Es war ganz schön kalt heute Nacht. Und morgens wird es ziemlich windig. Aber mein Zelt steht stabil. Ich liege ewig im Schlafsack. Irgendwann höre ich Geräusche. Ich denke zuerst an Radfahrer, ich habe gestern nämlich ein paar Reifenspuren gesehen. Aber wieso sollten sie durchs Wasser fahren und nicht über die kleine Brücke? Ich spähe doch mal aus meinem Zelt. Und sehe gerade noch, wie die letzten Rentiere der Herde durch den Bach laufen und dann verschwinden. Wow, sie waren ganz nah, sie haben mich ja nicht gesehen.

Ich packe zusammen und koche schonmal mein Essen für mittags. Ich habe nur noch 2 Gerichte im Rucksack, dann muss ich morgen in Røkland einkaufen. Es gibt Bulgur mit Brokkoli und Erbsen. Und heute Abend Kartoffelpüree mit Spinat. Bis ich mit allem fertig bin, ist es 10 Uhr.

Der Weg geht so schön und einfach weiter wie gestern Abend. Dazu blauer Himmel und Sonne.

Der obere See da hinten ist schon der Anfang des großen Nordre Bjøllåvatnet. Das sieht gut aus, der See liegt eine ganz Ecke höher als der kleine See vorne.

Nach einem kurzen, steilen Anstieg habe ich dann einen besseren Blick auf den großen See. Und sowieso begleitet er mich jetzt ein paar Stunden, ich laufe einmal komplett daran entlang. Links von mir immer wieder kleine Bäche und Wasserfälle, rechts der See. Der Weg führt lange ziemlich nah am Ufer entlang.

Es ist einfach so schön, dass ich meinen Rucksack abstelle und mich eine Weile ans Wasser setze. Heute ist ja Sonntag, da muss man sich nicht überanstrengen. Bei dem Weg und Wetter heute ist das einfach ein richtig schöner Sonntags-Sonnen-Spaziergang.

Etwa auf halbem Weg um den See komme ich wieder an einer Steinstua vorbei. Im Notfall hat man hier alles, was man braucht.

Der Weg geht ein bisschen höher am Hang weiter. Das Wasser leuchtet so strahlend blau und der helle Streifen sieht richtig gut aus. Einfach ein Traum.

Dann geht es wieder runter zur Bjellåvasstua. Hier wollte ich ursprünglich übernachten, aber das war mir gestern zu weit. Ich muss irgendwann nochmal wiederkommen. Es gefällt mir so gut und auch die Hütte ist ganz gemütlich.

Schon als ich näherkomme, sehe ich, dass draußen auf der Bank jemand sitzt. Ich lerne Julia, Aurelien und seine Schwester kennen. Sie wollen gerade Mittags-Picknick machen und laden mich ein, mich dazuzusetzen. Ich wollte sowieso hier Pause machen, das passt gut. Wir unterhalten uns die ganze Zeit super. Julia ist Spanierin, aus Gran Canaria, und Aurelien und seine Schwester sind Franzosen. Allerdings haben sie schon überall auf der Welt gelebt. Julia und Aurelien wohnen inzwischen in Bodø und seine Schwester lebt in Australien. Sie wollte eigentlich gar nicht so lange bleiben, wohnt aber jetzt seit 14 Jahren in Melbourne. Sie sprechen alle perfekt Englisch und meistens auch untereinander, das macht es mir einfach, mitzureden. Ich bekomme einen Pfannkuchen mit Zimt und Zucker ab, lecker! Und bevor wir uns verabschieden, geben sie mir noch ihre Nummer. Falls ich weiter im Norden mal Hilfe bräuchte. Manchmal ist es ja etwas einfacher, wenn man jemanden fragen kann, der sich im Land besser auskennt. Das ist super lieb!

Die 3 machen sich auf den Weg zum Auto, sie haben nur ein Wochenende hier verbracht. Und ich gehe auch weiter, aber in die andere Richtung. Allerdings gibt es kurze Zeit später schon die nächste Pause. Ich kann einfach nicht widerstehen, das Wasser sieht so einladend aus zum Baden. Als ich weit genug von der Hütte weg bin, ziehe ich mich aus und schwimme eine Runde. Ganz schön kalt, aber so schön! Kurz im Wind trocknen lassen und dann schnell wieder anziehen. Ich habe vor der Tour ewig überlegt, was für ein Handtuch ich mitnehme und welche Größe. Im Endeffekt habe ich gar keins dabei und habe es auch noch nie vermisst. Wenn man das Wasser einfach mit den Händen abstreift und sich noch feucht wieder anzieht, ist man ruckzuck wieder trocken und warm.

Jetzt geht der Weg nach oben und weg vom See. Über eine sumpfige Wiese, ein paar Bäche und hoch ins Kjørdalen.

Hier wird es felsiger und gefällt mir auch richtig gut. Die Aussicht ändert sich und es sind ein paar hohe Berge, zum Teil mit einer ganzen Menge Schnee bedeckt, zu sehen.

