Ich hatte meinen Wecker auf 5 Uhr gestellt. Heute ist der einzige Tag meiner Tour, wo ich einmal knapp über 2.000 Meter hoch komme. Da freue ich mich schon die ganze Zeit so sehr drauf. Über der Baumgrenze, wo es nur noch felsig ist, das mag ich am allerliebsten. Das ist dann allerdings auch ein sehr langer Tag heute, also heißt es, früh losgehen.
Das ist aber nicht so einfach. Ich bin so müde. Ich komme einfach nicht aus dem Bett. Ich wünsche mir so sehr einen Pausentag. Ich möchte einfach liegen bleiben und nicht aufstehen heute. Ich stelle meinen Wecker erstmal neu auf 6 Uhr.
Es regnet. Eigentlich sollte es wieder schöner werden nach dem Regen gestern. Ich schaue nach dem Wetter. Bis heute Mittag soll es weiter regnen. Das sind nicht die besten Voraussetzungen für eine ausgesetzte Tour, wenn es nass und rutschig ist. Das passt mir alles gar nicht. Schlecht gelaunt stehe ich auf, packe meine Sachen und mache mich auf den Weg. Erstmal loslaufen. Welche Variante ich nehme, kann ich später noch entscheiden.
Meine Beine sind schwer und schon die ersten Höhenmeter sind sehr anstrengend. Ich mag nicht. Es geht ein kurzes Stück an der Straße lang und dann direkt in den Wald und nach oben. Auf dem Weg auf den Kalvarienberg wundere ich mich, dass ich an 6 Kapellen vorbeikomme. Das muss ja ein heiliger Berg sein. Als ich aus dem Wald komme, habe ich Treppen und ein hohes Podest vor mir. Darauf 3 große Kreuze, an dem mittleren eine Jesus-Figur. Ich komme mir vor wie in einem Film, wo hier gleich irgendeine Sekte ihre Rituale vollführt. Ich finde es schrecklich. Da habe ich auch keine Lust Fotos zu machen. Trotzdem hat man von oben einen tollen Blick auf Füssen.
Und in die andere Richtung habe ich einen ersten Blick auf die Königsschlösser. Schloss Neuschwanstein und das Schloss Hohenschwangau. Rechts sieht man den Säuling. Der Berg ist eines der Wahrzeichen dieser Region.
Jetzt aber weg hier. Ich finde es ein bisschen gruselig. Es geht durch den Wald bergab und dann auf einem Spazierweg ziemlich eben am Schwansee entlang. An zwei Stegen beobachte ich einen Mann und eine Frau wie sie ins kalte Wasser springen. Er hat eine Wollmütze dabei auf.
In Hohenschwangau ist alles darauf ausgelegt, die Menschenmassen zum Schloss zu lenken. Es ist allerdings so früh jetzt noch nicht ganz so voll, wie ich dachte. Die Parkplätze sind noch relativ leer. Durch den Wald und über eine Straße komme ich direkt am Schloss Neuschwanstein raus. Hier kommen mir jetzt doch mehr Menschen entgegen, die Richtung Eingang strömen. Ich gehe in die entgegengesetzte Richtung und folge den Schildern zur Marienbrücke. Laut Wanderführer ist man hinter der Brücke wieder alleine und in der Bergwelt.
Noch ein bisschen höher und dann stehe ich an einer Wegkreuzung. Ich schaue mir die verschiedenen Routen nochmal an, hier muss ich mich das erste Mal entscheiden. Entweder über die Brücke und sehr steil auf den Tegelberg. Oder dem Reitweg folgen und mit etwas weniger Höhenmetern und weniger steil zum Ahornsattel. Wenn ich die zweite Option nehme, habe ich vielleicht ja noch genug Zeit für die felsige Hochplatte. Aber wenn ich schonmal hier bin, schaue ich mir kurz an, was so toll an der Marienbrücke ist. Mehr als das Schloss interessiert mich die tiefe Schlucht. Gut drauf bin ich immer noch nicht.
Gerade als ich losgehe, kommt ein weiterer Reisebus voll mit Touristen an. Bei dem Takt hat man wohl auch keine Chance, die Brücke leer zu erleben. Da hätte ich früher aufstehen müssen. Ich dränge mich an den ganzen Menschen vorbei. Warte geduldig, um nicht durch die Fotos zu laufen. Am Ende der Brücke ist es leerer und ich kann mich umschauen. Unten in der Pöllat-Schlucht ist gerade nicht so viel Wasser. Auf das Schloss Neuschwanstein hat man aber wirklich einen wunderbaren Blick von hier.
