„Leute, räumt den Strand – Sophie kommt angerannt!“ (Zitat Mama). So sieht’s nämlich aus heute.
Ich konnte doch noch ein bisschen schlafen. Morgens ist es immer noch so windig. Ich schaue aus dem Zelt. Der Himmel über dem Meer ist schön verfärbt vom Sonnenaufgang.

Ein paar Meter unterhalb auf der Schotterstraße fährt ein Auto vorbei. Der Kerl beachtet mich gar nicht. Ich packe zusammen und fülle meine Flaschen mit Wasser. Ich nehme lieber etwas mehr mit, so trocken wie es ist. Auch wenn es heute wohl nicht so warm wird mit den ganzen Wolken am Himmel.
Mein Ziel steht nun schon auf dem Wegweiser. 7:15 Stunden werde ich wohl nicht brauchen. Das ist arg lang für 18 Kilometer. Ein französisches Pärchen kommt vorbei und wir quatschen kurz. Ich drücke ihnen meine Kamera in die Hand. Für ein letztes Startfoto.

Der Pfad führt über die Wiese und in einigem Auf und Ab über den breiten Bergrücken. Ich dachte, es würde mehr durch den Wald gehen. Aber so gefällt es mir besser. Es ist ein ganz schöner Weg. Immer wieder mit viel Aussicht zu allen Seiten. Und das Meer ist nun fast die ganze Zeit zu sehen.

Es ist ganz schön windig. Zumindest ist der Wind nicht so kalt. Mir kommt eine Frau mit großem Fernglas in der Hand entgegen. Sie fragt mich, ob ich Kühe gesehen hätte und freut sich, als ich ihr sage, dass ich vor etwa 10 Minuten etwas weg vom Pfad eine Herde gesehen habe. Sie bedankt sich und wünscht mir lächelnd einen schönen Tag.
Der Wanderweg führt in einem Bogen links um den Berg herum. Auf meiner Karte ist auch ein Pfad über den Gipfel eingezeichnet. Den gibt es zwar nicht, aber ich stapfe einfach die Wiese nach oben. Das Gelände ist nicht schwierig. Nur der Wind ist etwas unangenehm. Ich lehne mich richtig dagegen zwischendurch. Ich folge dem Weidezaun entlang der Grenze zu Spanien. Die Tiere müssen hier wohl in ihrem Land bleiben. Jetzt komme ich doch nochmal kurz über 1.000 Meter hoch. Auf ein paar Felsen mache ich schnell ein Gipfelfoto. Auf dem Pic de Pradets auf 1.175 Metern. Ich habe Angst, dass meine Kamera auf dem kleinen Stativ umgeweht wird.

Dann geht es schnell wieder runter, wo der Wind ein kleines bisschen weniger stark ist. Das französische Pärchen und ich überholen uns immer wieder gegenseitig heute. Jetzt waren sie vor mir und die Frau fragt mich, ob ich eine Mütze gesehen hätte. Sie hat ihre verloren. Aber sie sind außen herum gegangen und dem Wanderweg gefolgt.
Den Bäumen kann man ansehen, dass der starke Wind hier meistens von links kommt.

Es geht weiter über die Wiese. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass es doch insgesamt noch so viel Aufstieg ist heute. Immer nur ein bisschen, aber es läppert sich.

Das Meer kommt immer näher.

Banyuls kann ich immer noch nicht sehen. Aber vielleicht vom nächsten Gipfel. Das ist nur ein kleiner Umweg. Den nehme ich auch noch mit. Vielleicht kann ich da oben ja auch Mittagpause machen im Windschatten eines Felsen.

An Pause ist nicht zu denken auf dem Pic de Sallfort auf 982 Meter Höhe. Der Wind ist so stark und Windschatten gibt es nicht. Das ist nun wirklich der letzte Gipfel auf meiner Wanderung.

Von hier kann ich das erste Mal die Orte an der Küste sehen, die die ganze Zeit noch von den Bergen verdeckt waren.

Jetzt geht es nach unten. Die Büsche werden höher und ich steige über viele Steine hinab. Die Franzosen überhole ich wieder, sie haben sich schon einen windstillen Pausenplatz gesucht. Ich gehe noch ein Stück weiter. An einem Stück Hang ohne Bäume finde ich ein schönes Plätzchen mit direktem Blick auf Banyuls.