Der Wanderweg führt weiter nach unten ins Saltdalen. Den könnte ich theoretisch auch nehmen und unten im Tal dann der Straße nach Røkland folgen. Oder ich hätte hinter der Bjellåvasstua schon einen anderen Weg nehmen können, der auch zur Jordbruhytta führt. Ich habe aber von einer Abkürzung gelesen, die einfach querfeldein führt. Damit spare ich noch ein paar Kilometer. Also biege ich ab und folge nicht weiter den roten Markierungen.

Sondern gehe einfach so runter zum See Hessihompvatnet. Für den ersten Teil brauche ich nicht einmal meinen Kompass. Die Orientierung ist richtig einfach. Zum See und dann westlich daran entlang bis zum nördlichen Abfluss. Ich hoffe, da komme ich gut rüber über den Fluss.

Unten am See angekommen, steht dort diese winzige Hütte. Sieht aus, wie ein kleiner Bootsschuppen. Etwas weiter steht eine größere Hütte. Und auch auf der anderen Seite des Sees kann ich eine Hütte erkennen. Bestimmt Ferienhäuser von Anglern.

Ich komme an einigen super schönen Zeltplätzen vorbei. Hier hätte man seinen eigenen kleinen Strand. Aber ich will es heute auf jeden Fall bis zur Hütte schaffen.

Als ich fast um den See herum bin, sehe ich auf einem Hügel Menschen stehen. Na sowas, ich gehe einfach querfeldein und plötzlich steht da eine ganze Gruppe. Hinter einem Felsen treffe ich auf einen Mann mit 2 Kindern. Sie haben alle Angeln in der Hand und steigen gerade in ein kleines Ruderboot. Der Mann fragt, was ich mache und erklärt, dass der Weg zur Jordbruhytta recht einfach sei von hier. Ich solle mich nur möglichst lange oben halten, damit ich nicht so viel durch Sumpf stapfen muss. Das kenne ich ja schon. Dann fragt er, ob ich Fisch möge. Ich solle einfach den anderen zu Hütte folgen, dann könnte ich frisch gefangenen Fisch bekommen für ein schönes Abendessen. Na gut, das lasse ich mir nicht entgehen. Das hat ja hier absolut nichts mit Massentierhaltung zu tun. Und da wir im Nationalpark sind, dürfen nicht mal Motorboote auf dem See fahren, sauberer geht es also wahrscheinlich gar nicht.

Ich solle direkt hier am See bleiben, um den Fluss zu überqueren, weiter unten würde es schwierig. Also mache ich das. Und muss tatsächlich auch gar nicht durchs Wasser, da genug Steine aufgeschichtet sind. Ich hole einen anderen Mann mit noch 2 Jungs ein. Es stellt sich heraus, dass die beiden Männer Cousins sind. Ihr Opa hätte die Hütte Anfang 1900 gebaut und sie kommen ziemlich häufig zum Angeln her. Sie genießen die Zeit hier draußen ohne Handyempfang. Die Hütte liegt nur 500 Meter entfernt und er nimmt mich mit in einen Schuppen. Die Fische hätten sie heute gefangen, ich solle mir einfach nehmen, was ich möchte. Okay, öfter mal was neues. Ich stehe vor einer Reihe von Fischen, die an Nägeln von der Decke hängen. Gut, dass sie schon ausgenommen sind, sonst hätte ich damit gar nichts anfangen können. Ich muss mich kurz überwinden, den ersten Fisch vom Haken zu nehmen, will mir aber auch nichts anmerken lassen. Für die Leute hier ist das ja nichts besonderes. Ich bekomme eine Tüte und packe mir 2 Fische ein.

Inzwischen ist auch der andere Mann im Ruderboot angekommen. Wir quatschen noch eine Weile, ich bedanke mich und sie wünschen mir einen guten Weg. Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich hier überhaupt auf Menschen treffe, wenn ich den Weg verlasse. Und dass ich dann noch ein Festmahl für heute Abend geschenkt bekomme, das ist echt super. Und überhaupt ist es einfach toll, dass man hier nicht komisch angeschaut wird, wenn man sich nicht an die Wege hält. Für die Norweger ist es völlig normal, wenn man irgendwo im Fjell herumläuft.

Für den weiteren Weg hole ich jetzt doch meinen Kompass raus. Es geht abwechselnd über Felsen und Wiese. Zwischendurch ist es mal ein bisschen sumpfig, aber nur ein paar Schritte.

Manche Berge in der Ferne habe eine echt lustige Form.

Es geht immer wieder ein paar Schritte hoch und wieder runter. Auf den Felsbuckel drauf und wieder über nasse Wiese durch die Senke zum nächsten. Ganz schön anstrengend. Ich muss durch ein paar Schluchten, wo ich mir erstmal einen Weg suchen muss.

Aber trotz Anstrengung ist es einfach immer noch total schön hier. Nach den letzten Felsplatten wird es grüner und ich peile eine Stelle an, wo die Bäche im Breidalen sich vereinen. Dann muss ich das Wasser nur einmal queren.

