Einfacher Start zum Warmwerden? Nichts da. Nicht heute. Ea fängt direkt anspruchsvoll und anstrengend an. Und meine Beine merke ich nach den ersten Metern auch schon wieder. Sie beschweren sich, dass die Nacht nicht zur Regeneration reichte. Es geht raus aus dem Trolldalen, wo ich geschlafen habe. Bei blauem Himmel und schönstem Sonnenschein. Heute bin ich gegen Viertel nach neun startklar. Es geht über die Wiese hoch und direkt muss ich mich durch dichte Birken kämpfen. Und mir überlegen, wie ich da links hinaufkomme.

Irgendwie funktioniert es. Ein Schritt nach dem anderen. An den Felsen, die zu hoch sind, finde ich ein Stück weiter immer ein kleines Stückchen Gras oder kleinere Stufen, wo ich doch hochklettern kann.

Immer schön vorsichtig. Das ist ein richtiges Ganzkörper-Workout heute. Ich ziehe mich an Ästen und Wurzeln hoch oder stemme mich zwischen schrägen Felsen nach oben. An manchen Stellen brauche ich ein paar Anläufe, bis ich eine gute Stelle zum Hintreten finde. Oder ich suche mir eine ganz andere Stelle zum Hochklettern.

Nach einer halben Stunde bin ich ganze 600 Meter weit gekommen. Und brauche schon die erste Pause. Wenn man hier einen markierten Weg hätte, wäre das Gelände schon ziemlich anspruchsvoll. Jetzt muss ich mir dazu selber noch einen möglichen Weg suchen. Da kommt es schon mal vor, dass man plötzlich vor einer zu steilen Felswand steht und eine andere Route ausprobieren muss. Aber trotzdem klappt es ganz gut. Dass ich eine Route auf dem Handy habe, die schon mal jemand gegangen ist, hilft ein bisschen. Wobei ich nicht ständig aufs Handy gucken kann. Zum einen würde ich dann noch langsamer vorwärts kommen und zum anderen habe ich die nächsten Tage keine Lademöglichkeit und muss ein bisschen sparsam mit dem Akku sein. Solange es trocken ist, kann ich mein Solarpanel benutzen, aber ab morgen soll es ja wieder regnen. An manchen Stellen schaue ich nach, ob die Route eher rechts oder links oder oberhalb oder unterhalb eines Hindernisses entlangführt. Aber sonst stelle ich einfach meinen Kompass ein und suche mir selber einen Weg.

Bald habe ich es über die Baumgrenze geschafft und die Felsen werden ein bisschen flacher. Die Aussicht zurück ist super schön.

Und der Blick nach vorne? Da geht es immer weiter hinauf.

Der langgezogene Berg rechts ist der Austre Lulep mit 1.327 Meter Höhe, der Gipfel links vom Einschnitt der Gaulis mit 1.133 Metern. Und noch weiter links in der Bergkette liegt der Vestre Alep. Über den gehe ich rüber.

Nach etwas flacherem Gelände wird es wieder steiler. Etwa 200 Höhenmeter geht es schräg den steilen Hang hinauf. Ich suche mir einen Weg über die großen Felsplatten und dazwischen über Gras, Moos und Geröll. Wie gut, dass es trocken ist. Auf den Felsen habe ich einen guten Halt. Nur die schwarzen Stellen muss man auslassen, die sind so rutschig, dass man nicht mal auf der Stelle darauf stehen kann. Man rutscht einfach weiter, wie auf einer Eisfläche.

Auf einem grünen Streifen zwischen zwei Felsen finde ich ganz viele dicke Blaubeeren. Die ersten, die schon ganz reif und süß sind. So lecker! Die nächsten, die ich finde, sind schon wieder bitter. Das war wohl eine Stelle, wo viel Sonne hinkommt.

Ich schaue von unten, wo der beste Weg wäre, ändere meine Route aber doch immer wieder. Oft kann man eine Stelle erst richtig einschätzen, wenn man direkt davor steht. Manchmal denke ich von unten auch, dass ich da doch niemals hinaufkomme. Aber wie gesagt, immer ein Schritt nach dem anderen. Dann tut sich doch eine Möglichkeit auf.

Links und rechts von mir ist eine große Felsplatte mit nassen, schwarzen Streifen. Da komme ich nicht rüber. Dazwischen sind ein bisschen Gras und ein paar große Felsbrocken. Da klettere ich hinauf. Als ich gerade mein Gewicht auf den rechten Fuß verlagere, um den nächsten Schritt zu machen, löst sich der große Felsblock unter mir. Zum Glück habe ich mit links schnell wieder einen festen Stand. Der dicke und schwere Fels bleibt auf der Wiese liegen und stürzt nicht weiter den Hang hinunter. Beim Rutschen streift er aber meine linke Wade. Das tut ganz schön weh! Ich setze mich und atme ein paar Mal tief durch. Glück gehabt, dass sonst nichts passiert ist. Ich denke auch gar nicht darüber nach, was alles hätte passieren können. Weiter geht’s, mit schmerzender Wade. Die Verletzung scheint aber nur oberflächlich zu sein, bewegen kann ich alles problemlos.

