Es ist halb 4 morgens. Ich wache von zig Blitzen auf. Fast im Sekundentakt wird der Himmel hell erleuchtet und Donner grollt in der Ferne. Da müssen mehrere Gewitter im Umkreis toben, bei dem ganzen Wetterleuchten zwischen den nahen Blitzen. So ist nicht mehr an Schlaf zu denken. Unter den einzelnen hohen Bäumen fühle ich mich nicht so wohl im Zelt. Also ziehe ich meine Regenjacke über und gehe zum Sanitärhaus, um mich dort unterzustellen. Hier fühle ich mich sicherer. Die Leute in den anderen Zelten scheint das gar nicht zu stören. Oder sie wissen nicht, wie man sich bei Gewitter im Zelt verhält. Es heißt, dass man entweder in einem Gebäude oder Auto warten soll oder wenn das nicht möglich ist, sich in der Mitte des Zeltes, mit möglichst viel Abstand zu den Zeltstangen, auf den Boden Hocken soll. Füße zusammen und eventuell auf eine isolierende Unterlage setzen.

Als dann ein paar kräftige Windböen kommen, laufe ich doch schnell zurück zum Zelt. Ich habe keine Heringe, konnte es also nirgendwo fest machen. Nicht, dass es wegfliegt. Der Wind lässt aber zum Glück schnell wieder nach. Allerdings kommt das Gewitter näher. Zurück zum Sanitärhaus, wo ich noch eine ganze Weile warte. Zwischendurch kommen Blitz und Donner gleichzeitig, es donnert so heftig, dass die Wand vibriert, wo ich mich angelehnt habe. Eine Stunde später ist es dann vorbeigezogen. Man sieht nur noch ein bisschen Wetterleuchten.

Ich hoffe, dass ich jetzt noch ein bisschen schlafen kann. So viel Schlaf hatte ich noch nicht, da ich gestern lange nicht einschlafen konnte. Immer wieder kamen laut grölende Gruppen mit dröhnender Musik vorbei. Bestimmt ein typischer Samstagabend im Sommer hier am Seeufer. Durch den Regen gehe ich zurück zum Zelt und stocke, als ich den Reißverschluss öffne. Meine Sachen liegen in einer großen Pfütze. Das Zelt ist wohl nicht dicht. Die meisten Sachen habe ich nicht ausgepackt, allerdings liegt ausgerechnet der Nordalpenweg-Wanderführer auf dem Boden und ist ziemlich aufgeweicht. Na toll, die ganzen mühsam gesammelten Stempel sind verlaufen und viele kann man gar nicht mehr erkennen. Ich lege meinen Biwaksack zwischen Pfütze und Luftmatratze und versuche, nicht so viel nachzudenken und erstmal noch ein bisschen zu schlafen. Den Wecker stelle ich eine Stunde später als geplant, auf halb 7. Meine Beine fühlen sich nämlich im Moment noch nicht wirklich fit an. Ich lege noch die Regenjacke über meinen Schlafsack, da es von der Zeltdecke tropft. Und tatsächlich schlafe ich nochmal ein. Gut, dass ich heute Abend Zuhause bin und alles zum Trocknen ausbreiten kann.

Nachdem ich dann meine klammen Klamotten angezogen und die nassen Sachen eingepackt habe, geht es los. Das war ja mal ein blöder Start zu meiner letzten Etappe. Vor allem wegen den Stempeln bin ich ziemlich traurig. Ich wollte die Seiten gestern Abend noch abfotografieren und habe mir dann gedacht, dass ich bis morgens warte, da es schon dämmerig war. Das ist natürlich kein Weltuntergang, es sind nur Stempel – aber trotzdem! Außerdem bin ich total zerstochen von den ganzen Mücken hier und übermüdet. Ich muss erstmal ein paar Schritte gehen und meine Gefühle sortieren.

Ich gehe ein Stück zurück, wie ich gestern gekommen bin. Überquere die Bregenzer Ach wieder über die Fahrradbrücke und dann geht es Richtung Süden, durch Hard. Ich komme an einem Bäcker vorbei und hole mir ein Laugencroissant. Heute nehme ich jede Motivation mit, die am Wegesrand wartet. Jetzt sieht die Welt schon wieder besser aus! Auch wenn das Croissant schmeckt, als wäre es vom Vortag.

Durch ein Wohngebiet geht es bis zum Seepark. Hier lasse ich den Bodensee hinter mir.

Ich folge ein Stück der Dornbirner Ache und überquere dann den Rhein. Der Fluss ist mein Wegbegleiter für den restlichen Tag.

Die Etappe heute ist eine Ausdauer- und Geduldsprobe. Es geht insgesamt fast 40 Kilometer am Rhein entlang bis nach Bangs, wo der westlichste Punkt Österreichs liegt. Die Wege sind flach und langweilig. Ich kann den ganzen Tag über Stock und Stein wandern, ohne dass meine Füße sich beschweren. Aber schon nach 2 Stunden auf einem flachen Asphalt- oder Schotterweg schmerzen meine Füße und Beine.

Bis kurz vor der Grenze zur Schweiz gehe ich auf der westlichen Rheinseite über den Rheindamm. Zweimal kriege ich ein bisschen Angst, die Leute haben ihre Hunde hier echt nicht im Griff. Ich habe nicht generell Angst vor Hunden, kann es aber gar nicht haben, wenn sie bellend auf mich zugerannt kommen und an mir hochspringen. Und dann noch 3 auf einmal. Da können die Besitzer noch so ruhig bleiben und mir erzählen, dass die Hunde nichts tun. Sollen sie sie doch lieber kurz festhalten. Zumindest eine der Frauen hat den Anstand, sich bei mir zu entschuldigen. Als ich weitergehe, höre ich sie noch sagen, dass das ja echt doof ist, wenn jemand Angst vor Hunden hat. Gute Feststellung!

