Ich wache nachts von einem Knall auf. Nein, nicht nur einem, mehreren. Direkt unter mir. Und unter meinen Beinen bewegt sich etwas. Ich bin total erschrocken und brauche einen Moment, bis ich merke, dass das meine Luftmatratze ist. Am Fußende sind einige der länglichen Kammern aufgeplatzt und jetzt habe ich einen großen Ballon unter meinen Füßen. Na toll! Ich habe schon häufiger gelesen, dass das mit der Therm-a-rest NeoAir XLite passiert, aber wurde auf allen bisherigen Touren verschont davon. Zum Glück ist es nur am Fußende, so kann ich wenigstens trotzdem noch darauf schlafen. Mit erhöhten Füßen eben. Ich frage mich allerdings, wie viele Nächte das gut geht, da morgens direkt die nächste Kammer aufplatzt. Hoffentlich hält sie zumindest bis Rognan, wo ich mir im Sportgeschäft eine neue besorgen kann, die Nächte werden nämlich gefühlt schon immer kälter. Beziehungsweise wird das bestimmt durch die Garantie abgedeckt, vielleicht kann Therm-a-rest mir ja eine neue schicken. Hoffentlich habe ich morgen an meinem Pausentag Empfang oder W-Lan, damit ich mich darum kümmern kann.

Da wir gestern schon so weit gelaufen sind, steht heute ein relativ kurzer Tag an. Für mich jedenfalls, ich gehe nur bis nach Stekvasselv, dort ist morgen Ruhetag. Markus will noch ein Stück weitergehen. Er geht trotzdem erst gegen halb 11 mit mir zusammen los. Da wir gestern den kurzen Anstieg schon hinter uns gebracht haben, geht es direkt ins weitläufige Fjell. Erst relativ eben, mit nur kleinen Hügeln. Windig und kalt ist es.

Dann geht es hinauf und östlich vom Kikvassaksla über einen kleinen Pass. Mit Blick auf den Øvre Skinnfellvatnet und das Brakfjellet dahinter.

Es wird felsiger und immer windiger. Das große Schneefeld können wir zum Glück umgehen.

Oben angekommen, bietet sich uns eine neue Aussicht. Das mag ich immer, wenn man über eine Bergkuppe kommt und plötzlich eine komplett andere Sicht hat auf die vorher versteckten Berge oder ins nächste Tal. Links zeigt sich bei besserem Wetter der Hjartfjelltinden, heute versteckt er sich aber leider in den Wolken. Und ganz hinten, vor den dunklen Bergen, sieht man wieder den riesigen See Røssvatnet, wo wir vor 2 Tagen am südlichen Ende waren.

Mich zieht ein Steinmännchen noch ein Stück höher an. Also mache ich einen kleinen Umweg und gehe über die Felsen weiter hinauf. So schön ist es hier. Wie das wohl bei blauem Himmel erst wäre. Und so eisig kalt mit dem Wind. Lange halte ich es hier oben nicht aus.

Es geht das Tjetterskardet hinunter und wird wieder grüner. Die Landschaft ist aber immer noch durchzogen von grauen, glatten Felsbuckeln. Das gefällt mir.

Ich hole Markus wieder ein, der sich einen Platz im Windschatten gesucht hat. Durch lichten Birkenwald und über sumpfige Wiesen steigen wir weiter ab.

So langsam ist mal Zeit für eine Pause, mein Magen knurrt schon. Da Markus mich zur allerbesten Schlaf- und Pausenplatz-Findern gekürt hat, halte ich die Augen schonmal auf. Und finde tatsächlich wieder einen richtig schönen Platz auf ein paar Felsen an einem kleinen Wasserfall.

Nach der Pause folgt nochmal ein kleiner Anstieg. Oben auf dem Sattel präsentiert sich der Olfjellkleppen. So ein schöner Berg und extra für uns aus den Wolken aufgetaucht. Ich setze mich eine Weile ins Gras und betrachte den Berg und die schnell vorbeiziehenden Wolken. Man muss sich zwischendurch auch immer mal ein paar Minuten nehmen und die wunderbare Natur und Landschaft in Ruhe genießen, statt nur durchzulaufen. Tief durchatmen und die ganze Schönheit aufsaugen.

Auf unserer Seite ist es inzwischen freundlicher und heller, wir steigen aber jetzt ab ins dunkle Tal.

Auf einem schönen Pfad durch den Wald geht es hinab. Über einige Bäche und mit Blick auf den See. Auf der anderen Seite liegt irgendwo der Hof Stekvasselv.

Ich hänge am Baum ab, während ich auf Markus warte.

Der Wald wird immer dichter und das Gestrüpp höher. Aber es ist fast geschafft.

Im Forsdalen angekommen, überqueren wir den Fluss Storelva über eine Hängebrücke. Natürlich wieder sehr wackelig – aber sicher.

Dahinter können wir dann auf einem breiteren Weg bis zur Straße gehen. Der ich die letzten 4 Kilometer folge. An der Straße ist es also quasi schon geschafft. 4 Kilometer auf Asphalt sind ja nichts mehr, die zähle ich schon zur Entspannung. Wir haben auch wieder Empfang und Markus schaut erstmal in den Wetterbericht. Es sieht echt dunkel und ein bisschen bedrohlich aus, da wo er gleich hochgehen und einen Zeltplatz suchen will. Es ist starker Regen angesagt und gibt eine Gewitterwarnung. Vielleicht nicht die beste Idee. Ich bin jedenfalls froh, dass ich heute Nacht ein festes Dach über dem Kopf haben werde.

