Heute starte ich wieder erst um kurz vor 8 Uhr. Ich fühle mich ein bisschen matschig und nicht ganz so fit. Aber das ist meine letzte richtige Etappe in den Bergen. Morgen geht es nur noch runter. Und ich freue mich, direkt mit einem Gipfel zu starten. Los geht’s nämlich auf den Hohen Freschen. Auf einem einfachen Weg, nicht so steil, über Wiese, Steine und an zig Kühen vorbei.
Die Weide geht bis zum Gipfelkreuz. Mein erster Gipfel für heute – Hoher Freschen auf 2004 Meter Höhe.
Das letzte Mal auf über 2000 Metern. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich vor ein paar Wochen gefreut habe, das erste Mal auf 2000 Meter aufzusteigen. Das war am Hochschneeberg.
Hier erleidet meine Laune aber einen kurzen Einbruch. Mein Weiterweg ist gesperrt. Und dabei hatte ich mich schon so auf den Gratweg gefreut. Der Berg ist nämlich nur von der einen Seite so sanft und grün. Die andere Seite ist felsig und steil. Das erste Stück ist ein Klettersteig und hier wurden ein paar Sicherungen bei einer Rutschung zerstört. Die Info finde ich zumindest im Internet. Na toll! Ich mache mir zwar sonst häufig nichts aus Sperrungen, aber das hier ist mir zu steil und zu gefährlich.
Ich sitze eine ganze Weile hier oben und studiere den Wanderführer und die Karte. Es muss ein neuer Plan her. Und zwar am besten einer, der mich nicht so viele Stunden und Höhenmeter Umweg kostet. Der Nordalpenweg hat hier 2 Varianten, aber für beide muss man die ersten paar Meter vom Gipfel über den gesperrten Weg. Einmal geht es dann über den Valüragrat links.
Oder eben über den Binnelgrat, der hier noch halb im Nebel liegt.
Und beide sehen so gut und spannend aus. Aber naja, es ist nicht zu ändern. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als Richtung Mellental abzusteigen und später dann wieder auf den Grat und zu dem eigentlichen Weg aufzusteigen. Den kompletten Weg will ich nicht umgehen, dafür steht auch noch eine Variante im Wanderführer.
Ich mache mich also wieder an den Abstieg und gehe denselben Weg ein Stück zurück. Dann unterhalb des Schusterstuhls über die Wiese hinab.
Zweimal rutsche ich aus, weil es so matschig ist. Der Abstieg gefällt mir gar nicht gerade. Ich habe auf der Karte einen Pfad gefunden, auf dem ich die Riesenspitze umrunden, bis zu einer Alpe absteigen und dann direkt wieder aufsteigen könnte zum eigentlichen Weg. Dann muss ich nicht ganz bis ins Tal runter. Der Weg ist allerdings nur eine hellgrau gestrichelte Linie und nicht als Wanderweg markiert. Mal schauen, ob es den überhaupt gibt.
Dafür ist dann die Offline-Karte am Handy sehr praktisch, wo ich direkt sehen kann, wo genau ich gerade bin. So versuche ich den Pfad zu finden. Ich irre erst ein bisschen über die Wiese, entdecke ein Stück oberhalb dann aber einen Pfad. Als ich die steile Wiese hochsteige, rutsche ich nochmal weg und haue mit meinem Schienbein auf den einzigen Stein weit und breit. Aua! Bisher ist wohl nicht so mein Tag heute.
Auf dem Pfad komme ich dann tatsächlich um die Riesenspitze herum. Nur runter zu der Alm muss ich nochmal ein bisschen querfeldein gehen zwischendurch, an ein paar Stellen kann ich keinen Pfad erkennen. Jetzt habe ich von der anderen Seite einen Blick auf den Hohen Freschen und den Binnelgrat.
Hinter der Haslachalpe geht es dann wieder hinauf. Inzwischen ist die Sonne rausgekommen und es ist ziemlich heiß. Der Aufstieg ist echt anstrengend. Zwischendurch eine kurze Pause, ich habe eine Zecke an meinem Bein entdeckt. Sie hat sich aber noch nicht richtig festgebissen. Die erste Zecke auf der Wanderung bisher, da hatte ich mit mehr gerechnet, so häufig wie ich durch hohes Gras gestapft bin. Aber das ist ja gut so.
