Morgens trinke ich erstmal noch in aller Ruhe einen Tee und schreibe. Bis ich fertig bin und losgehe, ist es schon nach 10 Uhr. Aber heute wird ja ein entspannter Tag, wenn ich wieder Wanderwegen folgen kann. Naja, denke ich jedenfalls jetzt noch.
Ich ziehe direkt Mütze und Handschuhe über, es ist nämlich echt kalt. Trotz blauem Himmel und Sonne. Gestern, als ich angekommen bin, hat das Thermometer 6 Grad gezeigt. Heute Nacht muss es wenigstens 0 Grad gewesen sein, da der kleine See neben der Hütte gefroren ist. So sieht also hier der Herbst aus.
Direkt hinter der Hütte muss ich erstmal diesen breiten Fluss queren. Da habe ich irgendwie vorher gar nicht drauf geachtet. Ich suche eine Stelle, wo ich mit trockenen Füßen rüberkomme, finde aber keine. Also startet der Tag direkt mit nassen Füßen.
Ich halte die Augen auf und suche nach Steinmännchen oder anderen Markierungen. Vielleicht gibt es ja auch erst auf dem Hauptweg welche. Also geht es die ersten 2 Kilometer querfeldein um den See Røysvatnet herum. Als ich auf den Wanderweg stoße, finde ich tatsächlich auch Steinmännchen, denen ich folgen kann. Das Gelände ist recht einfach, Wiese mit ein paar Felsen.
Bisher habe ich mich immer sehr gefreut, wenn ich nach weglosen Abschnitten wieder auf markierten Wegen gehen konnte. Heute irgendwie nicht. Da habe ich ja gar nichts zu tun, wenn ich nur von Steinmännchen zu Steinmännchen laufe. Lustig, wie sehr ich mich an das Navigieren mit dem Kompass gewöhnt habe. Dabei ist man die ganze Zeit beschäftigt und die Zeit vergeht wie im Flug.
Links unter mir sind ganz viele kleine Seen, rechts schaue ich auf den Bjørntoppen und das Ende einer Gletscherzunge des Gihtsejiegna.
Zwischendurch komme ich zweimal vom Weg ab und verliere die Steinmännchen aus den Augen. Einen Pfad kann man meistens auch nicht erkennen. Aber mithilfe der Offline-Karte auf dem Handy finde ich den Weg schnell wieder. Irgendwann komme ich über eine Kuppe und habe diesen Blick. Da hinten stehen ganz viele Windräder. Da gehe ich jetzt immer weiter drauf zu.
Manchmal am Hang entlang, dann wieder oben auf den Felsen. Dieser Blick gefällt mir gut mit dem rötlich verfärbten Moos und den vielen kleinen Seen zwischen den Felsen.
Bei solch großen Steinmännchen kann man sich auch nicht verlaufen.
Jetzt geht es runter und um diese nasse Ebene herum.
Über den flachen Fluss und dahinter ist erstmal Pause angesagt. Dort steht nämlich eine offene Schutzhütte, die Krokvatnet Hütte.
Da mein Gas ja leer ist, will ich in der Hütte kochen. Ich schaue mich um in dem kleinen Raum und freue mich sehr, als ich 2 Fertiggerichte und eine angefangene Packung Knäckebrot finde. Dazu noch eine kleine Gaskartusche. Da ist zwar nicht mehr viel drin, aber vielleicht kann ich damit heute Abend noch einmal kochen. Das Knäckebrot esse ich, während ich warte, dass das Wasser kocht. Dann gibt es Linseneintopf und zwar gleich eine doppelte Portion. Den Haferbrei, den ich noch gefunden habe, packe ich für morgen früh ein. So macht man Weitwanderer glücklich. Und dazu noch die Sonne von oben – herrlich!
Dann geht es gestärkt weiter. Wobei ich mich erstmal wieder einlaufen muss, meine Beine sind ganz schwer nach der Pause. Es geht über eine Kuppe und durch ein paar kleine Schluchten. Immer wieder runter und dann zwischen Felsen wieder hoch. Manchmal liegt in den schattigen Senken noch Schnee.
Ich sehe immer weniger Steinmännchen und die Orientierung wird schwieriger. Ich bin mir auch noch nicht sicher, wo ich hergehe. Entweder in der Mitte über den See Kjerringvatnet, wo eine Brücke stehen sollte. Ein Stück über die Schotterstraße zu den Windkraftanlagen und westlich um den Brynvatnet herum. Alternativ könnte ich querfeldein und östlich um die Seen herumgehen, was um einiges kürzer wäre. Dann das Botndalen hoch und wieder auf den Wanderweg.
Ich folge erstmal noch den spärlich verstreuten Steinmännchen und will mir ein Bild vom Gelände machen. Als ich zwischendurch auf die Karte auf dem Handy schaue, sehe ich dass die Wegführung ganz anders eingezeichnet ist. Ich komme an einem Wegweiser vom Grenseleden vorbei. Einem Wanderweg von Tysfjord nach Gällivarein in Schweden, der früher als Handelsweg und im Zweiten Weltkrieg von den Flüchtlingen genutzt wurde. Lustig ist nur, dass der Wegweiser nach rechts und links zeigt, wo kein Weg ist. Die Steinmännchen sind davor, wo ich herkomme und gehen hinter dem Schild weiter.
Laut Karte führt der markierte Weg bis zu diesem Fluss, danach geht es unmarkiert weiter. Irgendwann stand hier wohl auch mal eine Brücke. Das Wasser ist ziemlich tief, also gehe ich ein Stück flussabwärts und suche mir eine breitere Stelle, wo das Wasser flacher ist und mehr Steine liegen. Ich hole meine Stöcke raus, es gibt immer noch ein paar schmale Stellen mit starker Strömung. Aber es klappt alles gut.
