Wenn ich in einer Hütte schlafe und nachts aufwache und auf Toilette muss, muss ich mich meistens erst überwinden, aufzustehen. Das Plumpsklo ist immer eine separate kleine Hütte etwas abseits der Hütten zum Schlafen. Hier sind es vielleicht 30 Meter die Felsen hinauf. Also heißt es Schuhe und Jacke an, Stirnlampe mitnehmen und raus in die Kälte.

Obwohl ich gestern so spät im Bett war, wache ich recht früh auf. Randi und Ivar sind auch schon wach und laden mich ein, mit ihnen zu frühstücken. Ich probiere Randis selbstgemachte Moltebeer-Marmelade auf meinem Brot und bin überrascht, wie gut es mir schmeckt. Die Beeren sind ja sonst nicht meine Lieblingsbeeren. Ich probiere auch nochmal den braunen Käse, der sehr süß ist, das ist aber gar nicht mein Geschmack. Und auch den braunen Ziegenkäse mag ich nicht, der ist auch eher süß und Ziege schmecke ich da gar nicht raus. Andere typisch norwegische Aufstriche mag ich gar nicht erst probieren, wie z.B. Bacon und Kaviar aus der Tube oder Leberpastete aus der Dose. Also bleibe ich bei Marmelade, Erdbeer und Moltebeer. Aber so fängt der Tag gut an. Ich lasse mir Zeit und wir unterhalten uns weiter super. Als wir fertig sind, bedanken Ivar und ich uns bei Randi mit „Takk for maten“ für das Frühstück. Das ist hier so üblich, dass man sich für die Mahlzeiten bedankt. Nicht nur, wenn man eingeladen wird, wie ich.

Nach dem schönen Frühstück packe ich meine Sachen. Ich will nochmal rübergehen und Julian mein Tape geben für seinen geschwollenen Fuß. Da klopft es aber schon. Randi versorgt auch Lisa und Julian direkt mit Kaffee und wir quatschen weiter. Ich drücke den beiden die Daumen, dass sie ihre Wanderung nicht abbrechen müssen und Julians Sprunggelenk schnell wieder abschwillt. Die beiden sind auf dem Nordkalottleden unterwegs und wollen zum Kebnekaise, der mit 2.097 Metern der höchste Berg Schwedens ist.

Um kurz nach 9 Uhr verabschiede ich mich von all den netten Menschen und mache mich auf den Weg. Das Thermometer an der Hütte zeigt 0 Grad. Und es geht direkt rein in den Nebel. Viel sehen kann ich nicht um mich herum. Erstes Ziel ist die Schotterstraße kurz vor dem Staudamm am Gautelisvatnet. Das Gebiet dort ist zur Zeit wegen Bauarbeiten am Damm gesperrt, die Umleitung für Wanderer ist aber inzwischen wohl markiert. Wobei in der Hütte ein Zettel lag, dass ein Fluss gequert werden muss. Leute schreiben, dass das Wasser 1 Meter tief mit starker Strömung gewesen wäre. Sie hätten 16 Stunden lang abgewartet, ob der Wasserstand zurückgehe und seien dann umgedreht. Sie hätten aber hinterher einen der Arbeiter getroffen und der meinte, sie hätten einfach jemanden fragen können, dann wären sie schon über den Damm gekommen. Andere schreiben, dass der Fluss nur knietief war und okay zu queren.

Es geht leicht hinauf über Wiese und Steine. Zwischendurch über ein Geröllfeld. Ich habe das Gefühl, dass der Nebel immer dichter wird. Zum Glück bleibt es aber trocken.

Zwischendurch sehe ich schemenhaft einen See oder steileren Hang neben mir. Erst 2 Stunden später klart es endlich auf und ich kann die schöne Landschaft besser sehen.

An der Schotterstraße angekommen, stehe ich vor einem großen Schild. Bis 2025 dauern die Bauarbeiten und der Umweg ist wohl etwa 2 Kilometer länger. Ich hatte zwar vorher überlegt, zum Damm zu gehen und zu fragen, ob ich rübergehen kann, nachdem ich den Tipp von 2 Seiten bekommen habe. Ich entscheide mich aber dagegen. So lang ist der Umweg jetzt nicht und das Gebiet ist deutlich als Sperrzone gekennzeichnet. Wieso sollte also gerade ich nach einer Ausnahme fragen, ich bin doch fit.

