Ich wache mitten in der Nacht auf und es fühlt sich an, als wäre es gleich schon Zeit loszugehen. Dabei ist es erst halb 1. Ich bin aber ziemlich wach. Und als ich nach einer ganzen Weile nicht wieder einschlafe, mache ich mein Hörspiel an. Eine Stunde später bin ich immer noch wach. Wäre es jetzt hell draußen, würde ich zusammenpacken. Aber ich habe keine Lust im Dunkeln zu gehen. Also zähle ich stattdessen im Schein meiner Stirnlampe mein Essen. Am Freitag werde ich wahrscheinlich mein neues Versorgungspaket in Empfang nehmen können, früher als geplant. Daher habe ich noch genug. Ich gehe zum See, hole Wasser und mache das letzte Real Turmat Gericht. Nudeln in Tomatensauce. Jetzt habe ich noch 8 Pakete meiner selbstgemachten Gerichte und 9 meiner Nuss-Rosinen-Mischungen. Und Reste dunkler Schokolade. Ich trinke Tee, schaue in die Karte, schreibe ein bisschen und gegen halb 3 versuche ich nochmal zu schlafen.

Wenn ich im Zelt schlafe, habe ich mir übrigens inzwischen angewöhnt, alle meine Elektronik abends in den wasserdichten Beutel zu meinen Powerbanks und Kabeln zu stecken und diesen zu verschließen. So ist morgens nicht alles so feucht. Das ist nämlich bestimmt nicht gut für die Sachen.

Ich schlafe nochmal ein und jetzt auch gleich bis kurz nach 8 Uhr. Kein Wunder. Als ich das Zelt öffne, schaue ich auf weiß gefrorene Grashalme, Nebelschleier über dem See und darüber blauen Himmel. Das sieht fantastisch aus. Ich trinke Tee und warte, dass die Sonne mein Zelt auftaut und trocknet. Sie versteckt sich aber noch zu sehr hinter den Wolken. Also schüttele ich das Zelt so gut es geht ab und packe alles nass ein.

Um kurz nach 9 Uhr gehe ich dick eingepackt los. Zur Rostahytta geht es jetzt nur bergab, da kann ich mich nicht so gut warmlaufen. Aber der Himmel, die Wolkenbilder und die Aussicht sind einfach toll heute. Solche Augenblicke zaubern mir ein Grinsen ins Gesicht.

Alle paar Minuten ändert sich mein Blick auf die hohen, schneebedeckten Berge. Immer wieder bekomme ich einen neuen, kleinen Ausschnitt zu Gesicht. Ich könnte ein Foto nach dem anderen machen.

Nach etwa 10 Kilometern erreiche ich das Rostadalen, quere die Hängebrücke und komme an der Rostahytta an.

Als es heute Morgen so kalt war, hatte ich richtig Hunger auf warmen Haferbrei und habe daran gedacht, dass ja vielleicht jemand ein paar Haferflocken in der Hütte gelassen hat. Wirklich daran geglaubt habe ich nicht, dass ich so viel Glück habe. Aber das habe ich! Ich finde in einer der Hütten einen Rest Haferflocken und in einer anderen Zimt und Zucker. Also mache ich hier eine frühe Mittagspause und esse Haferbrei, bis ich glaube den nächsten Berg nicht mehr hochzukommen. Damit sollte ich genug Energie haben, um auch die nächste weglose Grenzumgehung zu schaffen, die später noch ansteht. Mal wieder hat die Grenze eine spitze Zacke, die mir im Weg ist.

In der kleinsten Hütte treffe ich auf eine Finnin, die 2 Nächte hier schläft. Ich glaube, sie ist die erste Finnin, die ich in meinem Leben treffe. Sie kommt nach dem Essen nochmal zu mir und fragt mich, ob ich nicht Lust auf Wanderungen in Kanada oder Patagonien hätte. Ihre Freunde würden nicht so weit fliegen wollen. Ich finde es cool, dass sie einfach andere Leute fragt, die auch alleine wandern, aber die Länder stehen nicht auf meiner Liste. Ich möchte lieber weiter Europa erkunden und alles um die Heimat herum.