Trotz Wind hole ich meinen Gaskocher raus und koche die letzte Nudelsuppe. Dazu gibt es einen Rest Baguette. Ich bin gespannt auf das Ankommen später. Ich gehe einfach, so wie an jedem anderen Tag auch.

Bald kann ich den breiten Sandstrand Richtung Norden erkennen.

Der Pfad klettert noch ein bisschen nach oben, es geht über einen Pass und wieder runter. Bis zu einem Parkplatz. Die Serpentinen der Straße kürze ich über einen schmalen und steilen Pfad ab. Jetzt ist es nicht mehr weit. 45 Minuten sagt der nächste Wegweiser.

Schon den ganzen Tag bin ich immer wieder extra langsam gegangen. Oft bin ich mit Absicht hinter dem französischen Pärchen geblieben. Wenn ich sie überholt habe und niemanden vor mir hatte, bin ich direkt wieder in mein flotteres Tempo verfallen.
Ich gehe oberhalb von Weinreben entlang und an Olivenbäumen vorbei. Die großen Bäumen leuchten ganz dunkelgrün. Unter der Krone sind sie aber einfach nur grau und vertrocknet.

An jedem Gebäude oder Schäferwagen, wo ich vorbeikomme, achte ich auf Hunde. Hier gibt es aber keine. Ich folge der Schotterstraße und dann einem letzten schmalen Pfad hinab zu den ersten Häusern. Unter der Brücke mit Bahngleisen hindurch und jetzt bin ich im Ort. Zurück in der Zivilisation. Wobei das die letzten Tage ja schon immer wieder der Fall war.
Ich laufe auf dem Bürgersteig zwischen den Häusern her. Es fühlt sich einfach nur komisch an. Andere Gefühle habe ich gerade nicht so recht. Ich weiß, dass ich gleich am Meer bin. Dass es nur noch ein paar hundert Meter sind. Aber ich fühle mich hier fehl am Platz. Als ob ich nicht hierhin gehöre.
An der Promenade sitzen viele Leute in den Cafés und Restaurants oder auf Bänken dazwischen. Der Strand ist steinig, kein Sandstrand. Die kleine Straße hinter der Promenade ist stark befahren. Mir gefällt es hier nicht.

Vielleicht gefällt mir auch einfach das Ankommen nicht und es ist weniger der Ort. Der Gedanke kommt mir aber erst am nächsten Tag.
Ich gehe über die Steine und zum Wasser. Bleibe kurz stehen und laufe dann einfach weiter. Etwa einen Kilometer entfernt soll es einen Sandstrand geben. Hier will ich meine Wanderung nicht beenden. Also gehe ich an der Straße entlang nach oben und folge noch ein Stück dem Küstenwanderweg Sentier Littoral.
Mir kommt ein Mann entgegen, der nach unten deutet und „poulpe“ sagt. Ein Tintenfisch. Ich schaue nach unten in das klare Wasser. Tatsächlich bewegt sich da langsam ein großer Tintenfisch über die Felsen unter Wasser. Das sieht ja lustig aus. Es ist nur etwas verzerrt durch die kleinen Wellen an der Oberfläche. Ich stehe eine Weile da und beobachte die Kreatur.
Von hier hat man einen guten Blick zurück auf die Bucht und Banyuls-sur-Mer.

An der nächsten Bucht gehe ich vorbei und steuere den Strand Plage des Elmes an. Hier sind kaum Leute. Ich versuche die Straße und die Baustelle direkt hinter dem Strand auszublenden. Hier stehe ich nun. Am Mittelmeer. Ich fühle mich immer noch komisch. In meinem Kopf kommt überhaupt nicht an, dass es jetzt vorbei ist.
Dann tauche ich meine weißen Füße mal ins Wasser.

Das Wasser ist kühl, aber angenehm. Ich springe ganz hinein. Das ist schön. Ich schwimme ein paar Züge und lege mich auf den Rücken. Strecke Arme und Beine aus, lasse mich treiben und schaue in den Himmel. Gut, dass ich letzte Nacht das Hotelzimmer direkt für zwei Nächte gebucht habe. Sonst müsste ich morgen früh schon wissen, was ich weiter machen will. Da werde ich heute noch nicht weiter drüber nachdenken. Am liebsten möchte ich einfach weiterlaufen. Es fühlt sich einfach an wie eine Pause hier. Ich bin überhaupt nicht im Ankommen-Modus.
Der Strand ist hier zwar sandiger, aber trotzdem steinig. Ich setze mich und lasse mich ein bisschen trocknen.

