gegangen bin. Das erklärt auch den chaotischen Zustand. Es ist immer klasse, wenn so ein Schild nur an der einen Seite steht.

Inzwischen ist es Viertel nach 3. Ich gönne mir eine Schorle an der Zwieselalm und schaue nochmal auf die Karte. Es wären noch über 2 Stunden und nochmal 700 Höhenmeter Anstieg zum Hochstaufen. Das ist dann schon viel heute. Aber ich möchte noch nicht absteigen. Ich schaue nochmal nach dem Wetter. Das ist perfekt für ein Biwak. So als krönender Berg-Abschluss? Es folgt ja nur noch der Abstieg und ein Tal-Spaziergang zum Königssee. Also gut, auf geht’s. Dann sollte ich jetzt losgehen, damit ich vor Sonnenuntergang ankomme.

Ich lasse meine Wasserblase auffüllen. Für die 2 Liter zahle ich 8 €. Das teuerste Wasser auf dieser Tour. Einen Wasserhahn gibt es aber nicht und auch keinen Bach in der Nähe. Das Wasser brauche ich auf jeden Fall für später und morgen früh.

Der Wirt hat mich vorhin übrigens für einen Gleitschirmflieger gehalten mit meinem großen Rucksack. Jetzt fragt er nach, ob ich eine größere Tour mache. Die beiden Frauen aus der Küche kommen auch zu uns. Sie fragen, wo ich denn heute Nacht schlafe. Ich frage sie, ob man hier irgendwo gut biwakieren kann. Der Hochstaufen würde gehen. Besser wäre vielleicht noch der Mittelstaufen, der wäre ebener oben. Den empfehlen sie. Allerdings müsste ich dann direkt hier aufsteigen und über den Zwiesel und den Gratweg. Der Blaue Steig sei gesperrt. Wie jetzt? Das kann doch nicht sein. Der Grat oben ist die schwarze Tour, die ich ausgeschlossen habe. Und da es bald dunkel wird, ist das erst recht keine Option. So wie sie über die Wege reden, wandern sie selber nicht. Das ist dann sowieso mit Vorsicht zu genießen. Sie fragen nochmal bei jemandem nach, der es wissen muss und der Blaue Steig ist weiterhin gesperrt. Das ist meine einzige Möglichkeit, rüber zum Hochstaufen zu kommen. Na toll. Jetzt geben sie mir Tipps, wo ich auf dem Weg nach unten schlafen könnte. Aber ich höre gar nicht mehr richtig zu. Ich lasse mir doch meinen letzten Gipfel nicht kaputt machen. Ich bedanke mich und gehe los.

Erstmal so als würde ich absteigen. Bis zum Abzweig. In meinem Kopf rattert es. Der Steig gerade war ja auch gesperrt und es gab keine Probleme. Ich schaue auf der Seite vom Alpenverein und der zuständigen Sektion nach. Die Wege sind vom heftigen Wintereinbruch Ende September so kaputt. Viele umgestürzte Bäume. Die Aufräumarbeiten laufen noch. Ich bin mir unsicher. Das wären knapp 2 Kilometer mit wenig Höhenunterschied. 50 Minuten laut Locus Map. Danach komme ich auf den Bartlmahd, der schon wieder freigegeben ist. Richtung Tal und Richtung Gipfel. Also gut, ich versuche es. Wenn es nicht geht, kann ich umdrehen und absteigen.

Ich gehe am Absperrband vorbei und mache mich auf den Weg. Das geht ja ganz gut. Ich folge dem schmalen Pfad am Hang entlang durch den Nadelwald. Dann kommen die ersten umgestürzten Bäume, die quer liegen. Ich klettere darüber. Das war aber nicht alles. Eine Weile gibt es keine Hindernisse. Dann wieder umgestürzte Bäume. Viele hintereinander und manche Stämme auch übereinander. Ganze ausgerissene und jetzt senkrecht stehende Wurzelteller. Oh Mann. Ich klettere mal darüber her, mal darunter. Manchmal ist der Abhang sehr steil und rutschig. Die lockere Erde bietet keine Halt. Ich prüfe immer erst, ob der Ast oder Stamm mich hält und ob er noch irgendwo eingekeilt ist weiter oben. Nicht, dass ich mit einem Stamm den Berg herunterrutsche. Okay, dieser Steig ist völlig zu Recht gesperrt. Aber jetzt drehe ich auch nicht mehr um. Über die Hälfte habe ich schon.

Ich freue mich, als ich aus dem Wald komme. Hier kann ich besser gehen. Und habe einen tollen Blick auf Bad Reichenhall.

