Ich habe gut geschlafen in meinem Lager auf dem Boden. Aber wenn es so kalt ist, muss ich mich morgens erstmal überwinden, meinen warmen Schlafsack zu öffnen und in meine kalten Klamotten zu schlüpfen. Heute Morgen brauche ich dazu etwas länger und gehe erst gegen halb 8 los. Auf geht’s zur letzten Grenzumgehung. Ich habe vorher auf 2 verschiedenen norwegischen Blogs eine kurze Beschreibung von genau diesem Teil gefunden. Der Weg sollte also kein Problem sein.

Vor mir ist es nebelig und bewölkt, aber hinter mir kann ich ein paar blaue Löcher in den Wolken sehen. Ich lasse die kleine Hütte hinter mir und folge dem Rentierzaun, nur ein Stück von der finnischen Grenze entfernt. Ich hoffe, dass ich heute wieder Glück mit dem Schnee habe, auch wenn ich auf über 1.100 Meter hoch muss.

Das Gelände ist weit und offen und ich gehe über Moos, Flechten und Steine stetig nach oben. Da das Gelände so einfach ist, gehe ich direkt über den Berg und nicht das Tal entlang. Hoch muss ich so oder so. Es zieht sich allerdings immer weiter zu und wird nebeliger. Von meiner Umgebung kann ich nicht so viel sehen.

Weiter oben wird es immer steiniger. Ich gehe über riesige Geröllfelder. Das ist ein bisschen blöd und anstrengend, da die Steine ziemlich rutschig sind. Auf einem glatten, schrägen Stein rutsche ich weg und falle nach hinten. Zum Glück tue ich mir nichts, liege nur wie ein Käfer da. Auf dem Rücken, Arme und Beine in der Luft. Ich hoffe, dass es später auf dem Weg runter nicht mehr so steinig ist. Bergauf ist es immer noch einfacher und angenehmer, als bergab.

Vor mir taucht ein Hindernis im Nebel auf, der Rentierzaun. Er verläuft jetzt nicht mehr entlang der Grenze, sondern macht einen Knick ins Landesinnere. Gut, dass unter dem untersten Draht genug Platz ist. Ich schiebe meinen Rucksack unter dem Zaun her und krieche dann auf dem Bauch hinterher.

In Wellen geht es weiter über Geröllfelder, immer wieder ein bisschen hoch und durch eine Senke. Ich freue mich jedes Mal, wenn zwischen den Steinen kleine Flächen Moos und Gras sind, wo ich einfacher gehen kann. Ich stelle meinen Kompass nun immer auf die Spitze des nächsten Sees ein. Ich schaue vorher kurz auf die Karte, ob es besser ist rechts oder links herum zu gehen. Die vielen Seen sind gute Orientierungspunkte. Nur auf die rutschigen Steine habe ich echt keine Lust mehr. Sonst mag ich das Geröll-Balancieren ja eigentlich, heute aber nicht. Zumindest verziehen sich die Wolken irgendwann und ich kann ein bisschen mehr von meiner Umgebung sehen. Es ist ja eigentlich ganz schön hier.

Es sieht gut aus, wie der Nebel noch über dem See hängt, darüber der blaue Himmel.

Das Wetter wird immer besser, auch wenn der eisige Wind mein ständiger Begleiter ist. Rechts von mir, in der Ferne, kann ich sogar den Halti sehen. Das ist mit 1.324 Metern der höchste Gipfel Finnlands, der genau auf der Grenze zu Norwegen liegt. Es ist allerdings nur ein Ausläufer des Bergs Ráisduattatháldi, dessen höchster Gipfel in Norwegen liegt.

Als ich gerade an einem kleinen See vorbei bin, stolpere ich. Ich falle nach vorne und haue mit beiden Knien auf den platten Stein unter mir. Der Rucksack drückt mich noch weiter nach vorne. Ich stütze mich mit beiden Händen rechts und links von mir auf etwas erhöhten Steinen ab, allerdings auf Hüfthöhe. So habe ich nicht so viel Kraft. Ich sehe den Fels vor mir langsam immer näher kommen, wie in Zeitlupe. Ich rechne damit, mit der Nase aufzuschlagen und drücke mich mit aller Kraft hoch. Meine rechte Schulter tut durch den komischen Winkel weh und die linke Schulter haut auf den Stein. Aber ich falle nicht weiter. Das ganze dauert nur ein paar Sekunden. Ich stehe vorsichtig auf. Und fange an zu schluchzen. Ich setze mich auf einen der Steine. Die Schmerzen lassen recht schnell nach, aber ich sitze noch ein paar Minuten da und schluchze vor mich hin. In dem Moment denke ich, dass ich einfach bis zu meinem Ziel nur noch Straße laufe. Scheinbar lässt meine Kraft nach und die ganzen weglosen Abschnitte sind doch anstrengender, als ich das beim Wandern täglich empfinde. Es ist ja nicht nur die körperliche Anstrengung, auch der Kopf wird echt gefordert. Ständig muss ich abwägen, eine Route durch unbekanntes Gelände suchen und das Wetter im Blick haben. Als ich mich beruhigt habe, atme ich tief durch und gehe noch vorsichtiger weiter. Hoffentlich hören die Geröllfelder bald auf.

