Nadel und Zahnseide als Faden haben sich schon mal gelohnt in meinem Reparatur-Set. Gestern Nachmittag ist eine Steckschnalle an meinem Zelt abgerissen mit der das Innenzelt aufgehängt wird. Das ist natürlich ärgerlich, aber ich habe mich gleich gefreut, dass ich alles dabei habe, um so etwas schnell zu beheben. Dazu muss man auch kein Näh-Profi sein. Jeder, der Ahnung von Nähen hat, würde wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen bei meiner Naht. Aber Hauptsache es hält.

Auf dem Campingplatz hatte ich noch ein bisschen Unterhaltung mit 2 Norwegern. Der eine hat mir erzählt, dass er für den Energiekonzern arbeite, der gerade ein neues Wasserkraftwerk mit 2 Turbinen direkt neben dem Campingplatz baue. An der Baustelle bin ich vorbeigekommen und hatte mich schon gefragt, ob da eine neue Brücke gebaut würde.

Mein Zeltnachbar, der sich mit seinem extremen Umfang auf der Wiese in der Sonne räkelt – echt klasse Aussicht – denkt, ich meine mit „hiking“ „hitch-hiking“, also Trampen. Als sich am nächsten Tag dann klärt, dass ich wandere, macht er große Augen. Er ruft direkt seine Frau und erzählt ihr das ganz aufgeregt auf norwegisch. Sie guckt mich kurz an, gibt einen bewundernden Laut von sich und geht weiter. Ich muss schmunzeln über diese Leute.

Nur eine Sache nervt im Moment ein bisschen. Ich habe schon seit dem zweiten Tag irgendeinen Ausschlag auf meinen Händen. Ob Hitzepocken, Sonnenallergie oder irgendeine andere allergische Reaktion, Berührung mit irgendwelchen Pflanzen oder Insekten, keine Ahnung, was es ist. Bisher hat es auch nicht gestört, aber inzwischen juckt es ziemlich. Vor allem bei Wärme. Deswegen bin ich froh, wenn sich die Sonne heute gar nicht so viel zeigt.

Ich bin früh wach, es ist gerade mal 4 Uhr. Aber es ist schon hell und die Vögel machen einen ziemlichen Radau. Ich bleibe noch ein bisschen liegen, freue mich aber schon richtig auf das Weiterlaufen. Um kurz nach 7 Uhr gehe ich los. Den Weg durch Evje habe ich ja gestern schon ausgekundschaftet. Weiter geht es dann auf dem Radweg 3. Dann muss ich wenigstens nicht direkt an der Bundesstraße, der E9, gehen. Auf langen Schottergeraden geht es durch den Wald. Der erste Belastungstest heute. Und zwar für den Kopf, so gerade Strecken sind immer besonders zäh zu laufen. Mich überholen 2 Radfahrer, aber sonst treffe ich niemanden.

Als ich an einem großen Gelände mit Hochseilgarten, Kletterturm, Pumptrack und anderem spaßigen Angebot vorbeikomme, muss ich einmal unter der Bundesstraße hindurch. Und kann dabei auch mal meine Arme ein bisschen fordern. Mann kann nämlich seitwärts durch den Tunnel klettern – coole Idee!

Nun folge ich den restlichen Tag immer dem Fluss Otra bzw. dem Byglandsfjord. Ich mache einen kurzen Abstecher auf eine der Staumauern und stelle mich direkt über die halb geöffneten Schleuse. Ganz schön gewaltig, wie das Wasser da hinaus schießt und tost. Da wird einem beim Herunterschauen ja schon ein bisschen mulmig.

Die Stromschnellen im Hintergrund geht’s gleich wohl runter. Ich beobachte, wie 2 Rafting-Gruppen ihre Einweisung bekommen.

Statt nun dem Radweg weiter zu folgen, der auf die Westseite des Flusses wechselt, gehe ich doch ein kleines Stück an der E9 entlang. Nur bis nach Byglandsfjord, um dem Supermarkt einen Besuch abzustatten. Das wird nämlich erstmal wieder der letzte sein bis wahrscheinlich Mitte oder Ende nächster Woche. Es ist sehr wenig Verkehr und ich kann überwiegend hinter der Leitplanke auf der Wiese gehen. Und bei den ersten Häusern finde ich auch einen schönen Fußweg.