Dann geht es aber wieder in den Wald. Und immer wenn ich denke, es ist fast geschafft, wird es noch schlimmer. Manche Klettereinlagen sorgen für ziemlichen Nervenkitzel. Manchmal muss ich echt schauen, wie ich da jetzt rüberkomme. An anderen Stellen entdecke ich eine Spur, die schon jemand anders gegangen ist. Ich bin völlig verschwitzt und voller Tannennadeln, meine Hand klebt vom Harz. Rauf, runter, drüber, ducken, gut festhalten, vorsichtig tasten. Halten mich die Äste am Boden? Wer weiß, was darunter ist. Es ist anstrengend. Körperlich und für den Kopf. Meine Beine sind ziemlich verschrammt und blutig. Da vorne kommen Latschenkiefern, da gibt es wenigstens keine dicken Baumstämme. Danach geht es aber nochmal in den Wald. An einem steilen Hang verliere ich nach einer Kletteraktion die Markierungen aus dem Blick. Ich schaue mich um, gehe ein Stück in die eine Richtung. In die andere Richtung. Hier möchte ich nicht falsch gehen an dem Steilhang. Eine andere Perspektive und dann entdecke ich weiter oben am Baum wieder das gelb-blaue SalzAlpenSteig Zeichen.

Nach 1:20 Stunde habe ich es endlich geschafft. Ich atme erleichtert auf, als ich das Absperrband sehe. Kurze Trinkpause und dann geht es direkt weiter. Bald geht die Sonne unter und ich möchte nicht auf einem felsigen Gipfel im Licht der Stirnlampe einen Schlafplatz suchen.

Laut Schild sind es noch 1,5 Stunden bis zum Hochstaufen. Das sollte so gerade passen. Und der Mittelstaufen liegt auf halbem Weg. Perfekt.

Ich folge nun einem sehr komfortablen Pfad, mit eingebauten Stufen. Wie schön das doch zu gehen ist. Wenn auch weiter anstrengend, es geht jetzt wieder aufwärts. So langsam schwindet meine Energie und ich muss immer mal kurz stehen bleiben. Nur ein paar Sekunden, dann geht’s weiter. Ich schaue immer wieder zur Uhr.

Nachdem ich einige Kehren durch Latschenkiefern aufgestiegen bin, wird das Gelände offener. Der Steig ist super. Da vorne wird es immer felsiger.

Inzwischen ist es halb 6. Die Sonne steht schon ganz tief.

Ich liebe diesen felsigen Steig. Ich hätte ja gar nicht damit gerechnet, dass ich auf dieser Tour doch nochmal über die Baumgrenze komme.

Als ich am Abzweig zum Mittelstaufen ankomme, muss ich zweimal hinschauen. Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Auf dem Foto wirkt es nicht so, aber ich stehe vor einer fast senkrechten Felswand. Mit Drahtseil und dem Wegweiser, der einfach nach oben zeigt.

Das ist das Ende der Grat-Überschreitung, der schwarzen Tour. Gut, dass ich mich dagegen entschieden hatte für heute. Ich schaue auf die Karte. Das wären nur noch 10 Minuten und 60 Höhenmeter zum Gipfel. Zum Hochstaufen stattdessen noch 45 Minuten und 200 Höhenmeter. Ich versuche es. Klettere auf die erste Fels-Stufe, halte mich am Wegweiser fest und steige am Seil die Wand hinauf. Das klappt sehr gut, es gibt zig Tritte im Fels. Wie ich wieder runter komme, da brauche ich mir dann ja erst morgen früh Gedanken drüber machen. Als das erste Stück geschafft ist, habe ich einen besseren Blick auf die nächsten Markierungen. Nein, das traue ich mir jetzt nicht mehr zu. Ich drehe um. Es geht weiter so steil hoch, aber ohne Seil. Ein paar Minuten später stehe ich wieder unten, das hat ganz gut geklappt. Hoffentlich ist der Weg zum Hochstaufen einfacher. Aber da das der Top-Aussichtsberg in dieser Region sein soll, gehe ich davon aus.

Jetzt muss ich mich sputen. Bei einem Blick auf meine Uhr sehe ich nämlich, dass die Sonne inzwischen schon um 18:05 Uhr untergeht. Es dauert dann zwar noch etwas bis es ganz dunkel ist, aber das wird trotzdem knapp. Also gehe ich schneller, wo es ungefährlich ist. Ich folge dem schotterigen Pfad den Hang entlang. Dieser Weg gefällt mir so gut, da hat sich die ganze Mühe definitiv jetzt schon gelohnt.

Für eine Weile tauchen die letzten Sonnenstrahlen die Felsen in ganz warmes Licht.

Ein kurzes Stück geht es ganz oben über den Grat. Ich habe zu beiden Seiten eine tolle Sicht. Und da vorne muss doch irgendwann mal das Reichenhaller Haus in Sicht kommen. Das liegt nämlich auf dem Weg, kurz vor dem Gipfel.

Das ist der Blick nach links.

Und nach rechts, auf Bad Reichenhall.

So langsam melden meine Beine, dass gleich Schluss sein muss. Aber das letzte Stück schaffe ich jetzt auch noch. Als ich mich umdrehe, strahlt die Sonne die Wolken schön an und verschwindet schon fast.

Ich versuche noch schneller zu gehen. Aber das ist so anstrengend bergauf. Ich bleibe nochmal stehen. Mein Herz hämmert in meiner Brust. Tief durchatmen. Ich habe zur Not doch meine Stirnlampe, das wird schon. Etwas entspannter gehe ich weiter.