Dabei futtere ich die Tüte Chips, die eigentlich für den letzten Abend im Zelt gedacht war. Darauf hatte ich gestern Abend doch keine Lust. Dann ziehe ich mich wieder an. Und krame in meinem Rucksack. Erinnert ihr euch an die Überraschung, die ich in der Certascan Hütte gekauft habe und seitdem mit mir herumtrage? Jetzt ziehe ich das T-Shirt über. Ich habe den HRP erfolgreich beendet und die Pyrenäen vom Atlantik bis ans Mittelmeer durchquert.

Ich verschicke ein Foto, mache mein Handy dann aber wieder aus. Ich bin noch gar nicht bereit, mit jemandem zu telefonieren. Ich weiß ja selbst nicht, was ich gerade so fühle. Ich bin einfach hier. Ich sehe aber eine Nachricht von Ivo. Um 17 Uhr würden sich ein paar HRPler auf eine Orangina treffen. Ob ich dabei bin. Da bin ich ja gespannt, wer noch alles hier ist.
Ich mache mich auf den Weg zurück in den Ort und checke im Hotel ein. Dann rufe ich Orietta an. Sie hatte gestern eine SMS geschrieben, hat meine Antwort aber wohl nicht bekommen. Sie ist tatsächlich noch eine Nacht hier. Sie hat ein Apartment direkt an der Promenade und will gerade nochmal ins Meer springen. Also treffen wir uns ein paar Minuten später am Strand. Es ist schön sie zu sehen. Wir nehmen uns fest in den Arm. Ich springe auch nochmal mit ins Wasser. Dann gehen wir zusammen zu der kleinen Brauerei direkt neben dem Hotel, wo die meisten von uns untergekommen sind. Es ist die günstigste Unterkunft in Banyuls.
Da stehen Feli und Markus. Sie tragen auch ihre HRP T-Shirts. Dann kommen noch Ivo, Valerie, Cameron und Louis dazu. Ich habe ja nicht damit gerechnet, sie alle nochmal wiederzusehen hier. Bis auf Ivo und mich sind alle gestern angekommen. Wir reden über die Wanderung und das Ankommen. Über spezielle Erlebnisse unterwegs und haben echt viel Spaß. Eine Runde völlig verschiedener Leute, eigentlich alles Fremde, aber durch die letzten Monate doch irgendwie eine große Familie. Selbst wenn wir uns nur ein paar Mal getroffen haben unterwegs. Wir haben alle ähnliches erlebt und durchgemacht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Freunde Zuhause meine Gefühle und Gedanken unterwegs nicht so richtig nachvollziehen können. Es ist etwas anderes mit Gleichgesinnten darüber zu sprechen.
Meine Idee, dass wir uns später Pizzen holen und uns zusammen an den Strand setzen, kommt gut an und wir verabreden uns um 19 Uhr an der Pizzeria. Ich habe immer noch meine nasse Unterwäsche drunter und friere langsam. Also gehe ich noch schnell duschen vorher. Oder auch weniger schnell. Ich stehe ewig unter dem warmen Wasser.
Dann ziehe ich mal mein schickstes Abend-Outfit an. Das große Loch genau am Hintern in meiner langen Hose klebe ich noch schnell mit Panzerband. Unterwäsche gibt’s nicht, die muss trocknen. Aber die Sonne geht ja gleich schon unter, dann wird es frisch. Also nehme ich meine Daunenjacke mit.
Es tut gut, so viel zu lachen. Die Frage, ob wir kleine oder große Pizzen nehmen, stellt sich überhaupt nicht. Wir sind gerade 800 Kilometer durch die Pyrenäen gewandert. Dieses Wochenende ist hier Winzer-Fest und am Strand sind ein paar Buden aufgebaut. Jetzt gibt es Live-Musik von einer kleinen Band aus Blechbläsern. Wir setzen uns ans Ende des Strands auf die Steine, hier sind wir unter uns. Wir sitzen mit unseren Pizzen verteilt auf dem Boden. Neben uns das Rauschen der Wellen. Am Himmel leuchten schon die ersten Sterne. Ich lege mich auf den Rücken und blende alles andere aus. Das Leben ist schon schön.
Zum Nachtisch holen wir uns einen Crêpe. Die Pizza hat nicht gereicht. Wir haben noch Hunger. Ich nehme wieder einen mit Zucker und Zitrone. Meine neue Lieblings-Füllung. Das muss ich nur noch in Deutschland verbreiten. Vor 21 Uhr verabschieden wir uns dann alle ins Bett. Ich war schon vor dem Essen müde und wir sind alle noch so in dem Rhythmus. Wer viel wandert, schläft meist auch früh.
Wir machen noch ein Foto zusammen. Es war schön, euch alle kennengelernt zu haben. Von links nach rechts sind es Valerie aus Deutschland, Orietta aus der Schweiz, Cameron aus England, Louis aus Frankreich, ich und Ivo aus Holland. Nur Feli und Markus sind schon weg, sie sitzen im Nachtzug nach Paris.

