Gestern ist es ziemlich spät geworden. Ich wollte unbedingt noch alle Berichte fertig schreiben, um wieder auf dem Stand zu sein. Ich glaube, ich habe erst gegen 1 Uhr in der Früh geschlafen. Und dadurch, dass es so hell ist die ganze Nacht, hat man irgendwie überhaupt kein Zeitgefühl. Vorgestern dachte ich, es wäre früh am Abend, vielleicht so gegen 5 Uhr, es war aber schon halb 9. Wenn man morgens um 5 Uhr aufwacht, könnte es genauso gut schon mittags sein. Bald ist ja auch Mitsommer, in nicht mal 3 Wochen. Ich habe schon gedacht, dass ich da irgendwas besonderes machen müsste, die Nacht durchwandern oder so. Oder nachts in einen Eissee springen.

Heute ist ein besonderer Tag. Es geht nämlich endlich in die Hardangervidda! Das ist die größte Hochebene Europas. Eigentlich wollte ich ja schon viel eher dort hoch, hatte meine Route aber noch geändert. Vor allem im Westen der Hochebene hätte noch viel zu viel Schnee gelegen bzw. wäre dann der Wasserstand zu hoch wegen dem ganzen Schmelzwasser. Da liegt auch jetzt noch eine ganze Menge Schnee. Aber der östliche Teil sollte jetzt begehbar sein. Ich habe die letzten Tage schon immer wieder bei SeNorge geschaut und gehofft, dass die Bedingungen besser werden. Sumpfig wird es wohl wieder und ein bisschen Schnee wird auch noch da sein, aber das sollte funktionieren. Mein Plan ist in 8 Tagen in Storestølen anzukommen. Dort erwartet mich mein erstes Versorgungspaket und ich mache den nächsten Ruhetag. Ein Zimmer ist schon reserviert für mich, ich habe gestern nochmal per E-Mail Bescheid gesagt, wann ich genau komme. Und geklärt, dass ich keinen Hund habe. Irgendwie dachte Anne, mit der ich geschrieben habe, dass ich mit Hund unterwegs bin. Das Wetter die nächsten Tage soll warm und sonnig werden. Das ist super, da alle Hütten auf dem Weg aktuell geschlossen sind. Man kommt nicht mal mit dem DNT Schlüssel rein. Es ist Kalb-Zeit, da sollen wohl die Leute ferngehalten werden durch die geschlossenen Hütten. Wobei es eigentlich sinnvoller wäre, wenn wir in den Hütten schlafen, statt draußen im Zelt. Naja, so sind es eben jetzt 8 Nächte im Zelt bis Storestølen. Als wir vor ein paar Tagen herausgefunden haben, dass die Hütten komplett zu sind gerade, war ich erst ein bisschen geknickt. So gemütliche Hüttenabende sind schon schön. Aber da kommen ja noch genug.

So, jetzt stehen erstmal einige Höhenmeter an. Wir sind gerade schließlich in dem tiefen Tal, dass im Winter keine Sonne sieht. Da muss man erstmal wieder heraus.

Die Rucksäcke sind schnell gepackt, das geht inzwischen automatisch. Jedes Teil hat seinen festen Platz, jeder Handgriff ist Routine. Markus und ich starten zusammen. Ich freue mich richtig aufs Weitergehen. Direkt gegenüber der Unterkunft, über die Straße und an bunten Holzhäusern vorbei, finden wir dann auch den ersten Wegweiser. Gvepseborg ist unser Zwischenziel. Da haben wir den steilsten Teil geschafft. Dort liegt die Bergstation der Krossobahn, der Bergbahn, mit der die Einwohner im Winter kostenlos fahren dürfen. Und unterwegs könnten wir noch einen Abstecher zu den Sonnenspiegeln machen.

Der schmale Pfad führt uns in Kehren den steilen Hang hinauf. Über Waldboden und Felsblöcke. Es ist teilweise sehr steil und anstrengend. Aber ich wende wieder meine Langsam-und-gleichmäßig-Gehen-Taktik an und mache alle 100 Höhenmeter eine Trinkpause. Das hat sich letztes Jahr in Österreich bewährt. 100 Höhenmeter schafft man gut innerhalb einer Viertelstunde und so geht es dann irgendwie doch ganz schnell. Markus ist auch dankbar über meinen Tipp, er sei sonst immer so schnell gegangen und ständig stehen geblieben bergauf. Meine Taktik funktioniert für ihn auch super.

Gegenüber hat man jetzt immer wieder einen tollen Blick auf den Gaustatoppen.

Den Abzweig zu den Sonnenspiegeln wollen wir nicht nehmen. Es ist super steil und es liegen wieder zig umgekippte Bäume über dem Weg. Dann sehen wir die Spiegel eben nicht. Ein ganzes Stück weiter kommt aber noch ein Abzweig. Den will ich dann doch nehmen, der geht nur 200 Meter auf gleicher Höhe den Hang weiter. Die Rucksäcke lassen wir stehen und machen uns ohne Zusatzgewicht auf den Weg. Das fühlt sich so leicht an, als könnten wir fliegen. Hier kommen wir auch endlich an einen nicht ausgetrockneten Bach, mein Wasser ist schon seit einer Weile alle. Jippieh! Und da sind sie dann, die Spiegel, die das Sonnenlicht auf den Marktplatz im Tal werfen. Dazu noch ein schöner Ausblick ohne Bäume im Weg.