Tatsächlich habe ich Glück und ich kann auf dem Weg runter wieder mehr über weichen Boden gehen. Nur zwischendurch immer noch über einen Streifen grauer Steine.

Ich steige vorsichtig zum Guovddesjohka ab und bahne mir einen Weg um die Spitze herum. Die gegenüberliegende Seite sieht fast steinfrei aus, was mich sehr freut.

Ich überlege, an dem See Pause zu machen, entschließe mich aber, noch über den nächsten Hügel zu gehen. Dahinter kommt noch ein See. Also geht es hoch und wieder hinunter zum Jeavasjávri.

Als ich am Ufer stehe und mir den schönsten Fels für meine Pause aussuche, fängt es an zu regnen. Wo ist denn jetzt die Pausen-Sonne hin? Ich esse nur ein paar Nüsse und gehe dann schon weiter. Ich sollte gleich an einer Hütte vorbeikommen, dann kann ich dort Pause im Trockenen machen. Als ich weitergehe, hört es natürlich gleich wieder auf zu regnen.

Ich gehe den Buckel hinter dem See schräg hinauf. Der Abstieg auf der anderen Seite ist etwas steiler. Es gibt einige hohe Kanten, die ich im Zickzack umgehe. Ganz langsam und vorsichtig bahne ich mir einen Weg nach unten. Das ist wieder so ein Abstieg, wo man nicht denkt, dass man da überhaupt runter kommt, wenn man oben steht und herunterschaut. Eigentlich wollte ich um den See unten links herum gehen. Ich komme aber viel weiter rechts unten an, also umrunde ich ihn auf der Ostseite. Auch gut.

Am See vorbei, geht es noch über einen letzten Hügel und dann runter zur Bizushytta. Die gelbe Hütte kann ich schon von weitem sehen, wie sie da auf einem kleinen Hügel thront.

Richtung Osten habe ich einen schönen Blick ins Tal Bižusvággi.

Noch ein bisschen Sumpf, ein paar Steine und dann bin ich da. Es ist wieder eine offene Statskog Hütte. Sie hat exakt dieselbe Größe, Farbe, Aufteilung und Einrichtung wie die Loassuhytta. Nur dass es hier noch ziemlich viel Feuerholz gibt. Ich schaue kurz rein, gehe aber dann ein paar Meter weiter und suche mir am Fluss einen schönen Pausenplatz. Die Sonne ist wieder da und es ist gerade nicht ganz so windig.

Zu meiner Freude entdecke ich eine Traktorspur, die von der Hütte am Fluss entlang und genau in meine Richtung führt. Mein nächstes Ziel ist der große See Guolasjávri. Dann muss ich nur noch am Ufer entlang gehen bis zur östlichen Staumauer und dort gibt es wieder einen Weg.

Zwischendurch ist es immer wieder sumpfig und matschig. Leider biegt die Traktorspur nach 2 Kilometern nach links ab und führt den Berg hoch. Also stelle ich doch wieder meinen Kompass ein. Bis ich bald auch schon den großen See sehen kann.

Vorher habe ich die ganze Zeit gedacht, dass ich mein Ziel ja quasi schon erreicht habe, wenn ich es bis zu dem See schaffe. Nur noch am Ufer entlang, das sollte ja kein Problem sein. Ist es auch nicht, aber es zieht sich. Es geht über einen Hügel nach dem nächsten. Ich gehe mit ein bisschen Abstand zum Wasser, damit ich nicht jede kleine Bucht mitnehme. Und etwa nach der Hälfte laufe ich nochmal nach Kompass, um die ganzen Zacken im Ufer zu umgehen und noch schneller zu sein. Ich halte auf dem Weg schon immer Ausschau nach der Staumauer, kann sie aber erst ganz spät sehen, da sie an einem schmalen Arm weiter östlich liegt. Ich komme an einer kleinen Hütte vorbei und kurz dahinter erreiche ich einen Parkplatz.

