Ich hatte in den letzten Tagen rot-blaue Beulen an den Oberschenkeln, die ziemlich gejuckt haben zwischendurch. An meinem Pausentag kamen mir Frostbeulen in den Sinn, auch wenn ich sowas noch nie hatte. Ich habe ein bisschen nachgelesen und es könnten tatsächlich welche gewesen sein. Nach der Pause in der Hütte und der Sauna gestern Abend ist es aber schon sehr viel besser.

Heute geht es weiter das Reisadalen entlang. Zumindest erstmal. Morgens überdenke ich kurz nochmal meinen Plan, aber ich möchte immer noch nicht hierbleiben. Ich koche mir einen Tee und dann geht’s los. Direkt hinter der Hütte über eine Hängebrücke und auf der anderen Seite des Flusses weiter.

Es geht auf einem ziemlich schmalen Pfad am steilen Hang entlang. Erst über Geröll, dann durch den Wald. Am Fels neben mir sind sogar zwischendurch Drahtseile angebracht, dass man sich festhalten kann. Ich hatte irgendwie damit gerechnet, dass der Weg ganz einfach weitergeht, aber hier muss man doch ein bisschen aufpassen.

Nach den ersten paar Kilometern entscheide ich mich für einen kleinen Umweg. Wenn man dem Pfad am Fluss weiter folgt, kommt man nämlich noch an einem Wasserfall vorbei. Das ist nicht viel länger, als der direkte Wanderweg. Nur vielleicht ein bisschen mehr Kletterei. Ich weiß ja nicht, wie der andere Weg aussieht. Es geht über Felsblöcke hinauf, zwischendurch muss man schon die Hände zur Hilfe nehmen. Nach dem ersten kurzen Anstieg hat man dann einen schönen Blick zurück.

Oberhalb des Flusses geht es weiter über Felsplatten und an vereinzelten Birken vorbei. Bis zum Imofossen. Den Wasserfall muss ich aber ein bisschen suchen. Zuerst gehe ich zu weit geradeaus und entdecke diese Schlucht. In die andere Richtung verschwindet das Wasser zwischen den Felsen. Mehr kann ich aber von hier nicht sehen.

Also lasse ich meinen Rucksack stehen und schaue, wo ich einen Blick auf den Wasserfall bekomme. Ich folge einem undeutlichen Pfad und muss eine kleine Rinne hinaufklettern. Auf der anderen Seite des Felsens wieder hinunter und dann stehe ich auf einem kleinen Felsplateau mit perfektem Blick auf den gigantischen Wasserfall. Oder besser die Wasserfälle. Es sind direkt zwei, die gegenüber voneinander in die hier fast schon runde Schlucht stürzen. Das ist der Wahnsinn!

Ich sitze eine ganze Weile einfach da und beobachte das Wasser. Man kann sich richtig darin verlieren. Ich weiß nicht, ob ich schon mal einen Wasserfall mit solchen Wassermassen und so einer Kraft gesehen habe. Der Umweg lohnt sich auf jeden Fall.

Bald wird es mir aber zu kalt und ich mache mich wieder auf den Weg. Klettere zurück zu meinem Rucksack und folge dem Wegweiser zum Wanderweg. Es geht jetzt durch den Wald hinauf und weg vom Fluss, der mich die letzten beiden Tage begleitet hat. Die ersten 200 Höhenmeter sind etwas steiler, dann geht es seichter weiter bergauf. Der Wald wird lichter. Das ist das reinste Blaubeer-Paradies hier. Ich nasche beim Gehen ganz viele meiner Lieblingsbeeren.

Rechts von mir kommt ein Berg in Sicht. Richtig hohe Berge gibt es hier im Norden aber nicht mehr. In der Finnmark gibt es keine Gipfel über 1.200 Meter Höhe.

Noch ein letzter Blick zurück. Tschüss, schönes Reisadalen. Ich habe die beiden Tage im Tal echt genossen, es war so schön windstill zwischen den Bäumen. Und gefühlt gleich eine ganze Ecke wärmer.