Jetzt gehe ich zwischen Birken her und es wird ein bisschen sumpfiger. Ich weiß zwar nicht genau warum, aber ich bin plötzlich total fertig und kaputt. Auf einem trockenen Stück Wiese stelle ich meinen Rucksack ab, knie mich daneben und lege meinen Kopf darauf ab. So sitze ich ein paar Minuten da. Das kann doch eigentlich nicht von dem ganzen Auf und Ab kommen, das bin ich doch inzwischen gewohnt.

Weiter geht’s, weit dürfte es nicht mehr sein. Und unterwegs finde ich auch eine kleine Stärkung. Also eigentlich ganze Felder davon. Mir ist schon aufgefallen, dass die Moltebeeren häufig dort wachsen, wo es sumpfig ist. Da wo der Boden trocken ist, laufe ich durch Blaubeeren. Sie sehen reif aus, könnten allerdings noch mehr Sonne vertragen. So richtig süß sind die Beeren noch nicht.

Es geht hinab. Links durch den Wald und bis zum Fluss Russåga. Der Fluss verläuft über einen Kilometer lang unterirdisch und es gibt eine ganz Menge Höhlen in diesem Gebiet. Die Angler haben mir erzählt, dass die Jordbruhytta oft von Höhlentauchern benutzt wird.

Ich höre den Fluss schon, stehe aber vor einem Abhang aus großen, moosbedeckten Felsen. Ich klettere ganz vorsichtig hinab, da das Moos auch die ganzen Zwischenräume und Spalten bedeckt und ich nicht sehe, wo ich einen festen Tritt habe.

Jetzt nur noch den Fluss queren. Einfacher gesagt, als getan. Ich stehe eine Weile davor und betrachte das Wasser. Das ist ganz schön tief. An manchen Stellen könnte ich wahrscheinlich gar nicht mehr stehen. Und die grünen Steine auf dem Grund sehen super rutschig aus.

Also klettere ich rechts am Rand über die Felsen und schlage mich durchs Gestrüpp. Da hinten wird der Fluss breiter und hoffentlich flacher. Stromschnellen gibt es aber trotzdem überall. Nach einer gefühlten Ewigkeit finde ich eine Stelle, wo ich zumindest nicht weiter als bis zu den Oberschenkeln ins Wasser muss. Ganz vorsichtig, die Steine sind nämlich durch das Moos wirklich rutschig wie Eis. Ich teste immer erst, bevor ich meinen Fuß abstelle und den nächsten Schritt mache. Ich brauche lange so, aber ich komme heile drüben an. Das ist die Hauptsache. Meine Sachen kann ich ja gleich in der Hütte trocknen. Die müsste ein paar Meter über mir im Wald liegen.

Geschafft! Ziemlich fertig komme ich an der Jordbryhytta an. Sonst ist niemand da. Da habe ich die Hütte heute wohl für mich alleine. Inzwischen ist es halb 7.

Die Hütte gefällt mir. Ich nehme erstmal den Eimer und hole unten am Fluss Wasser. Dann mache ich den Kamin an, drinnen zeigt das Thermometer nur 13 Grad.

Nachdem ich trockene Sachen anhabe, bereite ich mein Festmahl zu. Da habe ich mich schon den ganzen Weg drauf gefreut. Ich brate den Fisch in der Pfanne an. Vorsichtshalber mache ich trotz Mücken das Fenster auf, aber der Fisch ist so frisch, dass man gar nichts riecht.

Der erste wird ein bisschen trocken. Der zweite gelingt mir perfekt und ist super saftig. Zum Glück hat Papa uns früher Zuhause schon beigebracht, wie man einen ganzen Fisch filetiert. So weiß ich, wie man das Fleisch am besten von den Gräten abbekommt. Und das geht auch richtig gut. Das habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht. Es ist übrigens Seesaibling, wie ich später herausfinde. Und schmeckt super!

Draußen höre ich Motorengeräusch. Nanu, wer kommt denn da? Es ist ein älterer Mann auf einem Quad. Er hält vor der Hütte an und ich gehe raus zu ihm. Ich unterbreche seinen Redeschwall und sage auf Norwegisch, dass ich kein norwegisch spreche. Da grinst er mich nur an und sagt wahrscheinlich sowas wie, dass ich es doch könne. Und redet weiter. Ich verstehe, dass er auf einem Bergbauernhof in der Nähe lebt und wohl den Rauch gesehen hat. Er will mir irgendetwas zur Tür und dem Schloss mitteilen. Vielleicht, dass ich morgen früh wieder ordentlich abschließen soll? Dann verabschiedet er sich mit „God tur videre“. Das verstehe ich inzwischen, bekomme ich es doch ziemlich häufig zu hören.

Was für ein toller Tag mit netten Begegnungen, schönen Wegen, ein bisschen Abenteuer und leckerem Essen. Ich bin rundum glücklich.


24,8 km
5:40 h
517 hm
872 hm
856 m