Ich war gestern Abend so müde, aber trotzdem lag ich noch lange wach. Ich habe mir echt Gedanken gemacht über die lange Etappe heute. Und ob ich mir nicht zu viel vorgenommen habe. Für die ganze Tour. Den kompletten Maximiliansweg mit seinen alpinen Varianten und mit so vielen Höhenmetern und Kilometern jeden Tag zu schaffen. So eng geplant, 22 Tage Zeit und täglich ein immer kleiner werdendes Zeitfenster bei Tageslicht zu wandern. Die letzten Tage waren wunderschön, aber auch ziemlich lang und anstrengend.
Ich mache meinen Wecker schnell aus als er klingelt, um niemanden sonst zu wecken. Wir sind zu fünft im Lager. Im Dunkeln falte ich die Wolldecken zusammen, nehme meinen Hüttenschlafsack und den schon gepackten Rucksack und schleiche mich aus dem Zimmer. Ich ziehe mich einfach im Trockenraum an, da störe ich niemanden. Alles da? Schuhe schnüren, Stirnlampe aufsetzen und los geht es. Es ist 20 nach 6.
Ich folge dem breiten Fahrweg bis zur Bergstation der Hochgratbahn. Ab da geht es auf einen schmalen, steinigen Pfad über den Grat. Das funktioniert sehr gut im Licht der Stirnlampe. Da war ich mir unsicher.
Es ist so ruhig, so friedlich. Das ist eine ganz besondere Stimmung so früh morgens. Im Tal unter mir leuchten die Lichter und ganz langsam wird es heller. Der Himmel Richtung Osten ist schon ganz verfärbt in knalligen, warmen Gelb- und Orangetönen.
Um 7 Uhr erreiche ich den ersten Gipfel für heute. Einer von vielen, da freue ich mich schon drauf. Das wird ein ausgiebiger Gipfel-Sammel-Tag. Angefangen mit dem Hochgrat auf 1.834 Meter Höhe.
Schön ist, dass ich Richtung Nordosten gehe und somit vor mir die ganze Zeit diesen wunderbaren Blick habe.
Bald kann ich auch die Stirnlampe ausschalten. Das hat mir gefallen, das frühe Losgehen. Jetzt habe ich auch eine ganze Weile wahrscheinlich die Wege für mich. So früh fahren die Bergbahnen noch nicht. Es geht erstmal wieder etwa 200 Höhenmeter runter in die Brunnenauscharte. Da hinten kann ich schon den nächsten Anstieg sehen.
Und hier noch ein ganz besonderes Bild für meine Schwester. Der Hochvogel im Sonnenaufgang. Als Erinnerung an gemeinsame Bergtouren und aufgeregtes Gequietsche, wenn du nur das Wort „Hochvogel“ gehört hast, geschweige denn, er in Sicht kam.
Gipfel Nummer 2 wartet da vorne schon auf mich. Nur noch ein paar Höhenmeter.
Inzwischen kommt die Sonne zwischendurch zwischen den Wolken hervor. – Da kommt jetzt halt 3 mal „zwischen“ in meinem Satz vor… – Es sieht so schön aus, wie einzelne Stellen angestrahlt und beleuchtet werden. Ich muss lächeln. An solchen Dingen kann ich mich echt erfreuen. Und auch diese schrägen Felsen beim Blick zurück sehen gut aus.
Seht ihr die niedrige Wolkendecke dahinten? Die kommt ganz langsam immer näher. Ob sie mich noch einholt? Und dann einhüllt?
Der nächste Gipfel ist geschafft. Das Rindalphorn auf 1.821 Meter.
Und die Wolken kommen immer noch näher. Schnell weiter.
Das ist echt gemein, wie tief die Einschnitte in diesem Grat sind. Da sieht man immer schon den nächsten Gipfel, muss aber erst wieder so viel runter und dann wieder hoch. Das ist anstrengend.
Der Hüttenwirt hatte gesagt, dass es hinter dem Rindalphorn am matschigsten sein wird. Das ist auch tatsächlich so. Das ist kein schöner Abschnitt bergab. Aber zum Glück ist es ansonsten sehr viel besser zu gehen als gestern. Es gibt nur vereinzelt mal so rutschige Stellen.
Es geht durch die Gündlesscharte und dann wieder hoch zum Gündleskopf auf 1.748 Meter. Das Gipfelkreuz ist so klein, dass ich mich daran hängen kann.
Und weiter geht’s. Der Weg ist immer schon gut zu erkennen. Inzwischen bin ich 3 Stunden unterwegs.
Und dann kommen sie, die Wolken. Ganz heimlich, still und leise. Zuerst jedenfalls. Sie bringen einigen Wind mit. Von links fegen sie über den Grat. Zwischendurch erkenne ich einzelne weiße Schleier, die aussehen wie riesige Zuckerwatte, die durch die Luft fliegt.
