Heute geht es weiter zur letzten Station meiner Wanderung. Ich stehe auf und schaue als erstes aus dem Fenster. Kein Regen. Stattdessen blauer Himmel und Sonne. Perfekt. Ich bin früh fertig und gehe um kurz nach 7 Uhr los. Erstmal denselben Weg zurück, den ich vorgestern gekommen bin. Bis in den Talkessel vom Bärgündeletal. Ich gehe zwar erst noch im Schatten, aber der Hang gegenüber wird schon von der Sonne angestrahlt. Und genau da geht’s hin. Irgendwo rechts vom Schneck über den Sattel rüber.

Ich bin etwas übermütig in kurzen Sachen losgestapft. Da es erstmal bergab geht, ziehe ich aber doch schnell noch meine Windjacke über. Ich folge dem bekannten Pfad den Hang entlang. Durch die beiden Einschnitte mit Bächen. Und immer weiter runter bis zum Talschluss. Hier merke ich deutlich den höheren Wasserstand in den Bächen. Durch meine hohen Wanderschuhe bleiben die Füße aber trocken. Die vielen Wasserfälle sehen viel spektakulärer aus als auf dem Hinweg vor 2 Tagen.

Hier noch ein Blick zurück. Die Hütte versteckt sich wieder hinter einer Ecke. Jetzt geht es auf der anderen Seite wieder hinauf. Dieses Mal nicht über den Himmelecksattel, sondern ein Stück weiter über das Laufbacher Eck.

Von weitem sahen die Hänge einfach nur steil aus. Tatsächlich führt der Pfad aber gar nicht die ganze Zeit so steil nach oben. Es geht zwischendurch immer mal wieder über kleine, grüne Ebenen, zwischen Hügeln hindurch. Das gefällt mir.

Immer wieder ziehen Wolken durch das Tal, vernebeln kurz meine Sicht und lösen sich wieder auf.

Eine Weile sehe ich nicht so viel, aber nach ein paar Minuten bin ich durch den Nebel durch.

Dann wird es doch steiler. Es geht über ein Schotterfeld und dann in Kehren die Wiese hinauf. Hinter mir sticht der Hochvogel wieder aus den restlichen Felsen heraus. Heute wäre das perfekte Wetter für einen Gipfel-Versuch gewesen. Vielleicht hätte ich lieber im Prinz-Luitpold-Haus noch eine Nacht bleiben sollen. Aber gut, ein anderes Mal.

Unter mir auf der Wiese steht eine winzige Hütte der Bergwacht. Ich sehe jemanden in knallroter Jacke vor der Hütte stehen und frage mich, ob die Hütte immer besetzt ist in der Wandersaison. Auf dem verblassten kleinen Schild steht „Rettungstelle“. Ein zweites „s“ wurde vergessen. Aber Hauptsache dort wird einem geholfen.

Und nochmal, weil der Gipfel so schön ist. Der Hochvogel in seiner ganzen Pracht. Das Bild ist für dich, Schwesterherz.

Es folgen noch ein paar schmale Stellen mit Seilversicherung bevor ich oben auf dem Grat ankomme. Wahnsinn, was für ein neuer Blick. Aber erstmal erregt der schmale Pfad nach rechts meine Aufmerksamkeit. In meiner Karte ist der nicht eingezeichnet. Es sieht aber ganz so aus, als würde man da in ein paar Minuten auf einen Gipfel kommen. Das lasse ich mir nicht entgehen. Es ist zwar super windig und dadurch ziemlich kalt, aber ich mache ich an den kurzen, sehr steilen Anstieg. Nur 50 Höhenmeter später stehe ich auf dem Laufbacher Eck auf 2.178 Metern.

Lange halte ich es nicht aus mit dem starken Wind. Also geht es schnell wieder runter. Von links bin ich gekommen. Auf der rechten Seite geht es über die Wiese wieder runter. Gegenüber habe ich noch eine neue Perspektive auf den Schneck, den Turnschuh-Berg.

Und das ist die neue Aussicht, die ich vorhin meinte. Mittendrin die Höfats.

Ich folge nun dem Laufbacher-Eck-Weg. Ein paar enge Kehren geht es hinab bis in eine Senke. Dort mache ich eine Pause und lade den nächsten Beitrag hoch. Es gibt mal wieder Empfang. Und hier unten ist es nicht mehr so windig. Außerdem schaue ich, ob ich noch eine Nacht in der nächsten Hütte reservieren kann. Normalerweise muss man das nämlich online machen. Für denselben Tag funktioniert das aber nicht mehr. Und eine Telefonnummer gibt es auch nicht. Das ist echt blöd, dass man bei vielen Hütten inzwischen gar keine Möglichkeit mehr hat, anzurufen. Das ist bestimmt den immer größeren Menschenmassen zu verdanken, die in den letzten Jahren in die Berge stürmen. Also muss ich einfach schauen, dass ich spontan noch einen Platz bekomme, wenn ich da bin.