Danach finde ich noch 3 oder 4 Steinmännchen, die mich um den Hügel herumführen. Dann muss ich mich entscheiden. An den beiden Hütten vorbei und über die Brücke oder auf dieser Seite bleiben? Da der Weg jetzt sowieso unmarkiert weitergeht und das Gelände auf dieser Seite nicht so schwierig aussieht, entscheide ich mich für die Abkürzung.
Die Orientierung ist ziemlich einfach, der Kompass kann in der Tasche bleiben. Ich gehe zum Ufer des Sees Store Kjerringvatnet und um die lange Zunge östlich herum. Dabei geht es über eine Kuppe und am Ostende des Sees über Felsen etwas steiler hinab. Hier der Blick zurück.
Dann geht es wieder hoch und über den nächsten Buckel zum See Brynvatnet. Es wird felsiger und ich komme an ein paar kleinen Seen und sumpfigen Wiesen mit ganz viel Wollgras vorbei.
Hier bin ich 3 Windrädern ziemlich nah und die Geräusche und wenn der Schatten von den sich drehenden Flügeln sich alle paar Sekunden über mich legt, sind etwas irritierend. Die Felsen werden zu einer Seite höher und ich gehe ein bisschen Zickzack, um den Buckel hinunterzukommen. Die Bäche, die aus den Bergen herunterkommen, sind mit einem Schritt überquert.
Dann geht es um den Brynvatnet herum. Der Hang sieht recht steil und nach viel Geröll aus.
Ich klettere vorsichtig über die Felsbrocken, was gut klappt. Unter mir der große See. Er wird bestimmt mit Wasser vom Gletscher gespeist, da er so matt türkis ist. Ich klettere schräg nach oben den Hang entlang. Ich wollte zwar eigentlich auf einer Höhe bleiben, aber es ist einfacher ein bisschen nach oben zu klettern, wenn es so steil ist.
An der Flanke angekommen, wo es um den Berg herumgeht, wird es wieder einfacher. Nachdem ich mich zwischen den Felsen noch zwischen ein paar knorrigen Bäumen hergezwängt habe, kann ich jetzt wieder über Wiese gehen. Und sehe das Botndalen vor mir. Da geht es jetzt durch bis zum Talschluss und den Berg hinauf. Da oben verläuft der Wanderweg.
Ich bleibe erst auf meiner Höhe, um ein paar Höhenmeter zu sparen. Allerdings führen die Felsrippen alle schräg ins Tal hinab und hier oben werden die Kanten zu hoch. Also steige ich doch ab und quere den Fluss. Es liegen genug Steine herum, dass meine Füße trocken bleiben. Dann folge ich dem Fluss, bis es wieder hinaufgeht.
Moment mal, da vorne steht doch ein Tier. Ich bleibe stehen und kneife die Augen zusammen. Es ist zu groß für ein Rentier. Dann kann es nur ein Elch sein. Wieder ohne Geweih, aber schon ziemlich groß. Es steht bestimmt 30 Meter über mir am Hang, ganz still und schaut in meine Richtung. Etwas weiter ist links von mir ein etwa 3 Meter hoher Fels. Die eine Seite ist gerade noch nicht so steil, dass ich die Schräge hinaufklettern kann. Hier oben fühle ich mich sicherer, falls der Elch beschließt, in meine Richtung zu kommen. Das ist jetzt schon der vierte Elch, den ich sehe. Nur dass ich dieses Mal nicht so Angst habe, wie letztes Mal, als die beiden Tiere so nah waren. Ich sitze auf dem Fels und starre den Elch an. Er starrt zurück. Nach einer Weile setzt er sich langsam in Bewegung und stolziert den Hang hinauf. Weg von mir. Ich beobachte, wie er innerhalb von 2 Minuten oben ist. Er dreht sich auch nicht mehr um und verschwindet über die Kuppe. Wäre ich nur auch so schnell da oben, das ist genau meine Richtung. Ich warte noch ein bisschen. Jetzt muss ich erstmal von diesem Felsen wieder herunterkommen. Der ist echt steil. Also setze ich mich auf den Hintern und taste mit den Füßen nach schmalen Tritten. Kein eleganter Abgang, aber ich stehe wieder auf der Wiese.
Ich mache mich langsam an den Anstieg. Es sind nur ungefähr 150 Höhenmeter, also eigentlich gar nicht viel, aber ich bin schon etwas müde. Langsam und mit ein paar Blaubeeren als Stärkung und immer wieder stehen bleiben und mir die Aussicht zurück anschauen, schaffe ich es nach oben. Es wird etwas flacher und geht an einem kleinen See vorbei. Auf einem kleinen Hügel bleibe ich stehen und schaue mich um. Hier wäre ein perfekter Zeltplatz, mit toller Aussicht zu beiden Seiten und Wasser in der Nähe. Richtung Wanderweg sieht es wieder felsiger und steiler aus, also nutze ich die Gelegenheit lieber. Dann sind es morgen früh nur noch 300 Meter und ich kann wieder den Markierungen folgen.
Heute hatte ich den ganzen Tag über ganz guten Empfang und auch hier auf dem Hügel reicht es noch zum Telefonieren. Ich spreche mit meinen Eltern und verkrieche mich dann in den Schlafsack, bevor es zu kalt wird.
Gegen halb 10 stehe ich nochmal auf. Der Himmel sieht so schön aus. Jetzt wird es wieder so früh dunkel, dass ich zum Sonnenuntergang meistens auch noch wach bin. Das fehlt eben, wenn es die ganze Nacht hell ist.