Um halb 3 wache ich auf. Das Zelt wird von ein paar heftigen Windböen durchgerüttelt. Da ist an Schlaf nicht zu denken. Zwischendurch ist wieder alles still. Dann die nächste Böe. Man hört das Pfeifen des Windes schon eine Weile bevor die Böe auf das Zelt knallt. Ich versuche noch ein bisschen zu schlafen, aber erfolglos. Manchmal halte ich meinen Trekkingstock fest, damit ich mich ein bisschen sicherer fühle. So ist das doch sinnlos. Dann kann ich auch einfach schon losgehen. Um halb 5 ist alles gepackt und ich mache mich auf den Weg.
Es ist super schön draußen. Die Sonne geht gerade auf und es sind nur ein paar Wolken am Himmel. Der Wind ist warm und beim Gehen viel besser auszuhalten. Ich gehe erstmal eine ganze Weile um den See herum. Über buckelige Wiese und zwischendurch ein wenig Sumpf. Im Gegensatz zu den letzten beiden Tagen ist das echt entspannt.
Den letzten Bogen um den See herum muss ich nah über dem Ufer über große Felsen klettern. Gut, dass der Wasserstand so niedrig ist, weiter oben ist es viel steiler.
Dann lasse ich den See hinter mir und gehe das Tal hinauf. Heute stehen einige Bachquerungen an. Ich habe mir alle auf der Karte markiert und hoffe, dass ich gut rüberkomme. Das war vor diesem weglosen Abschnitt meine größte Sorge. Bisher war das Wasser aber gar kein Problem. Und auch den ersten Fluss heute, den Vestrelva, kann ich trockenen Fußes über ein paar Steine queren.
Es geht über nasse Wiesen, um Sumpf herum und wird schließlich wieder felsiger. Es geht die ganze Zeit hinauf, aber nicht so steil. Erst hinter dem namenlosen See auf 697 Metern geht es etwas steiler über eine Kuppe. Hier muss ich mir immer wieder einen Weg auf die nächste lange Felsstufe suchen.
Auf der anderen Seite angekommen, geht es felsig weiter. Immer noch mit Blick auf den Gletscher Veikdalsisen. Wieder eine andere Perspektive.
Ich freue mich über das schöne Licht, wundere mich aber tatsächlich kurz über den verfärbten Himmel. Achja, es ist ja noch so früh. Inzwischen gerade halb 7. Die ersten 5 Kilometer habe ich schon hinter mir und mache eine Pause hinter einem Felsen. Da habe ich kurz Ruhe vor dem Wind. Heute komme ich um einiges schneller voran, als die letzten beiden Tage.
Ich gehe oberhalb des Sees Ridoalgejávrre den Hang entlang. Die Felsen haben ganz schön hohe Stufen und ich muss ein paar Mal an der Wand entlang gehen, bis ich einen Auf- oder Abstieg finde.
Hier haben die Seen, Flüsse, Gipfel und Täler scheinbar oft nur samische Namen. Da ist die Aussprache ganz anders, als man es lesen würde, hat mir mal jemand erzählt. Aber mir fällt auf, dass Jávrre wohl See bedeutet, Jåhkå sind Flüsse, Gipfel enden auf Jåhkkå – mit 2 „k“ im Gegensatz zu Flüssen – und Täler auf Vágge. Normalerweise stehen auf der Karte die norwegische und samische Bezeichnung, hier gibt es aber oft nur einen Namen.
Entlang des Hangs muss ich zwischen den Felsen über einige kleine Bäche. Da bin ich mit einem Schritt drüber. Die fallen quasi gar nicht auf. Aber auch die breiteren Bäche sind kein Problem. Es gibt immer eine Stelle mit genügend Steinen für eine trockene Querung oder eine niedrige Stelle mit wenig Strömung.
Als ich tiefer komme und näher zum See, wird es wieder grüner. Es geht über Hügel und Buckel mit Blaubeeren, die leider noch nicht richtig süß sind. Oder vielleicht auch gar nicht mehr ganz reif werden dieses Jahr?
Der Fluss Tjåhkkuljåhkå östlich vom See Tjåhkkuljávrre ist nicht ganz so einfach zu furten. Er ist ganz schön tief. Ich gehe ein ganzes Stück daran entlang zurück und klettere über ein paar Felsen, bis ich eine geeignete Stelle finde. Dort ist der Fluss breit und flach, geteilt durch eine kleine, grüne Insel. Davor und dahinter wieder ein Wasserfall. Also probiere ich es hier. Die Strömung ist trotzdem nicht ganz ohne und das Wasser ist echt kalt. Jedenfalls wenn man so lange braucht für die Querung. Aber lieber kalte Füße, als auszurutschen und ein Ganzkörper-Bad zu nehmen.
