Heute geht es gegen halb 9 los. Es ist nebelig und das Thermometer an der Hütte zeigt 4 Grad. Ich bewaffne mich mit Mütze und Handschuhen. Und heute auch mit Ohrstöpseln. Der Weg sieht recht einfach aus und ich habe Lust unterwegs mein Hösrpiel weiterzuhören. Ich habe gestern Abend ein neues angefangen, nämlich „Der große Trip – Wild“ von Cheryl Strayed. Die Verfilmung ist ziemlich bekannt. Zum Einschlafen hat es sich allerdings weniger geeignet, da ich häufig echt lachen musste wegen der vielen Parallelen und selben Erfahrungen. Es geht um eine junge Amerikanerin, die ohne viel Erfahrung den Pacific Crest Trail wandern möchte, um sich selbst wiederzufinden.

Der Weg führt mich heute durch das Tal Čáihnavággi. Zuerst 300 Höhenmeter nach unten. An einem kleineren See vorbei und weg von den schneebefleckten dunklen Bergen, die schon wieder im Nebel verschwinden.

Es geht durch herbstliche Farben am Hang entlang. Der Weg ist wirklich einfach zu gehen.

Zwischendurch geht es über ein paar Steine und durch kniehohes Gestrüpp. Je tiefer ich komme, desto matschiger wird die Erde unter meinen Füßen.

Irgendwann wundere ich mich, dass es so weit um den Berg herumgeht. Auf der Karte war doch gar kein so großer Linksbogen eingezeichnet. Ich bin aber einfach den Markierungen und dem Pfad gefolgt. Ich schaue auf die Karte. Ich bin tatsächlich falsch gegangen. Mein Weg ist vor etwa einem Kilometer nach rechts abgegangen. Das war aber dann nicht gut sichtbar oder ich habe zu viel geträumt. So schlimm ist es nicht, ich kann auch einfach weitergehen und komme auf der anderen Seite des Flusses wieder auf meinen Weg. Das ist zwar ein Umweg von bestimmt 2 Kilometern, aber da ich etwas vor mir eine Brücke sehe, nehme ich das in Kauf. Ich weiß nämlich nicht, ob es auf dem anderen Weg auch eine Brücke gibt, gesehen habe ich keine.

Die Markierungen und der Pfad gehen ein ganzes Stück oberhalb der Brücke weiter geradeaus. Auf der Karte führen sie direkt zur Brücke. Hier hat sich wohl die Wegführung etwas geändert. Also folge ich den großen Felsen und gehe querfeldein runter zur Brücke. Das scheinen auch schon einige vor mir so gemacht zu haben, ich entdecke noch andere Fußspuren.

Nach der Brücke über die Kalikselva führt der Weg mich über eine große sumpfige Ebene. Die Füße bleiben nicht lange trocken. Zwischendurch ist die Erde trocken und fest. Dann wieder nass und rutschig. Ich muss durch ein paar Bäche, wo das Wasser mir bis zur Wade geht. Und vor und hinter den Bächen geht das Gestrüpp mir bis zu den Schultern. Das ist auf jeden Fall nicht mein Lieblingsgelände. Ich mag es weiter oben lieber, felsig oder zumindest frei von hohem Grün. Ich würde einen Berg fast immer dem Tal vorziehen, wenn ich die Wahl habe.

Kurz vor der Hütte geht es nochmal über eine Brücke. Die etwas abenteuerlich ist. Ich stehe eine Weile davor und frage mich, ob es sicher ist, rüberzugehen. Rechts fehlt das Geländer und auch links hängen die Holzlatten teilweise runter. Außerdem ist die ganze Brücke schief und in der Mitte hängt sie ziemlich schräg nach rechts. Langsam klettere ich die Leiter hoch, die mit einem Strick gegen Umfallen gesichert ist. Beim ersten Schritt von der Leiter auf die Holzplanken der Brücke, ziehe ich meinen Fuß schnell wieder zurück. Ich erschrecke mich, weil die Holzlatten durch mein Gewicht so weit absacken. Okay, das muss vielleicht so, die Brücke wird ja von Stahlseilen gehalten. Also wage ich mich mit vorsichtigen Schritten rüber und halte mich links an dem übrig geblieben Geländer und an den Stahlseilen fest. Dann umdrehen und rückwärts die Leiter auf der anderen Seite wieder runter. Das Holz steht ziemlich weit über und ich muss mit den Füßen ein bisschen nach dem Tritt tasten. Dann ist es geschafft.

Kurz darauf erreiche ich die Hütten. Hier an der Cunojávrihytta endet meine Etappe und ich bekomme ein neues Versorgungspaket. Jetzt sind es nur noch 6 Wochen, bis ich am Ziel bin. Das hört sich schon so wenig an.

Mein Paket wurde letztes Wochenende mit dem Helikopter hergeflogen, zusammen mit Werkzeug und Essen für Freiwillige des DNT, die ein paar Arbeiten an den Hütten erledigt haben. Außerdem wurde Feuerholz geliefert, das passiert nur einmal im Jahr. Ich bin sehr froh über die tolle Hilfe vom DNT, danke an Jon!

