Ich stelle mir den Wecker und gehe los, sobald es einigermaßen hell ist. Wenn ich früh in Kautokeino bin, kann ich aus dem einen Pausentag morgen eineinhalb Tage machen. Bis dahin sind es aber noch knapp über 30 Kilometer. Die Sonne ist gerade aufgegangen und versteckt sich hinter den Wolken.

Eine halbe Stunde später habe ich über mir blauen Himmel. Der bleibt aber leider nicht lange und den Rest des Tages ist es dann nur noch grau. Aber zumindest bleibt es trocken.

Die Straße ist einsam und öde. Auf den ersten 20 Kilometern kommen mir zwei Autos entgegen. Rechts und links die karge, wenig abwechslungsreiche Landschaft. Zwischendurch mal ein See. Irgendwann sehe ich auf der weiten Ebene neben der Straße zig Rentiere. Hunderte Tiere liegen und stehen dort herum. Als ich näher komme, rennen alle weg. Das sieht aus, die Herde ist echt riesig. Immer wieder laufen sie jetzt auch vor mir über die Straße oder stehen auf dem Asphalt herum.

Das Laufen macht mir heute wenig Spaß. Nicht nur, dass der Weg langweilig ist. Irgendwie ist meine Kraft aufgebraucht. Mir kommt der Gedanke, dass es völlig okay für mich wäre, die Wanderung in Kautokeino zu beenden. Das ist untypisch für mich und wundert mich selbst ein bisschen. Ich denke nicht wirklich über einen Abbruch nach. Nur eben, dass es okay wäre. Ich habe schon so viel geschafft und erlebt bis hierher. Irgendwie könnte es jetzt auch zu Ende sein. Mein großes Ziel, in Norwegen zu bleiben, ist erledigt. Und die ganze Zeit mache ich mir Gedanken über die letzte Etappe, die nochmal komplett weglos ist. Durch das Gaissane Gebirge, die Laksefjordvidda und das Ifjordfjellet. Ab Skoganvarre findet man einfach keine Infos zu dem Gebiet, es gibt keine Wanderwege oder Hütten mehr. Und das erste Hindernis ist direkt ein großer Fluss, den ich gleich zweimal queren muss.

Inzwischen sind einige der diesjährigen Norge på langs Wanderer am Ziel angekommen. Der erste, der die Kugel am Nordkap erreicht hat, war Markus D. schon Anfang September. Dicht gefolgt von Manja, eine Woche später. Markus ist gerade auf der Zielgeraden und erreicht heute sein Ziel am Knivskjelodden. Ich bin ein bisschen neidisch, dass sie es schon geschafft haben. Wir könnten gerne tauschen.

Wieder denke ich, dass ich mal ein paar Tage Urlaub bräuchte. Wahrscheinlich hätte ich danach auch wieder mehr Lust weiterzugehen. Ein Pausentag ist immer so schnell rum. Die meiste Zeit verbringe ich da mit Schreiben, Einkaufen, Waschen. So richtig Pause ist es selten. Aber inzwischen muss ich ja auch ein bisschen auf die Zeit achten. Ich muss Anfang November wieder arbeiten und der Winter steht in den Startlöchern und es wird immer kälter.

Beim Gehen male ich mir aus, jetzt schon auf dem Schiff zu sein, auf der Rückreise. Einfach nichts machen zu müssen. Nicht morgens aus dem warmen Schlafsack raus in die Kälte zu müssen, gegen den Wind ankämpfen oder mit nassen Füßen unebene Wege entlang stapfen zu müssen. Allerdings weiß ich auch genau, dass es mich nach ein paar Tagen wieder nach draußen zieht und ich die nächste Wanderung gar nicht erwarten kann. Ich bin gespannt, wie lange es dieses Mal dauert.

Ich habe Empfang und schaue beim Laufen schonmal, was es in Kautokeino so gibt. Restaurant und Supermarkt liegen direkt auf meinem Weg. Ich muss noch eine Übernachtungsmöglichkeit finden. Vielleicht habe ich ja Glück und das Hotel hat doch noch ein Zimmer frei für heute Nacht. Ich werde mal nachfragen und sonst zum Campingplatz gehen. Ich plane genau meine Route. Erst zum Imbiss, dann zum Supermarkt, Hotel und dann zum Campingplatz. Irgendwie geht die Zeit um und langsam nähere ich mich dem Ort. Zwischendurch kann ich die Straße kilometerweit vor mir sehen. Eine lange Gerade, unterbrochen durch ein paar Senken. Dieser Ausblick ist immer besonders ernüchternd.

Ich mag nicht mehr.

Meine Füße schmerzen.

Ich habe Hunger.

Es ist kalt. Wenn ich stehenbleibe, kühle ich zu sehr aus. Gemütliche Pausen sind gestrichen.

Bleibt die Landschaft jetzt bis zu meinem Ziel so eintönig, karg und kalt?

Vielleicht laufe ich die ganze letzte Etappe einfach die Straße entlang.

Gegen halb 2 erreiche ich die Hauptstraße durch Kautokeino und steuere direkt auf das einzige Restaurant zu, das ich gefunden habe. Imbiss trifft es allerdings besser, es ist eine Mischung aus Pizzeria, Dönerbude und Burgerladen. Egal, ich entscheide mich für einen Burger. Und nach dem Essen bekomme ich sogar noch einen Kakao ausgegeben, nachdem ich den Kaffee ablehne.

Nach einem Besuch im Supermarkt gehe ich zum Hotel. Ohne weiter darüber nachzudenken, ob das von den Tagen dann noch passt und dass die Übernachtung hier eigentlich viel zu teuer ist, frage ich nach, ob ich bis Freitag bleiben kann. Ich brauche eine Auszeit. Und ich habe tatsächlich Glück. Obwohl die Nacht heute bisher ausgebucht war, wurde wohl ein Zimmer storniert, das ich jetzt haben kann. Und das allerbeste? Das Frühstücksbuffet ist inklusive und soll richtig gut sein. Naja, bei dem Preis… Und es ist eine internationale Hotelkette.

Geschafft!

Ich telefoniere mit meiner Mama und schon als ich anfange, von der aktuellen Situation zu erzählen, kommen mir die Tränen. Da hat sich wohl einiges angestaut, was mal raus musste. Anscheinend ist es doch anstrengender und nimmt mich mehr mit, als ich das tagtäglich so empfinde.

Den Rest des Tages gönne ich mir eine richtige Auszeit und denke nicht mehr über die Wanderung nach. Ich liege auf dem Bett, schaue einen Film und futtere Weintrauben und Chips. Ich freue mich riesig darauf, jetzt zwei ganze Tage frei zu haben.


33,3 km
6:00 h
253 hm
358 hm
501 m