Der Abend war echt unerwartet. Und sehr schön. Ich dachte, ich verbringe die Zeit alleine am Strand. Von Leuten, die die amerikanischen großen Trails gewandert sind, hört man so viel von der großen Trail Community. Von der Gemeinschaft, die ihnen hier fehlt. In Europa läuft man die langen Wanderwege ja eher für sich. Heute Abend hatte viel von dieser Gemeinschaft und es war ein schöner HRP-Abschluss-Abend. Für morgen früh verabreden wir uns zum Sonnenaufgangs-Baden, bevor die meisten die Heimreise antreten.
Christoph
Herzlichen Glückwunsch und gute „Wiedereingliederung“ – Danke für die vielen tollen Fotos und Berichte, die mir die Pyrenäen näher gebracht haben – das macht Lust darauf, es Dir nachzumachen!
Gute Heimreise – und dass die Deutsche Bahn nicht zur größten Herausforderung der Tour wird….
Christoph
Volkmar Vetter
… einfach super … ! Volk meer
Sabine Gerken
Herzlichen Glückwunsch liebe Sophie, willkommen zurück in der Zivilisation. Lebe Dich erstmal langsam ein und komme gesund und glücklich nach Hause.
L.g.von Sabine und Reinhard
Tatjana
Herzlichen Glückwunsch liebe Sophie,
Das war ein toller Bericht und hat richtig Lust auf die Tour gemacht. Wünsche Dir eine gute Heimreise und freue mich schon auf neue Berichte. Vielen Dank dafür.
Liebe Grüße
Tatjana
Sven
Es ist vollbracht. Du hast es geschafft. Herzlichen Glückwunsch. All die Mühen und Vorbereitungen. Komme langsam an. Und wenn es nicht dieser Ort ist mach das was du in den letzten Wochen gemacht hast. Laufe einfach weiter. Irgendwo ist deine Station wo dein inneres Ich dir sagt: Ja dieses Abenteuer ist nun zu Ende.
Es ist schön zu sehn, dass du einige Wegbegleiter am Ziel getroffen hast und es vielleicht eine Art Finisherparty war.
Ich freue mich vom ganzen Herzen.
Christian
Danke für den Reisebericht, den ich von Zeit zu Zeit las, wenn hier so schlechtes Wetter war und man sich fragte, wie es dir dann wohl in Bergen so ergehen mag. Dann las ich von Gewitter und Angst … und mir wurde ganz Bange. Zum Glück nun alles überstanden und man merkt dir deinen Genuss deiner Wanderung an!
Auf Crêpe mit Zucker und Zitrone freue ich mich schon, wenn ich es hier in DE finde 🙂
Grüße vom drögen Arbeitsplatz, du zeigst, dass es anders geht!
Christian
Papa Hartwig
Hallo Sophie,
vielen lieben Dank für Dein Reise-Tagebuch mit vielen spannenden Abschnitten und schönen Fotos.
Es ist immer wieder schön, Dich auf diese Weise zu begleiten !!!
Schöne Grüßle und bis bald,
Pa
ANSGAR
Herzlichen Glückwunsch und liebe Grüße von Ansgar und Birthe
Lena
Liebe Sophie,
auch von mir herzlichen Glückwunsch! Wahnsinn!
Ich bin zwar etwas später mit deinen Berichten durch, habe sie aber alle gelesen und total mit dir mitgefiebert. Die Bilder sind auch mega schön. Da wirst du sicherlich noch eine Weile von zehren.
Freue mich auf ein Wiedersehen.
LG