Das Zimmer habe ich mir letzte Nacht mit zwei Frauen geteilt, beide Mitte 60. Als wir alle schon im Bett lagen, haben wir noch ein bisschen gequatscht und sie haben mich zu meinen Wanderungen befragt. So gab es ein paar meiner Erlebnisse als Gute-Nacht-Geschichte. Bis uns allen die Augen zugefallen sind. Das war schön.

Gegen Mitternacht wache ich allerdings schon wieder auf. Draußen tobt ein ziemliches Unwetter. Blitze erhellen den Himmel im Sekundentakt, Donnergrollen und das Prasseln des Regens sorgen für den zugehörigen Lärm. Es hagelt. Ich liege eine ganze Weile wach. Morgens ist dann alles wieder ruhig.

Ich bleibe etwas länger liegen und träume noch ein bisschen vor mich hin. Als ich in den Keller gehe, um meine Klamotten aus dem Trockenraum zu holen, kommt mir schon der Geruch von zig verschwitzten Wanderklamotten entgegen. Ich ziehe mich an und gehe vor die Tür. Es regnet schon wieder. Immer stärker, es schüttet richtig. Also mache ich es mir in der Stube bequem und schreibe von gestern. Erst gegen halb 11 hört es auf zu regnen. Hoffentlich ist der Gratweg zwischen Grünhorn und Steinmandl nicht zu rutschig, der ist etwas ausgesetzt an manchen Stellen. Laut Beschilderung „nur für Geübte“. Ich frage auf der Hütte nach, aber ich solle es ruhig probieren. Sonst kann ich immer noch wieder umdrehen.

Los geht’s um kurz vor 11 Uhr. Erstmal hoch zur Ochsenhofer Scharte. Bis heute Abend soll es trocken und gewitterfrei sein. Wobei sich das im Moment so schnell ändert, sicher ist es nicht.

Der Weg hat sich durch den vielen Regen in einen Bach verwandelt und ich stapfe durch das Wasser über Steine hinauf. Erst durch wilde Wiesen, dann zwischen hohen Sträuchern hindurch. Die Wolken verziehen sich immer mehr und ich kann nun auch die Gipfel über mir wieder sehen.

Nach etwa 200 Höhenmetern ist die Ochsenhofer Scharte erreicht. Ich achte darauf langsam und gleichmäßig zu gehen, so klappt das steil bergauf gut.

Richtung Osten führt ein Gratweg weiter über die Ochsenhofer Köpfe und zum Walmendinger Horn. Den Weg kenne ich schon. Der ist super schön, allerdings oft sehr überlaufen. Die reinste Wander-Autobahn.

Unter mir ist die Schwarzwasserhütte noch zu erkennen und in der Ferne natürlich der Hohe Ifen. Der Gipfel steckt allerdings in einer Wolke.

Ich nehme heute den Pfad in die entgegengesetzte Richtung. Kuhglocken-Geläute begleitet mich auf dem nassen Pfad über die Wiese. Das Gipfelkreuz kann ich von weitem schon sehen.

Beim Aufstieg wird es immer bewölkter. Weiße Schwaden ziehen an mir vorbei. Das sieht gut aus. Die Wolken schieben sich über den Grat, sammeln sich über dem Tal und lösen sich wieder auf. Das ist besser als irgendein Fernsehprogramm.

Dann ist der Gipfel des Grünhorn auf 2.039 Meter Höhe erreicht. Yippieh, endlich über 2.000 Meter, das erste Mal dieses Jahr. Und ein neuer grüner Haken auf meiner Karte. Hier war ich noch nicht.

Jetzt gibt es erstmal eine Müsliriegel-Stärkung. Ich ziehe was über, die Wolken bringen kühlen Wind mit. Der Grat rüber zum Steinmandl ist auch noch von den Wolken verdeckt. Da möchte ich warten, bis ich klare Sicht habe. Also lehne ich mich ans Gipfelkreuz und schaue mir das Wolkenschauspiel an. Alle paar Sekunden ein anderes Bild.