Also geht es erstmal 1,5 Kilometer die Schotterstraße entlang. Bei vollem Gegenwind. Ganz schön eisig und ungemütlich. Meine Hände frieren trotz dicker Handschuhe und ich verstecke sie in den Ärmeln meiner Regenjacke. Meinen Buff ziehe ich über Nase und Wangen. Dann geht es über teilweise sumpfige Wiese hinab. Über ein paar kleine Bäche und bis zu dem Fluss Nuorjjojohka. Ich frage mich erst, ob das wirklich der Fluss ist, den die anderen meinten. Das Flussbett liegt ein paar Meter breit frei und ich kann einfach trockenen Fußes über die Steine spazieren. Aber es hat ja jetzt auch bestimmt eine Woche lang nicht mehr geregnet und vielleicht ist auch die Schleuse am Damm geschlossen. Da habe ich wohl Glück gehabt. Wie häufig ich mir doch vorher eine ganze Menge Gedanken um eine Stelle mache und am Ende ist es ganz einfach.

Auf der anderen Seite geht es wieder hoch. Jetzt über große, buckelige Felsen. Die Umleitung ist überall gut markiert und gefällt mir richtig gut. Garantiert schöner, als über die Schotterstraße und den Damm zu laufen. Nur die 2 Kilometer passen gar nicht. Bis ich wieder auf dem regulären Wanderweg stehe, sind es eher 5 Kilometer.

Jetzt folgt ein Anstieg auf 1.200 Meter. Über den Pass und dann runter zur nächsten Hütte. Es ist aber nicht so steil, sondern geht stetig leicht hoch. Das ist ganz angenehm. An dem Abzweig zur Gautelishytta halte ich mich links. Die Hütte lasse ich aus, da sie knapp 5 Kilometer ab von meinem Weg liegt. Nur ab dem Abzweig werden irgendwie plötzlich die Markierungen schlechter. Ich muss häufig stehenbleiben und eine ganze Weile die Landschaft nach dem nächsten kleinen Steinmännchen mit ziemlich verblasster roter Farbe suchen. Das ist mühselig und ich kann gar nicht mehr vor mich hin träumen beim Gehen.

Es geht über steinige Wiese nach oben. Rechts von mir das Trehakfjellet. Dort oben hat es schon geschneit. Die Spitze ist ganz weiß gesprenkelt.

Irgendwie habe ich im Moment einen kleinen Hänger oder so. Ich weiß nicht genau. Nicht, dass mir das Wandern keinen Spaß macht, aber ich freue mich immer sehr darauf, abends irgendwo anzukommen im Moment und habe keine Lust auf so lange Tage. Aber das wird auch wieder vergehen, es gibt eben unterschiedliche Phasen, wenn man so lange unterwegs ist. Nur dass ich mir so langsam etwas Gedanken mache, dass ich so spät erst im Norden bin. Das kann ganz schön eisig und ungemütlich werden. Aber ich ziehe trotzdem weiter mein Ding durch und bleibe auf norwegischer Seite. Markus ist jetzt schon oben im Reisadalen, daran sieht man, dass man über die schwedischen Wander-Autobahnen sehr viel schneller vorankommt. Wahrscheinlich bin ich die einzige der NPLer diese Jahr, die am Ende über 3.000 Kilometer kommt. Die häufige Route mit Teilen über Schweden und Finnland zum Nordkap liegt eher bei 2.800 Kilometern.

Heute habe ich aber eine gute Motivation. Martin war letzte Woche hier wandern und hat für Markus ein kleines Päckchen mit Essen in der nächsten Hütte deponiert. Da Markus sich aber doch entschieden hat, über den Kungsleden zu gehen, liegt das Essen noch dort und ich darf mich bedienen. Das zieht mich jetzt den ganzen Tag magisch an.

Es geht weiter hoch und wird immer felsiger.