Als ich wieder aufbreche, treffe ich draußen noch auf eine Norwegerin, die eine Tagestour macht. Als sie mich ganz entgeistert fragt, ob das meine einzigen Schuhe seien und anfängt mir einen Vortrag darüber zu halten, wie wichtig es wäre, meine Knöchel zu schützen, schalte ich meine Ohren auf Durchzug. Als ich erwähne, dass ich jetzt schon über 2.000 Kilometer problemlos mit den Schuhen unterwegs bin, meint sie, dass sie ihre auch schon ein paar Jahre trage. Ich grinse in mich hinein, bin aber still. Ich wünsche ihr noch eine schöne Wanderung und gehe. Nur weil sie sich schon ein paar Mal verletzt hat und froh über ihre Stiefel war, muss das ja nicht auf alle anderen zutreffen. Für mich und meine trainierten Füße ist meine Schuhwahl perfekt.

Weiter geht es von Wegweiser zu Wegweiser. Die ersten stehen gleich im Abstand von nicht einmal einem Kilometer. Die 20 Kilometer zur Gappohytta führen allerdings etwa 4 Kilometer durch Schweden. Ich werde mit meiner Umgehung bestimmt 10 Kilometer mehr brauchen.

Ich bin froh, dass die dunklen Wolken sich auf der anderen Talseite sammeln. Über den Bergen, wo ich herkomme.

Vor mir ist es weiter sonnig und ich gehe direkt auf das Moskángáisi-Massiv zu. Ein toller Blick.

Ich gehe über Gras das Isdalen hinauf. An das letzte Tal mit diesem Namen habe ich keine guten Erinnerungen. Das war nämlich das Tal mit dem Dschungel-Albtraum. Hier ist es tausendmal schöner.

Viele Steinmännchen sind schon mit langen Ästen für den Winter präpariert. Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Schnee in ein paar Wochen so hoch liegt, dass nur noch die Spitze herausschaut.

Links von mir erhebt sich das Isdalsfjella und ich habe lange einen schönen Blick auf diesen hohen Wasserfall.

Was aber noch viel imposanter ist, sind die Berge rechts von mir. Ich bekomme gar nicht genug von ihrem Anblick.

Irgendwann wird mein Weg felsiger und es geht links die Kuppe hinauf. Zum Glück ist in meine Richtung alles schneefrei.

Hier nochmal der grandiose Blick zurück auf meine neuen Lieblingsberge. Wie anders sie doch von dieser Seite aussehen. Vor allem die schneefreie Flanke, die von der anderen Seite noch wie ein einzelner, freistehender Berg aussah.

Aber auch nach vorne taucht bald der nächste hohe Berg auf. Es geht jetzt über Geröll und Felsen.

Es ist noch ein Stück bis zur schwedischen Grenze und eigentlich wollte ich dem Wanderweg bis kurz davor folgen und dann erst abbiegen. Aber jetzt, wo ich das Gelände tatsächlich vor mir habe, entscheide ich mich, schon ein Stück vorher den markierten Weg hinter mir zu lassen. Dann spare ich noch eine Flussquerung und es sieht von hier ganz gut machbar aus. Direkt an dem kleinen See auf 964 Metern biege ich also links ab. Auf geht’s querfeldein. Hoffentlich klappt dieses Mal alles ohne Probleme, zu steile Hänge oder Felswände. Ich hätte eigentlich viel mehr Lust, einfach dem Weg weiter zu folgen. Aber nein – eigentlich auch nicht. Ich schaffe das. Ich möchte eine toughe Amazonenkönigin sein! So motiviert sich Cheryl Strayed in Wild, auf dem PCT nicht aufzugeben. Es ist lustig, das Hörbuch zu hören, während ich selber gerade in einer ähnlichen Situation bin. Nur zum Glück ohne jegliche Probleme drumherum, die sie so mit sich schleppt.

Über das Geröll steige ich ein Stück ab zu dem größeren See auf 901 Metern. Dahinter geht es dann rechts um den steilen Hang herum.

Das klappt alles gut. Auch der Bach, der in dem See entspringt, ist relativ einfach zu queren. Ich bin gespannt, was mich hinter der Ecke erwartet.

Hinter mir verdichten sich die Wolken und verdecken die Schneeberge. Einen kleinen Ausschnitt kann ich aber noch sehen, der von der Sonne angestrahlt wird. Als wenn ich durch eine beschlagene Scheibe gucke.

