Als ich aufwache, höre ich als erstes den Regen. Nein, nicht heute! Ich mache mir doch schon die ganze Zeit Gedanken um die Kanufahrt. Da lasse ich lieber die Augen noch zu. Hoffentlich hat es sich bis heute Mittag ausgeregnet.

Wir haben schon soweit alles gepackt und um 8 Uhr gibt es Frühstück. Danach bin ich so vollgegessen und müde, dass ich wieder ins Bett gehen könnte. Noch 10 Minuten hinlegen… Aber mit Wecker, sonst schlafe ich wirklich ein. Es hat zwischendurch aufgehört zu regnen, fängt aber wieder an als wir dann losgehen. Inzwischen ist es halb 10. Wir haben vor, mittags am See zu sein und bis dahin liegen nur 15 Kilometer Straße vor uns. Das geht ja relativ fix.

Es hört bald auf zu regnen und zumindest ist es fast windstill. Wenn es so bleibt, dann ist das okay. Die ersten 3 Stunden sind nichts besonderes. Wir folgen quasi der Straße ins Abenteuer. Sie endet am Namsvatnet und hinter dem See beginnt das Børgefjell. Die nächste Herausforderung für uns. Ein komplett wegloses Gebirge.

Wir haben gestern Abend einen Film-Abend gemacht und North of the sun geschaut. Die Doku über 2 norwegische Jungs, die den Winter über in einer einsamen Bucht im Norden Norwegens surfen wollen und sich eine Hütte aus Sachen bauen, die sie dort finden, ist ziemlich cool. Wortwörtlich. Sie sammeln den ganzen Müll auf, der mit den Wellen angeschwemmt wird und haben am Ende ein paar Tonnen zusammen, die von einem Helikopter abgeholt werden. Beim Gehen schmieden wir jetzt Pläne, dass wir auch mal ein paar Monate in so einer einsamen Bucht leben wollen und denken uns aus, was man dann mit der ganzen Zeit machen kann – ohne Internet und Strom.

Ursprünglich wollten wir beide auf dem Weg noch einen Gipfel mitnehmen, den Dergaklumpen. Der ist aber sowieso in den Wolken verschwunden, da würde man nichts sehen. Also geht’s einfach die Straße weiter.

Vorbei an einzelnen Häusern und Höfen. Mit bunten Vorgärten.

Und zur Anlegestelle. Da geht es gleich rüber über den großen See.

Unsere Kanus liegen schon bereit, das ist echt super. Wir haben Mikael auch noch ein bisschen Geld dafür gegeben, dass er sie wieder zurückholt am anderen Ende. Er wollte nichts haben, aber zumindest zu Spritgeld für Auto und Boot konnten wir ihn überreden. Heute morgen haben wir nur glatt vergessen, die Kanus zu bezahlen. Also rufen wir Hilde nochmal eben an, dass sie uns ihre Kontodaten schickt. Sie hat es selber heute morgen auch vergessen, als wir die Übernachtung bezahlt haben, dabei hat sie vorher schon den Verleih für uns bezahlt. Aber jetzt ist ja alles geklärt.

Bevor wir uns an die Überfahrt machen, wollen wir noch was essen. Als ich von der Toilette wiederkomme, steht Markus mit einem norwegischen Mädel da und quatscht. Sie lädt uns gleich ein, uns dazuzusetzen. Sie und ihr Mann haben ein Feuer gemacht in dem kleinen Holz-Pavillion. So lernen wir Kaja aus Norwegen und Simon aus Belgien kennen, beide Anfang 30. Kaja ist vor 5 Jahren auch Norge på langs gewandert, für Simon ist dies seine erste längere Wanderung. Ursprünglich wollten sie 2.000 Kilometer in 100 Tagen wandern, nach Knieproblemen machen sie jetzt langsamer und wollen einfach nur draußen sein und die Natur genießen. Ihr Ziel ist das Dreiländereck Norwegen, Schweden, Finnland. Wir verstehen uns gut und quatschen übers Wandern, Ausrüstung und unsere Routen. Alle schwärmen so vom Norden, da bin ich schon richtig gespannt drauf. Und den größten Sumpf haben wir wohl inzwischen hinter uns.

