Ich öffne den Reißverschluss meiner „Wohnungstür“ und blicke in den blauen Himmel. So schön! Es wird richtig warm im Zelt. Draußen warten allerdings die Mücken. Wir packen zusammen und starten gegen halb 10.

Immer noch mit Blick auf den Gletscher am Kvigtinden. Jetzt ist er noch viel besser zu sehen. Der hat uns auch gestern schon begleitet, ab dem Somaklumpen und beim Abstieg bis zum Zeltplatz.

Trotz des tollen Wetters bin ich gar nicht so gut drauf. Mein Sprunggelenk tut schon nach den ersten Schritten wieder genauso weh wie gestern Abend. Das passt mir gar nicht. Ich probiere aus, wie ich mit möglichst wenig Schmerzen auftreten kann, finde aber keine richtig gute Haltung. Also trotte ich ein bisschen unglücklich hinter Markus her und überlasse ihm heute die Navigation und Wegfindung. Bis zum Fluss Tiplingelva gehen wir noch nach Kompass, dann gibt es wieder einen Wanderweg. Ich würde aber am liebsten gleich wieder mein Zelt aufstellen und mich verkriechen. Zum Glück wird es nach einer halben Stunde oder so besser und die Schmerzen verschwinden komplett. Sehr gut! Vielleicht musste ich mich nur warmlaufen heute. Ich bin echt froh, dass ich bisher keine schlimmeren Verletzungen oder länger anhaltenden Schmerzen hatte. Meine Hände mal außen vor gelassen. Denen geht es ja wieder gut, das ist schon vergessen. Ein Dermatologe mit Fachgebiet Pflanzenallergien hatte auch nochmal bestätigt, dass es Bärenklau war. Er war nur verwundert über die Intensität der Entzündung so früh im Jahr.

Wir folgen noch eine Weile dem Rentierzaun und schlagen dann einen direkten Kurs runter zur Brücke ein. Die Landschaft ist sehr hügelig, es geht immer wieder ein paar Schritte hoch, dann wieder runter. Ein Hügel nach dem Nächsten. Immer weiter hinab bis wir wieder unter der Baumgrenze sind. Etwas vor uns sehen wir einen kleinen Buckel zwischen den Bäumen, der nach einem wunderbaren Pausenplatz aussieht. Es ist zwar noch früh, aber hier wollen wir ein bisschen die Sonne und die Aussicht genießen. Es ist zu schön, um einfach weiterzugehen.

Dann geht es durch Birkenwald, der zwischendurch recht dicht ist, das letzte Stück hinab. Bis wir auf einer großen Sumpf-Wiese stehen. Wir suchen uns einen Weg durch die niedrigen Sträucher am Waldrand, das geht besser als mitten über die Wiese zu stapfen. Und werfen noch einen letzten Blick zurück auf den Gletscher. Im nächsten Tal wird er nicht mehr zu sehen sein.

Dann erreichen wir die Brücke. Eine lange Hängebrücke, ziemlich wackelig. Da gehen wir lieber einzeln rüber, damit es nicht noch mehr wackelt.

Tschakka, es ist geschafft! Wir haben das weglose Børgefjell gemeistert.

Das war die zweite große Herausforderung nach dem Blåfjella-Skjækerfjella Nationalpark. Und dieses Mal hatten wir richtig Glück mit dem Wetter und konnten es viel mehr genießen. Es war so wunderschön! Einfach traumhaft.

Hier auch Markus‘ neuestes Video von diesem Abschnitt. Dieses Mal habe ich eine Hauptrolle bekommen, da es eventuell unsere letzte gemeinsame Etappe ist.

Jetzt kann der Kompass im Rucksack verschwinden und wir können für eine ziemlich lange Zeit den Wanderwegen folgen. Für mich geht es bis ins Saltfjellet auf markierten Wegen weiter. Nur zwischendurch vielleicht mal ein kleines Stück Schotterstraße, aber durch richtige Zivilisation kommen wir bis dahin nicht mehr.