Vor mir habe ich endlich einen Blick auf den Čorrováhgáisi. Das ist der Berg über den die Grenze verläuft. Also muss ich dort drumherum. Nach oben sieht er ziemlich steil aus, aber so weit will ich da gar nicht hoch. Es reicht ja, wenn ich unten am Hang entlang gehe.

Ich gehe über steinigen Boden, über die riesige Ebene Njearrečahca. Der Weg ist unerwartet einfach und auch den Kompass brauche ich gar nicht. Ich muss ja nur zum Ende des Berges gegenüber kommen, den habe ich die ganze Zeit vor mir.

An seinem rechten Hang und quasi entlang der schwedischen Grenze hat sich eine Wolkenfront gebildet. Da kann sie ruhig bleiben und mich in Ruhe lassen.

Ich muss mich aber immer wieder umdrehen, weil die Wolke hinter mir den Berg immer mehr einhüllt. Das ist vielleicht ein Schauspiel. Bald sieht der Berg wie in Watte eingepackt aus.

Mein Ziel taucht währenddessen komplett aus den Wolken auf. Da möchte ich links herumgehen.

Die Steine werden weniger und der Boden richtig nass und sumpfig. Dabei will ich doch viel lieber die Wolken, den Nebel und die Sonnenstrahlen beobachten, als so angestrengt auf den Boden vor mir zu schauen. Aber ich will ja nicht versinken. Und für eine Pause ist es mir inzwischen zu kalt. Der Wind pfeift mir um die Ohren.

Als ich den Berg erreiche, gehe ich ein kleines Stück den Hang hinauf. Dort ist es nicht mehr so sumpfig. Allerdings zieht der Nebel durch das Tal Čorrlvággi hinauf und ich kann nicht mehr so viel sehen. Gerade jetzt, wo ich nicht weiß, wie steil es wird.

Ich schaue auf die Karte. Es ist inzwischen fast halb 6 und unwahrscheinlich, dass ich es komplett um dem Berg herum schaffe bevor es dunkel wird. Vor allem auch blöd, wenn ich nichts sehen kann. Also versuche ich nur noch, es zu den beiden Seen zu schaffen und suche mir dort einen Zeltplatz. In der Hoffnung, dass es morgen früh klar ist.

Zwischendurch verziehen sich die Wolken. Der Nebel kommt und geht. Das ist der Blick nach links ins Reiersdalen.

Als ich weit genug um den Hang herum bin und einen kleinen, steilen Abstieg hinter mir habe, kommt endlich einer der Seen in Sicht. Perfekt. Nur noch ein bisschen weiter runter und dann habe ich es geschafft.

Zwischen den beiden Seen ist eine große, ziemlich ebene Wiese mit ein paar Felsblöcken. Die sind super als Windschutz geeignet. Ich schaue nach der Windrichtung und suche mir den aus, der mich am besten schützt. Dahinter baue ich mein Zelt auf. Auch hier liegt schon ein klein wenig frischer Schnee. Und heute Nacht soll es ziemlich kalt werden. Mein Satellitengerät zeigt minus 2 Grad an.

Da ich leider hinter einem anderen Felsen ein bisschen Müll finde, muss es auch einen Weg hierhin geben. Das beruhigt mich etwas für den weiteren Weg morgen. Ich habe schon überlegt, dass ich als Alternative, wenn der Berg zu steil wird, ganz runter ins Parasdalen absteigen könnte, wo der Wanderweg zur Gappohytta herführt. Das wäre aber nur eine Notlösung. Eigentlich möchte ich den direkten Weg an der Grenze entlang nehmen.

Bevor ich mich hinlege, packe ich noch meine nassen Schuhe in meinen Rucksack und verschließe ihn. Vielleicht frieren die Schuhe dann nicht ein. Meine Handschuhe nehme ich mit in den Schlafsack, damit sie trocknen. Meine Flasche leere ich aus. Neues Wasser kann ich ja morgen früh im See holen und auf dem Kocher etwas erwärmen. An schreiben ist nicht zu denken mit so kalten Fingern. Also liege ich nach dem Essen einfach im Schlafsack und höre das Hörspiel weiter. Nur zwischendurch luke ich mal aus dem Zelt, ob es vielleicht aufklart und Polarlichter zu sehen sind. Aber es bleibt bewölkt.


25,9 km
6:10 h
948 hm
818 hm
953 m