Nachdem wir gestern den Tag über schon die ganze Zeit nur über Essen gesprochen haben und es dann nichts gab am Campingplatz, außer dem kleinen Eis, haben wir noch verrückte Pläne geschmiedet. Es fing an mit einem Spaß – wir könnten ja nach Hattfjelldal laufen… Da gibt es einen Supermarkt. Das sind auch nur 27 Kilometer Asphalt bis dahin. Einen Tag Umweg für Essensnachschub? Der Wanderer-Hunger ist echt schlimm manchmal. Wir können gar nicht so viel essen, wie wir verbrennen bei der ganzen Bewegung. Vor allem Markus kann seinen Hüftgurt schon gar nicht mehr enger ziehen. Ich habe noch ein bisschen Puffer, aber meine Hosen rutschen auch schon. Die Idee reift in unseren Köpfen und wir studieren die Karte. Heute ist Sonntag, da hat der Supermarkt sowieso nicht auf. Allerdings finde ich ein Café, wo es auch Pizza gibt, das heute bis 20 Uhr geöffnet hat. Als ich Markus das erzähle, ist es damit eigentlich schon entschieden. Wir gehen heute die Straße nach Hattfjelldal, stillen unseren Hunger, suchen etwas außerhalb einen Zeltplatz, gehen morgen früh im Supermarkt einkaufen und dann die Straße zurück Richtung Tverrelvnes und wieder auf den Wanderweg. Wieso auch nicht? Wir haben zwar beide noch genug Essen im Rucksack bis zum nächsten Versorgungspaket, aber wir haben Heißhunger auf irgendetwas anderes und viel davon. Deswegen eskalieren unsere Pläne auch inzwischen. Unsere Rechnung sieht so aus: Das Café hat bis 20 Uhr auf. Das heißt um 19 Uhr wollen wir dort sein zum Essen – das zweite Mal. Davor vielleicht 3 Stunden Pause, also um 16 Uhr das erste Mal. Wenn schon, denn schon.

Damit das alles auch passt, ertönt um halb 9 der Startschuss. Auf die Plätze, fertig, los! Im Ziel gibt’s Pizza!

Jetzt habt ihr einen kleinen Einblick, welch riesige Freude man Weitwanderern mit Essen machen kann…

Der Weg ist nicht spektakulär. Wir haben die Straße für uns und gehen die ganze Zeit mitten in der Mitte. Mir ist nach ein bisschen Musik, also stecke ich meine Ohrstöpsel in die Ohren und drehe die Lautstärke auf. Ich habe so schon gute Laune, aber die richtige Musik kann eine Stimmung, finde ich, noch verstärken. Oder auch ändern. Die Sonne scheint, neben uns glitzert der See, dahinter die Berge und ich strahle vor mich hin und genieße das Leben.

Auch beim Straße-Laufen kann man schöne Dinge entdecken. Wie zum Beispiel diesen Wasserfall.

Vor uns thront der Hatten, den wir gestern schon von oben gesehen haben.

Wir gehen die ersten 10 Kilometer am See entlang. Danach haben wir entschieden, einer kleineren Straße und Traktorspur nach Norden zu folgen, statt dieser Straße weiter. Dann müssen wir nämlich nicht auf die Hauptstraße nach Hattfjelldal. Also biegen wir ab Richtung Elsvatnet. Vorbei an ein paar einzelnen Höfen. Und natürlich hat jeder Hof mindestens einen Hund. Der erste wirkt ziemlich aggressiv und Markus nimmt sicherheitshalber einen dicken Stein in die Hand. Der Hund hält aber dann doch Abstand zu uns. Es geht die Schotterstraße bergauf. Blöd ist nur, dass ich schon länger kein Wasser mehr habe und so einen Durst durch die viele Sonne. Das Wasser aus dem letzten Bach schmeckte widerlich, das habe ich lieber wieder ausgekippt. Wer weiß, was hier von den Höfen und Feldern alles ins Wasser gespült wird.

