Am Hafen in Mehamn gibt es einen kleinen, beheizten Warteraum. Dort mache ich es mir gemütlich. Noch 1,5 Stunden bis zur Abfahrt. Ganz unerwartet bekomme ich nach einer Weile Gesellschaft. Ein Norweger aus Hammerfest, der heute geschäftlich in Mehamn war und mit dem Schiff zurück nach Hause fährt. Da das Schiff in so vielen kleinen Küstenorten anlegt, nutzen die Einheimischen es wie ein öffentliches Verkehrsmittel. So ist es kein reines Kreuzfahrtschiff, was ich gut finde.

Während wir uns unterhalten, geht die Zeit ganz schnell um. Um Viertel nach 1 gehe ich nach draußen und halte nach dem Schiff Ausschau. Nichts zu sehen. Der Hafen ist auch irgendwie wie ausgestorben. Es gibt hier kein großes Terminal mit Schranken und Kontrollen. Ich kann einfach auf dem Pier herumlaufen. Um halb 2 soll das Schiff ablegen. Aber auch eine Viertelstunde später sind noch keine Lichter in Sicht in der Dunkelheit. Es kommt ein Auto angefahren, dann noch eins. Okay, jetzt tut sich langsam was. Dann sitze ich ja doch nicht hier fest.

Als ich das nächste Mal um die Ecke schaue, ist das Schiff schon ziemlich nah. Ich höre es gar nicht. Ohne irgendein Geräusch kommt es durch die Dunkelheit angeschippert. Irgendwie ein bisschen gruselig, wenn man so gar nichts hört. Wie ein Geisterschiff.

Ich hatte vorher schon gelesen, dass die Schiffe von Havila Voyages über 4 Stunden geräusch- und emissionslos fahren können. Davon bin ich wohl gerade Zeuge geworden. Das Unternehmen wurde dieses Jahr mit dem „Next Generation Ship Award“ ausgezeichnet und nennt sich die umweltfreundlichste Reederei der Welt. Wen es interessiert, findet hier mehr darüber, wie sie versuchen, ihren Fußabdruck zu minimieren. Dann muss ich ja nicht ganz so ein schlechtes Gewissen haben.

Die Rampe wird ausgefahren und ich gehe an Bord der Havila Castor. Mein Zuhause für die nächsten 5 Tage.

Es ist ruhig, die meisten Leute werden schlafen. Die Begrüßung könnte freundlicher sein, der Mann an der Rezeption ist ziemlich wortkarg. Vielleicht schläft er auch so halb. Aber da ich todmüde bin, ist mir das egal. Ich möchte mich möglichst schnell ins Bett legen. Mein Ticket brauche ich gar nicht, nur meinen Perso. Meine Kabine ist direkt auf diesem Deck, nur ein paar Türen weiter. Wie versprochen eine Kabine mit Fenster. Das finde ich super. So kann ich beobachten, wie die Lichter von Mehamn langsam verschwinden.

Ich brauche ein bisschen, bis ich die ganzen Schalter für die zig verschiedenen Lichter und die Klimaanlage durchschaut habe. Meine Müdigkeit ist plötzlich verschwunden. Ich liege im Bett, höre ein Hörspiel und spüre das leichte Schwanken. Normalerweise habe ich keine Probleme mit Seekrankheit, es gab aber schon mal eine Ausnahme, als ich bei sehr starkem Wellengang von El Hierro nach Teneriffa gefahren bin. Ich hoffe, dass mein Magen jetzt nichts gegen meine Reise hat.

Während ich schlafe, legt das Schiff in Kjøllefjord und Honningsvåg an. Jedes Mal nur 10 bis 15 Minuten. Morgens dann in Havøysund. Ich habe meinen Wecker gestellt, um das Frühstück nicht zu verpassen. Ziemlich gerädert gehe ich also um 7 Uhr 2 Decks nach oben. Ich werde freundlich empfangen und die Dame, die mir meinen Tisch zuweist, richtet es ein, dass ich am Fenster sitzen kann. Ich bin erstaunt, dass nur so wenige Tische besetzt sind. Aber ich finde es super, dass es ruhig und nicht überfüllt ist. Vielleicht frühstücken die meisten ja auch später. Es gibt drei Essens-Schichten, wovon ich die früheste gewählt habe.

