Heute geht es nach Bregenz, zum Bodensee, die letzte Etappe auf dem Nordalpenweg. Ich gehe früh los. Zum einen stehen mir über 30 Kilometer bevor und zum anderen möchte ich noch ein bisschen Zeit zum Baden haben. Papa hat mir eine schöne Badestelle an der Bregenzer Ach empfohlen, die meine Eltern mal bei einer Radtour entdeckt haben. Und ich möchte auch unbedingt in den Bodensee springen, wenn ich da bin. Heute soll passenderweise der schönste Tag der Woche werden, mit ganz viel Sonne.

Um kurz nach 6 Uhr gehe ich los. Die Sonne versteckt sich noch hinter den Bergen, taucht den Himmel und die Wolken aber schon in schöne Farben.

Das wird ein perfekter Tag.

Ich komme an der Lustenauer Hütte vorbei und steige durch den Wald ab nach Bödele. Richtung Gaißkopf geht es wieder ein bisschen hinauf, dann weiter runter nach Alberschwende. Der Nordalpenweg ist hier nicht extra markiert und es gibt auch nirgendwo einen Hinweis, dass man sich auf dem Nordalpen- bzw. 01er Weg befindet. So ein Schild habe ich jetzt schon länger nicht gesehen, ich glaube, seit ich in Vorarlberg bin. In den vorherigen Bundesländern stand die Nummer oft mit auf den normalen Wander-Wegweisern. Also lese ich zwischendurch immer wieder im Wanderführer nach und versuche, dem Weg aus dem Text zu folgen. Das funktioniert nicht immer so gut, nach Alberschwende soll man zum Beispiel den Sagenweg nehmen. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten abzusteigen und auf den Schildern steht nirgendwo etwas von Sagenweg. Hauptsache ich komme an. Und die Wege sind auch ganz schön. Ich gehe immer wieder durch Wald und über Wiesen.

In Alberschwende mache ich kurz einen Abstecher zum Bäcker und lasse mir in einem Restaurant noch einen Stempel geben. Dann folgt der letzte Anstieg. Auf der Straße geht es nach Hinterfeld, dann mitten über die Wiese steil bergauf über Abendreute nach Buggenegg. Ich komme schweißgebadet oben an, das war anstrengend. Aber trotzdem freue ich mich über die kurze Abwechslung, wo es doch sonst nur runter geht heute. Wieder auf der Straße angekommen, überholt mich ein Radfahrer und ruft mir zu, dass ich die Höhenmeter fast geschafft habe.

Dann geht es auf der Straße in Serpentinen abwärts. Am Gasthof Dreiländerblick vorbei, wo ich schon mal einen Ausblick auf mein morgiges Ziel habe oder zumindest in die Richtung.

Es geht weiter durch den Wald bergab und noch durch ein paar winzige Ortschaften. Nach über 5 Stunden Gehzeit steht endlich Bregenz auf dem Wegweiser.

Kurz darauf erreiche ich die Bregenzer Ach. Ich brauche jetzt nur noch dem Fluss folgen und schon bin ich am Ziel.

Naja, ganz so schnell geht es nicht. Der Weg zieht sich noch echt lange. Über einen Schotterweg geht es am Fluss entlang. Links von mir Häuser, Spielplatz oder Bäume, rechts Bäume und dahinter der Fluss. Das geht eine gefühlte Ewigkeit so. Ich zähle die Brücken. Vor der dritten Brücke kommt die Badestelle, an der fünften und letzten überquere ich den Fluss. Meine Füße sind schon ziemlich müde. Auf den Kiesbänken am Wasser liegen immer wieder Leute in der Sonne oder baden im Fluss.

Dann erreiche ich die Eisenbahnbrücke, hier muss die Badestelle sein, die Papa meinte. Nicht zu verfehlen bei den ganzen Rädern, die hier abgestellt sind. Ich folge dem schmalen Pfad durch die Böschung. Vor mir erstrecken sich buckelige Sandsteinfelsen. Das sieht echt gut aus, in den Zwischenräumen überall noch Pfützen und rechts und links der Fluss. Hier ist es schön. Ich wate durch das Wasser und suche mir einen gemütlichen Platz. Es ist trotz des perfekten Badewetters gar nicht so voll. Vielleicht weil gerade Mittagszeit ist.

Ich bleibe bestimmt eine Stunde hier. Gehe ins Wasser und lasse mich auf den Felsen trocknen. Die Füße lasse ich dabei weiter in eine der Pfützen hängen, das tut echt gut.

Dann geht es weiter bis zur letzten Brücke, wo ich die Fluss-Seite wechsele. Kurz dahinter mündet die Bregenzer Ach in den Bodensee.

Jetzt ist es tatsächlich nicht mehr weit. Ich gehe am Ufer entlang, durch den Wald und an Schilf-Flächen vorbei.