Die letzten 200 Höhenmeter habe ich dann ein bisschen Unterhaltung. Ein Mann holt mich ein, der einen Freund oben auf der Alpe besuchen will und wir gehen zusammen bis dahin. Ich freue mich beim Aufstieg schon auf was zu trinken. Allerdings ist niemand da und es ist alles zu. Schade! Aber zumindest bin ich jetzt auf dem eigentlichen Weg angekommen. Nach über 2 Stunden stehe ich nun wieder oben auf dem Grat.
Nach kurzer Pause geht es zum Salzbodenkopf hinauf. Wieder runter und hoch zur Mörzelspitze. Es liegen noch ein paar Gipfel auf meinem Weg jetzt. Aber der Aufstieg fällt mir schwer heute, zum Glück sind es nicht mehr viele Höhenmeter. Die Hitze macht mir zu schaffen und ich habe kaum noch Wasser. Zwischendurch kann ich immer wieder den Bodensee in der Ferne sehen.
Der Gipfel liegt nicht direkt an meinem Weg. Allerdings sind es gerade mal 80 Höhenmeter in steilen Kehren hinauf, das schaffe ich jetzt auch noch. Oben am Gipfelkreuz der Mörzelspitze auf 1830 Metern mache ich dann nochmal eine Pause.
Ich esse meine letzten Nüsse und Trockenfrüchte. Jetzt habe ich keine Snacks mehr – alles aufgefuttert, was ich dabei hatte. Ich habe noch ein paar von meinen selbstgemachten Fertiggerichten, aber dafür brauche ich Wasser. Und das habe ich bei den anstrengenden Anstiegen heute schon ausgetrunken. Also geht es mit knurrendem Magen weiter.
Über den Leuenkopf links, auf 1830 Meter Höhe. Hier gibt es kein Gipfelkreuz. Und weiter über den Gratweg, über die Wiese und immer wieder durch Kuhherden, die hier oben grasen.
Hier nochmal der Blick zurück. Inzwischen hüllen die Wolken den Gipfel wieder ein. Es war ein schöner Weg über den Grat.
Beim Abstieg komme ich noch über den Guntenkopf auf 1765 Metern. Es wirkt gar nicht wie ein Gipfel, aber hier steht ein Gipfelkreuz. Dann geht es über die Wiese weiter hinab bis zur Untersehrenalpe. Der Bodensee kommt immer näher.
Zur Weißenfluhalpe geht es wieder ein Stückchen hinauf, aber nicht viel. Über einen breiten Schotterweg mit leichter Steigung. Mich überholen einige Radfahrer. Hier mache ich kurz Pause, trinke was und gönne mir ein Stück Kuchen. Mein Ziel ist nur noch 15 Minuten weiter, aber es ist erst ab 17 Uhr jemand da. Jetzt ist es halb 5, dann passt das genau von der Zeit. Der ältere Mann, bei dem ich am Tisch sitze, fragt mich über meine Wanderung aus und dann lädt er mich ein zu dem Kuchen. Ich mache mich aber schnell wieder auf den Weg, als er und die anderen Männer drumherum damit anfangen, dass ich mich ja mit einem Küsschen auf die Wange bei ihm bedanken könne. Dann bezahle ich den Kuchen lieber selber!
Über die Wiese geht es runter und dann durch den Wald wieder kurz hinauf. Heute schlafe ich in der Bregenzer Hütte, einem Naturfreundehaus, da die Lustenauer Hütte keinen Platz mehr für mich hatte. Ganz schön luxuriös, es gibt eine warme Dusche und frische Bettwäsche. Da brauche ich meinen Schlafsack heute gar nicht. Dafür kostet die Übernachtung auch mehr als doppelt so viel als im Lager in den Alpenvereins-Hütten.
Ich bin der einzige Gast heute Nacht. Es fühlt sich so an wie der Anfang meiner Tour, nur jetzt umgedreht. Bregenzer Wald statt Wiener Wald, von 2000 Metern runter statt rauf, wieder alleine auf der Hütte. Ich bekomme leckere Bratkartoffeln mit Spiegelei, könnte aber locker noch eine Portion davon essen. Dann geht es früh schlafen, morgen habe ich einen langen Tag vor mir. Das Finale des Nordalpenwegs.
Thomas Kuhn
Liebe Sophie,
danke für all Deine tollen Eindrücke, an denen Du uns hast teilhaben lassen.
Für den finalen Abstieg alles Gute.
Thomas
(vom Prielschutzhaus)