Nachdem unsere Pause jetzt viel länger als geplant ausgefallen ist, wollen wir mal los. Aber solche Begegnungen sind einfach super. Simon und Kaja haben dasselbe Ziel, allerdings haben sie das Motorboot-Taxi bestellt. Sie wussten nicht, dass man sich Kanus leihen kann und hätten jetzt auch viel mehr Lust rüberzupaddeln. Aber so kurzfristig abzusagen ist blöd. Also machen sie noch ein paar Fotos von uns und verabschieden sich, vielleicht sehen wir uns auf der anderen Seite ja wieder.

Wir haben uns entschieden, nur ein Kanu zu nehmen. Die großen Kanus sind alleine echt schwer zu steuern und wir haben ungefähr 12 Kilometer vor uns. Ich habe überhaupt kein Gefühl, wie lange wir dafür brauchen. Bestimmt mindestens 4 Stunden. Die Rucksäcke verstauen wir in der Mitte, zurren sie fest und verpacken alle Elektronik wasserfest. Markus sitzt hinten und steuert und ich paddele vorne. Fertig? Jetzt werden mal die Armmuskeln gefordert und die Beine können sich ausruhen. Los geht’s!

Ich brauche ein kleines bisschen, um ein Gefühl für das Wasser zu bekommen und wir müssen uns erstmal aufeinander einstellen. Gesteuert wird hinten mit der gelegentlichen Frage von vorne, ob der Kurs Absicht sei oder die Felsen vor uns auch gesehen wurden. Aber wir bekommen das gut hin.

Wir haben echt Glück mit dem Wetter. Die ganze Fahrt über bleibt es trocken und es ist nur leicht windig. Bei mehr Wind sollten wir uns am Ostufer halten. Aber so können wir auch rüber zum Westufer und dann daran entlang fahren. Dazu müssen wir allerdings einmal quer rüber und der See ist breit. Da ist mir zwischendurch schon ein klein wenig mulmig zumute. So ein großes, dunkles Gewässer hat immer etwas unheimliches, finde ich. Auch die kleinen Wellen bringen das Boot zum Schaukeln und die Wellen vom vorbeifahrenden Motorboot mag ich gar nicht. Wir sehen zu, dass wir schnell in die Nähe des Ufers kommen. Da ist das Wasser ruhiger.

Wir wechseln immer mal die Seite, ich paddele links, Markus rechts. Nach einem Kilometer dann andersherum. Ich merke meine Arme relativ schnell, vor allem links. Rechts ist meine starke Seite, da nicht so. Zwischendurch paddeln wir eher entspannt, dann geben wir wieder mehr Gas. Ich bin erstaunt, wie schnell wir vorwärts kommen. Für die ersten 5 Kilometer brauchen wir knapp eine Stunde. Etwas nach der Hälfte legen wir kurz an für eine Pieselpause. Wir kommen immer wieder an Hütten und Anlegestellen vorbei.

Das Wasser ist so klar, dass wir häufig den Grund sehen können. Manchmal liegen große Felsen im Wasser und ich kriege ein paar Mal einen Schreck, wenn diese plötzlich auftauchen und wir so nah daran vorbei fahren. Es ist genug Platz, wir liegen ja nicht tief im Wasser, aber durch die Lichtreflexionen kann man das manchmal nicht direkt so gut erkennen.

Wir manövrieren das Boot um Landzungen herum und können einige Wasserfälle beobachten. In den großen Buchten gegen Ende ist das Wasser ganz glatt und es gibt keine Wellen mehr. Da fühle ich mich am wohlsten. Wir hören das Rauschen des riesigen Wasserfalls Storfossen schon von weitem. Hoffentlich kommen wir nicht in eine starke Strömung, wo der wilde Fluss in den See mündet. Da fahren wir lieber einen großen Bogen.

Und dann ist es geschafft. Juchhu! Ich habe mir so viele Gedanken gemacht vorher und jetzt klappte alles ganz reibungslos und richtig gut. Für die 13 Kilometer haben wir 2:40 Stunden gebraucht. Ich hatte mit viel mehr gerechnet. Es war definitiv die richtige Entscheidung, nur ein Kanu zusammen zu nehmen. Sonst hätten wir locker doppelt so lange gebraucht. Mit Kajaks wäre das was anderes gewesen, aber da waren wir nicht sicher, ob wir die Rücksäcke unterbekommen. Also, alles richtig gemacht.