Auf dem Weg fangen wir irgendwann an davon zu reden, dass wir als Belohnung nach den ganzen Höhenmetern an der Bergstation eine Waffel essen. Das beschließen wir einfach, ohne zu wissen, ob es dort welche gibt. Als die Bergstation endlich in Sicht ist, sieht es dunkel aus und wir sehen keine Menschen oder sich bewegende Gondeln. Aber wir haben trotzdem Glück! Nochmal jippieh! Bei grandioser Aussicht in dem modernen Gebäude mit riesiger Glasfront genießen wir einen Kakao und eine Waffel mit Erdbeermarmelade. Heute haben mich meine allersüßesten Neffen mit ihren fast 8 Monaten eingeladen. Ich schicke ganz viele Herzen nach München!

Es war ganz nett in dem Café zu sitzen. Viel Holz, große Fenster, gemütliche Sessel, alles schön! Aber ganz ehrlich, unser Pausenplatz draußen ist noch tausendmal schöner! Die süße Waffel reicht uns nicht, also suchen wir uns noch einen windgeschützten Platz auf der Wiese ein Stück weiter und machen richtig Mittagspause. So ist es auch noch viel gemütlicher, finde ich.

Und dann ist es soweit, wir sind oben und es geht in die Hardangervidda. Wir freuen uns beide riesig. Der Wanderweg ist super markiert und es gibt ständig Wegweiser. Wir gehen an der Helberghytta vorbei und weiter Richtung Kalhovd. Irgendwo auf dem Weg suchen wir dann später einen schönen Zeltplatz. 

Ein weiteres Highlight heute: Wir haben über 5 Stunden lang trockene Füße. Wahnsinn! Erst danach wird es doch wieder matschiger zwischendurch. Aber die Wege hier oben sind besser zu gehen als erwartet und es liegt kaum mehr Schnee. Wir kommen trotzdem nur langsam vorwärts, ich bleibe ständig stehen und schaue mich um. Man kann super weit gucken, endlose Weite, zwischendurch immer mal ein paar Hügel. Da muss man sich auch nicht so beeilen. Da kann man auch mal den Rucksack abwerfen und ein paar Faxen machen. Mit ausgebreiteten Armen herumrennen, auf Felsen klettern, herunterspringen, Kopfstand im Gras. Es darf ruhig jeder sehen, dass ich glücklich bin 🙂 Naja gut, hier ist niemand außer uns. Wobei doch, da hinten verfolgt uns jemand. Es gibt noch andere Lebewesen hier oben 😉 Ein Norweger überholt uns, der zum Angeln hier ist. Er hat auch nicht damit gerechnet, zu dieser Jahreszeit hier oben jemanden zu treffen.

Das Wetter allerdings hält sich nicht an die Vorhersage. Das macht, was es will und ändert ständig seine Meinung. Bei uns würden wir sagen, das ist richtiges April-Wetter. Hier ist das wahrscheinlich einfach normal auf der Hochebene. Regenjacke an, wieder aus, Regenhose auch noch drüber, doch weiter in kurzer Hose, Windjacke, Top, am Ende bleibt es bei kurzer Hose und Regenjacke. Und nachmittags haben wir dann immer mehr blauen Himmel und Sonne. Ich habe den ganzen Tag Handschuhe als Sonnenschutz an, bin aber super glücklich, dass meine Hände heute den ganzen Tag noch nicht gejuckt oder geschmerzt haben. Vielleicht wird es wirklich langsam besser. Die letzten Tage war einen morgen plötzlich die linke Hand ganz geschwollen, dann die rechte wieder ganz dick und rot. Inzwischen wird aber alles dünner, nur die Quaddeln nässen jetzt und ich habe überall Krusten. Ich hoffe, das ist ein Zeichen, dass es heilt.

Aber genug von meinen Händen, es ist so schön hier und ich bin fröhlich, frei und f… ein drittes, passendes Wort fällt mir gerade nicht ein?! „Foll“ zufrieden vielleicht.

Später müssen wir doch noch über ein paar große Schneefelder, aber der Norweger ist ja schon vor uns hergegangen und wir können einfach in seine Fußstapfen treten. Überhalb eines Sees und zwischen Schneefeldern finden wir dann eine einigermaßen ebene Fläche für die Zelte. Das ist gar nicht so einfach hier und vor allem ist es schwierig einen windgeschützten Platz zu finden. Ich baue mein Zelt genau über einer Kuhle auf, wo ich gerade so drin liegen kann. Aber es ist ein traumhafter Platz mit super Blick.

Trotz Sonne wird es schnell kalt und ich bin richtig müde. Wir waren so gegen 7 Uhr da, aber bis das Zelt steht, die Luftmatratze aufgeblasen ist, ich mich umgezogen und gekocht habe, ist es dann plötzlich schon wieder halb 9. Wir essen zusammen und genießen dabei den Ausblick. Dann verschwindet aber schnell jeder in seinem Schlafsack, aufwärmen und Schlaf nachholen.


18,5 km
6:20 h
1.362 hm
360 hm
1.250 m