Letzte Nacht war es fast windstill, eine ruhige Nacht und ich habe gut geschlafen. Bereit für einen neuen Wandertag!

Dieser startet sumpfig und mal wieder mit nassen Füßen. Alles andere wäre ja auch total komisch inzwischen und richtiger Luxus. Wir freuen uns über jedes Stückchen festen Waldboden oder Fels, wo man mal ein bisschen zügiger gehen kann. Allerdings habe ich mich inzwischen daran gewöhnt. Die ersten Tage habe ich mich innerlich noch ein bisschen gehetzt gefühlt irgendwie, das hat sich aber zum Glück gelegt und ich bin entspannt und genieße jeden Tag. Mal mehr, mal weniger, aber das gehört dazu beim Weitwandern. Ich war anfangs einfach nicht darauf eingestellt, dass man in diesem nassen Gelände nur 2 bis maximal 3 Kilometer pro Stunde schafft. Auf der Straße gehe ich ansonsten meistens ziemlich zügig und schaffe ohne große Höhenmeter locker einen Schnitt von 5 Kilometern pro Stunde. Unter den aktuellen Bedingungen jeden Tag auf über 25 Kilometer kommen zu wollen ist eher utopisch. Das würde super lange und anstrengende Tage bedeuten. Das muss nicht sein. Ich denke, ich habe genug Zeit eingeplant und komme trotzdem ganz gut vorwärts.

Wir folgen dem unmarkierten Pfad über die schmatzenden Wiesen und durch lichten Wald. Oft prüfen wir aber nochmal die richtige Richtung auf der Karte, weil kein Weg mehr erkennbar ist. Irgendwo im Sumpf stehen dann plötzlich doch wieder Wegweiser.

Über die Bäche kommen wir heute ganz gut über Steine und müssen nicht durch das kalte Wasser.

Unser Plan ist am Rauland høgfjellshotel herauszukommen und ab da dann der Straße zu folgen. Oder noch ein kleines Stückchen weiter zu umgehen, auf der Karte ist noch eine „beleuchtete Skipiste“ eingezeichnet. Wir sind ganz froh, dass wir auf einen breiteren Weg kommen, wo wahrscheinlich schon Trecker hergefahren sind. Dann sind wir bestimmt auf dem richtigen Weg zur Straße. Mein Gefühl sagt mir aber irgendwie, dass wir eher im Kreis gehen und wieder zurück in die Richtung aus der wir gekommen sind. Gut, dass ich doch nochmal auf die Karte schaue. Wir hätten schon vor einer ganzen Weile abbiegen müssen. Auf den nächsten unsichtbaren Pfad eben! Jetzt gehen wir einen ganz schönen Umweg. Zwar auch zur Straße, aber Richtung Süden, nur um dann die Straße Richtung Norden wieder zurückzulaufen. Wir sind aber fast da, umdrehen lohnt nicht. Auf der Straße sind wir schneller. Markus meint, wie gut, dass wir mein Gefühl haben, das hat uns jetzt schon ein paar Mal davor bewahrt in die falsche Richtung zu laufen. Vielleicht habe ich einen kleinen eingebauten Kompass in der Nase 🙂 Wobei ich auch gerne mal Schilder übersehe, wenn ich so vor mich hin träume beim Gehen.

Jedenfalls kommen wir auf der Straße an und begegnen zum Glück wenigen Autos. Es geht durch Vierli, an kleinen Hüttensiedlungen und im Sommer trist aussehenden Skigebieten vorbei. Es ist alles wie ausgestorben.

An einem kleinen Weg machen wir Mittagspause. Ich hatte mich in den Supermärkten schon gewundert, wie hoch der amerikanische Einfluss hier ist. Käse und Wurst aus Tuben habe ich sonst noch nirgendwo gesehen. Ich finde eigentlich nicht, dass das so lecker klingt und wahrscheinlich ist eine Menge Chemie drin. Ich probiere aber von Markus ein bisschen Paprika-Käse aus der Tube und es schmeckt tatsächlich. Vielleicht ist es der erhöhte Appetit vom Wandern, Zuhause würde ich das nicht essen. Aber dann gibt es jetzt Knäckebrote mit Paprika Ost. Die Zutatenliste sieht auch gar nicht so schlimm aus, wie ich erst dachte. Käse, Wasser, Paprika, Salz und Konservierungsmittel.

Über 2 Stunden gehen wir auf dem Asphalt. Zur linken Seite haben wir immer wieder einen Blick auf die verschneite Hardangervidda.