Ich bin gespannt auf den Gratweg. Vor ein paar Jahren war ich schonmal auf dem Steinmandl und wollte eigentlich weiter hierher, aufs Grünhorn. Da gab es aber eine sehr steile Stelle mit Felskletterei, wo ich mich damals nicht weitergetraut habe und umgedreht bin. Mal sehen, ob es heute klappt. Das kommt ja auch ein bisschen auf die Tagesform an. An manchen Tagen traut man sich den Schritt über den Abgrund, an anderen Tagen blockiert der Kopf einfach und man malt sich die schlimmsten Szenarien aus.

Jetzt habe ich auch freie Sicht auf den Grat. Ganz schön schmal.

Erst geht es ein ganzes Stück ziemlich steil runter. Bei einigen großen Felsstufen setze ich mich auf den Hintern, um den nächsten Tritt sicher erreichen zu können. Steil und schmal bergab mag ich nicht so gerne. Man hat immer die steilen Hänge vor Augen. Bergauf ist es einfacher. Aber ich bin vorsichtig und es ist durch den Regen auch gar nicht so rutschig. Das hatte ich mir schlimmer vorgestellt.

Neben dem Pfad wachsen ein paar Wilde Männle. Meine Lieblingspflanzen mit ihren wild strubbeligen Köpfen.

Über mir geht das Wolkenschauspiel immer weiter.

Ich schaue mich um, als ich den ersten steilen Abstieg geschafft habe. Da bin ich gerade runtergekommen.

Und da geht es weiter. Die Felsen sehen ganz schön steil aus. Da sind schon ein paar Nervenkitzel-Momente bei, wo ich noch vorsichtiger bin. Aber es klappt alles gut.

Ich bin mir nicht sicher, ob das hier die Stelle ist, wo ich damals umgedreht bin. Das muss ich mir erstmal genau anschauen. Die steile Schräge, die ich runter müsste, um dem Pfad zu folgen, ist mir nicht geheuer. Da sehe ich mich schon abrutschen. Aber wenn ich mich einfach auf die Kante setze, den Fels zwischen meinen Beinen, wie auf einem Pferderücken, dann sollte es klappen. Ein Bein links, eins rechts, so sitze ich sicher. Ich schiebe mich langsam vorwärts, bis ich den nächsten Fels erreiche. Und geschafft.

Hoffentlich war das die Stelle, sonst müsste ja noch so eine kommen. Und so langsam ist mein Bedarf an Nervenkitzel gedeckt für heute. Erstmal wieder klein anfangen. Da höre ich es grummeln in den Wolken. Och ne, kein Gewitter jetzt. Nicht während ich hier auf dem Grat stehe. Ich gehe noch ein Stück weiter. Hier bin ich gerade in einer Senke, über mir Felsen und Bäume. Ein gut geschützter Platz. Da es immer dunkler wird um mich herum und das Donnern lauter wird, bleibe ich erstmal hier. Es fängt zu regnen. Die Bäume halten zwar einiges ab, aber ich ziehe schnell Regenjacke und -hose über. Eine Wolke kommt von vorne direkt auf mich zu und verschlingt auf dem Weg nach und nach alle Bäume in meinem Sichtfeld. Als es dann auch noch blitzt, rutsche ich von meinem Felsen und hocke mich auf den Boden. Füße zusammen. So hocke ich da, fange an zu frieren, zähle die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Zum Glück zieht das Gewitter relativ schnell weiter. Empfang habe ich nicht, aber ich rufe über meinen Notfallsender nochmal den Wetterbericht ab. Tatsächlich sind jetzt von 14 bis 15 Uhr Gewitter angesagt. Danach Sonne und Wolken. Ich warte noch ein bisschen und setze mich wieder auf den Felsen, dass meine Füße aufwachen können. Es ist nur noch ein weit entferntes Donnergrollen zu hören und der Regen hat aufgehört.

Nach 20 Minuten traue ich mich weiter. Es ist auch nicht mehr weit. Gerade mal 500 Meter und noch ein paar Höhenmeter bis zum nächsten Gipfel.

Ich überlege schon, dass ich dann direkt absteige zur Hütte. Dann bin ich in nicht mal einer Stunde wieder dort. Kann mir was trockenes anziehen und was warmes essen. Als ich aber ankomme, ist es schon wieder viel freundlicher. Und die Sicht ist klasse. Hier der Grat, wo ich hergekommen bin. Ganz am Ende der Kette sieht man das Walmendinger Horn.

Und natürlich schleicht sich auch der Hohe Ifen wieder ins Bild. Ganz schön aufdringlich.

