Alles ist gefroren. Es muss echt eisig gewesen sein letzte Nacht. Aber mir war schön warm in meinem dicken Schlafsack. Nur ist er außen wieder ganz nass. Wie bekomme ich das nur in den Griff? Dafür sind wahrscheinlich VBL Liner da. Die dünne Hülle ist eine zusätzliche Schicht, die man im Schlafsack trägt und die eine Dampfsperre darstellt. Dadurch wird der Schweiß nachts nicht mehr nach außen transportiert und der Schlafsack bleibt trocken. Jedenfalls soweit ich weiß. Aber sowas besitze ich nicht. Vielleicht kann ich nächstes Mal versuchen, meine Regensachen im Schlafsack anzuziehen, die sollten ja auch relativ dicht sein. Einen Versuch wäre es wert, auch wenn es vielleicht nicht so bequem ist. Heute kann ich meinen Schlafsack in der nächsten Hütte trocknen, aber auf meiner letzten Etappe gibt es 2 Wochen lang keine Hütten mehr.

Das Gras ist gefroren und der See auch teilweise.

Meine Schuhe in den Rucksack zu packen hat gar nichts gebracht. Sie sind steinhart und ihnen stehen die Senkel zu Berge. Auch die Gamaschen können jetzt alleine stehen.

Mein Außenzelt ist mit einer dünnen Eisschicht bedeckt und sogar der Reißverschluss ist leicht festgefroren.

Das war meine erste Nacht im Zelt bei so einer Kälte. Da habe ich keine Erfahrung mit. Wenn jemand hilfreiche Tipps für die nächsten Nächte hat, immer her damit. Muss ich meine Schuhe auch mit in den Schlafsack nehmen? Ich würde vielleicht erstmal versuchen, sie in einen meiner Packsäcke zu stecken und luftdicht zu verschließen, vielleicht hilft das ja.

Ich ziehe mich an und betrachte meine Schuhe. Ich habe Angst, dass irgendetwas bricht, wenn sie so hart gefroren sind. Genauso bei meinem Außenzelt. Die Sonne versteckt sich hinter dem Berg und kommt noch lange nicht hervor, um mir zu helfen. Also drücke ich vorsichtig die Zunge in meinen Schuhen ein bisschen nach oben und versuche meine Füße hineinzuquetschen. Gar nicht so einfach. Ich brauche eine ganze Weile, bis ich die Schuhe endlich anhabe. Da ich sie nicht schnüren kann, drücke ich sie einfach fest an meine Füße und gehe das erste Stück so. Beim Gehen werden sie ja auftauen. Mein steifes Außenzelt stopfe ich vorsichtig in meinen Rucksack. Gut, dass er inzwischen so leer ist, so kurz vor dem nächsten Versorgungspaket.

Um kurz vor 10 Uhr mache ich mich dann mal auf den Weg. Erstmal irgendwie warm werden, nach dem Packen sind meine Hände und Füße ziemlich eisig. Ich gehe auf der Nordseite des Čorrováhgáisi durch das Tal Čorrovággi. Die Sonne versteckt sich immer noch hinter dem Berg. Über eine sonst nasse Ebene, die jetzt allerdings komplett gefroren ist. Mit Warmlaufen wird das erstmal nichts. Der Boden ist spiegelglatt. Im Sumpf muss ich jetzt nicht darauf achten, nicht einzusinken, sondern nicht auszurutschen. Das blöde ist, dass ich das Eis nicht immer direkt sehe, so klar ist es. Wie im Sumpf suche ich mir herausschauende Steine und Grasbüschel als Tritte.

Rechts vom Berg kommen einige kleine Wasserläufe herunter. Die Bäche sind flach, aber teilweise erstrecken sie sich auf eine Breite von mehreren Metern. Alles spiegelglatt. Gut, dass ich hier in der Ebene gehe und nicht am steilen Hang. Zweimal kann ich mich nur so gerade noch auf den Füßen halten, als ich unerwartet wegrutsche.

Dann gehe ich ein bisschen hoch und über die rechte Flanke des Berges. Das Gelände ist auch hier nicht schwierig und ich hätte mir gar keine Gedanken machen brauchen. Ich gehe über Gras und ein paar Steine. Der Nebel verzieht sich immer mehr und über mir ist blauer Himmel. Ich merke, wie meine Schuhe langsam wieder weich werden. Nach etwa 2 Kilometern kann ich sie dann auch richtig schnüren.