Auf den Liegewiesen ist es brechend voll. Das war wohl nichts mit langsam wieder an die Zivilisation gewöhnen. Hier geht es sofort mitten rein in die Menschenmassen. Überall wird gebadet, gespielt und gegrillt. Ich komme mir ziemlich fehl am Platz vor mit meinen Wanderstiefeln und dem großen Rucksack.

Da ich auf dem Weg am Campingplatz vorbeikomme, stelle ich mich in die Schlange an der Rezeption. Ich habe schließlich bisher immer noch keinen Schlafplatz. Sie haben noch Platz, allerdings darf man nicht ohne Zelt übernachten. Auch nicht im Biwaksack. Ich erzähle dem netten Herrn wie lange ich schon unterwegs bin und dass es meine letzte Nacht ist. Da schaltet sich die Dame ein, die hinter mir in der Schlange steht und bietet an, dass ich auch bei ihnen im Vorzelt schlafen könne. Plötzlich reden alle durcheinander. Die beiden Mädels auf meiner anderen Seite bieten mir ein 2-Mann-Zelt an, dass sie noch dabei haben und nicht brauchen und auch der Rezeptionist hat noch eine Idee. Ich solle einfach hinter dem Sanitärgebäude in die Halle gehen und hinter dem Trecker stehe noch ein kleines Zelt, was ich mir ausleihen könne. Wow, jetzt habe ich mehr als genug Möglichkeiten, super! Ich brauche nur die Personengebühr bezahlen und bedanke mich bei den Leuten für ihre lieben Angebote. Dann hole ich mir das Zelt aus dem Schuppen und beziehe einen schattigen Platz unter hohen Bäumen. Das Zelt sieht zwar schon ziemlich mitgenommen aus und ist mehrfach mit Klebeband geflickt, aber es reicht. Ich freue mich riesig, dass das so geklappt hat!

Ich lasse meine Schlafsachen schon im Zelt und dann geht’s weiter. Vorbei an Yachthafen, Sporthafen, Strandbad und Seebühne. Überall wimmelt es von Menschen.

Und jetzt? Laut Wanderführer bin ich angekommen, wo der „wunderschöne Weg seinen krönenden Abschluss findet“. Nämlich an der Seebühne. Es gibt aber nirgendwo ein Schild oder irgendeinen Hinweis auf den Nordalpenweg. Das finde ich blöd. Zumindest ein kleines Schild könnte man ja irgendwo anbringen, um einen festen Punkt zu haben. Ich suche mir einen freien Platz am Geländer und blicke auf den Bodensee. Jetzt ist es also geschafft. Ich bin den kompletten Nordalpenweg gewandert!

Nur die Krönung fehlt. Natürlich bin ich glücklich und froh, aber irgendwie ist dieser Moment gar nicht so besonders. Jetzt bin ich halt da. Stehe hier inmitten der Menschen und es beachtet mich keiner. Natürlich nicht, wieso auch. Schwer zu beschreiben der Moment, irgendwie komisch, dass es plötzlich vorbei ist. Wobei ich ja noch einen Tag vor mir habe.

Mich quatscht ein Radfahrer an, der hier gerade Pause macht. Wir reden ein bisschen und er gratuliert mir. Allerdings bin ich gerade nicht so sehr interessiert an den ganzen Radtour-Geschichten, die er mir erzählt. Ich möchte lieber noch einen Moment meinen Gedanken nachhängen. Aber zumindest macht er noch ein Ziel-Foto von mir.

Da er sich hier auszukennen scheint, frage ich ihn nach der besten Eisdiele in Bregenz. Ich habe zur Belohnung Lust auf einen riesigen Eisbecher. Er empfiehlt mir einen Italiener und die Pizza sei auch sehr gut. Ich will eh noch zur Tourist-Info, mir einen Stempel holen und der Italiener ist ganz in der Nähe.

Die Tourist-Info hat leider geschlossen, also geht’s direkt zum Italiener. Da ich einen riesigen Hunger habe, tausche ich dann aber das Eis gegen eine Pizza, die echt super ist. Und hier bekomme ich auch dann meinen letzten Stempel. Juchhu, jetzt ist der Nordalpenweg vollständig 🙂

Ich mache mich zurück auf den Weg zum Campingplatz und bleibe auf dem Weg ewig an dem öffentlichen Klavier stehen, um einem Jungen beim Spielen zuzuschauen. Dann schaue ich mir noch das tolle Bühnenbild auf der Seebühne an. Während der Bregenzer Festspiele wird dieses Jahr die Oper Rigoletto von Verdi aufgeführt.

Ich hole mir doch noch ein Eis und finde inmitten dieses Kreises aus Baumstämmen ein ruhiges Plätzchen.

Gut, dass der Campingplatz schon in die richtige Richtung liegt, so spare ich mir morgen eine halbe Stunde des Weges. Ich lege mich früh schlafen, meine Beine und Füße schmerzen ein bisschen. Ich freue mich riesig darauf, morgen anzukommen und am westlichsten Punkt Österreichs meine Eltern zu treffen.


36,7 km
7:50 h
502 hm
1383 hm
1297 m