Heute soll der schönste Tag werden. Das sagt der Wetterbericht schon seit ein paar Tagen. Ein perfekter Gipfel-Tag also. Und davon habe ich heute gleich drei geplant. Einer davon ist ganz besonders für mich.

Ich bin früh wach. Leise kann man sich hier nicht auf Toilette schleichen. Das Bett und der Holzboden knarzen, sobald man sich bewegt. Kurz überlege ich, ob ich mich anziehe und schon losgehe. Ich will aber niemanden wecken, bis 6 Uhr ist noch Hüttenruhe. Und ich müsste noch meine Sachen zusammenpacken. Also lege ich mich nochmal hin und stehe erst um halb 8 wieder auf.

Jetzt aber. Meinen Rucksack brauche ich heute nicht. Ich packe Wasser, Jacke, Kamera und Handy in meine kleine Tasche, die ich mir umhängen kann. Ich freue mich heute ohne Rucksack zu gehen. Der ist zwar nicht schwer, aber es ist trotzdem ein schönes Gefühl, mal nichts am Rücken zu haben. Dann geht es los. Voller Vorfreude. Und ganz viel Hoffnung, dass es mir trotz viel Sonne gut geht.

Ich laufe von der Hütte durch die Grashügel und vorbei an ein paar kleinen Seen. Die Ufer stehen voll mit Wollgras. Im Hintergrund sieht man den Rappenseekopf und den Hochrappenkopf. Auf beiden Gipfeln war ich schon mal, als ich kurz vor Ende meiner Deutschland-Wanderung zu viel Energie hatte.

Am Rappensee vorbei und dann über einen schmalen Pfad am Hang, über Wiese und durch ein Geröllfeld, geht es hoch. Vor mir sehe ich nur noch grauen Fels. Das mag ich. In den schattigen Senken liegen auch noch Altschneefelder.

Die Sonne strahlt vom wolkenfreien Himmel und ich bin froh, erst noch im Schatten gehen zu können. Oben auf dem Grat angekommen, blicke ich zurück auf den Pfad, wo ich hergekommen bin, und die von hier winzige Rappenseehütte.

Auf dem Weg hoch habe ich niemanden getroffen. Hier sitzen jetzt überall auf den Felsen verteilt kleine Grüppchen in der Sonne. Ob die alle schon auf dem Gipfel waren? Ich gehe weiter und folge den roten Markierungen über einen schmalen Schotterpfad und große Felsblöcke. Den Weg habe ich irgendwie schwieriger in Erinnerung. Aber es gibt keine ausgesetzten Stellen. Das ist nichts besonderes. Fast schon ein Spaziergang. Aber nur fast.

Ich bin erstaunt, dass ich den Gipfel für mich alleine habe. Das ist super, ich freue mich. Das ist der erste für heute, der Rappenseekopf auf 2.469 Meter Höhe.

Von hier oben sieht man jetzt auch den Großen Rappensee. Vielleicht springe ich da ja noch rein, wenn ich später zurück bin. Aber das Wasser ist bestimmt eisig.

In die Richtung geht es weiter. Der vordere Gipfel ist der Hochrappenkopf und der hohe dahinter der Biberkopf. Das ist der besondere Gipfel heute. Es ist nämlich der zehnthöchste Gipfel in den Allgäuer Alpen. Dann kann ich den ersten Gipfel in meiner Top 14 Liste abhaken.

Nach kurzer Pause gehe ich über den Grat zum Hochrappenkopf. Runter und wieder hoch. Über Felsen und grobes Geröll.

Der Gipfel ist mit 15 Minuten ausgeschildert. Ich dachte eigentlich, dass man auch über den Gipfel weitergehen kann. Aber das ist derselbe Weg hin und zurück. Dann gehe ich lieber erst weiter zum Biberkopf und mache den Abstecher auf dem Rückweg. Also geht es weiter über Felsen und dann wieder einen schmalen Pfad am steilen Grashang entlang.

Als ich am Hochrappenkopf vorbei bin und über einen schmalem Grat weitergehe, habe ich einen schönen Blick auf die gegenüberliegenden Berge. Die gelben Blumen bringen doch immer ein bisschen Farbe in die graue Felslandschaft.

Als ich dem Biberkopf näherkomme, überlege ich, wo denn wohl der Weg herführt. Die zackigen Felsen sehen irgendwie nicht so begehbar aus. Links über die Wiese sieht man den Pfad ja noch. Dass ich danach aber ein ganzes Stück absteigen muss, damit habe ich nicht gerechnet. Da wo das Gras zu Ende ist, geht es rechts über die Kante und in sehr engen Kehren runter. Ich setze mich immer wieder auf den Hintern, dann fühle ich mich sicherer bei so großen Stufen. Der rutschige Schotter ist immer blöd. Aber hier ahne ich noch nicht, dass dieser Teil noch das geringste Übel ist.