Über mir klettert eine Gämse über die Felsen. Hoffentlich löst sie keinen Steinschlag aus. Als ich um die Ecke komme, sehe ich endlich die Hütte über mir. Jetzt geht es nur noch ein paar enge Kehren hinauf und dann kann es nicht mehr weit sein zum Gipfel. Ich muss nochmal kurz verschnaufen. Und plötzlich kämpfe ich mit den Tränen. Ich kann nicht mehr. Was habe ich da nur wieder gemacht? Nein, dafür ist jetzt keine Zeit. Ich zwinge mich tief durchzuatmen und kriege es schnell in den Griff. Weiter geht’s. Nur noch 2 Kehren über mir.

Um 18:10 Uhr schlage ich endlich am Gipfelkreuz an. Ich bin völlig fertig, aber überglücklich. Es ist wunderbar hier oben auf dem Hochstaufen auf 1.771 Metern. Für mich ist das heute der Mount Everest. Ich habe es geschafft.

Das Reichenhaller Haus hat echt eine geniale Lage. An den Fels geschmiegt und die Terrasse über dem Abgrund. Hier muss ich nochmal irgendwann hinkommen zum Wandern. Für die Grat-Überschreitung und eine Nacht in der Hütte. Jetzt ist dort niemand mehr, es ist alles winterfest gemacht. Aber für den Fall von Regen oder starkem Wind könnte ich dort unter dem Vordach Schutz suchen.

Und dahinter habe ich einen Blick auf Salzburg. Ich musste erstmal auf die Karte schauen, mir war gar nicht bewusst, dass die Stadt so nah ist jetzt.

Unter mir liegt Bad Reichenhall und in der Ferne schleicht sich natürlich auch wieder der Watzmann mit ins Bild.

Und im Westen verschwindet die Sonne jetzt endgültig mit einem knalligen orange.

Ich ziehe mich um. Schnell raus aus den verschwitzten Klamotten, damit mir warm wird. Lange Schlafsachen, Pulli, Daunenjacke, Schlauchtuch und Mütze. So geht es. Direkt neben dem dicken Fels, wo das Gipfelkreuz draufsteht, ist eine Ebene mit Schotter. Perfekt zum Schlafen. Es ist fast windstill, was ungewöhnlich ist hier oben. Und der wenige Wind zwischendurch erreicht mich nicht, der Fels bietet mir guten Schutz. Ich beeile mich damit, meine Matte aufzupusten und mein Lager zu bereiten, damit ich gleich möglichst wenig Licht brauche. Nicht, dass jemand im Tal meine Stirnlampe für Lichtsignale hält und die Bergwacht ruft. Das ist wohl schon häufiger passiert. Wurde mir vorhin an der Alm erzählt und ich habe auch schonmal im Allgäu davon gehört. Als ich mich auf die Matte setze, platzt die nächste Luftkammer auf. Na toll. Jetzt bitte nicht weiter, sonst kann ich gar nicht mehr darauf schlafen. Der Ballon geht mir jetzt schon fast bis zu den Knien.

Mein Logenplatz für Sonnenuntergang, Lichter im Tal und die Sterne. Im Schlafsack wird mir nach einer Weile wieder warm. Im Moment kommen ziemlich dunkle Wolken auf mich zu, aber es soll später aufklaren.

Es tut gut, die Beine auszustrecken. Und ich esse jetzt einfach alles, was ich noch finde in meinem Rucksack. Für morgen komme ich ja garantiert an einem Supermarkt vorbei. Es gibt einen Riegel, um die Wartezeit zu überbrücken. Dann Pasta mit Lachs und danach Pasta Bolognese. Das waren die letzten beiden Fertiggerichte, die ich noch hatte. Das schmeckt und wärmt.

Ich würde eigentlich gerne noch ein bisschen schreiben, aber dafür werden meine Finger schnell zu kalt. Also packe ich das Handy weg. Dann müsst ihr noch warten. Ich liege einfach da und beobachte die Lichter im Tal. Wie sich auf der A8 die weißen Lichter langsam nach rechts bewegen. Die roten Lichter in die andere Richtung. Da fährt jemand besonders schnell. Wie zwischendurch mal ein einsames Auto eine Straße den Berg gegenüber hinauffährt. Die Flugzeuge über mir. Ich sehe sie die ganze Zeit und irgendwann kommen dann auch für eine Weile die Geräusche an.

Bald kann ich zwischen den Wolken die ersten funkelnden Sterne entdecken. Den großen Wagen erkenne ich sofort.

Ich schäle mich aus meinem Schlafsack und schaue mich nochmal um. Hier um kurz nach 8 der Blick Richtung Salzburg. Mit ein paar Sternen in dem Wolken-Loch.

Bis ich die Augen schließe, sehe ich 3 Sternschnuppen. Eine davon sehr hell und lang. Wahnsinn.

Das ist doch mal ein wirklich magischer Abschluss der Berg-Etappen und ein letztes Highlight. Wenn nicht der Höhepunkt meiner Wanderung.


17,3 km
6:30 h
1.724 hm
697 hm
1.761 m