An einem der nächsten Höfe kommt ein Mann hinter seinem Hund her und fragt, wohin wir unterwegs seien. Ich nutze gleich die Gelegenheit und frage nach Wasser. Ich darf meine Flasche im Garten auffüllen. Dann frage ich ihn noch nach der Traktorspur. Die gäbe es und wäre gut zu gehen, er würde mit seinen Söhnen mit den Rädern dort herfahren. Nur der unmarkierte Pfad auf unserer Karte wäre nicht gut, da sollten wir lieber bis zur Straße gehen und bei Steinslett abbiegen. Genauso machen wir es, das klingt gut. Wir haben nämlich keine Lust auf viel Abenteuer heute und uns auf dem unmarkierten Pfad durch den Wald zu schlagen. Das Essen ruft schließlich.

Am letzten Hof auf der Straße werden wir gleich von 5 Hunden begrüßt. Ein junger Kerl ruft uns zu, dass sie nichts tun und ganz lieb seien. Ich fühle mich trotzdem nicht wohl. Sie bellen und springen uns an. Wieso denken Hundebesitzer eigentlich, dass dieser Satz „Die tun nichts“ irgendetwas ändern würde, wenn man Angst hat vor so wilden Hunden. Das sagt doch jeder über seinen Hund. Er erklärt uns, dass es Jagdhunde seien. Die kleinen, braunen, die Dackeln ähnlich sehen, würden bei der Elchjagd benutzt. Die größeren, schwarz-weißen für Vögel.

Dann geht’s auf der Traktorspur weiter. Erst freuen wir uns noch über einen breiten, schönen Weg. Dann wird es aber immer matschiger. Nicht so schön und entspannt, aber es sind ja nur ein paar Kilometer. Als wir unten am See ankommen, gibt es eine kleine Pause. Natürlich wieder mit dem Hatten im Blick. Hier ist es ganz schön und wir haben schon 17 Kilometer hinter uns. Fehlen nur noch 10.

Wie empfohlen folgen wir ein Stück der 7344 und biegen dann auf eine kleine Schotterstraße ab. Zum Schluss geht es noch ein Stück auf der 73 bergab, das Ziel schon in Sicht. Uns kommt eine ältere Frau entgegen, die spazieren geht. Sie kommt direkt rüber auf unsere Straßenseite. Ihr Mann wollte sie heute nicht begleiten und wir haben das Gefühl, dass sie froh ist, jemanden zum Erzählen gefunden zu haben. Ihr Englisch ist ganz gut und sie fragt nach unserer Wanderung und erzählt ein paar Geschichten von früher. Im zweiten Weltkrieg wären die Deutschen hier gewesen, aber die waren nett zu den Dorfbewohnern und wollten ihnen nichts böses. In der Nähe hätte es ein russisches Gefangenenlager gegeben und sie erzählt, wie ihre Schwester einem der Russen ihre Handschuhe geschenkt hätte, weil er bei minus 20 Grad mit nackten Händen immer draußen Holz gehackt hätte. Außerdem hat sie Angst, dass es wieder Krieg geben könnte und schaut traurig, als sie die Ukraine erwähnt. Dann lässt sie uns weiterziehen. Das war wieder eine besondere Begegnung, man trifft so viele unterschiedliche Leute unterwegs.

Endspurt. Und tatsächlich riecht es am Ende der Straße schon nach Imbiss. Wir sind erstaunt, wie voll es ist. Fast alle Tische draußen sind belegt im Kafé Hatten. Das hätte ich mir ja denken können, dass es wieder nur typische Imbiss-Gerichte gibt. Also entscheide ich mich als erste Mahlzeit für Fish and Chips. Aber es macht mich nicht wirklich satt. Ich habe heute unterwegs noch gar nichts gegessen. Zum Nachtisch gibt es Blaubeer-Pie mit Kakao. Und dafür lösen wir endlich mal eine Einladung ein, die Markus und ich zusammen bekommen haben. Bisher gab es nie eine Gelegenheit dafür. Danke und Küsschen nach Dortmund! Der Blaubeer-Pie ist ein Traum.