Auf dem Weg durch den Ort ist die Bibliothek das auffälligste Gebäude, ein schönes altes Holzhaus.

Nach dem Einkauf gehe ich die 200 Meter wieder zurück zur Brücke. Weiter will ich jetzt doch nicht an der großen Straße entlang gehen. Also über die Brücke, wo ich wieder auf den Radweg komme. Der führt zwar auch über eine asphaltierte Straße, aber hier ist kein Verkehr. In den folgenden 4 Stunden überholen mich vielleicht 10 Autos und ein paar Motorräder. Bis zum Storestraum Staudamm gehe ich nun diese Straße und dann darüber wieder auf die andere Seite. Ob ich die ganzen 28,5 Kilometer heute schaffe? Ich glaube nicht, 10 Kilometer habe ich schließlich schon auf der Uhr als ich an dem Schild stehe.

Meine Füße laufen im Automatikmodus, einfach immer weiter. Manchmal balancieren sie auf der Fahrbahnmarkierung, dann verfallen sie wieder in ihren Trott. Zwischendurch singe ich, irgendwann fange ich an in allen Sprachen, die ich kann, bis 100 zu zählen. Bei Englisch muss ich ja gar nicht nachdenken. Französisch und Spanisch habe ich beides schon länger nicht gebraucht, da muss ich zwischendurch kurz überlegen und werfe beides auch glaube ich mal durcheinander. Dann kann ich meine Füße zu einer kurzen Pause auf diesem schönen Steg überreden.

Dann aber zurück auf den Asphalt. Mal direkt am Wasser entlang, dann wieder an Bauernhöfen und Ferienhäuschen vorbei. Jetzt in Regenjacke, da ein paar Tropfen vom Himmel fallen. Ich habe kurz vorher noch überlegt, ob ich wohl noch nass werde heute bei den ganzen dunklen Wolken. Nach den 5 Tropfen sind aber schon wieder blaue Löcher zwischen den Wolken zu sehen.

Gartengestaltung mal anders. Hier braucht man nur aus der Haustür gehen, über die geschwungene Brücke und kann sich auf dem Liegestuhl auf der kleinen Insel in die Sonne legen. Nett!

Und immer wieder bleibe ich zwischendurch stehen und bewundere die sich ständig ändernden Wolkenformationen und wie sie sich in dem glatten Wasser spiegeln.

Dass auf diesem Weg ein Tunnel liegt, wo es keine Umgehung für Fußgänger gibt, hatte ich schon gesehen bzw. gelesen. Und mir so einige Gedanken gemacht, ich gehe nicht so gerne durch Autotunnel. Mit Stirnlampe bewaffnet, wage ich mich aber in das schwarze Loch. Und stehe zwischen den Felswänden in tiefer Dunkelheit. Nur die Randmarkierungen reflektieren das Licht meiner Lampe. Gerade als ich denke, ganz schön unheimlich hier, komme ich aber um eine Kurve und sehe schon wieder Licht. Das war also gar nicht so schlimm, das waren gerade mal 300 Meter oder so.

Na gut, dann halte ich jetzt mal die Augen auf nach einem geeigneten Schlafplatz. Einen Großteil der Straße habe ich ja nun schon hinter mich gebracht.

Ich folge etwas weiter einer schon fast zugewucherten Fahrspur in den Wald und komme auf eine Lichtung. Das ist zwar nah an der Straße, aber zwischen den Tannen sieht man mich nicht. Beim Probeliegen denke ich, dass ich ja auch gleich so schlafen kann, das ist ein schöner Blick in die Baumwipfel. Ich baue aber doch lieber mein Zelt auf, abends sind mir schon ein paar Mücken begegnet.

Das tut gut, die Schuhe auszuziehen! Ich esse was und sitze hier so rum und lausche den Vögeln und anderen Waldgeräuschen. Ich kann schon gut alleine sein, aber heute ist so ein Abend, wo ich nichts gegen ein bisschen Gesellschaft hätte. Da ich mich noch nicht zum Schreiben motivieren kann, höre ich mein Hörspiel weiter und döse vor mich hin. Und überrede mich irgendwann, doch zu schreiben. Wenn ich einmal angefangen habe, macht es mir dann doch Spaß, den Tag so nochmal Revue passieren zu lassen.


34,5 km
6:35 h
323 hm
260 hm
279 m