Unten im Bild liegt ein langer Fels mit hellen Flecken. Direkt rechts dahinter ist der Übeltäter. Und man sieht auch links davon, wo er heruntergerutscht ist.

Ich komme oben auf dem Bergrücken an. Fast geschafft, jetzt muss ich nur noch ein Stückchen dem breiten Grat folgen.

Nach rechts würde ich zum Gaulis kommen.

Ich gehe aber in die andere Richtung und nach noch einigen Felsen erreiche ich den Gipfel des Vestre Alep auf 928 Meter Höhe. Jippieh!

Die Aussicht ist genial und ich gönne mir eine lange Pause. Hier oben habe ich auch ziemlich guten Empfang und lade die Berichte der letzten beiden Tage hoch. Außerdem schaue ich nach dem Wetter. Sieht so aus, als hätte die Sonne noch einen Tag verlängert. Super! Also erst übermorgen wieder Regen. Ich habe echt Glück im Moment mit dem Wetter. Ich lege auch gleich eine Weile mein Solarpanel aus und lade mein Handy.

Achja und ich untersuche dann doch mal meine Wade. Sie tut immer noch verdammt weh. Ich kann aber nur ein paar blutige Kratzer sehen und die Haut ist ganz heiß und rot. Das gibt bestimmt einen riesigen blauen Fleck.

Als ich gerade meinen Rucksack wieder schultere und weitergehen will, fängt es an zu regnen. Nur ein paar kleine Tropfen. Hey, so war das nicht abgemacht. Es bleibt auch bei den paar Tropfen und ist dann wieder trocken für den Rest des Tages. Nach fast einer Stunde Pause mache ich mich an den Abstieg. Da hinten schaue ich auf den Gletscher Veikdalsisen. Und unten am großen See Langvatnet sieht man schon die lange Staumauer. Da geht es später rüber. Ich muss meinen Blick aber erstmal wieder auf den Boden richten und mir einen Weg über das Geröll suchen.

Der direkte Weg nach unten ist mir zu steil und ich gehe einen Bogen, bis es etwas flacher wird. Okay, immer noch steil, aber da finde ich schon einen Weg. Über die Schneefelder muss ich nicht rüber, die sehen auch nicht mehr so richtig stabil aus. Dafür über viel Geröll, runde Steine, nasses Moos und glatt geschliffene Felsen.

Da oben stand ich gerade noch. Und da vorne die dunklen, steilen Felsen wären der direkte Abstieg gewesen. Gut, dass ich den Weg nicht genommen habe. Von oben hat man das gar nicht so gesehen.

Ich schaffe es bis zum See und stehe quasi darin. Im Moment ist anscheinend der Wasserstand nicht so hoch. 77 Meter Unterschied sind zwischen dem niedrigsten und höchsten regulierten Wasserstand. Der höchste Stand ist links markiert, da würde mir das Wasser bis zur Hüfte gehen.

Über die Staumauer führt ein breiter Schotterweg. Wie komfortabel.

Dahinter kommt es mir zugute, dass der Wasserstand so niedrig ist. So kann ich die große Bucht hier ziemlich einfach queren und muss nicht ganz außen herumlaufen.

Es geht hügelig weiter um den See herum. Ein paar Mal gehe ich mitten über den Hügel drüber und denke dann, dass ich auch einfacher hätte außen herumgehen können. So genau sieht man die kleinen Erhebungen halt nicht auf Karten mit dem Maßstab 1:50.000. Aber genauere Karten gibt es auch in Norwegen nur für wenige Gebiete.

Dann geht es wieder hinauf. Jetzt über das Langvassfjellet. Den zweiten Berg für heute. Ich gehe allerdings nicht über den Gipfel, sondern überquere die Bergkette ein ganzes Stück weiter rechts, wo es etwas flacher ist. Hier muss ich wieder einigen rutschigen Felsen ausweichen.

Ich finde es immer Wahnsinn, wenn man zurückschaut und sich anschaut, wo man vorher noch gewesen ist. Vor gerade einmal zwei Stunden stand ich noch dahinten auf der Bergkette, die sich jetzt so schön im Wasser spiegelt.

Ich finde einen Weg die trockenen Teile der Felsen hinauf und schaffe es ohne Zwischenfälle bis nach oben. Auf manchen steilen Felsplatten nehme ich die Hände zur Hilfe, um mein Gewicht mehr nach vorne zu verlagern. Dabei komme ich mir vor wie Spiderman, wenn ich so auf allen Vieren den Fels hinaufgehe.

Ich schlängele mich über den felsigen und hügeligen Bergrücken. Wenn man sich die Höhenlinien auf der Karte anschaut, könnte man glatt meinen, dass es hier eben wäre. Dann geht es wieder hinab. Über schwarz gesprenkelte Felsen. Und durch den schmalen Spalt zwischen Schnee und Fels. Da ist gerade so viel Platz, dass ich nicht über den Schnee muss.