Nach der letzten Kehre geht es unterhalb der Felsen über das riesige, steile Geröllfeld, was man auch schon auf dem Bild vorher sieht. Hier bin ich über das erste Feld dann schon drüber, das ist der Blick zurück. Danach folgt aber noch eins und jetzt geht der Pfad wieder hinauf. Ich mache mir schon Gedanken um den Abstieg. Hoch ist es immer einfacher. Aber wie heißt es so schön: „Ein Gipfel gehört dir erst, wenn du wieder unten bist – denn vorher gehörst du ihm.“ (Hans Kammerlander, Südtiroler Extrembergsteiger).

Beim Aufstieg mache ich keine Fotos. Ich brauche meine Hände um mich festzuhalten. An Felsvorsprüngen und vielen Stahlseilen. Außerdem gehen wir nach einer Weile mit bestimmt 5 Leuten in einer Reihe, da will ich nicht immer anhalten für Fotos. Ich bin auch ganz froh über die anderen Wanderer, da wir uns so gegenseitig helfen können. Ich gehe erst vor, stehe aber irgendwann etwas unschlüssig vor einer steilen Stelle, wo ich nicht weiß, wo ich meinen Fuß hinsetzen soll. Also geht der Mann hinter mir vor und zeigt mir, wo ich hintreten kann. So schlängeln wir uns am Fels entlang, immer wieder gibt es sehr steile Stellen mit feinen Steinchen, auf denen man einfach wegrutscht. Dann wieder Felsblöcke und -kanten.

Etwas weiter oben queren wir noch ein Schotterfeld. Ich habe ein bisschen Vorsprung vor den anderen und sehe, wie mitten auf dem Pfad ein Mädel sitzt. Als ich bei ihr ankomme, meint sie, dass sie sich nicht weiter traut. Es würde alles abrutschen. Sie wäre gespannt, wie ich das mache. Ich gehe an ihr vorbei und setze vorsichtig meinen Fuß in die Steine. Etwa über zwei große Schritte sind die Steine lose, es ist grober Schotter. Da gab es wohl vor kurzem erst einen Steinrutsch. Sobald mein Fuß steht, setzt sich das ganze Feld in Bewegung und rutscht den Hang hinab. Schnell ziehe ich meinen Fuß zurück. Jetzt weiß ich, was sie meinte. Ich versuche eine Stufe in die Steine zu treten, das funktioniert aber nicht so gut. Gut dass der Wanderweg nicht unterhalb herführt, sondern über die Felsen neben dem Geröllfeld. So bekommt niemand die Steine ab. Ich trete noch ein paar Mal in die losen Steine, dass sie weiterrutschen. Mache einen großen Schritt und ziehe meinen hinteren Fuß schnell weg, weil es schon wieder rutscht. Aber ich stehe wieder auf festen Boden. Nur meine Beine zittern leicht. Das war ein kurzer Schreckmoment. Inzwischen hat sich eine Schlange gebildet. Die anderen nach mir haben es aber jetzt einfacher.

Nach dem Schotterfeld geht es fast nur noch über Felsen. Man geht erst ziemlich weit um den Berg herum, bevor dann der letzte steile Anstieg zum Gipfel von der Westseite erfolgt. Und wie. Das sieht fantastisch aus. Durch eine breite Rinne schaue ich nach oben. Die Felsen sind wie breite Scheiben aneinandergereiht und gestapelt. Sie bilden eine Schräge mit genug Griffen und Tritten. Die hohen Schritte sind anstrengend und sowieso schwinden meine Kräfte etwas. Schlecht ist mir auch schon wieder. Aber davon lasse ich mich nicht unterkriegen. Ich spüre die Aufregung und ganz viel Gipfelkribbeln. Ich bleibe häufiger stehen und atme kurz durch. Dann geht es weiter. Nur noch ein bisschen höher. Auf die Felsen und meine Hände und Füße konzentriert. Zwischendurch drücken sich Menschen an die Felsen, die absteigen wollen und warten, dass Platz ist. Gegenverkehr ist hier nicht so gut. Dann komme ich aus der Rinne raus. Noch ein paar Schritte und ich schlage am Gipfelkreuz an. Umarme es sogar. Die Leute hinter mir lachen, aber das ist mir egal. Wahnsinn, ich habe es geschafft! Das war nicht so ganz ohne.

