Ich hatte die ganze Nacht mein Außenzelt offen und kann so morgens direkt die Berge sehen. Darüber Wolken und ein bisschen blauen Himmel. Kein Regen, keine Mücken, das verspricht ein schöner Tag zu werden. Es ist nur ziemlich kalt ohne Schlafsack. Wahrscheinlich nicht viel über null Grad. Das Olivenöl in meinem Rucksack ist zumindest fest und nicht mehr flüssig. Ich ziehe Mütze, Buff und Handschuhe über. Aber die Regensachen können endlich mal im Rucksack bleiben. Es fühlt sich gut an in normalen, dünnen Sachen loszugehen.

Nochmal kurz beratschlagen, welche Route wir nehmen – natürlich oben durch die Berge. Bei dem Wetter ist das ja gar keine Frage, es soll nämlich noch schöner werden und trocken bleiben. Und morgen ist dann Sonne pur angesagt. Ich freue mich! Und ich freue mich gleich nochmal. Markus, der jetzt nicht gerade auf viele Höhenmeter steht, macht mir einen Vorschlag, der mich etwas erstaunt. Ob ich Lust hätte auf einen Gipfel zu steigen, wenn wir schon da oben hergehen. Was für eine Frage – ich bin doch die Gipfelstürmerin 🙂 Er hat auf der Karte den höchsten Berg nach dem Gletscher herausgesucht und wollte mich damit überraschen. Von da hat man bestimmt eine prima Aussicht. Und viele Höhenmeter sind es auch überhaupt nicht.

Um kurz nach 9 Uhr sind wir startklar. Ob wir heute wirklich mit trockenen Füßen durch den Tag kommen? Wir stellen den Kompass ein. Erst geht es noch ein Stückchen am Fluss entlang.

Dann gehen wir schräg den Berg hoch, auf die Ebene zwischen Steintinden und Govlektinden. Wir peilen die Südost-Spitze des Sees Steinvatnet an und schlängeln uns durch die vielen kleinen Seen rechts davon.

Die Landschaft ist wunderschön. Heute sind wir fast den ganzen Tag über 1.000 Meter hoch, das finde ich super. Man sagt, dass man wegen des Klimas noch 1.000 Höhenmeter dazurechnen muss, wenn man die Gebirge hier mit den Alpen vergleichen will.

Der Boden ist überwiegend trocken und das Gelände ist einfach zu gehen. Ringsherum schauen wir auf schneebedeckte Berge und hinter dem nächsten Hügel entdecken wir wieder einen neuen See. Blau schimmernd oder weiß gefroren.

Zwischendurch müssen wir immer wieder über ganze Felder mit durcheinander gewürfelten Felsblöcken laufen, balancieren und hüpfen. Ich mag das. Die Felsen sind überwiegend trocken und griffig.

Bevor es noch weiter hinauf geht und windiger wird, halten wir Ausschau nach einem schönen Pausenplatz. An dem namenlosen See auf 1.052 Meter Höhe sehe ich schon beim Näherkommen eine große, glatte Felsplatte direkt am Wasser. Da möchte ich hin. Bingo! Ich habe einen neuen Lieblingsplatz, es ist traumhaft schön. Die Sonne scheint, das Wasser ist glasklar und wo es tiefer ist, leuchtet es richtig türkis. Das sieht ja aus wie in der Karibik. Die Sonnenstrahlen tanzen in Streifen über die Felsen unter Wasser und kleine Tierchen sorgen für Ringe auf der Wasseroberfläche. Hier essen wir was und liegen in der Sonne.

Am liebsten würde ich den ganzen Tag hier liegen bleiben.

Aber es geht ja noch weiter, der Gipfel ruft. Ich bin schon gespannt, ob wir auf dem Weg an Gletscherresten vorbeikommen. Auf der Karte sind welche eingezeichnet, auf der Ostseite von Flåfjellet und Govlektinden, bis runter in die Senke, wo wir hergehen wollen. Wir peilen nun direkt den Gipfel des Somaklumpen an. Es geht über Gras, Moos und Steine aufwärts.

Und dann liegt der angepeilte Berg vor uns. Das sieht definitiv machbar und nicht so schwierig aus zum Gipfel zu kommen.

Erst geht es aber noch durch eine Senke und über ein paar Schneefelder. Das rötliche Moos ist ein richtig starker Kontrast zu der restlichen grau-weißen Landschaft und sieht fast fehl am Platz aus.