Als wir aus dem Wald kommen und auf die Straße, steht dort ein Auto und der Mann winkt uns zu sich. Ob wir nach Stekvasselv wollen, fragt er. Und dann ob ich Sophie sei. Es ist Håkon, der den Hof zusammen mit seiner Frau betreibt. Ich hatte ja geschrieben, dass ich heute Abend komme und er ist extra mit dem Auto hergefahren, um mich abzuholen. Was ja super freundlich ist, aber ihr kennt meine Antwort… Keine Motoren. Ich erkläre ihm, dass ich den kompletten Weg zu Fuß gehen will, aber er ist nicht so ganz einverstanden. Wir könnten ja die 2 Kilometer bis zum Abzweig des Wanderwegs laufen und er würde uns in 25 Minuten dort einsammeln. Auch das passt mir nicht – nein, danke. Ich entschuldige mich zig mal, möchte aber an meinem Plan festhalten. Im Endeffekt einigen wir uns darauf, dass er die Rucksäcke schon mitnimmt und wir zu Fuß gehen. Markus entscheidet sich bei dem Wetter auch eine Nacht zu bleiben und morgen früh erst weiterzugehen. Was für eine nette Geste aber, dass Håkon mich hier abholen wollte! Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet.

Für die 4 Kilometer auf Asphalt stellen Markus und ich wahrscheinlich einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf. Es fühlt sich so leicht an ohne Rucksack. Als wir auf dem Hof ankommen, hat Håkon unsere Rucksäcke natürlich schon ausgeladen und vor die Tür gestellt. Wir bekommen eine Führung durch das große Haus. Das haben wir komplett für uns heute, andere Gäste sind nicht da.

Ich bekomme mein Versorgungspaket und neues Gas hat er auch für mich. Super, das klappt ja alles gut. Wir bezahlen gleich alles, da Håkon in die Stadt fährt und ich ihn bis übermorgen früh wohl nicht mehr sehe. Sturmfrei in Stekvasselv.

Das Haus hat eine große Küche, Bad, Wohnzimmer und oben 4 Schlafzimmer mit mehreren Betten. Ich verlaufe mich auch gleich und stehe vor der Waschmaschine, da ich die falsche Treppe runter genommen habe. Erstmal kommen alle Anziehsachen in die Waschmaschine. Das ist praktisch, da ich mir hier solange ein Kleidchen aus 2 Handtüchern basteln kann. Sonst muss ich immer in Etappen waschen, da ich sonst nichts mehr zum Anziehen hätte. Dann genieße ich eine lange Dusche und koche. Hätte ich vorher gewusst, dass es hier eine voll ausgestattete Küche gibt, hätte ich in Hattfjelldal ja sogar ein paar frische Sachen einkaufen und an meinem Pausentag richtig kochen können. Naja, jetzt ist es zu spät.

Ich überlege beim Essen schon die ganze Zeit, was ich mit meiner Luftmatratze mache. Die Luftkammern werden sich wohl jetzt nach und nach weiter lösen.

Das will ich heute Abend noch klären, damit ich es für morgen aus dem Kopf habe. Ich finde bei Therm-a-rest für Deutschland eine internationale E-Mail-Adresse für Reklamationen. Und auch einen offiziellen norwegischen Händler. Soweit ich das gelesen habe, muss man die Matratze aber erst einschicken und bekommt dann Ersatz. Das klappt doch niemals innerhalb einer Woche. Ich bin nämlich in ziemlich genau einer Woche an der Küste in Rognan und das ist meine letzte Chance auf Supermärkte, Sportläden und Post. Oder ich beiße in den sauren Apfel, bestelle eine neue Matratze und hole sie auf dem Weg bei der Post ab. Dann muss ich die alte aber noch loswerden, ich will ja nicht 2 mitschleppen. Und dann müsste ich in Norwegen bestellen, wo die Matratze einfach mal 100 € teurer ist als in Deutschland. Ansonsten ist mir das zu unsicher mit dem Zoll und der Laufzeit, wenn überhaupt ein deutscher Händler nach Norwegen verschicken würde. Nicht so einfach alles. Ich bin aber sehr froh, dass das jetzt passiert, wo ich noch eine Chance habe, eine neue Matte zu besorgen, und nicht erst weiter im Norden. Im Endeffekt finde ich eine ähnliche Suchmaschine, wie Idealo, für den günstigsten Preis und bestelle bei einem norwegischen Sportladen. Ich nehme auch gleich die NeoAir XTherm, die wärmere Variante, da ich mir ein bisschen Gedanken über die Temperaturen im Norden mache, wenn es hier jetzt schon so kalt ist. Einfach bestellen ist allerdings auch nicht, ich brauche eine norwegische Adresse. Also nehme ich einfach die vom Campingplatz in Rognan, mit meinem Namen dazu. Und schicke gleich noch eine E-Mail hinterher, um nachzufragen, in welche Postfiliale das Paket jetzt geliefert wird und ob das passt mit der Lieferzeit bis nächste Woche Donnerstag. Die kaputte Matratze werde ich dann nach Lindesnes schicken, damit sie nicht durch den Zoll muss. Dort hat Markus sein Auto bei einer Familie abgestellt, die alles annehmen, was er zurückschickt und ihm ins Auto legen. Dann kann ich mich nach der Tour in Ruhe um den Umtausch kümmern. Puh, das wäre geschafft. Jetzt ist Schlafenszeit.


17,6 km
4:30 h
504 hm
762 hm
837 m