Als wir am Steg anlegen, kommen Kaja und Simon winkend angelaufen. Sie schleppen eine ganze Menge Fotoausrüstung mit auf ihrer Wanderung. Kaja ist Fotografin und sie filmen viel. Eine Vollformat-Kamera mit Wechselobjektiven und auch eine Drohne, die über uns schwebt, als wir anlegen. Ich bin gespannt auf die Aufnahmen. Die beiden haben schon auf uns gewartet und immer geschaut, wann sie uns endlich sehen.

Achja, bei der ganzen Aufregung um die Kanufahrt habe ich eine Sache ganz vergessen – ich habe heute Halbzeit! Ein Grund zu feiern. Obwohl, so ganz sicher bin ich mir da nicht. Bis vor ein paar Tagen schon. Aber inzwischen möchte ich lieber noch nicht schon die Hälfte geschafft haben, die Zeit geht so wahnsinnig schnell um. Jetzt nochmal dasselbe und dann ist die Tour schon zu Ende… Aber okay, ich freue mich trotzdem schon soweit gekommen zu sein und jede Menge Hindernisse gemeistert zu haben. Ich habe zig Abenteuer erlebt, tolle Menschen kennengelernt und neue Freunde gefunden. So kann es weitergehen 🙂 Mein errechneter Mittelpunkt aus den schon zurückgelegten und noch geplanten Kilometern liegt bei 1.425 Kilometern. Das stimmt aber nur so ungefähr, da noch viele weglose Abschnitte folgen und ich da keine genaue Route habe. Wahrscheinlich werde ich am Ende schon bei über 2.900 Kilometern landen. Bisher liege ich auch fast immer über den geplanten Kilometern.

Ein kleines Stückchen hinter dem Steg steht ein Unterstand. Es ist super schön und gemütlich. Kaja und Simon haben schon ein Lagerfeuer gemacht. Hier bleiben wir und werden unsere Zelte in der Nähe auf einer Lichtung aufstellen.

Wir sitzen zu viert um das Feuer herum und haben einen echt tollen Abend. Essen, reden, ins Feuer schauen. Markus und ich haben beide aus dem Supermarkt gestern noch Kanel Gifflar, kleine Zimtschnecken, die wir mit allen teilen. Eine schwedische Spezialität. Kaja und Simon werfen zwischendurch mal die Angel aus, haben aber kein Glück. Es gibt echt viele Norweger, die eine Angel mitschleppen, auch bei so langen Wanderungen. Außerdem klären wir auf, dass Stockbrot anscheinend nicht typisch deutsch ist – und auch nicht typisch norwegisch. Das gibt es in beiden Ländern gleichermaßen. Hier heißt es Pinnebrød. Und ich dachte, das gäbe es nur bei uns.

Dann machen wir noch einen kleinen Ausflug zum Wasserfall, den wir die ganze Zeit tosen hören. Natürlich geht’s durch den Sumpf, das war es dann mit trockenen Füßen. Aber die hatte ich ja auch jetzt lange genug 😉 Wird mal wieder Zeit. Wir können tatsächlich direkt bis an den Rand klettern und noch ein Stückchen auf die rutschigen Felsen. Der Wasserfall ist gigantisch! Wir sind alle total fasziniert und freuen uns, dieses Erlebnis miteinander teilen zu können.

Was allerdings weniger toll ist, sind die Mückenscharen. Ich sammele ein paar Stiche auf meinen Wangen und am Hals. Schnell zurück zum Feuer, da ist es ein wenig besser. War es zumindest vorher, jetzt scheinen die Mücken uns verfolgt zu haben. Wir legen nasses Holz und Tannennadeln auf das Feuer, damit es mehr qualmt. Das mögen die Mücken nicht. So können wir dann noch ein bisschen draußen sitzen. Gegen halb 10 ist aber so langsam Schlafenszeit für alle müden Wanderer.

Das war so ein super schöner Tag! Ein toller Tag zu meiner Halbzeit und als Auftakt zum Børgefjell. Ganz unerwartet und deswegen wahrscheinlich nochmal doppelt so schön.


28,9 km
6:00 h
215 hm
190 hm
507 m