Diese steilen Grashänge sehen wunderschön aus, aber auch ein bisschen gruselig, wenn man sich aus dieser Perspektive den schmalen Pfad anschaut. Die linke Spitze ist der Gipfel, wo ich vorhin oben war.

Die Sonne hat mich inzwischen so weit aufgewärmt, dass ich meine Jacke ausziehe. Als ich noch in der Senke stehe und auf mein Handy schaue, kommen mir die ersten Leute entgegen. Erst zwei Kerle, die mich anlächeln und mit denen ich kurz quatsche. So wie man das eben macht in den Bergen. Das sind meistens kurze, schöne Begegnungen mit anderen Wanderern. Dann kommt mir eine Familie entgegen und dahinter gleich noch mehr Leute. Kein Lächeln, keiner grüßt. Ich wundere mich ein bisschen. Wo haben die Leute denn ihre Berg-Manieren gelassen? Das ist ungewöhnlich.

Ich gehe weiter. Der Pfad führt ohne größere Höhenunterschiede am Hang entlang. Ein schöner Weg zum Entspannen und die Aussicht genießen. Nur zwischendurch gibt es mal ein paar höhere Felsstufen oder schmale Stellen, wo man ein bisschen aufpassen muss. Allerdings muss ich immer wieder ausweichen und suche mir Stellen im Gras, wo ich die Leute vorbeilassen kann. Das scheint ein sehr beliebter Wanderweg für eine Tagestour zu sein.

Von dieser Seite sieht der Schneck nun wieder so aus, wie ich ihn kenne. Jetzt habe ich den Berg quasi einmal umrundet in den letzten Tagen.

Der Pfad macht einen Bogen und führt weiter unterhalb des Schochen entlang. Da unten kommt der Seealpsee in Sicht. Mit dem Seeköpfel dahinter.

Als ich in der Ferne ganz klein die Bergstation der Nebelhornbahn entdecke, weiß ich auch, wo die ganzen Leute herkommen. Sie fahren mit der Bahn hoch und gehen dann hier den Laufbacher-Eck-Weg. Damit ist das Mysterium gelöst, wieso das Lächeln und Grüßen fehlte. Ich würde mal ganz frech behaupten, dass die Leute aus irgendeiner Stadt kommen, hier Urlaub machen und noch nicht mitbekommen haben, dass man sich hier freundlich grüßt. Berg-Manieren wurden ihnen nicht beigebracht. Dazu gehört auch, dass Leute „Vorfahrt“ haben, die bergauf gehen.

Kurz bevor ich an die Kreuzung komme, wo es zum See runter geht, versperren mir ein paar Kühe den Weg. Ich warte ein bisschen und rede mit ihnen, aber sie wollen mir keinen Platz machen. Also klettere ich vorsichtig über die steile Wiese an ihnen vorbei. Sie grasen seelenruhig vor sich hin und interessieren sich überhaupt nicht für mich.

Als ich um die nächste Kurve komme, sehe ich die Bergstation vor mir. Und einen Haufen Leute. Ich habe ja damit gerechnet, noch mehr Leute zu treffen, aber nicht so viele. An der nächsten Kreuzung mit Wegweisern gehe ich durch einen ganzen Pulk Menschen hindurch. Da stehen bestimmt 50 Leute rum. Oder noch mehr. Und ich fühle mich richtig unwohl dazwischen. So unwohl habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. In den Bergen genieße ich einsame Wege immer am meisten, weit weg von der Zivilisation. Damit ist hier plötzlich Schluss.

Ich folge dem jetzt breiten Schotterweg weiter Richtung Bergstation. Schaue nach unten, auf den Boden, auf meine Füße. Und wünsche mir alle Leute weg.

Dann kommt Oberstdorf in Sicht. Da unten liegt der Ort. Da mein Bargeld nur noch so gerade für die Übernachtung und ein Abendessen reicht, muss ich mich wohl schon mal damit anfreunden, dass meine Tour hier morgen zu Ende ist und ich dann absteige.