Dann geht es endlich hoch. Links am großen Felsen vorbei und steil hinauf über Gras und Fels. Ich spüre schon die Anziehungskraft des Gipfels und mein Grinsen wird immer breiter. Da kann ich gar nichts gegen machen. Ich werde immer schneller und komme völlig außer Atem oben an. Juchhu! Endlich mal wieder ein Gipfel. Und das bei tollem Wetter und mit einer grandiosen Aussicht. Ein Freudenschrei in die Weite und als Zeichen für Markus, dass ich schon oben bin. Gipfelglück auf dem Somaklumpen auf 1.257 Metern.

Wir können sogar ein paar Gletscher sehen. Hier zum Beispiel der am Kvigtinden.

Wer übrigens den Somaklumpen nicht auf der Karte findet – wir haben den Berg so benannt, nach unseren Anfangsbuchstaben und mit einer typisch norwegischen Endung für Berge. Nun ist der Gipfel zumindest auf unseren beiden Karten nicht mehr namenlos. Allerdings wurden wir darauf hingewiesen, dass es in Nationalparks verboten ist, Steinmännchen zu bauen. Das ist wohl richtig! Also bitte nicht nachmachen. Die Steine sind Lebensraum für Pflanzen und winzige Tiere und sollten nicht bewegt werden.

Wir sind ganz erstaunt, als noch ein Wanderer den Berg hinaufkommt, aus nördlicher Richtung. Ein junger Norweger, der an seinem langen Wochenende einfach ein paar Tage durchs Børgefjell laufen wollte mit Zelt und Angel. Wir quatschen eine Weile, er möchte auch irgendwann mal Norge på langs laufen. Dann machen wir uns aber mal an den Abstieg, es ist doch ganz schön windig hier oben und meine Hände sind schon wieder richtig kalt.

Die Ostseite der Berge scheint hier die kälteste Seite zu sein. Beim Abstieg liegen zwei riesige Schneefelder vor uns. Der Schnee ist fest, aber ziemlich rutschig. Das erste kommen wir noch auf den Füßen runter, mit vorsichtigen Schritten und schlitternd.

Beim zweiten, das noch steiler ist, setze ich mich lieber direkt auf den Hintern und rutsche hinunter. Das ist sicherer und macht mehr Spaß. Unten angekommen, kann man gut unsere beiden Spuren sehen.

Dann geht es seichter weiter, runter, an Seen vorbei, wieder ein Stück rauf und über diese endlos weite Ebene am Fuße des Reinfjella.

Wir halten schonmal Ausschau nach einem Zeltplatz. Allerdings ist das schwierig. Der Boden ist buckelig und uneben oder zu nass. Es wird wieder sumpfiger, je tiefer wir kommen.

Wir haben zwar wieder nicht so viele Kilometer geschafft heute, aber den Tag richtig genossen. Auf den Felsblöcken kommt man nicht so schnell vorwärts und wir haben lange Pausen gemacht. Der Tag war einfach super schön und es war genau die richtige Entscheidung, den Weg obenherum zu nehmen.

Wir peilen nun den Rentierzaun unterhalb vom Råtnoennjuenie an. Ich finde es ja lustig, dass die Rentierzäune in den Wanderkarten eingezeichnet sind. Das sind immer gute Punkte zur Orientierung. Beim letzten steilen Abstieg merke ich mein Sprunggelenk wieder. Links innen, dieselbe Stelle, die nach dem ganzen Schnee in Skarvheimen so weh tat. Wahrscheinlich durch das unebene Gelände, das schiefe Gehen auf den vielen Felsblöcken und den jetzt weichen Boden, wo man ein bisschen einsinkt. Zeit, einen Schlafplatz zu finden und den Füßen Ruhe zu gönnen.

Wir finden eine Stelle, um den Bach mit trockenen Füßen über Steine zu queren. Dahinter ist eine relativ ebene und trockene Wiese, direkt vor dem Zaun. Da stellen wir die Zelte auf. Perfekt. Glücklich über den schönen Tag, aber auch ziemlich erschöpft. Es ist so ein schönes Gefühl, die Schuhe am Ende des Tages auszuziehen und einfach lang auf dem Rücken zu liegen. Wenn ich abends in den Ruhemodus schalte, dann wollen meine Füße auch am liebsten nicht mehr bewegt werden. Ich gehe nochmal zum Bach, um Wasser zum Kochen zu holen, dabei fühle ich mich 50 Jahre älter. Meine Beine sind steif und die Füße schmerzen. Das habe ich oft abends, wenn ich nochmal aufstehe. Morgens oder nach Pausen ist das kein Problem. Als ob der Körper ganz genau weiß, dass da gelaufen wird und abends Zeit zur Regeneration ist.


18,0 km
5:50 h
550 hm
516 hm
1.267 m