Jetzt wollen wir uns erstmal um einen Schlafplatz kümmern. Große Lust aus dem Ort raus und auf Zeltplatz-Suche zu gehen, haben wir nicht. Ansonsten gibt es nur zwei Hotels. Na gut, wenn wir ein Zimmer teilen, dann passt das schon. Dann sind das 60 € für jeden. Das wollen wir uns gönnen. Wir gehen die paar Meter zu dem ersten Hotel, direkt am Flugplatz. Drinnen in der Tourist-Information finden wir jemanden, wir müssten online buchen. Mit dem Code kommen wir dann ins Zimmer. Also gehen wir wieder raus und wollen genau das tun, allerdings ist inzwischen alles ausgebucht. Na toll. Das andere Hotel ist ein bisschen teurer, aber wir machen uns nach ein bisschen hin und her überlegen trotzdem auf den Weg dorthin. Es ist niemand da, aber als ich anrufe, wird mir am Telefon der Weg ins Zimmer beschrieben. Das läuft halt irgendwie alles immer ziemlich entspannt hier.

Ich hatte mir vorgenommen, heute Abend ein bisschen Schreibarbeit nachzuholen. Allerdings kann ich mich dazu nicht motivieren. Ich habe Kopfschmerzen, weil ich viel zu wenig getrunken habe heute. Und außerdem spukt nach dem Børgefjell nun die nächste Herausforderung in meinem Kopf herum, nämlich der Rago Nationalpark und das Gebiet dahinter. Da habe ich noch keinen Plan, was ich mache. Es soll teilweise noch eine geschlossene, dünne Schneedecke geben und ansonsten viel Wasser. Die Alternative innerhalb Norwegens ist die E6 mit vielen Tunneln und Fährüberfahrt, also nicht wirklich eine Option für mich. Ansonsten bleibt mir nur, auf die schwedische Seite auszuweichen. Ich habe aber heute Abend überhaupt keine Lust darüber nachzudenken, ich will einfach mal einen Abend komplett abschalten und gar nicht an die Wanderung denken.

Ich liege auf dem Bett herum und schaue an die Decke. Ich habe immer noch Hunger, Zeit für die Pizza. Wir gehen also wieder runter zum Café und ich bestelle mir eine große Pizza mit Paprika und Zwiebeln. Dann setzen wir uns raus zum Warten. Nach einer Weile springt Markus plötzlich auf und ich denke im ersten Moment, dass er eine Bremse gesehen hat, die um mich herumschwirrt. Bis ich mich auch umdrehe und ganz überrascht bin. Da hinten stehen Katharina und Manuel mit Lando. Das ist ja lustig, was für eine Überraschung die beiden hier wiederzutreffen! Da gibt es natürlich auch gleich eine Menge zu erzählen, das letzte Mal haben wir uns in Røros gesehen. Sie haben schon überlegt, dass hier die einzige Chance wäre, uns über den Weg zu laufen, haben aber nicht damit gerechnet. Sie haben hier schon einen Pausentag gemacht und gehen morgen nach Schweden rüber auf den Kungsleden, da Hunde im Padjelanta Nationalpark fast das ganze Jahr über verboten sind. Hätten wir uns mal ein paar Minuten eher getroffen, dann hätten wir zusammen Tortellini mit Gemüse kochen und essen können. Die beiden meinen, sie hätten viel zu viel eingekauft gestern. Aber unsere Pizza steht inzwischen schon neben uns. Wir quatschen noch, bis sie fast kalt ist und machen uns dann auf den Weg zurück ins Hotelzimmer. Vielleicht sehen wir uns ja alle in Innset auf der Huskyfarm wieder. Das ist zwar noch ein ganzes Stück hin, aber der einzige Punkt, wo alle unsere Routen wieder zusammenkommen.

Die Pizza ist echt gut und danach bin ich auch richtig voll. Ich lege mich ins Bett und schaue einen Film auf dem Handy, um mich in eine andere Welt zu flüchten und nicht an die Wanderung zu denken. Das brauche ich heute mal. Dass der Film so traurig ist, hat mir aber niemand verraten. Das bessert meine Laune nicht. Also mache ich danach einfach die Augen zu und schlafe schon gegen 21 Uhr ein.


27,3 km
6:05 h
464 hm
522 hm
561 m