Tadaa, ich stehe auf dem Biberkopf auf 2.599 Metern. Es ist der südlichste Gipfel Deutschlands und eben der zehnthöchste der Allgäuer Alpen. Ich bin glücklich.

Jedenfalls solange ich oben sitze, das Gefühl es geschafft zu haben in mir, ein bisschen Stolz und die Aussicht genieße. Ich ziehe meine Windjacke über und sitze eine ganze Weile einfach da. Versuche mit tiefen Atemzügen meine Übelkeit in den Griff zu bekommen. Die Aussicht ist grandios. Ganz hinten rechts erkenne ich den Hohen Ifen. In der Mitte den Großen Widderstein.

Na gut, dann mache ich mich mal an den Abstieg. Ich sage mir selber, dass ich ganz langsam machen kann, schön vorsichtig. Ich habe genug Zeit. Hier nochmal der Blick zum Gipfelkreuz.

Bevor es dann die Rinne mit den Felsscheiben hinab geht. Ich warte etwas, bis die beiden vor mir unten sind. Der Abstieg klappt gut, da es genug Kanten gibt, wo man sich festhalten kann.

Das ist der Blick nach oben, wenn man unten am Anfang der Rinne steht.

Tatsächlich klappt der ganze Abstieg besser als gedacht. Ein paar Stellen mit losen Steinchen sind blöd, die machen keinen Spaß. Dass ich mich mal wieder übergeben muss, ist auch blöd. Hoffentlich geht das wieder weg.

Dann wieder dieses lange Schotterfeld. Ich bin so froh, als ich das hinter mir habe. Bergab hat man die ganze Zeit vor Augen, wie steil es heruntergeht. Wenn ich mir einen Schritt nicht zutraue, setze ich mich auf den Hintern. Das ist meine Technik. Näher am Boden fühle ich mich sicherer. Aber auch so darf man nicht ins Rutschen kommen.

Es ist endlich geschafft und ich stapfe und klettere langsam die steilen Kehren wieder hinauf zum Grat. Der Weg zurück zum Hochrappenkopf ist dann zum Entspannen. Hier sieht man den Pfad am steilen Hang entlang.

Ich treffe nochmal das Mädel vom Schotterfeld beim Aufstieg. Sie macht Pause und als ich gerade vorbeilaufen will, quiekt sie und ihre Packung Haferflocken landet vor meinen Füßen. Was ist denn jetzt los? Sie hätte eine Raupe auf dem Arm gehabt und wollte nicht riskieren, gebissen zu werden. Ah ja, na gut. Ich muss schmunzeln. Ich glaube nicht, dass die Raupen hier Fleischfresser sind.

Über ein paar Felsen geht es zurück zum Wegweiser, der 15 Minuten zum Gipfel anzeigt. Ich bin zwar schon ziemlich fertig, aber das schaffe ich jetzt auch noch. Für das Trio heute. Mir kommen 4 Leute entgegen, den Gipfel habe ich aber wieder für mich. Der Hochrappenkopf auf 2.425 Metern.

Ich lege mich ins Gras und strecke die Beine aus. Das fühlt sich gut an. Ich bleibe ein bisschen so liegen und schließe die Augen. Herrlich dieses Gefühl nach so viel Anstrengung. Dann mache ich mich an den restlichen Abstieg. Ich habe Hunger. Irgendwie habe ich mich auch ein bisschen verrechnet, am Ende war ich doch fast 6 Stunden unterwegs. Und das ist nur die Gehzeit.

Natürlich folgt noch ein Schotterfeld. Jetzt aber nicht mehr ganz so steil. Erst geht es in Kehren runter, über ein kleines Schneefeld und dann einfach gerade am Hang entlang. Die Hütte schon im Blick.

Geschafft. Kaputt und glücklich, müde und stolz. Ich ziehe mich um und setze mich mit einer großen Portion Bratkartoffeln mit Spiegelei auf die Terrasse. Das schmeckt nach der Anstrengung doppelt so gut.

Der Hüttenwirt bittet mich, ins Nebenzimmer umzuziehen, damit eine fünfköpfige Familie zusammen schlafen kann. Dafür habe ich dann jetzt ein 10er Lager für mich alleine. Also, wer kommt vorbei zur Lagerparty?

Ich sitze bis zum Sonnenuntergang draußen und gehe dann schlafen. Das war ein super schöner Tag.


10,2 km
5:45 h
1.032 hm
1.013 hm
2.565 m