Nach dem Frühstück verschwinde ich wieder im Bett. Ich bin noch nicht ganz angekommen auf dem Schiff. Ich bin total übermüdet und habe irgendwie das Gefühl, schon ganz viel zu verpassen. Gleichzeitig möchte ich gerade eigentlich gar nicht hier sein, sondern wieder draußen in der Natur. Und trotzdem genieße ich es, dass ich nicht losgehen brauche. Also erstmal noch ein bisschen schlafen. So ein Gefühlschaos.

Um kurz vor halb 11 schrecke ich auf. Es gibt ja schon wieder Mittagessen. Da muss ich mich jetzt wohl erstmal an feste Zeiten gewöhnen. Ich setze mich wieder an meinen Tisch. Es ist sehr angenehm, dass ich heute morgen nur einmal meine Kabinennummer nennen musste. Jetzt werde ich schon erkannt und kann einfach direkt durchgehen zu meinem Tisch. So eine Aussicht beim Essen hat schon was.

Man wird am Tisch bedient, es gibt kein Buffet. Die Portionen sind alle sehr klein, wie Tapas. Aber man kann so viel bestellen, wie man möchte. Ich höre auf die Empfehlung und suche mir erstmal nur 3 verschiedene Kleinigkeiten aus. Es gibt Salat, Fisch, Meeresfrüchte und Fleisch. Und eine große Auswahl vegetarischer Gerichte. Manche Sachen sind ständig auf der Karte und es gibt noch eine zusätzliche Karte, die auf die aktuelle Region angepasst ist. Es ist alles fein angerichtet und echt lecker. Zu meinen Favoriten zählen heute eine Waldpilz-Suppe und ein Erbsen-Schnitzel.

In Hammerfest liegt das Schiff mittags fast 2 Stunden im Hafen, aber ich bin noch zu müde für eine Land-Erkundung. Wenn das Schiff angelegt hat, kann man jederzeit an Land gehen. Nach dem Essen raffe ich mich dann aber mal auf und mache einen großen Rundgang. Erstmal das Schiff erkunden.

Es gibt ein Café und ganz viele gemütliche Sessel. Von fast überall hat man eine super Aussicht aus den Panoramafenstern. Auf Decke 8 und 9 geht’s raus. Ich begegnen keinen anderen Menschen als ich einen Rundgang über das Außendeck mache. Ich atme die Meeresluft ein und stelle mich mit dem Gesicht in den Wind. So langsam komme ich an.

Wir fahren gerade durch die Meerenge Sørøysundet und ich bin total begeistert von der Aussicht auf die zerklüftete norwegische Küste. Schaut euch diese Berge an. Ich kann gar nicht genug bekommen von dem Anblick. Und es kommen ständig weitere zackige und schneebdeckte Gipfel in Sicht. Es ist wahnsinnig schön! Ich könnte einfach den ganzen Tag diese steil ins Meer fallenden Berge angucken. Und der Himmel ändert sich dazu auch ständig. Nebelschleier, Regen, ein Sonnenloch. Dann wieder tief hängende Wolken.

Gegen halb 5 legen wir kurz in Øksfjord an. Ich beobachte es von meinem neuen Lieblingsplatz, von der Reling auf Deck 9. Es sieht lustig aus, wie die Häuser des kleinen Küstenortes in einem schmalen Streifen zwischen die steilen Berge und den Fjord gebaut wurden.

Um 18 Uhr gibt es Abendessen. Ich finde es super, dass alle hier so bodenständig und locker sind. So fühle ich mich in meinen Wanderklamotten gar nicht unwohl. Die Kellner sind super freundlich und schnell kommt es mir vor wie eine große Familie. Vielleicht liegt das auch daran, dass so wenig los ist. Man begegnet immer wieder denselben Gesichtern und kommt dann eben auch ins Gespräch. Die Kellner sprechen alle Norwegisch und Englisch, einige auch Deutsch. Ich ziehe es aber vor, Englisch zu reden. Als ich einmal auf Deutsch angesprochen und dann auch noch gesiezt werde, tun meine Ohren weh. Das hört sich ja schrecklich an. Wieso muss Deutsch nur so kompliziert sein? Da muss ich mich erstmal wieder dran gewöhnen. Auch wenn ich während der Wanderung beim Telefonieren natürlich Deutsch gesprochen habe, war das irgendwie was anderes. Um mich herum, war es immer Norwegisch und Englisch.

Die Kellner unterhalten sich anscheinend sehr gerne mit ihren Gästen und sind ganz interessiert an den verschiedenen Leuten hier an Bord. Ich werde gefragt, ob ich ganz alleine reise und erzähle von meiner Wanderung. Die junge Norwegerin ist ganz fassungslos und total begeistert.