Beides ändert sich schlagartig, als ich über der Baumgrenze bin. Ich gehe über Flechten und niedrige Sträucher. Die Bäume haben keine Blätter mehr. Es ist ziemlich windig und dadurch gleich wieder so eisig. Alles sieht irgendwie ziemlich trist aus. Vom bunten Herbst ist hier nicht mehr viel zu sehen.

Ich nehme mir vor, an der Arthurgamme Pause zu machen. Da bin ich wenigstens vor dem Wind geschützt. Ohne Windschutz wäre eine Pause nicht sehr gemütlich. Die Gamme ist allerdings vom Weg nicht sichtbar, wahrscheinlich liegt sie viel weiter hinten, irgendwo zwischen den kahlen Bäumen. Irgendwie habe ich aber keine Lust sie zu suchen. Ich folge weiter dem Pfad und bin schon bald viel zu weit. Dann eben keine Pause.

Eigentlich war der Plan, hier irgendwo ins Nábár aufzusteigen und quer über die Hochebene nach Masi zu gehen. Aber das habe ich ja verworfen und folge nun der Nordkalottruta nach Kautokeino. Der Weg zieht sich ganz schön. Ich kämpfe gegen den Wind an, habe inzwischen meine Mütze auf und die Kapuze eng um das Gesicht gezogen. Es geht ein bisschen hoch, wieder runter, durch sumpfige Wiesen und wieder hoch. Der Wind macht mir echt zu schaffen.

Da hinten kommt noch mehr Sumpf in Sicht, nasser Boden mit hohen beigen Gräsern. Und natürlich muss ich genau da durch. Zum Glück habe ich heute Morgen vorsorglich die wasserdichten Socken angezogen.

Die kahlen Bäume werden wieder mehr und plötzlich entdecke ich vor mir einen grünen und einen blauen Fleck zwischen den Ästen. Zwei knallige Regenhüllen über großen Rucksäcken. Ich überlege, ob es Miri und Flo sein könnten. Die beiden dürften aktuell nicht allzu weit weg von mir sein. Aber dann sehe ich noch einen Hund. Dann sind es bestimmt Stine und Marianne mit Freya. Sie sind von der Nordkalottstua nämlich mit dem Boot zur Nedrefosshytta gefahren und ab da erst gelaufen. Sie gehen die Wanderung ziemlich entspannt an und laufen auch nicht so weite Strecken jeden Tag. Deswegen habe ich sie jetzt schon wieder ein. Wir wünschen uns kurz gegenseitig noch eine gute Wanderung und dann überhole ich sie.

Der Pfad wird breiter und ist jetzt eher eine Traktorspur. Ich habe vorher gar nicht so genau in die Karte geschaut und bin etwas erstaunt, als ich plötzlich vor diesem breiten Fluss stehe. Mit so einer Furt habe ich nicht gerechnet. Es ist keine Brücke in Sicht. Also muss ich wohl tatsächlich durch das kalte Wasser des Njárgajohka. Das Wasser geht mir bis zu den Knien. Die Strömung ist nicht stark und eigentlich ist es einfach. Nur die Steine sind ein bisschen rutschig. Aber es ist eben nass und kalt.

Es geht sumpfig weiter, über riesige, nasse Ebenen. Zum Glück sind an vielen Stellen Holzplanken ausgelegt.

Ich gehe nördlich um den großen See Ráisjávri und stehe vor dem nächsten Fluss. Das darf doch nicht wahr sein. Naja, ich bin eh schon nass. Also einfach rein ins kalte Wasser. Es gibt kaum Strömung und fühlt sich an, als würde man durch einen See waten.

Das reicht jetzt aber, genug Wasser für heute. Ich habe auch ohne kaum noch Lust. Aber der Gedanke, morgen eventuell schon in Kautokeino anzukommen, lässt mich weitergehen. Ich male mir aus, was ich im Supermarkt alles kaufe. Ich habe gleichermaßen Lust auf frisches Obst und Chips.