Jetzt sehe ich nicht mehr so viel. Keine Aussicht mehr. Aber ich kann immer noch mindestens die nächsten 20 Meter erkennen.
Auf dem Buralpkopf auf 1.772 Meter Höhe steht kein Gipfelkreuz. Aber das hält mich natürlich nicht davon ab, ein Gipfel-Foto zu machen.
Und wieder geht es etwa 200 Höhenmeter runter, um sie dann wieder aufzusteigen. Immer den schmalen Pfad entlang, zwischen Bäumen her und über Wurzeln, größtenteils aber über Wiesen.
Das nächste Gipfelkreuz ist ganz klein und zum Umarmen. Der Sedererstuiben auf 1.737 Metern ist auch geschafft.
Hier mache ich eine kurze Pause und stärke mich ein wenig. Aus dem Nebel tauchen 2 Gestalten auf. Die ersten Menschen, denen ich heute begegne. 2 junge Kerle, die zügig vorbeigehen.
Weiter geht es, immer noch ohne Aussicht.
Eine Viertelstunde später lichten sich die Wolken aber endlich wieder. Wie schön.
Der nächste Gipfel und inzwischen die Nummer 6 heute folgt schon ein paar Minuten später. Der Stuiben auf 1.749 Meter Höhe. Das Gipfelkreuz steht hier etwas weiter unten.
Es folgt ein seilversicherter Abstieg. Dieses Mal geht es danach nicht wieder so weit hoch. Es ist echt schön zu gehen. Der Boden ist trocken. Das frühe Losgehen hat sich schon ausgezahlt. Ich habe nun fast den ganzen Grat ohne Regen geschafft.
Auf dem Steineberg auf 1.660 Metern erwartet mich eine Überraschung. Aber erstmal das Gipfel-Foto. Eins nach dem anderen.
Direkt hinter dem Gipfelkreuz gibt es einen Abstieg der besonderen Art. Und zwar eine Gipfel-Leiter. Und zwar eine ganz schön lange Leiter. Sie geht fast senkrecht nach unten. Das muss ich mir erstmal anschauen, bevor ich mich da hinunter wage.
Es sind 17 Meter. Das schaue ich später nach. Das Hinabklettern ist kein großes Problem, ich bin aber vorsichtig und setze immer nur einen Fuß weiter, dann erst beide Hände, dann den anderen Fuß. Ganz langsam. Ein bisschen schneller schlägt mein Herz schon. Hier nochmal der Blick nach oben. Das Schild „Nur für Geübte“ darf natürlich nicht fehlen. Worin muss man denn hier geübt sein? Im Leitersteigen?
Nun folgt der lange Abstieg. Wobei – einen letzten Gipfel schiebe ich noch ein. Ich komme an diesem Gipfelkreuz vorbei. Das finde ich allerdings blöd, da es in einer Senke steht.
Also mache ich noch einen kurzen Abstecher auf den tatsächlichen Gipfel, der daneben im Wald liegt. Es gibt keine Markierung, keine Aussicht, aber es ist der höchste Punkt. Der Bärenkopf auf 1.476 Meter Höhe.
Das waren nun alle Gipfel für heute, insgesamt waren es 8. Wahrscheinlich ein Rekord für einen Tag. Und ich freue mich über das gute Wetter, dass es immer noch trocken ist und so gut geklappt hat.
Jetzt geht es wirklich nur noch runter. Auf breiten Wegen, dann wieder über schmale Waldwege. Sonthofen ist da unten schon zu sehen.
Ich schaue besser mal nach, wie lange die Rezeption des Campingplatzes auf hat. 17 Uhr, das sollte ich problemlos schaffen.
An der Alpe Oberberg schaue ich auf die Wanderkarte, die unter den Wegweisern hängt und pausiere dabei die Routenaufzeichnung auf meiner Uhr. Blöderweise vergesse ich sie wieder zu starten und merke es erst ein paar Minuten später. Ich überlege kurz, aber das stört mich, wenn da ein Stück fehlt. Also stapfe ich den steilen Weg wieder nach oben. Dabei quatsche ich mit einer Bergwanderführerin, die sich die Wanderwege in dieser Region anschaut. Hier gäbe es wohl gerade eine große Nachfrage nach geführten Touren. Ich hatte auch mal überlegt, die Ausbildung zu machen und dann nebenbei Wanderungen zu führen ein paar Mal im Jahr. Die Aufnahmeprüfung ist aber ziemlich hart und es gibt nur wenig Plätze jedes Jahr. Irgendwann ist es erstmal wieder in den Hintergrund gerückt in meinem Kopf.