Zum Abendessen kann man sich ein Menü aus Vorspeise, Hauptgang und Nachtisch zusammenstellen. Hier sind die Portionen ordentlich groß und man bekommt eine Auswahl an passenden Beilagen. Der Rentiereintopf ist super. Vegetarische Gerichte gibt es auch, aber das sind dann dieselben Sachen, die es auch mittags gibt. Die Karte ist schon sehr tierisch.

Nach einem kurzen Stopp in Skjervøy, legen wir nachts in Tromsø an. Ich frage mich, wann man schlafen soll, wenn man wirklich alles sehen möchte. Ich bleibe wach, schaue mir die Lichter der Stadt aber dann doch nur vom Schiff aus an. Auf eine Erkundungstour im Dunkeln habe ich gerade keine Lust. Und auch nicht auf eine Reise durch das Nachtleben im Paris des Nordens, wie die Stadt genannt wird.

Während ich schlafe, legt das Schiff kurz in Finnsnes an. Meistens werden in den kleinen Häfen ein paar Paletten an Land gebracht oder auch wieder mitgenommen. Vielleicht werden so Waren zwischen den kleinen Ortschaften transportiert. Morgens mache ich als erstes einen Rundgang über das Deck und genieße den Wind im Gesicht. Mir kommt es schon sehr viel wärmer vor als in Mehamn.

Dann wird gefrühstückt. Anscheinend spricht es sich so langsam rum, dass eine Norge på langs Wanderin an Bord ist. Ich werde von 2 anderen Kellnern auf meine Wanderung angesprochen. Die Adjektive, die ich seit Beginn der Wanderung am häufigsten gehört habe, sind „crazy“ und „tough“. So auch hier.

Auf den Fernseh-Bildschirmen in der Kabine und auf dem Flur wird immer das Tagesprogramm angezeigt. Welche Häfen wann angelaufen werden, Tipps für Sehenswürdigkeiten, extra buchbare Ausflüge und wann es sich lohnt, hoch aufs Außendeck zu gehen. Außerdem gibt es täglich eine Versammlung mit dem sogenannten Expeditions-Team.

Vormittags legen wir in Risøyhamn an und fahren danach durch die Meerenge Risøysundet. Vom Expeditions-Team bekommt man bei Interesse weitere Infos. An besonderen Punkten kann man die beiden draußen auf Deck 8 treffen, wo sie ein bisschen mehr über den Ort erzählen. Der Kanal hier ist sehr schmal und wurde ausgebaggert, damit auch größere Schiffe die Meerenge passieren können. Gegenverkehr gibt es nicht, dafür ist kein Platz. Nur ein paar kleine Motorboote kreuzen unseren Weg.

Nach einem Stopp in Sortland legen wir nachmittags für eine Stunde in Stokmarknes an. Hier gehe ich das erste Mal von Bord und schaue mich ein bisschen um. Man braucht nur seine Karte für die Kabine, die wird beim Verlassen des Schiffes gescannt. Und nochmal, wenn man wieder da ist. Ganz unkompliziert. Auch hier finde ich es super, dass man auf dem Pier herumlaufen kann.

Direkt im Hafen kann man das Hurtigrutemuseet, das Hurtigruten-Museum, besuchen. Ich schaue es mir aber nur von außen an.

Dieser moderne Glaskasten wurde um die MS Finnmarken herumgebaut. Auch einen Teil der DS Finnmarken kann man besichtigen. Es war 1912 das erste Schiff auf der klassischen Postschiffroute entlang der norwegischen Küste.

Auf Deck 8 gibt es eine Sauna. Ich hole mir an der Rezeption ein zusätzliches Handtuch. Da werde ich auch gleich angesprochen, ob ich die Wanderin sei. Lustig, wie sich die Info langsam immer weiter verbreitet. Erkennen kann man mich ja auch leicht. Ich laufe immer noch jeden Tag in denselben Wanderklamotten herum.

In der kleinen Sauna treffe ich auf eine Österreicherin. Es gibt eine Damen- und eine Herrensauna. Die Trennung ist ganz unüblich für Norwegen, das hatte ich bisher nirgendwo. Und dass eine Sanduhr an der Wand hängt, wie es in Deutschland auch üblich ist, sehe ich ebenfalls zum ersten Mal. Auf die Zeit achten die Norweger in der Sauna nicht so, sie hören auf ihr Gefühl.

