Heute ist der große Tag da. Der Tag, auf den ich mich die ganze Zeit so gefreut habe.
Heute Morgen fühlt es sich allerdings wie ein ganz normaler Tag an. Ich bin gar nicht mehr so aufgeregt wie vorher. Ich freue mich am meisten darauf, dass Mama, Papa, Lisa und Olaf auch zum Ziel kommen und Holger zur Hütte. Wir wollen uns gegen 12:30 Uhr am südlichsten Punkt Deutschlands treffen.
Morgens stehe ich noch ein bisschen mit den Leuten von gestern Abend draußen. Sie gehen den Heilbronner Höhenweg. Ich bin die einzige, die von hier weiter Richtung Süden geht. Sie wünschen mir alle eine superschöne letzte Etappe und um 8 Uhr gehe ich los.
Ich hatte mir den Weg auf der Karte schon angeschaut, gucke aber dann auf dem Handy nochmal, wie lange ich ungefähr brauche. Den angezeigten Weg schlage ich dann auch ein. Ich möchte gerne vor den anderen am Ziel sein, um den Moment für mich zu haben.
Von der Hütte geht es über die Wiese in Kehren hinab. Dann weiter Richtung Schwarze Hütte und am nächsten Abzweig Richtung Mutzentobel. Ich quere 2 Bäche, der Weg führt über Wiese und Schotter. Vor dem Mutzentobel muss es dann irgendwo rechts steil hinab ins Tal gehen. Ich wundere mich allerdings, dass kein Abzweig kommt und irgendwann gucke ich dann doch nochmal auf die Karte. Na toll – da hat mein Handy mir einen Weg angezeigt, den es gar nicht (mehr) gibt. Wenn ich jetzt geradeaus weitergehe, komme ich zwar an, allerdings über Österreich. Das möchte ich nicht.
Also drehe ich um und gehe die halbe Stunde wieder zurück, jetzt bergauf. Auf die zusätzlichen Höhenmeter hätte ich gut verzichten können, ich merke meine Beine sowieso schon. Vielleicht habe ich es gestern doch ein bisschen übertrieben mit den beiden Gipfeln. Ich beeile mich, damit ich trotzdem noch mittags ankomme. Wir haben danach schließlich auch noch einen langen Weg wieder zurück zur Rappenseehütte vor uns.
Zurück am Abzweig nehme ich dann den Weg runter zur Schwarzen Hütte. Es folgt ein einstündiger Abstieg. Hier treffe ich auch wieder andere Wanderer. Ich habe aber meinen Turbo angeschaltet und überhole alle. Die letzten Kehren führen durch den Wald und der Boden ist sehr rutschig. Da muss ich echt aufpassen. Aber es geht alles gut und ich bleibe auf den Beinen. Unten angekommen und vorbei an der Hütte, geht es dann erstmal recht entspannt weiter. Auf der breiten Teerstraße geht es seicht hinauf, immer weiter rein ins Rappenalptal, das südlichste Tal Deutschlands.
Der Weg zieht sich zwar etwas, aber einen anderen Weg gibt es nicht über deutschen Boden. Die Teerstraße geht über in einen Schotterweg und in Serpentinen weiter bergauf. Mich überholen ein paar Mountainbiker, die ganz schön zu kämpfen haben mit der Steigung. Irgendwann bleibt dann nur noch ein schmaler Pfad, der sich weiter hinauf schlängelt. Ich freue mich, als ich dann in der Sonne weitergehen kann. Es war schon echt frisch vorher und ziemlich kalter Wind unten im Tal.
Der Blick zurück ist wunderschön. So sieht’s aus im südlichsten Süden Deutschlands.
An der Trift-Hütte vorbei, geht es dann über Wiese. Ich muss dem Ziel schon recht nah sein, aber der südlichste Punkt oder der Grenzstein sind nirgendwo ausgeschildert. Ich hätte gedacht, dass irgendwo auf den Wanderschildern ein Hinweis steht. Auf der Wiese irre ich dann auch erst ein bisschen umher, bis ich wieder auf einen Pfad komme.
Ich stelle mir vor, dass der Grenzstein irgendwo mitten auf der Wiese steht, zwischen den Hügeln. Aber es geht um eine Kurve und dann muss ich doch zwischen Büschen noch ein paar Felsen hinaufklettern. Aber dann – ist der Grenzstein in Sicht. Und plötzlich bin ich doch wieder aufgeregt. Ich gehe die letzten Meter über die Felsen und umarme endlich überglücklich mein Ziel, den Grenzstein 147.
Ich muss an den Start meiner Wanderung denken, am Strand, mit den Wellen der Nordsee in den Ohren. Und jetzt, 86 Tage und ungefähr 1.530 Kilometer später, stehe ich tatsächlich hier in den Bergen, gefühlt im Nirgendwo, inmitten der Natur. Mir stehen ein paar Glückstränen in den Augen, es fühlt sich so unwirklich an. Ich habe so viel erlebt und es fällt mir sehr schwer, die komplette Zeit als Ganzes zu sehen. Jeder einzelne Tag war besonders und ein Abenteuer für sich.
Ich setze mich in die Sonne, lehne mich an den Grenzstein und genieße das Gefühl. Ich habe es geschafft!
Es ist kurz vor 12 Uhr. Trotz Umweg heute Morgen, hat alles so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe.
Ich bekomme Gesellschaft von 4 Jungs. Wir quatschen ein bisschen, sie fragen mich mit den üblichen Fragen aus und so geht dann auch die nächste halbe Stunde schnell rum. Als ich wieder alleine bin, will ich gerade mein Stativ aufstellen für ein paar Zielfotos, als ich Papa entdecke. Dahinter Olaf und kurz darauf kommen auch Lisa und Mama an. Ich freue mich unendlich, sie zu sehen. Alle haben den südlichsten Punkt gefunden, auch ohne Wegweiser. Es folgen viele Umarmungen und Glückwünsche. Ich fühle mich, als hätte ich Geburtstag. Es ist perfekt, der Ort, das Wetter und die liebsten Menschen um mich herum.
Als Überraschung haben sie ein Picknick mitgebracht und wir lassen es uns gut gehen. Obst, Möhren, selbst gebackene Muffins und noch mehr leckere Köstlichkeiten. Nur zu viel dürfen wir auch nicht essen, da noch 4 Stunden Wanderung und einige Höhenmeter zurück zur Hütte vor uns liegen.
Ich bekomme feierlich eine Urkunde aus Holz in Deutschlandform überreicht. Gebastelt von Mama und ihren Helfern aus der Lebenshilfe im Kleinwalsertal.
Ich bin überglücklich. So ein schöner Abschluss meiner Wanderung zu Fuß durch Deutschland.
Ulrike Goerdes
Super. Und die Holzurkunde auch : )
LG Ulrike Goerdes