Der Weg führt mich nochmal kurz ganz dicht ans Seeufer und ein Stück daran entlang. Auf einer Lichtung direkt am Wasser stehen ein paar große Zelte. 4 Männer stehen draußen im Kreis. Sie drehen sich um, als ich näher komme und beobachten mich. Zuerst denke ich an Soldaten, da sie alle eine Art Uniform in Tarnfarben tragen. Aber es sind Jäger. Sie können kaum glauben, dass ich so weit wandere. Sie meinen, ich könne ja auch bleiben und morgen mit ihnen auf Elch-Jagd gehen. Ich würde ihnen bestimmt Glück bringen. Aber ich möchte weiter. Sie bieten zwar an, dass ich mein Zelt auch hier aufstellen kann, aber ich möchte nicht so nah bei ihnen schlafen. Da suche ich mir lieber einen ruhigeren Platz. Ein bisschen Zeit habe ich noch, bevor die Sonne untergeht.

Ich gehe weiter und über eine kleine Brücke über den nächsten Bach. Dahinter steht die Reisavannhytta. Noch eine Hütte, die man vorab reservieren muss und dann einen Code bekommt. Empfang gibt es aber keinen. Ich schaue auf die Karte. Der Wanderweg führt weiter durch noch viel mehr Sumpf. Darauf habe ich keine Lust. Also beschließe ich stattdessen rüber zur Straße zu gehen und dieser bis Kautokeino zu folgen. Das ist einfacher, trockener und schneller.

Es ist inzwischen kurz vor 18 Uhr und dämmert. Ich folge der breiten Spur um den Geađaščohkka herum. Nochmal ein bisschen rauf und dann wieder runter Richtung Straße. Ich frage mich, ob die Landschaft sich jetzt noch groß ändert in nächster Zeit oder ob es so karg bleibt.

Ich habe blöderweise meine Trinkflasche an den Flüssen nicht aufgefüllt und sitze jetzt schon seit einer Weile auf dem Trockenen. Ich brauche auf jeden Fall Wasser zum Kochen. Ich habe ziemlichen Hunger, eine richtige Pause habe ich heute nicht gemacht. Kurz bevor ich an der Straße bin, komme ich an einem kleinen See vorbei. Da würde ich normalerweise nicht raus trinken, aber es ist kein anderes Gewässer in Sicht. Also fülle ich alle Behälter. Ich kann das Wasser ja abkochen, wenn ich einen Zeltplatz gefunden habe.

Die helle Straße leuchtet richtig in der Dämmerung. Es ist 20 vor 7 und die Sonne ist schon untergegangen.

Ich gehe noch ein Stück die einsame Straße entlang und überlege kurz, ob ich einfach weiterlaufen soll. Auf der Straße ist das im Dunkeln ja kein Problem. Ich könnte einfach die Nacht durch laufen und wäre morgen zum Frühstück schon in Kautokeino. Aber vielleicht sollte ich doch besser ein bisschen schlafen. Ich muss ja auch danach die Tage wieder fit sein und weitergehen. Nach einem Kilometer entdecke ich links von der Straße eine kleine trockene Ebene im Windschutz von ein paar Bäumen. Perfekt, da stelle ich mein Zelt auf. Und sobald ich darin sitze, fängt es an zu regnen. Das war ja mal gutes Timing.

Mit Stirnlampe koche und esse ich. Meine Füße schmerzen, wie so häufig abends, wenn ich mich dann endlich lang ausstrecken kann. Man merkt auch nach so langer Zeit noch jeden Tag die Anstrengung und was die Füße leisten. Mal ist es mehr, mal weniger. Und es fühlt sich immer traumhaft an, einfach lang auf dem Rücken zu liegen. Ich höre den Wind pfeifen, bekomme davon aber wenig ab. Ich hätte echt Lust, einfach mal eine Woche lang Urlaub zu machen. Irgendwie ist gerade so ein bisschen die Luft raus. Aber so viel Zeit habe ich nicht mehr.


35,9 km
8:30 h
898 hm
585 hm
578 m