Gegenüber sehe ich schon die nächste Bergkette, die es zu überqueren gilt. Links vom Gipfel des Sårjås. Aber erstmal muss ich noch hier runter. Sieht auf dem Foto ja ganz leicht aus.

Ganz so leicht ist es nicht, aber ich finde einen Weg über die Felsplatten. Und der Gletscher kommt immer näher.

Unten angekommen, bin ich völlig fertig. Mir tut jeder Muskel in meinem Körper weh. Ich setze den Rucksack ab, stelle mir den Wecker auf 10 Minuten, lege mich hin und mache die Augen zu. Kurz ein bisschen Kraft sammeln.

Wenn ich mir den nächsten Berg so anschaue, mache ich mir ein bisschen Sorgen. Das sieht nach vielen steilen Felsplatten mit schwarzen und rutschigen Streifen aus.

Direkt vor dem Anstieg wäre auch ein schöner Zeltplatz. Eine kleine, ebene Wiese am See Storsmåsjøen. Perfekt zum Baden. Und es ist schon fast 18 Uhr. Aber jetzt will ich den dritten Berg auch noch hinter mich bringen. Ich möchte mir nicht die ganze Nacht Gedanken über den Anstieg machen müssen.

Ganz nach dem Motto von heute, finde ich stückweise einen Weg die Felsplatten hoch. Ein Schritt nach dem anderen. Und es funktioniert erstaunlich gut. Die Felsen sind steil, aber nicht so steil, dass ich bei jedem Schritt Angst habe, wegzurutschen. Die nassen Streifen kann ich gut umgehen und gehe dazwischen gerade hoch. Vielleicht habe ich inzwischen auch mehr Übung darin, in diesem unwegsamen Gelände einen möglichen Weg zu finden.

Ich komme ohne Probleme, nur mit vielen kleinen Pausen, oben an. Dahinten der Gipfel, den ich gerne auslasse. Heute brauche ich nicht noch zusätzliche Höhenmeter und Klettereinlagen.

Jetzt nur noch runter und dann finde ich hoffentlich unten am großen See Várreviejekjávrre einen Zeltplatz. Ich mache wieder einen Bogen, da die Höhenlinien auf der Karte etwas weiter auseinander liegen. Allerdings frage ich mich trotzdem, wie ich hier herunterkommen soll. Ich möchte da rüber, Richtung See, müsste dafür aber über die ganzen rutschigen Streifen drüber. Keine Chance. Wenn es dazu noch so steil ist, macht man nicht mal eben einen großen Schritt darüber.

Aber die Aussicht ist phänomenal.

Ich gehe langsam und vorsichtig die steilen Felsen hinab. Weiter unten wird es dann auch etwas flacher und ich kann mehr Richtung See gehen. Nach einer ganzen Weile wird es gerölliger und mein Ziel kommt näher. Wenn ich jetzt zurück nach oben schaue, habe ich keine Ahnung, wie ich da heruntergekommen bin. Aber das letzte Stück schaffe ich jetzt auch noch. Durch eine Rinne, wo ein Bach fließt, geht es über die Felsen balancierend abwärts.

Geschafft! Ich bin schon ganz schön stolz, wie ich das schwierige Gelände heute gemeistert habe. Aber für alle, die nach meinen Berichten jetzt überlegen, auf diesem Abschnitt auch in Norwegen zu bleiben – macht es nur bei trockenem Wetter! Das kann sonst auf den steilen Felsen schnell gefährlich werden, denke ich. Ich würde es mir bei Nässe nicht antun. So erkennt man wenigstens die rutschigen Stellen direkt und kann sie meiden. Zumindest die beiden Tage gestern und heute würde ich nur bei trockenem Wetter empfehlen. Dann ist es ziemlich anstrengend und anspruchsvoll, aber in einer traumhaft schönen Landschaft. Ich weiß, dass einige auf meine Berichte dieses Abschnittes gewartet haben für ihre NPL Planung in den nächsten Jahren.

Ich gehe noch ein Stück oberhalb des Seeufers über die hügelige Wiese. Windschutz finde ich hier nicht, also suche ich mir den nächstbesten ebenen Platz. Es ist fast 21 Uhr bis ich im Zelt liege. Das war ein langer Tag.

Mit einem schönen Sonnenuntergang zum krönenden Abschluss.

Ich schaue nochmal meine Wade an, sie tat den ganzen Tag weh. Aber es sind wirklich nur ein riesiger blauer Fleck und ein paar blutige Kratzer. Die Hose ist heile geblieben. Außen an meinem rechten Oberschenkel, direkt oberhalb der Kniekehle, finde ich auch noch eine aufgeschürfte Stelle. Das ist bestimmt auch von dem Felsen, aber die Schmerzen an der Wade waren schlimmer, deswegen habe ich es bisher nicht gemerkt.


18,1 km
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