Und jetzt? Mich nochmal durch die ganzen Leute drängen? Da habe ich keine Lust drauf. Dann gehe ich halt doch hier weiter und nehme den Weg über den Tegelberg. Ich nehme einfach das, was sich ergibt. Anstrengend wird es sowieso. Und alleine bin ich plötzlich tatsächlich wieder. Das ist schön.
Also folge ich dem schmalen Pfad in zig Kehren den Berg hinauf. Ich gehe langsam und schaue immer wieder auf die Karte, wie weit es noch ist. Zumindest bleibt mit den Höhenmetern meine schlechte Laune immer mehr unten im Tal. Es ist ja trotzdem schön hier. Und so langsam bin ich auch warmgelaufen und es kommt mir nicht mehr ganz so anstrengend vor.
Direkt in der zweiten Kehre gibt es eine kleine Aussichtsplattform. Jedem, der mal hier ist, um das Schloss zu sehen, würde ich empfehlen über die Marienbrücke und zumindest bis hier zu gehen. Das ist nicht viel weiter, man ist alleine und hat diesen tollen Blick.
Die Bäume schützen mich ganz gut vor dem Regen. Aber es ist richtig abgekühlt. Gestern war es schon kälter, heute sind nur 2 Grad angesagt für oben auf dem Berg. Und eventuell Schnee statt Regen.
Noch ein paar Kehren weiter und ein paar Höhenmeter höher wird das Schloss kleiner und man kann noch weiter gucken. Aber vor allem, wenn man das erste Mal hier ist, stehlen die Schlösser den Bergen schon ziemlich die Show. Auf der anderen Seite würde man wieder den Säuling sehen.
Ich mache in einer der Kehren eine kurze Pause und ziehe Mütze und Handschuhe über. Für eine längere Pause ist es zu kalt.
Irgendwann habe ich das Zickzack geschafft und der Pfad führt gerade weiter nach oben. Nach rechts biegt ein Trampelpfad ab. Ich schaue auf die Karte, da es keine Markierungen gibt. Das ist der Weg über den Grat. Der andere Weg führt etwas unterhalb am Hang entlang. Beide führen zum Tegelberghaus. Dann kann ich ja auch den Gratweg nehmen. Ich suche allerdings kurz ein paar Infos darüber, ich habe gerade Empfang. Ich habe nämlich keine Lust, dass der Pfad einfach endet oder es zu viel Kletterei und zu ausgesetzt ist. Ich finde direkt eine Tourenbeschreibung, die hört sich okay an. Also geht es nun über den Tegelberggrat.
Zwischendurch geht es über ein paar höhere Felsen, wo ich die Hände zur Hilfe nehmen muss. Dadurch dass es keine Markierung, aber zwischendurch weitere Pfade gibt, ist der Weg nicht immer ganz eindeutig. Ich stehe vor einer Felsnase und habe keine Ahnung, wie ich es da hoch schaffen soll. Aber ein Stück zurück gab es noch einen Pfad nach rechts. Und siehe da, von hinten auf den Felsen rauf, ist sehr viel einfacher. Wenn es zwischendurch sehr schmal ist und direkt neben mir so steil und weit runter geht, ist mir ein bisschen mulmig zumute. Ich frage mich, ob ich ängstlicher geworden bin. Vielleicht kommt das aber auch nur auf die Tagesform an.
Der Pfad führt an zackigen Felsen vorbei. Die sehen gut aus. So sieht auch der Tegelbergkopf aus. Da komme ich wohl nicht ganz auf den Gipfel. Also laufe ich nur daran vorbei.
Hier der Blick zurück. Es ist schon ein schöner Gratweg mit guten Rundum-Blicken.
Ich schaue wieder auf die Karte. Wie weit ist es denn jetzt noch zum Tegelberghaus? Es sind immer noch 150 Höhenmeter. Es wäre so schön gewesen, dort übernachten zu können. Dann wäre ich jetzt vielleicht schon fast auf der Hochplatte. Aber das sollte nicht sein.
Ich komme auf einen breiten Weg. Hier ist auch die Bergstation der Tegelbergbahn. Dementsprechend sind hier mehr Menschen unterwegs. Es geht ein bisschen runter, wieder auf matschigen und rutschigen Wegen durch den Wald. Ich überhole 6 Männer, die auch zur Kenzenhütte wollen. Auf dem Weg quere ich ein paar traurige Altschnee-Felder.
Dann stehe ich am Wegweiser am Branderfleck-Sattel. Hier muss ich mich entscheiden. Rechts zu sehen sind Krähe, Hochplatte und Geiselstein. So schön felsige Gipfel. Die Wolken hängen allerdings ziemlich tief und Aussicht hätte man da oben heute nicht.