Das Edmund-Probst-Haus liegt direkt neben der Gipfelstation der Nebelhornbahn. Ich bin mittags schon da. Die Terrasse ist brechend voll mit Tagesgästen. Ich ziehe meine Schuhe aus und gehe rein in die Stube. Erstmal einen Schlafplatz sichern. Das ist auch kein Problem, es ist genug frei. Ich suche mir einen Platz im Etagenbett oben, wo ich direkt aus dem Fenster schauen kann. Dann setze ich mich auf die Terrasse und bestelle mir eine große Holunderblütenschorle. Ich spreche mit dem Hüttenwirt und frage nach anderen Bezahlmöglichkeiten. Das Essen kann man hier auch mit Karte bezahlen, aber die habe ich nicht mit. Kann man ja auch auf allen anderen Hütten nicht gebrauchen. Ich könne aber das Essen und Getränke mit meinem restlichen Bargeld bezahlen und die Übernachtung dann per Überweisung, wenn ich wieder Zuhause bin. Das ist super. Dann kann ich ja jetzt und heute Abend noch was essen.

Ich sitze in der Sonne und überlege, was ich mache. Ich möchte schon noch weiter hoch und auf den Gipfel vom Nebelhorn, wenn ich schon mal hier bin. Da wird es jetzt aber auch noch so voll sein. Die letzte Bahn fährt wahrscheinlich spätestens um 17 Uhr, dann wird es leer. Ich könnte ja auch heute Abend zum Sonnenuntergang auf den Gipfel. Mal sehen, erstmal esse ich was. Danach habe ich aber keine Lust, nur herumzusitzen und mache mich doch schon auf den Weg.

Ganz langsam und mit vielen Pausen stapfe ich den steilen Schotterweg nach oben. Auf dem Rückweg kann ich dann den Gratweg nehmen, so habe ich einen kleinen Rundweg. Es sind nur knapp 300 Höhenmeter und ich habe noch den ganzen Nachmittag Zeit. Also setze ich mich zwischendurch ins Gras in die Sonne. Viele Leute, die mit ihren Turnschuhen oder Halbschuhen mit glatten Sohlen, den Weg hinunter kommen, haben echt Probleme. Sie sind total unsicher und rutschen immer wieder weg auf dem Schotter. Auch die Wegweiser sind hier an nicht bergerfahrene Leute angepasst. Es wird darauf hingewiesen, dass man sich im hochalpinen Gelände befindet und hier alpine Gefahren lauern.

Der Gipfel ist, wie erwartet, gut besucht. Ich steige die Felsstufen zum Gipfelkreuz hoch, schlage an und setze mich etwas abseits auf die Felsen. Genau hier saß ich schon mal. Und zwar vor 4 Jahren, kurz vor Ende meiner Deutschland-Durchquerung. Damals habe ich Holger und Helga hier oben getroffen, die zu dem Zeitpunkt Urlaub in Oberstdorf gemacht haben. Das war eine riesige Überraschung und Freude. Wo seid ihr denn heute?

Ich beobachte die Leute, die auf den Stufen zum Gipfelkreuz Schlange stehen für ihr Gipfelfoto. Und die Leute, die unter mir auf der Plattform der Gipfelstation Schlange stehen, um mit der Bahn wieder hinunterzufahren. Und die Aussicht. Die ist von hier oben wirklich einmalig. Gerade bei so einem Wetter.

Ich sitze über eine Stunde da, bis sich auch die letzten Leute in die Schlange für die Bergbahn eingereiht haben. Die letzte Bahn fährt in ein paar Minuten. Dann habe ich den Gipfel für mich. Das Nebelhorn auf 2.224 Metern.

Ich mache mich an den Abstieg über den Gratweg. Ein schmaler Pfad, der sehr viel schöner ist, als der Schotterweg, den ich auf dem Weg nach oben genommen habe. Immer wieder konnte ich heute Gleitschirmflieger beobachten, die von hier oben starten.

Pünktlich um kurz vor 18 Uhr bin ich zurück in der Hütte. Um 18 Uhr gibt es Abendessen. Ich setze mich auf die Terrasse und Marcel und Chris setzen sich zu mir. Mit den beiden saß ich gestern Abend schon zusammen, sie sind heute denselben Weg gegangen wie ich.

Heute gibt es mal was anderes als Spaghetti mit Tomatensauce. Das Bergsteigeressen hier ist nämlich ein Linsen-Curry mit Knoblauch-Naan. Das ist echt lecker. Nach dem Essen gehe ich noch eine Runde raus, wo ich jetzt nur noch einem Trailrunner begegne. Auf dem Spielplatz an der Bergstation entdecke ich eine Slackline und trainiere ein bisschen mein Gleichgewicht. Ich kann das zwar nicht so gut, aber es macht Spaß. Nach einer Weile schaffe ich schon ein paar mehr Schritte.


14,6 km
5:15 h
1.061 hm
964 hm
2.212 m