In Reute angekommen, geht es ein Stück den asphaltierten Fahrweg entlang. Dann wieder in den Wald und über die Gunzesrieder Ach. Durch Halden und Bihlerdorf. Ein Wegweiser zeigt genau auf eine Weide neben einem Haus. Die beiden Jungbullen kommen aber schon auf mich zu, als ich näher komme. Gut, dass da noch der Zaun ist. Da bin ich doch ein Angsthase. Ich gehe ein Stück an der Straße entlang und schaue, ob ich irgendwie anders auf den Wanderweg komme, der weiter unten über die Wiese führt. Beim nächsten Haus ignoriere ich das große Privatgrund-Schild. Es ist gerade niemand zu sehen. So komme ich durch den Garten direkt auf den Wanderweg.
Jetzt ist es nicht mehr so weit. Eine Stunde noch.
Der Blick auf den Sonthofer See ist gut. Inzwischen ist es halb 4 und immer noch trocken. Ich bin zwar froh, wenn ich gleich ankomme, aber für 7 Stunden Gehzeit fühle ich mich noch ganz gut.
Dann komme ich auf den Schotterweg entlang der Iller. Endspurt. Aber das zieht sich. Jetzt mag ich nicht mehr. Meine Füße sind platt und der Weg jetzt langweilig. 2 Kilometer noch.
Über eine Brücke geht es auf die andere Seite. Nur noch ein kleines Stück auf dem Iller-Radweg und dann bin ich am Campingplatz. Denke ich. Eine große Baustelle und Sperrung des Radwegs nach 300 Metern machen mir einen Strich durch die Rechnung. Da wird noch gearbeitet an der Brücke, da gehe ich jetzt besser nicht einfach weiter. Och Mann. Hoffentlich ist die Umgehung nicht so lang. Sonst wird das auch nichts mehr mit 17 Uhr. Natürlich fängt es auch jetzt noch an zu regnen.
Über die Bahngleise, zwischen Häusern hindurch und an einer Hauptstraße entlang. Dann komme ich endlich an, um Viertel vor 5. Passt.
Es gibt zwar keine Zeltwiese, sondern nur eine Ecke mit Schotter. Aber solange ich die Heringe in den Boden bekomme, soll mir das egal sein. Vielleicht hat es auch einen Vorteil, wenn es weiter so regnet. Dann ist es nicht so matschig. Das ist wohl eher ein Wohnmobil-Stellplatz. Die Dame bietet mir auch ein Schlaffass an, lässt aber nicht mit sich handeln, was den Preis angeht. Also bleibe ich beim Zelt. Sie leiht mir einen Hammer, damit klappt das Abspannen gut.
Puh, das war ein langer Tag. Aber ich bin stolz, dass es so gut geklappt hat. Jetzt schnell aus den nassen Sachen raus, aufwärmen, Tee trinken und Essen kochen. Heute gibt es Pasta mit Tomatensoße.
Morgen brauche ich nicht so früh aufstehen, da ich erst ab halb 8 auschecken kann. Ich mag Campingplätze lieber, wo man abends schon bezahlt und morgens einfach gehen kann.
Ich versuche noch ein bisschen zu planen für die nächsten Etappen und Nächte. Aber das ist irgendwie blöd gerade mit den nächsten Übernachtungen. Der Campingplatz in Pfronten hat schon geschlossen für dieses Jahr und das Tegelberghaus ist nach einer Zoll-Razzia letzte Woche nun auch geschlossen. Der Wirt ist laut Zeitungsbericht untergetaucht und wird gesucht. Das heißt, ich brauche einen neuen Plan für morgen und übermorgen. Eine gute Idee habe ich gerade noch nicht. Also erstmal schlafen und morgen loslaufen Richtung Pfronten.
Andi
Danke fürs mitnehmen und weiterhin viel Freude und Erholung.
Sven
Puuh alleine das Lesen war heute anstregend.
Viele schöne Momente und Schmunzeln musste ich bei der Pause der Aufzeichnung. Danke für die Berichte. Bin gespannt was sonst noch passiert.
Volkmar Vetter
Du bist einfach Spitze , ( der alte 78jährige) Volkmar
Volkmar Vetter
….. (aus dem Pflegebett) …..
Inge&Hacky
Hallo Sofie,
toll, daß du uns deine Wanderungen wieder miterleben läßt!
Durch Inges Parkinson kommt sowas für uns ja bei weitem nicht mehr in Frage, aber wir waren früher auch oft genug in den Bergen, um uns in die Situationen hereindenken zu können! Zum Sunrise schon auf den Gipfeln zu sein, um so tolle Bilder zu bekommen, haben wir allerdings auch da nie geschafft!
Ganz vielen Dank! Das ist SPITZE!
Papa Hartwig
Hallo Sophie, vielen Dank für die schönen Fotos und den Bericht zu Deiner Überschreitung der Nagelfluhkette. Auch wenn die Tour keine hohen Gipfel bietet, der Ausblick rundherum ist wunderschön und – wie Du ja bestätigst – mit dem ständigen Wechsel zwischen bergauf und bergab kann man sich genügend aus-powern!
Ich wünsche Dir weiter eine schöne Tour mit vielen schönen Erlebnissen und viel Freude beim Bergwandern!!
Liebe Grüßle!