Es ist fast halb 1. Der Weg durchs Lobachtal zur Kenzenhütte ist mit 3 Stunden ausgeschildert. Das hätte auch was, nicht so spät an der Hütte zu sein. Die schwarze Tour am Gabelschrofen vorbei ist mit 4 3/4 Stunden ausgeschildert. Und da ist die Hochplatte noch nicht mit drin. Da muss ich mir wohl leider eingestehen, dass es zu viele Gründe gibt, heute nicht da hochzusteigen. Wetter, Wolken, Nässe, Tageslicht, Zeit. Ich habe jetzt schon 1.200 Höhenmeter Anstieg hinter mir und es wären nochmal mindestens 600 Höhenmeter zusätzlich. Plus der lange Abstieg hinterher. Das würde ich wohl schon schaffen. Aber es ist ja nicht so, dass ich mich dann morgen ausruhen kann. Och Mann. Vielleicht ein anderes Mal, schöne Hochplatte.
Ich stehe trotzdem noch ein bisschen rum. Ich möchte nicht da runter ins Tal. Ich esse die restlichen Stücke Pizza von gestern Abend. Kalte Pizza am nächsten Tag ist immer gut. Quatsche kurz mit einem Trailläufer, der von unten kommt. Und mache mich dann doch auf den Weg, damit mir wieder warm wird. Gerade ist mir übrigens aufgefallen, dass der Maximiliansweg zwischendurch doch ausgeschildert ist. Auf manchen Schildern steht es klein unter dem E4 Zeichen. Die Wege verlaufen größtenteils parallel.
Mit Blick auf die Felsen über mir steige ich ab ins Tal.
Nach dem ersten steilen Stück komme ich auf eine Schotterstraße. Das hatte ich ja gar nicht bedacht. Dass das hier wieder so ein langgezogenes Tal sein könnte mit Straße am Fluss entlang. Blöd.
Nach einer gefühlten Ewigkeit geht es um den Berg herum und am Bockstallsee vorbei. Der Nadelwald ist schön und es riecht gut.
Ich überquere den Kenzenbach und gehe über diese idyllische Ebene. Das erinnert mich ein klein wenig an den Ahornboden im Karwendel. Nur in Miniatur-Ausführung.
Dann geht es nochmal auf einen Pfad durch den Wald, wo ich an diesem schönen Wasserlauf vorbeikomme.
Und dann habe ich es geschafft. Angekommen auf der Kenzenhütte. Es ist halb 4. In der Stube ist es ganz schön laut. An einem Tisch sitzen 4 Musikanten, die die Stube beschallen. Ich ziehe meine Schuhe und nassen Klamotten im Trockenraum aus. Das kenne ich auch noch nicht, dass man den Rucksack nicht mit ins Zimmer nehmen soll. Um Bettwanzen vorzubeugen. Also nehme ich nur Hüttenschlafsack, Zahnbürste, Schlafsachen und Stirnlampe mit. Da noch niemand zum Übernachten da ist, kann ich mir ein Bett im Lager aussuchen.
Es ist eisig im Lager. Genauso wie im Waschraum im Keller. Es fühlt sich an, als wäre man überhaupt nicht drinnen. Ich nehme mir direkt mal eine zweite Wolldecke für heute Nacht.
Dann mache ich es mir in der Stube gemütlich. Langsam wird es immer voller. Es ist ein schöner und lustiger Abend. Später setzen sich zwei Mädels zu mir an den Tisch. Die eine kommt aus Bad Honnef und wohnt jetzt in Sonthofen. Ich erzähle von Oberstdorf und dass ich im Moment in Dortmund wohne. Ah ja, ob ich denn wieder zurück nach Oberstdorf möchte. Da komme ich nicht her, aufgewachsen bin ich im Sauerland. In Kierspe. Das kennt sie. Wie jetzt? Kierspe kennt niemand. Aber ihr Freund wäre daher. Florian Krafft. Ach ne, wie klein die Welt doch manchmal ist. Mit ihm war ich in einer Stufe, wir haben Abi zusammen gemacht. Wie lustig.
Die 4 Musikanten mit zwei Akkordeons, Gitarre und Tuba sind gut drauf. Sie spielen schwungvolle Alpen-Blasmusik – oder wie man diese Musik nennt. Später verteilen sie Liedtexte und einen Würfel und wir singen mit und haben viel Spaß. Die Musikanten setzten sich zwischendurch zu uns an den Tisch und so sind wir mittendrin.
Bis halb 9 halte ich es aus, bevor ich zu müde werde. Morgen wird wieder ein langer Tag.
Sven
Endlich mal ein Berg den ich vor dir geschafft habe. Am Tegelberg habe ich mit den Kinder auch ans Gipfelkreuz angeschlagen. Für dich wahrscheinlich eher ein langweiliges Kreuz für uns war es die Welteroberung.