Auf der anderen Talseite scheint schon die Sonne. Ich gehe noch eine ganze Weile durch den eisigen Schatten.

Weiter vorsichtig über gefrorenen Sumpf und Bäche. Das Ende des Schattens schon im Blick.

Dann habe ich es fast geschafft. Nur noch ein kleines Stück weiter.

Bis ich in der Sonne stehe. Ich bleibe stehen, halte ihr mein Gesicht entgegen und lache. Herrlich! Die Eiskristalle glitzern in der Sonne. Eigentlich glitzert die ganze Fläche vor mir. Das kann man auf einem Foto gar nicht so einfangen. Es sieht toll aus.

Und ich freue mich über den Blick auf das Gelände vor mir, als ich weit genug oben bin. Das wird ja ein Kinderspiel. Weite Wiese, soweit ich gucken kann. Und weiter unten immer weniger weiß.

Hier der Blick zurück. Vom rechten Berg gehört ein spitzes Kuchenstück zu Schweden.

Auf dem Weg hinab wird der Boden immer weicher und ich lasse den Winter quasi hinter mir. Hier unten ist noch Herbst. Es gibt nur einen kurzen, steileren Hang, ansonsten ist der Abstieg super einfach.

Als wäre ich plötzlich in einer anderen Welt gelandet.

Wahnsinn, diese unendliche Weite.

Ich gehe entlang der unsichtbaren schwedischen Grenze. Sie verläuft nur ein paar Meter rechts neben mir. Bis ich nach ungefähr 8 Kilometern an einem großen gelben Grenzstein vorbeikomme und wieder auf den Wanderweg stoße, den ich gestern verlassen habe. Das war eine der einfachsten Umgehungen. „Du går nå inn i Sverige“, steht auf dem Schild. Nichts da. Für mich heißt es, „Jeg blir i Norge“.

Der Wanderweg ist eine Traktorspur und gut markiert. Er verläuft weiter nahe der Grenze. Hier kann man einfach so herspazieren, über das Gras und durch die ewig weite Landschaft.

Nach noch 2 Kilometern leichtem Bergab erreiche ich die Gappohytta. Hier mache ich Pause. Schlafen werde ich erst in der nächsten Hütte, die nur 13 Kilometer entfernt ist.

Ich finde im Schrank eine angebrochene Tüte Vollkorn-Spaghetti und sogar einen Rest Tomatenmark. Das ist ja ein Traum. Ich koche die Nudeln, mische Olivenöl und Tomatenmark unter und setze mich mit dem Topf vor die Hütte in die Sonne. Zwar mit Jacke und Mütze, der Wind ist weiter ziemlich kalt. Aber trotzdem sind die Sonnenstrahlen schön im Gesicht. Ich denke an Zuhause, während ich die Nudeln esse. Genau das war früher eines unserer Standardgerichte, was es mindestens zweimal pro Woche gab. Spaghetti mit Tomatenmark. Das ist auch immer noch so, nur inzwischen in fortgeschrittener Variante mit ganz viel Gemüse und angeröstetem Knoblauch und Sonnenblumenkernen. Das Gericht wurde über die letzten Jahre immer weiter verfeinert und ist Papas Meisterwerk, über das wir uns immer freuen, wenn wir zu Besuch sind.

Während ich da sitze und esse, tauchen 2 Gestalten auf der anderen Seite des Sees auf. Erst sieht es so aus, als würden sie weitergehen, kommen dann aber doch zur Hütte. Es sind 2 Finninnen (das Wort klingt irgendwie echt kompliziert), eine Mutter mit ihrer etwa 12-jährigen Tochter. Sie freuen sich, dass ich die Hütte aufgeschlossen habe, da sie den Schlüssel vom DNT nicht haben. Sie wollten eigentlich im Zelt schlafen, aber letzte Nacht wäre es so kalt gewesen. Bei ihnen waren es minus 5 Grad und ich habe knapp 200 Höhenmeter weiter oben geschlafen, also war es bei mir nochmal kälter. Sie setzen sich zu mir in die Sonne und wir unterhalten uns super. Sie fragen mich ganz interessiert zu meiner Ausrüstung und der Vorbereitung zu so einer Wanderung aus. Sie kommen aus dem finnischen Lappland und die Tochter hatte sich zum Geburtstag ein bisschen Mutter-Tochter-Zeit ohne ihre beiden jüngeren Geschwister gewünscht. Also gehen sie ein paar Tage zusammen wandern, auch wenn die Tochter eher so ein Ziel wie Paris oder so vor Augen hatte. Da ich es richtig genieße, mich mit den beiden zu unterhalten, bleibe ich fast 2 Stunden.