Ich schließe nach und nach die Hütten auf und suche den Holzschuppen, wo mein Paket liegen soll. Dabei suche ich mir auch gleich die schönste Hütte aus für meine Pause. Ich bin zwar erst 13 Kilometer gegangen, aber hier gefällt es mir so gut, dass ich vielleicht trotzdem über Nacht bleibe. Bis nach Katterat sind noch 25 Kilometer ausgeschildert, das schaffe ich morgen locker an einem Stück.

Ich mache erstmal den Kamin an, um meine Schuhe und Socken zu trocknen. Dann packe ich mein Paket aus. Und freue mich riesig über Schokolade aus der Schweiz mit einer Nachricht von Martin. Die hat er wohl in den Karton geschoben, als er letzte Woche hier war. Und auch Jon hat noch 2 große Tafeln Schokolade dazugelegt und mir außerdem eine große Kartusche Wintergas besorgt. Das ist echt super!

In diese Hütte würde ich am liebsten direkt einziehen, so gut gefällt es mir. Ich mache ein paar Fotos und sammle Anregungen für meine eigene Holzhütte, in der ich mal leben möchte. Am besten irgendwo nah an den Alpen. Da muss ich nur noch ein bezahlbares Grundstück für finden und jemanden, der mir die Hütte baut. Blöd, dass der deutsche Alpenvorraum so beliebt und teuer ist.

Ich verstaue alle Sachen in meinem Rucksack. Jetzt bin ich für die nächsten 2 Wochen wieder versorgt.

In den Schränken finde ich auch noch einiges an Essen und mache mir eine Nudelpfanne. Vor dem riesigen Panoramafenster ist sofort mein Lieblingsplatz.

Nachdem ich allerdings vollgegessen bin und mich eine Weile auf der Couch langgemacht habe, habe ich doch noch Lust weiterzugehen. Ich schaue auf die Karte. Ich könnte noch ein paar Kilometer gehen und mir an einem der Seen einen Zeltplatz suchen. Dann ist der Tag morgen auch kürzer.

Also räume ich auf, fege die Hütte und schultere dann doch wieder meinen Rucksack. Ganz schön schwer, jetzt sind es bestimmt wieder 20 Kilo. Da es erst kurz nach 16 Uhr ist und ich nur ein paar Kilometer gehen möchte, ist es ganz entspannt. Ein kleiner Verdauungsspaziergang sozusagen. Jetzt genieße ich es richtig.

Ich muss über noch eine Brücke, die auch so hoch gebaut ist, dass man erst eine Leiter hinaufklettern muss. Aber zumindest ist die Brücke nicht so ramponiert, wie die andere. Auch wenn das Holz unter meinen Schritten knarzt.

Der Weg führt mich das Tal Oallavággi entlang. Ein schmaler Pfad über nasse Wiesen und zwischendurch durch kniehohe Büsche. Immer wieder geht es über schmale Bäche. Links von mir fließt der Fluss Sealggaajohka. Ich wundere mich erst, wieso so wenig Wasser in dem Fluss ist, bis ich an einer Staumauer vorbeikomme. Dahinter schimmert das Wasser türkis in der Sonne.

Rechts über mir sind einige Wasserfälle zu sehen. Dazu der Sonnenschein und die herbstlichen Farben. Richtig schön! Und an das Rucksackgewicht habe ich mich auch nach den ersten Kilometern schon wieder gewöhnt, sodass es gar nicht mehr besonders auffällt. Ich liebe meinen Rucksack dafür, dass die Last so gut auf meinen Hüften sitzt und ich nie Rückenprobleme habe trotz des Gewichts.

Im Endeffekt gehe ich noch etwa 6 Kilometer weiter. Ich sehe zwar schon ein paar schöne Zeltplätze auf dem Weg, aber ich möchte Wasser in der Nähe haben. Nur dass ich irgendwann nicht mehr so viele ebene Flächen finde. Vielleicht hätte ich doch schon einen der schönen Plätze nehmen sollen. Am nächsten Bach fülle ich meine zusätzliche Wasserblase mit 2 Litern und suche weiter. An dem namenlosen See auf 783 Metern werde ich fündig. Inmitten von Blaubeeren. Der Platz ist nicht ganz eben, aber ich kann bequem liegen. Außerdem habe ich eine traumhafte Aussicht auf den großen See Sealggajávri und das Tal entlang.

Die Sonne geht inzwischen schon vor 20 Uhr unter und der Himmel verfärbt sich schön orange.

Schreiben wird irgendwie immer schwieriger, wenn ich im Zelt schlafe. Mit Handschuhen funktioniert das nicht und ohne sind meine Hände schnell erfroren. Da muss ich das Handy immer wieder weglegen und meine Hände zwischendurch im Schlafsack wärmen. Und wenn sie erstmal so eisig sind, dauert es lange, bis sie wieder ganz warm werden. Also sitze ich stattdessen dick eingepackt da und schaue in den Himmel. Es ist sternklar und ich habe beschlossen, dass ich mir jetzt jede klare Nacht den Wecker auf 23 Uhr stelle. Bis ich Polarlichter sehe. Heute mache ich den Wecker aber wieder aus, da ich sowieso immer wieder aufwache. Ich lasse das Außenzelt offen und kann so direkt raus in den Himmel schauen. Ich sehe einen ganz leichten weißen Nebel und kurz ist mir so, als ob er über den Himmel wabert. Je angestrengter ich hinschaue, desto mehr glaube ich aber, dass ich es mir nur eingebildet habe.


19,9 km
5:05 h
318 hm
499 hm
1.008 m