Ich habe es geschafft! Jetzt ist es überhaupt kein Problem mehr, den Rest der Wanderung in Norwegen zu bleiben. Ich habe das ganze lange Stück, wo Norwegen so schmal ist, soeben hinter mir gelassen. Jetzt ist das Land wieder breit und dehnt sich nach Osten und Norden aus. Hinter mein großes Ziel, komplett in Norwegen zu bleiben, kann ich einen dicken Haken setzen! Laut verschiedener Leute, die ich getroffen habe, bin ich eine der wenigen, die das überhaupt in Angriff genommen und auch geschafft hat.

Auf dem Parkplatz stehen zwei Autos, eins mit norwegischem und eins mit finnischem Kennzeichen. Von hier führt ein Wanderweg in 6 Kilometern auf den Halti. Ich gehe die Schotterstraße entlang und komme an einem Unterstand vorbei. Bis hierher wollte ich heute kommen, jetzt kann ich mir theoretisch einen Zeltplatz suchen. Der Unterstand ist aber ziemlich vermüllt, also gehe ich weiter. Hinter der Staumauer komme ich zu einem Wegweiser, wo das Reisadalen das erste Mal ausgeschildert ist. Da will ich hin.

Ich würde allerdings gerne einen windgeschützten Platz für mein Zelt finden, da ich sonst nicht gut schlafen kann. Seit ich an dem See entlang gegangen bin, wurde der Wind immer stärker. Und die Aussicht auf die weite, offene Landschaft vor mir, stimmt mich nicht sehr zuversichtlich. Ich folge der Traktorspur und halte Ausschau nach geschützten Ecken, während mir der Wind um die Ohren pfeift. Es gibt aber keine.

Vielleicht hinter dem Hügel auf der anderen Flussseite. Rüber muss ich sowieso. Aber der Hügel bietet auch keinen Windschutz.

Also gehe ich immer weiter. Eigentlich ist es auch gar nicht so schlecht, noch ein Stück zu gehen. Dann ist der Tag morgen nicht mehr so lang und ich kann noch einen halben Tag mehr Pause machen, wenn ich früh ankomme. Da ich aber schon ziemlichen Hunger habe, hole ich noch ein Paket Nüsse raus und esse beim Gehen. Es ist flach, der Weg breit und der Kopf kann sich entspannen.

Es ist inzwischen 20 vor 6, lange ist es nicht mehr hell. Aber ich finde immer noch keinen geschützten Zeltplatz.

Der Weg macht einen Bogen nach rechts und stößt ein ganzes Stück weiter auf die Nordkalottruta. Um dann auf der anderen Seite des Tals wieder nach Westen zu führen. Dieser große Schlenker ist mir irgendwie ein Dorn im Auge. In meiner ursprünglichen Planung wollte ich an der Wegkreuzung querfeldein nach Norden gehen, bis ich auf einen Weg runter ins Reisadalen stoße. Jetzt würde ich allerdings viel lieber einfach den Schlenker abschneiden, direkt rüber zum markierten Wanderweg gehen und diesem weiter folgen. Dazu muss ich nur über den Fluss Čoalbmejohka rüber. Aber ich kann es ja probieren und zur Not immer noch weiter zur Wegkreuzung gehen. Also biege ich nach links ab und gehe über die weite Fläche zum Fluss. Schon von weitem sehe ich den tiefen Einschnitt im Gelände. Das sieht gefährlich nach einer tiefen Schlucht aus. Aber wer weiß, vielleicht fließt da unten ja nur ein Rinnsal.

Erst als ich an der Kante stehe, sehe ich den Fluss. Kein Rinnsal, aber auch kein wilder, reißender Fluss. Die Querung ist recht einfach.

Auf der anderen Seite geht es den steilen Hang wieder hinauf und weiter den Berg nach oben, bis ich nach einer gefühlten Ewigkeit den Wanderweg erreiche. Hier kann ich dem schmalen Pfad und Steinmännchen mit roten Punkten folgen. Durch meine Abkürzung habe ich jetzt locker 7 Kilometer gespart. Nur ist es hier noch schwieriger einen Zeltplatz zu finden. Es ist schräg, buckelig und steinig. Und auch nicht geschützt. Es ist fast halb 7, bis ich eine kleine ebene Grasfläche hinter einer Felswand entdecke. Der Fels ist gerade so hoch wie mein Zelt. Also bleibe ich hier, bevor es dunkel wird und ich nichts anderes finde.

Ich hätte zwar eigentlich Lust noch weiterzugehen, aber nicht auf so einem schlecht erkennbaren Pfad im Dunkeln mit Stirnlampe. Wäre es nachts immer noch hell, würde ich wahrscheinlich einfach durchgehen bis zur Nordkalottstua.


33,9 km
8:45 h
998 hm
1.026 hm
1.154 m