Dann mache ich mich mal auf zur nächsten Hütte. Es ist ja nicht so weit. Ich hätte auch Lust, wieder im Zelt zu schlafen, aber ich muss ja meine Sachen trocknen. Eigentlich hätte ich auch einfach alles in der Sonne ausbreiten können. Aber naja, jetzt gehe ich zur Hütte. Da hätte ich eher drauf kommen müssen.

Am Rundfjellet vorbei geht es noch weiter leicht bergab. Wäre der Wind nicht, könnte ich wahrscheinlich sogar ohne Jacke gehen. Der Weg ist weiter einfach, über grasige Buckel und durch niedrige Sträucher. Der Boden ist hier eher rötlich, in der Ferne blicke ich wieder auf weiße Berge. Der hohe Berg links, der vorhin von der Hütte wie eine Pyramide aussah, wird im finnischen Kilpisjärvi übersetzt Haifischflosse genannt. Von dort sei der Berg nämlich auch zu sehen. Das hat mir die Finnin vorhin erzählt.

Südlich vom Gåldahaugen überquere ich eine kleine Brücke. Laut Schild die Goldahaugen bru auf 632 moh.

Dann taucht der See Golddajávri auf. Es geht durch lichten Birkenwald hinab, über eine Brücke westlich des Sees und über die weite Ebene bis zur Hütte auf der anderen Seite. Für die Faxen meines Schattens kann ich nichts, der hat manchmal ein Eigenleben.

Ich suche beim Näherkommen schon die Hütte, aber kann sie erst sehen, als ich nur noch wenige Meter entfernt bin. Die Goldahytta taucht ganz plötzlich im Wald vor mir auf.

Aus der Haupthütte kommt Rauch aus dem Schornstein, da ist wohl schon jemand da. Aber da ich gerade gerne alleine sein möchte, nehme ich die andere Hütte. Es ist eisig. Nicht wärmer als draußen. Ich mache als erstes den Kamin an und breite meine Sachen zum Trocknen aus. Nach 2 Stunden zeigt das Thermometer in der Stube immer noch nur 12 Grad. Wieso dauert das so ewig? Ich lege ständig Holz nach, aber es wird einfach nicht richtig warm. Der Empfang reicht gerade so zum Telefonieren, ich spreche mit meiner Mama und mache dann Essen. Ich bekomme doch noch Gesellschaft von einer Finnin, die den Kopf zur Tür reinsteckt und fragt, ob noch ein Bett frei sei. Die andere Hütte wäre voll. Ich räume meine Sachen zur Seite, damit sie auch ein bisschen Platz hat. Wir quatschen den ganzen Abend. Sie hat bisher nicht so viel Erfahrung beim Wandern und ist ganz interessiert an meinen Geschichten. Sie pendelt zwischen Helsinki und New York hin und her, ist selbständig und schneidet unter anderem Dokumentarfilme. Auch ein spannendes Leben. Sie erzählt von den Outdoor-Mahlzeiten von Wild Zora und schenkt mir ein Gericht, das sie über hat. Dann habe ich etwas mehr zu Essen und kann es mal probieren. Ich freue mich riesig darüber!

Ich bin hier übrigens nur noch etwas über einen Kilometer von Treriksrøysa entfernt. Dem Dreiländereck zwischen Norwegen, Schweden und Finnland und gleichzeitig dem nördlichsten Punkt Schwedens. Schweden habe ich also schonmal hinter mir gelassen und habe auf dem Weg alle Grenzzacken erfolgreich umgangen. Das nächste Hindernis ist Finnland, bevor ich den schmalen Teil Norwegens dann ganz geschafft habe.


23,0 km
5:00 h
417 hm
780 hm
972 m