Dann geht es wieder auf die andere Rheinseite, wo ich dem Ill-Rhein-Radweg folge. Ich hoffe nicht, dass ich jetzt den ganzen Tag über Asphalt gehen muss. Ich gehe viel am Rand auf der Wiese, aber meine Füße tun trotzdem weh.

Ab hier verläuft die Grenze zur Schweiz mitten durch den Rhein. Ich gehe an Lustenau vorbei und biege dann ab zum Alten Rhein. Hier muss ich einen Schlenker gehen, um in Österreich zu bleiben. Aber hier ist Naturschutzgebiet und es gibt ein paar schöne Spazierwege zwischen kleinen Gärten und dem Fluss. Auf schmalen Pfaden geht es zwischendurch direkt am Ufer entlang. Eine Wohltat für die Füße.

Ich nehme mir vor, alle 10 Kilometer eine Pause zu machen und mal 10 Minuten die Schuhe auszuziehen, um ein bisschen Luft an die Füße zu lassen. Hier am Alten Rhein komme ich an einem Biergarten vorbei und gönne mir ein Zitronen-Wasser. Meine zweite Pause nach ungefähr 16 Kilometern. Hier kann ich das W-Lan nutzen und kurz meine Eltern anrufen. Ansonsten habe ich meistens nur schweizerisches Netz, lasse mein Handy also lieber im Flugmodus. Mama und Papa machen sich auch bald auf den Weg, fahren mit dem Auto nach Bangs, und kommen mir dann noch ein Stück entgegen.

An einer Stelle gehe ich direkt an der Grenze entlang. Natürlich bleibe ich aber auf der österreichischen Seite der Grenzsteine 🙂

Weiter gehe ich mal auf dem Radweg, auf Asphalt oder Schotter, dann kann ich wieder direkt am Rhein über die Wiese gehen. Meinen Füßen geht es besser, sie schmerzen fast gar nicht mehr. Ich habe gute Laune und das Laufen macht mir Spaß. Außerdem habe ich Glück und es bleibt trocken und ruhig. Eigentlich waren für den ganzen Nachmittag noch mehr Gewitter angesagt.

Bei Kilometer 30 kommt auch tatsächlich die Sonne kurz raus. Über mir ist ein bisschen blauer Himmel durch die Wolken zu sehen. Vor und hinter mir hängt eine dicke graue Wolkendecke. Es fängt an zu regnen, warmer Sommerregen. Das mag ich! Ich strahle und tanze durch den Regen.

Jetzt ist es nicht mehr weit. Nur noch 8 Kilometer oder so. Das ist ja ein Klacks nach dem, was ich schon hinter mir habe.

Die alte Eisenbahn nimmt mich nicht mit, da muss ich wohl doch weiter laufen.

Jetzt geht es nur noch über den asphaltierten Radweg. Immer geradeaus, so weit ich gucken kann. Dann über die Ill, an der Illspitz vorbei, wo die Ill in den Rhein mündet. Ich halte schon Ausschau, ob ich meine Eltern irgendwo entdecke.

Ganz hinten sehe ich zwei Leute zu Fuß, das müssen sie sein. Ansonsten kommen mir nur Radfahrer entgegen. Juchhu, bekannte Gesichter in Sicht 🙂 Da wird erstmal ordentlich geknuddelt.

Dann aber schnell weiter. Das letzte Stück gehen wir zusammen. Meine Füße tun inzwischen wieder weh und wenn ich stehen bleibe und dann wieder losgehe ist es viel schlimmer, als wenn ich einfach immer weitergehe. Beim Gehen gibt es schon eine Stärkung. Meine Eltern haben Brote, Äpfel, Möhren, Pfirsiche und Nüsse dabei. Perfekt, ich freue mich so über die frischen Sachen. So etwas bekommt man auf den Berghütten nicht.

Es ist nicht mehr weit. Allerdings machen wir mehrere Stopps für Zielfotos. Der westlichste Punkt Österreichs ist das Dreiländereck zwischen Österreich, Liechtenstein und der Schweiz. Das liegt aber mitten im Rhein, da kommt man nicht hin. Also gibt es erstmal ein Foto auf der Brücke, an der Grenze zur Schweiz.

Als Pendant zu meinem Startfoto am 2. Juni eins vor dem österreichischen Schild.

Noch ein Stück weiter am Rhein entlang, dann ist es geschafft. Hier ist der Grenzübergang nach Liechtenstein. Und auf selber Höhe im Rhein der westlichste Punkt Österreichs. Und übrigens gleichzeitig auch der nördlichste Punkt Liechtensteins. Über die Wiese laufe ich noch bis zum Ufer, weiter geht’s nicht. Ich bin einmal komplett durch Österreich gelaufen – wahnsinn! Ich stelle mich auf den Grenzstein und stoße einen Freudenschrei aus.

Meine Eltern haben mir zur Ankunft eine österreichische Fahne geschenkt, bemalt mit meinem Wegverlauf. Die Kilometer und Tage kommen dann auch noch drauf. Super gut! Das ist nun das zweite Land in meiner Sammlung, dass ich komplett zu Fuß durchquert habe 🙂


38,6 km
7:30 h
150 hm
128 hm
438 m