Jetzt geht’s östlich um das Susenfjellet herum, bis ins Susendalen. Der Weg ist zwar nicht markiert, aber der Pfad gut erkennbar. Und wir freuen uns über die Holzplanken über die nassen Wiesen. Auch wenn diese ziemlich verstreut herumliegen. Es sieht so aus, als sollten die alten Bretter ausgetauscht werden. Stattdessen liegen sie jetzt kreuz und quer auf der Wiese. Da halten wir ein bisschen Abstand zueinander, da manche Bretter nur in der Mitte aufliegen und man mit einem Ende der Wippe im Schlamm landen würde.

Der erste Wegweiser seit Tagen.

Und immer mehr Planken, kreuz und quer verstreut. Aber man behält trockene Füße.

Bis es dann in den Wald geht. Die Mücken und Bremsen werden mehr und gehen uns auf die Nerven. Außerdem geht es stetig hinauf und ist matschig und rutschig. Es ist echt anstrengend. Der Anstieg auf diesem nassen und schlammigen Pfad ist anstrengender als die ganzen letzten Tage zusammen.

Kurze Trinkpause, dann schnell weiter, um die Mücken wieder loszuwerden. Ich versinke zweimal bis zum Knöchel im Matsch, kann meinen Fuß aber schnell wieder befreien. Zwischen den Bäumen haben wir immer wieder einen schönen Blick auf den in der Sonne schimmernden See Austre Tiplingen. An den vielen kleinen Bächen, die mit zwei Schritten überquert sind, kühle ich mein Gesicht und den Nacken mit dem kalten Wasser. Das tut gut.

Dann lassen wir endlich die Bäume hinter uns, suchen uns einen Weg über eine sumpfige Ebene und haben den höchsten Punkt erreicht. Pausenzeit! Nach einer kleinen Stärkung liegen wir noch ziemlich lange auf einem Felsen in der Sonne. Wer weiß, wie lange das schöne Wetter noch bleibt.

Beim Abstieg ins Tal gefällt mir die Landschaft wieder richtig gut. Hellgrünes Gras, dunkelgrüne Sträucher, graue Buckel und blau leuchtende Seen dazwischen.

Noch tiefer gehen wir dann viel über große, glatt geschliffene Felsplatten zwischen Wiesen mit kleinen Bäumen und viel Wollgras.

Bei Oksvollen überqueren wir die Susna über eine weitere schwankende Hängebrücke.

Und dann können wir auf der Schotterstraße ein bisschen entspannen. Wir wollen ihr bis kurz vor Harvasstua folgen und dort einen Zeltplatz suchen. Da zweigt der Wanderweg ab und führt wieder hoch ins nächste Gebirge. Die 6 Kilometer an der Straße entlang sehen allerdings nicht so vielversprechend aus für einen Schlafplatz. Rechts und links dichter Wald, links steil nach oben, rechts nach unten. Also biegen wir doch ab auf den Wanderweg und gehen noch weiter. Markus ist schon ziemlich müde. Ich laufe ein bisschen vor und halte Ausschau nach einem Platz für die Nacht. Schwierig. Zu nass, zu uneben, zu dichte Bäume. Für mein kleines Zelt sehe ich einige Plätze, aber nicht für beide Zelte. Es geht steil hinauf und inzwischen ist es schon nach 21 Uhr.

Da müssen wir wohl noch weitergehen bis wir wieder über der Baumgrenze sind. Das ist jetzt auch nicht mehr weit. Dann haben wir den Anstieg zumindest schon hinter uns. Noch ein bisschen Sumpf, ein paar kleine Bäche und dann entdecke ich eine trockene Fläche. Der perfekte Platz. Zwar direkt am Weg, aber das ist uns jetzt egal.

Da wir sowieso müde und kaputt sind, stören auch die zahlreichen Mücken und Knots nicht weiter. Jeder verschwindet schnell in seinem Zelt. Noch eben was essen und dann fallen mir auch schon die Augen zu. Ich höre noch ganz nahe Schritte und Stimmen, aber die anderen Wanderer gehen nur vorbei und beachten uns scheinbar gar nicht. Ich liebe das Jedermannsrecht, das ist einfach super!


24,1 km
6:45 h
636 hm
703 hm
891 m