Angekommen auf dem Steinmandl auf 1.982 Meter Höhe. Yeah! Zweiter Gipfel. Das letzte Mal war ich vor 3 Jahren hier oben.

Das Gipfelbild sieht ganz schön spektakulär aus mit den schmalen Felsen und nur Wolken hinter mir, oder? Das könnte auch auf einem viel höheren Gipfel sein. Aber das täuscht. Eigentlich sieht es hier so aus, etwas langweiliger.

Ich mache noch ein bisschen Pause und entscheide mich dann, doch noch weiter zum Kreuzmandl zu gehen. Das ist nur eine halbe Stunde von hier. Also folge ich dem nächsten Gratweg. Wieder ein schmaler Pfad, rechts und links steile Grasflanken. Zwischendrin ein paar Felsen.

Es gibt zwei Stellen mit Eisenbügeln im Fels und Seilsicherung, aber nichts so schwieriges. Solange man tatsächlich trittsicher und schwindelfrei ist, wie es die Wegbeschreibungen immer empfehlen. An einer etwas breiteren Stelle nehme ich kurz meinen Rucksack ab und ziehe meine Regensachen aus. Jetzt ist mir wieder warm und durch den Wind sind meine Klamotten schon fast wieder trocken.

Dann stehe ich auf dem Kreuzmandl auf 1.974 Metern. Der dritte Gipfel heute. Wenn auch ohne Gipfelkreuz.

Jetzt geht es aber zurück zur Hütte. Mein Magen knurrt und ich überlege mir beim Abstieg schon, was ich gleich esse. Über einen jetzt einfacheren Pfad geht es über den Grat hinab zum Neuhornbachjoch. In 10 Minuten wäre ich von hier auch auf dem Falzer Joch. Aber das spare ich mir. Wenn ich direkt absteige bin ich noch rechtzeitig zurück, es gibt nämlich nur bis 18 Uhr Essen.

Da der restliche Weg jetzt einfach ist und ich mich nicht mehr so sehr auf den Pfad konzentrieren muss, kann ich meine Gedanken schweifen lassen. Ich denke an Norwegen und mir kommen ein paar bestimmte Erlebnisse in den Sinn. Das geht im Alltag inzwischen sehr unter und ich erfreue mich an meinen Erinnerungen. Ich bin so in Gedanken vertieft, dass ich am nächsten Wegweiser vorbeilaufe und mich frage, wieso da keiner steht, wo der Pfad sich teilt. Verwundert drehe ich mich um und da steht er direkt vor mir. Der war gerade noch nicht da.

Die Wiese ist sehr nass und matschig und zweimal hinterlasse ich tiefe Fußspuren im Schlamm. Über Steine geht es durch flache Wasserläufe und zum Gerachsattel nochmal ein kleines Stück hinauf. Die riesigen Blumenkohl-Wolken da vorne sehen durch die harten Konturen total unrealistisch aus, finde ich.

Das nächste Schild zeigt noch 5 Minuten zur Schwarzwasserhütte. Perfekt. Nur noch die Wiese runter, dann bin ich angekommen. Das war ein schöner Weg heute. Abenteuerlich, mit ein bisschen Nervenkitzel, ein bisschen leichtem Klettern, es hat Spaß gemacht. Nur das Gewitter hätte nicht sein müssen.

Als ich zur Tür reinkomme, stehen da gerade 3 Kerle in meinem Alter. Und die Hüttenwirtin, die sagt „Ah, da ist sie ja. Das ist Sophie, ihr teilt euch heute ein Zimmer.“ Lustig. Na gut, dann heute mit neuer Besetzung. Wir verstehen uns sofort gut, genauso locker wie das meistens unter Wanderern ist. Lustig ist, dass die 3 auch aus Dortmund kommen. Sie erzählen mir von ihrer Tour heute von der Mindelheimer Hütte hierher. Den Weg möchte ich nämlich auch übermorgen gehen.

Ich ziehe mich um und dann gibt es Essen. Eine Nudelsuppe und dann einen großen Salatteller mit Käse- und Spinatknödeln. So lecker! Dabei sitze ich draußen unter dem Vordach und beobachte den Regen, der doch noch nicht genug hat für heute.


8,5 km
3:40 h
704 hm
689 hm
2.031 m