Hinter dem Fluss gönne ich mir die nächste Pause. Es ist gerade kurz nach 9 Uhr, fühlt sich aber an, als wäre schon Mittag. Ich bin ja auch schon 4 Stunden unterwegs und habe Hunger. Also koche ich und mache eben eine frühe Mittagspause.
Dann geht es aufwärts und östlich vom Gipfel über den Rücken des Tjåhkkul. Immer noch über grüne Buckel.
Die zwischendurch aber ganz schön steil sind. Immer wieder muss ich dazwischen durch moosigen Sumpf und dann wieder diese steilen Hänge hoch. Die Sträucher sind teilweise kniehoch und man muss gut fühlen, wo man hintritt. Sehen kann man den Boden nicht.
Der See da unten liegt schon in Schweden und auch die Gipfel im blauen Dunst dahinter. Oben auf dem Bergrücken bin ich vielleicht gerade einmal 500 Meter von der Grenze entfernt. Irgendwelche Markierungen oder Grenzsteine kann ich nicht entdecken. Aber vielleicht bin ich dafür auch noch zu weit weg.
Ich bleibe immer wieder kurz stehen. Ich brauche, glaube ich, bald schon den nächsten Pausentag. Diese Etappe ist echt anstrengend. Es wird wieder felsiger. Beim Navigieren mit dem Kompass mache ich es mir ein bisschen einfacher, indem ich die Peilung übers Handy mache und dann einfach die Gradzahl einstelle und mir merke, wie viele hundert Meter ich in diese Richtung laufen muss. Dann wird die nächste Peilung gemacht. Das verbraucht nicht viel Akku und geht schneller als mit der Papierkarte.
Es geht über Felsen wieder vom Berg hinunter. Immer wieder stehe ich oben auf dem Fels und vor einer steilen Kante. Also muss ich ein Stück weitergehen, bis ich einen Weg finde, eine Etage tiefer zu kommen. Immer wieder. So bahne ich mir langsam den Weg nach unten. Das hält ganz schön auf, wenn man immer wieder in diesen Sackgassen landet. Zum Glück finde ich aber doch immer eine Möglichkeit ohne zu viele Umwege machen zu müssen.
An einem kleinen See mache ich Pause und strecke die müden Beine aus. Ganz schön bequem so eine Kuhle im Moos. Hier könnte ich auch einfach liegen bleiben.
Aber ich gehe noch weiter. Eigentlich möchte ich es gerne bis zum dem großen Fluss schaffen, der sich durch das Tal Ruonasvágge zieht. Der sieht auf der Karte und auf Luft-Bildern nicht so einfach zu queren aus. Das möchte ich heute hinter mich bringen, jetzt war es schließlich 3 Tage trocken. Morgen soll es wieder regnen und der Wasserstand steigt vermutlich. Außerdem ist es erst halb 1. Das ist der Vorteil, wenn man so früh losgeht. Man hat super viel Zeit für Pausen.
Es geht immer wieder hoch und runter. Und dann stehe ich vor dieser Schlucht. Wieder eine Sackgasse. Zumindest im ersten Augenblick. Ein Stück weiter finde ich einen Abstieg.
Das Moos leuchtet ganz schön kräftig. Ich gehe um den See da hinten rum und muss dann noch einen Fluss queren, den Sjnasjkasjåhkå.
Zwischen zwei sehr breiten und tiefen Stellen ist ein schmaler Wasserfall. Genau darüber sind es nur ein paar Schritte mit Felsen in der Mitte. Hier ist es wie so häufig. Ich muss mich kurz überwinden, den ersten Fuß in die Strömung zu stellen, dann ist es eigentlich ganz leicht.
Jetzt habe ich die Wahl zwischen Berg oder Tal. Ich könnte ein Stück den Sávtsasvárre hinaufgehen und hoffen, dass es nicht zu steil ist, um am Hang entlang und an der anderen Seite zum Sattel zwischen diesem Berg und dem Steinfjellet wieder abzusteigen. Oder ich könnte unten um den See Sávtsasjávrre herumgehen und dahinter erst zum Sattel aufsteigen. Ich entscheide mich für den Berg, da es letztendlich ein bisschen kürzer ist und nur 100 Höhenmeter mehr. Außerdem ist die Aussicht bestimmt klasse und vielleicht habe ich nochmal kurz Empfang da oben.