Ich unterhalte mich sehr gut mit Daniela. Am Ende sitzen wir fast eine Dreiviertelstunde in der Wärme und reden übers Wandern. Sie findet meine Tour super spannend und wenn jemand so interessiert ist, macht es auch Spaß, viel zu erzählen. Auf die Leute, die mich nur mit offenem Mund anstarren und wo das Gespräch so einseitig ist, kann ich gut verzichten. Als ihr Mann, Markus, zur Tür hereinschaut, gehen wir dann auch mal raus zum Abkühlen. Sie erzählt ihm gleich ganz aufgeregt von mir und ich muss grinsen.

Es ist ein fantastisches Gefühl, zum Abkühlen nur mit umgehängtem Handtuch auf dem Deck zu stehen. Unter mir die Wellen, der Wind auf der Haut, die salzige Luft und die Aussicht auf die Berge. Das gönne ich mir nun jeden Tag. Und in den nächsten Tagen habe ich die Sauna immer für mich alleine.

Ich war vorher sehr gespannt, wie es mir an Bord des Schiffes gefällt. Ich habe schon einmal eine mehrtägige Kreuzfahrt mit AIDA durchs Mittelmeer gemacht. Das war damals ein Kompromiss-Urlaub mit meinem Ex-Freund. Dafür ist er mit mir wandern gegangen. Allerdings fand ich es ziemlich schrecklich. Ich habe mich gefühlt, wie eine Gefangene in einer All-Inclusive-Anlage. Das ist allerdings überhaupt kein Vergleich zu meiner jetzigen Fahrt mit der Havila Castor. Ich bin total begeistert und fühle mich wohl. Es gibt ständig etwas Neues zu sehen, da man so nah an der Küste entlangfährt.

Am späten Nachmittag fahren wir durch den Raftsundet. Die schmale Wasserstraße verläuft zwischen den Inselgruppen der Lofoten und Vesterålen. Der Blick auf die zackigen Bergspitzen zu beiden Seiten ist klasse. Dazu immer wieder kleine, felsige Inseln und zwischendurch ein paar Häuser direkt am Wasser.

Hier kommen die meisten Leute an Deck. So voll war es draußen die ganze Zeit noch nicht. Aber trotzdem ist noch genug Platz. Die Außen-Bar wird geöffnet und man hat die Möglichkeit, Rømmegrøt zu probieren. Die typisch norwegische Grütze aus saurer Sahne, Mehl und Fett habe ich an Tag 50 in Rørøs das erste Mal probiert. Da hat es mir nicht so gut geschmeckt. Jetzt hole ich mir gleich noch einen zweiten Becher, der mit einem Stück Butter, Zimt und Zucker garniert wird.

In Svolvær hat man abends wieder die Möglichkeit, für etwa 2 Stunden an Land zu gehen. Es ist die größte Stadt auf den Lofoten.

Gut, dass man daran erinnert wird, dass heute Nacht die Uhren umgestellt werden. Da hätte ich sonst überhaupt nicht dran gedacht. Aber eigentlich ist es auch egal, ich hätte es wahrscheinlich nicht mal gemerkt.

Spät abends gibt es noch einen kurzen Stopp in Stamsund. Dann geht es über den riesigen Vestfjorden von den Lofoten wieder zurück Richtung Festland. Die See ist hier etwas rauer und es schaukelt zwischendurch ziemlich. Entgegen meiner Befürchtungen kann ich aber gut schlafen. Dass wir in Bodø und Ørnes anlegen bekomme ich gar nicht mit.

Am nächsten Tag nach dem Frühstück freue ich mich über die tolle Lichtstimmung draußen. Die meiste Zeit war es bisher bewölkt, regnerisch und immer wieder nebelig. Dazu lange und früh dunkel. Wobei es im Gegensatz zum Norden doch schon wieder viel länger hell ist, je südlicher ich komme.

Wenn das Schwesterschiff, die Havila Capella, oder auch ein Schiff der Hurtigruten uns entgegenkommt, wird es mit einem lauten Hupen des Schiffshorns gegrüßt.

Gegen halb 10 überqueren wir den Polarkreis. Dieser ist mit einer Weltkugel auf einer kleinen Insel markiert. Ich suche mir einen ruhigen Platz an der Reling und fühle in mich hinein. An Tag 91 habe ich direkt am Polarkreis übernachtet und den besonderen Punkt bei Sonnenschein überschritten. Das war ein riesiger Meilenstein. Jetzt dauert es nicht einmal ein paar Minuten, dann kann ich die Kugel schon nicht mehr sehen. Komisch. Jetzt bin ich wieder im Süden. Gut finde ich das noch nicht so richtig.