Bei Bosbøen soll es dann hinauf gehen. Endlich wieder ins Fjell. Die Straße zieht sich und wir machen am See Arabu im Schutz einer Hütte nochmal Pause. Vor allem, weil wir vor einem Baustellenschild stehen, wo der unmarkierte Weg abgehen soll. Also erstmal was essen und einen Plan schmieden. Wir schauen uns ohne Rucksack ein bisschen um und sind nicht sicher, ob die Schilder nur für den etwas erhöht liegenden Hof gelten oder ob weiter oben vielleicht ein Erdrutsch oder so war und man tatsächlich nicht weiter kommt. Das wäre blöd. Ich klettere hinter dem Schild den Hang ein Stück hinauf und stehe vor ein paar Zottelrindern. Die hat man von unten gar nicht gesehen. Irgendwie wirkt es eher so, als wollten die Leute hier niemanden sehen, es ist alles eingezäunt und wir haben ein komisches Gefühl. Also nicht hier her. Ich finde aber über UT.no etwas weiter noch einen unmarkierten Pfad, wo es zumindest eine Tourenbeschreibung zu gibt. Der Weg führt nämlich auch zum Gipfel vom Bosnuten. Dann nehmen wir den eben. Das sind noch 1,5 Kilometer weiter an der Straße entlang und dann geht’s hoch.

Es ist zwar steil und anstrengend, aber wir gehen durch einen schönen Birkenwald. Das sieht lustig aus, weil die Bäume hier wieder ganz krumm wachsen oder so gebogen sind, dass die Spitze schon wieder auf den Boden kommt.

Je höher wir kommen, desto besser wird der Blick zurück. Manchmal erlebt man echt eine Überraschung, wenn man beim Gehen ein bisschen träumt und sich irgendwann nichtsahnend doch mal umdreht und zurückschaut und einen grandiosen Blick hat. Hier war es vorhersehbar, aber so eine Situation hatte ich schon öfter.

Über der Baumgrenze erscheint gleich wieder das „Höhen-Glücks-Grinsen“ auf meinem Gesicht. Ich mag es einfach hoch oben, weit über der Zivilisation, den Menschen, in der ruhigen, oft unberührten Natur mit weiten Blicken und rauen Bergen. Das ist meine Welt.

Die Wolken bieten heute ein ganz schönes Schauspiel. Es gibt schnelle Wechsel zwischen blauem Himmel und dunklen, ziemlich bedrohlich aussehenden Wolken. Wir werden aber nur nachmittags mal 10 Minuten lang nass, sonst bleibt es trocken.

Wir queren ein paar große Schneefelder. Dafür, dass wir auf einem unmarkierten Weg unterwegs sind, ist er super einfach zu finden. Hier scheinen doch häufiger Leute herzugehen, wahrscheinlich zum Gipfel. Auch auf den Schneefeldern ist schon eine ausgetretene Spur, das macht es einfach. Sonst muss man bei so großen Schneefeldern danach erstmal ein bisschen suchen, wo denn der Weg weitergeht.

Da hinten sieht man den Bosnuten. Für uns geht es aber nicht ganz hoch, wir biegen vorher ab.

Ab dem Abzweig müssen wir den Weg dann auch wieder mehr suchen, aber es geht noch ganz gut ohne ständig unsere Position zu überprüfen. In der Ferne kann man immer wieder beobachten, wo es regnet. So können wir uns auch schnell genug die Regenjacken überziehen, als die Regenwolke in unsere Richtung zieht. Da sie von vorne kommt, kann man das gut beobachten.

Am See Grasdalstjørni finden wir dann etwas trockenen Boden für unsere Zelte. Direkt neben einem Wegweiser und nicht weit weg vom Wasser. Geschafft!

Meistens schlafe ich nachts durch und bekomme das gar nicht mit, wie hell es die ganze Nacht ist. Heute muss ich aber zweimal aus dem Zelt und bekomme so mal den Sonnenuntergang um 22:30 Uhr zu sehen. Und auch nach Mitternacht ist es noch ziemlich hell draußen. Eine Lampe braucht man nicht.

Es gibt übrigens eine neue Vermutung, was der Ausschlag an meinen Händen ist. Eventuell kommt das vom Riesen-Bärenklau. Martin aus der Schweiz hat mir eine liebe Nachricht geschickt und den Hinweis gegeben. Die Pflanze wird hier in Norwegen wohl nicht so bekämpft wie bei uns und das Problem eher vernachlässigt bisher. Deswegen kannten die Ärzte das vielleicht auch nicht. Die Symptome passen jedenfalls. Als ich kurz Empfang habe, recherchiere ich ein bisschen und bin erschrocken, was das Pflanzengift alles anrichten kann, da bin ich noch gut davon gekommen. Der Saft der Pflanze wirkt phototoxisch und führt in Kombination mit Sonne zu starken Verbrennungen. Da werde ich wohl leider noch ein paar Wochen was von haben. Ich trage nun den ganzen Tag Handschuhe, um meine Hände vor der Sonne zu schützen und wenn es zu warm wird und dadurch anfängt zu jucken, stopfe ich ein bisschen Schnee mit in die Handschuhe. So lässt es sich dann ganz gut aushalten.


21,1 km
5:50 h
637 hm
389 hm
1.182 m