Also mache ich mich an den Anstieg. Den Gipfel kann ich zuerst noch gar nicht sehen, da es zu steil ist und er noch ein Stück weiter hinten liegt. Es geht steil hinauf, ein bisschen flacher und dann wieder steiler. Natürlich nicht, ohne zwischendurch wieder vor ein paar hohen Felsen zu enden. Hier habe ich schon einen Weg hinab gefunden. Nur um auf der anderen Seite wieder den steilen Hang hochzuklettern. Da kommen bestimmt einige Höhenmeter extra zusammen bei diesen ganzen Einschnitten.
Es sieht lustig aus, wie die schrägen Felsrippen sich über den Hang ziehen. Nur leider quer, so dass ich immer darüber muss und nicht daran entlanglaufen kann.
Hier noch eine Felswand, wo ich erst einen Abstieg suchen musste.
Langsam komme ich höher und versuche dann irgendwann quer rüber zu gehen, Richtung des Sattels. Ganz hoch auf den Gipfel will ich ja gar nicht. Auf der Karte auf meinem Handy ist nicht klar ersichtlich, ob er in Norwegen oder Schweden liegt. Hätte ich allerdings mal auf die Papierkarte geschaut. Dann hätte ich gesehen, dass der Gipfel noch deutlich auf norwegischer Seite liegt und hätte nochmal über 1.000 Meter hoch gekonnt. Naja, egal, ich war eh schon ziemlich fertig.
Unterhalb der steilen, geschichteten Felsen, schaue ich mir das Geröllfeld genau an, bevor ich mich darüber wage. Es geht ganz gut und ich finde genug Kanten, wo ich hintreten kann, ohne alles ins Rutschen zu bringen. Ich komme direkt unterhalb des Schneefeldes raus.
Dahinter mache ich nochmal eine kurze Pause und genieße die Aussicht. Empfang habe ich aber nicht.
Rechts in der Senke liegt der Sattel. Der Abstieg sieht ja ganz einfach aus von hier.
Und ein Stück weiter kann ich auch schon ins Tal mit dem großen Fluss schauen. Da ist mein Ziel für heute.
Der Abstieg ist allerdings gar nicht mal so einfach. Das hat getäuscht. An der nächsten Kante sieht es nicht mehr so seicht und grün aus. Dort warten wieder hohe Felskanten und große Geröllfelder auf mich. Dazwischen ein paar kleine Schneefelder. Ich gehe bis zur Kante, schaue runter, gehe nach rechts oder links, bis ich ein paar kleinere Stufen finde. Dasselbe nochmal. Und nochmal. Dann balanciere ich über die chaotischen Steinfelder. Und schließlich wird es wieder grün.
Noch ein paar Hügel bis zum Fluss. Von weiter oben habe ich schon zwei Stellen gesehen, die ich mir genauer anschauen möchte. Da lagen einige Steine im Wasser, vielleicht komme ich da gut rüber. Wie tief es ist und wie stark die Strömung sehe ich allerdings von so weit weg auch nicht. Ich habe aber Glück. Direkt die erste Stelle, die ich gesehen hatte, ist super. Das Wasser geht mir nur bis leicht über die Knöchel und es gibt kaum Strömung. Nur die Steine unter Wasser sind ziemlich rutschig.
Wäre das auch geschafft. Jetzt heißt es nur noch, Zeltplatz suchen. Am besten windgeschützt, dass ich gut schlafen kann. Und tatsächlich finde ich ein Stück weiter eine etwa 2 Meter hohe Felswand. Dahinter baue ich mein Zelt auf. Dann bin ich schonmal von einer Seite geschützt. Laut Wetterbericht kommt der Wind zwar aus der entgegengesetzten Richtung, aber das scheint heute nicht zu stimmen. Hoffentlich bleibt das auch so.
Meine Wade tat heute immer noch weh, inzwischen ist sie ziemlich blau. Vielleicht ist es morgen schon besser. Ich bin so fertig, dass ich nur noch essen und schlafen möchte. 25 Kilometer weglos und mit jeweils fast 1.000 Höhenmetern rauf und runter schlauchen schon ganz schön.