Bis ich irgendwann nur noch über Steine balanciere. Über riesige Geröllfelder mit bunten Steinen. Das mag ich. Es gibt so viele Leute, die diese Wege nicht mögen, aber mir macht es Spaß über die Steine zu navigieren. Schnelle Schritte, mal hoch, auf den nächsten Stein runter, flach und dann auf die nächste Schräge oder Kante. Ich versuche immer, die höchsten Steine auszulassen. Dann muss man nämlich auch wieder runter und das ist aufwendiger, als den Stein gleich zu umgehen. Es ist ein Hindernislauf, wo schnelle Entscheidungen gefragt sind. Der Kopf wird hier genauso gefordert, wie die Füße und man braucht ein gutes Gleichgewicht. Wenn ich den Stein nur kurz berühre und den Fuß schnell weitersetze, rutsche ich auch nicht so schnell ab. Auch wenn es natürlich immer das Risiko gibt, dass zwischendurch ein Stein locker ist und kippt. Dann erschrecke ich mich kurz, bin aber schon längst auf dem nächsten Stein, bevor ich den Halt verliere.

Es geht an einem kleinen See vorbei, rechts und links an den steilen Berghängen liegt eine ganze Menge Schnee. Und dann habe ich den höchsten Punkt erreicht und es geht wieder runter. Zu diesem großen See und rechts daran vorbei.

Weiter über Geröll, die ganze Zeit. Runter macht es nicht ganz so viel Spaß. Und nach ein paar Kilometern wird es auch echt anstrengend, vor allem für die Sprunggelenke, da man ja nie gerade steht. Außerdem muss ich jetzt immer wieder stehenbleiben und nach der nächsten Markierung Ausschau halten. Die sind hier etwas dürftig. Ich suche immer wieder mit den Augen langsam die Umgebung ab. Manchmal helfen ein paar Schritte weiter. Aus der neuen Perspektive entdecke ich dann plötzlich das graue Steinmännchen vor den restlichen grauen Steinen.

Ich mache drei Kreuze als ich endlich unten am See ankomme. Jetzt wird es einfacher. Wieder grüner, wenn auch ziemlich nass. Die Wiese ist immer noch gespickt mit Steinen, aber das Laufen ist angenehmer. Außerdem ist das Ziel schon in Sicht. Hinten links an dem nächsten großen See stehen ein paar Hütten, das muss es sein.

In großem Bogen geht es um den See herum, über ein paar Bäche und dann ist es geschafft. Es ist sogar ein bisschen blauer Himmel zu sehen und ich habe einen schönen Blick zurück.

Es gibt insgesamt 3 Hütten. Ich schließe die ersten beiden auf und durchsuche die Schränke nach dem Essen. In der letzten Hütte treffe ich auf zwei deutsche Kerle, die heute hier einen Pausentag gemacht haben. Und hier finde ich auch das Essen. Mega gut, heute Abend gibt es ein 3-Gänge-Menü.

Ich beziehe die kleinste der Hütten, wo es nur 2 Schlafplätze gibt. Dann habe ich heute meine Ruhe. Ich will ein paar Sachen waschen und ein bisschen schreiben. Das ist in letzter Zeit wieder zu kurz gekommen. Also mache ich es mir in dem kleinen Raum gemütlich.

Bevor ich die Schuhe ausziehe, wird aber erst noch die Pflicht erledigt. Eimer mitnehmen, zum See laufen und Wasser holen. Ich mache den Eimer ganz voll, dass ich später nicht nochmal gehen muss und wechsele auf dem Rückweg immer wieder die Seite. Ganz schön schwer. Dann schnappe ich mir die Axt und Spalte ein paar Holzscheite. Es ist zwar Holz in der Hütte, aber dabei wird mir schnell warm. Und dann muss ich das morgen früh nicht machen, man sollte nämlich immer das Holz in der Hütte für die nächsten Besucher wieder auffüllen, bevor man geht. Ich freue mich immer, wenn auch ein bisschen kleines Holz zum Anmachen da ist.

In dem Essenpäckchen sind unter anderem zwei Zehenwärmer. Eine Art Pflaster, die man auf die Socken klebt. Sie reagieren mit Luft und produzieren dann den ganzen Tag Wärme. Die kann ich bestimmt im Norden gut gebrauchen. Ich trinke Tee und koche. Es gibt Suppe, Nudeln mit Tomatensauce und noch einen Kakao hinterher. So geht’s mir gut. Mit Waschen und Schreiben geht der Abend viel zu schnell um und gegen 9 Uhr bin ich schon wieder reif fürs Bett.


23,8 km
6:10 h
660 hm
677 hm
1.210 m