Die Nacht war sowas von ruhig. Der Wind hat gestern Abend irgendwann nachgelassen und immer wenn ich zwischendurch mal aufgewacht bin, war es windstill. So auch heute Morgen. Es ist fast schon gespenstisch still um mich herum. Nach dem ganzen laut heulenden Wind fällt mir wieder viel stärker auf, wie leise es doch hier draußen ist.
Ich hatte meinen Wecker auf 6 Uhr gestellt, um direkt nochmal das Wetter abzurufen. Der Sturm ist verschwunden – zum Glück. Es soll immer noch sehr windig sein, aber nicht schlimmer, als die letzten beiden Tage. Damit komme ich klar. Der Himmel sieht richtig freundlich aus. Ein paar hohe Wolken, wo der Vollmond durchscheint und sonst klar. Das soll allerdings nur bis heute Mittag so bleiben. Dann ist Nebel angesagt und eventuell ein bisschen Schnee. Also packe ich zusammen, nutze das schöne Wetter und kann dann früh mein Zelt wieder aufstellen und mir Nebel und Schnee aus dem Schlafsack anschauen. So der Plan. Mal sehen, ob er aufgeht.
Mir kommt es irgendwie gar nicht so kalt vor im Moment und ich dachte, es wären knapp über 0 Grad nachts. Allerdings ist mein Außenzelt doch gefroren. Ich trinke in Ruhe meinen Tee und gehe gegen 8 Uhr los. Die Sonne ist gerade aufgegangen und bisher sieht es nach tollem Wetter aus. Auch wenn der Wind schon wieder da ist. Solange es trocken ist, ist das okay.
Ich und mein langer Schatten gehen über Hügel und durch Senken, über Flechten und Steine. Und soweit ich schauen kann, sieht es nicht anders aus. Der erste Hang nach unten ist etwas blöd, weil Erde und Steine gefroren und ziemlich rutschig sind. Danach geht es aber besser.
Hinten rechts der Berg ist der Rásttigáisá mit 1.066 Meter Höhe. In meiner ursprünglichen Planung wollte ich über den Gipfel rüber, aber jetzt gehe ich ein ganzes Stück weiter nördlich, also spare ich mir das. Der Berg ist den Samen heilig und von Süden führt ein markierter Pfad hinauf.
Es ist so schön. Mit einem Lachen auf den Lippen und der Sonne im Gesicht marschiere ich durch die einsame und weite Natur. Hier könnte man wirklich meinen, man wäre der einzige Mensch weit und breit. Vielleicht bin ich das ja auch. Jedenfalls im Umkreis von 20 Kilometern. So weit ist Luftlinie die nächste Straße entfernt. Die E6 entlang der finnischen Grenze.
Ich habe gar keine Lust, die ganze Zeit auf den Kompass zu schauen gerade. Ich möchte einfach der Nase nach laufen. Das kann man hier auch wunderbar. Es gibt keine großen Hindernisse. Ich schaue nach der Richtung, die ich angepeilt hatte und laufe dann einfach immer geradeaus. Nach einer ganzen Weile schaue ich nochmal nach, bin aber auf genau dem richtigen Kurs.
Vor mir strahlt die Sonne, hinter mir steht der Mond noch hoch am Himmel.
Auch wenn es von weitem erst so aussah, ist die weite Ebene nicht einfach nur eben. Es gibt schon ein bisschen Abwechslung zur platten Erde mit Steinen und Flechten. Diese kleinen wabenartigen Hügel erinnern mich an Hüpfkissen.
Es gibt zig Geröllgräben und zwischendurch ist das beige Gras mit Wassergräben und -löchern durchzogen. Das Beste ist aber immer noch, dass der Boden überwiegend trocken ist. Es gibt auch heute keinen Sumpf, nur festen Untergrund. Zwischendurch mal einen See oder kleinen Bach.
Ich habe mich bei meiner Planung schon immer gewundert, dass dieser Teil so schlecht kartiert ist. Wenn man sich die OpenStreetMap Karte anschaut, ist hier einfach ein riesiges Loch. Keine Gewässer und auch sonst nichts. Die norwegische Karte hat da schon mehr zu bieten, allerdings weiß ich jetzt, dass auch da zig Gewässer fehlen. Und Informationen findet man online ja auch nicht. Niemanden, der in den Gaissane Bergen wandern oder angeln geht und darüber geschrieben hat. Das hier war immer die größte Unbekannte auf meiner ganzen Wanderung. Und jetzt ist es so einfach und traumhaft schön. Ich bin überglücklich, dass ich nicht auf der Straße gegangen bin.
Heute stehen noch 2 Flussquerungen an. Dass es so trocken ist hier oben, macht mir aber Hoffnung, dass das kein Problem wird. Ein paar Bäche haben kaum Wasser und ein großer See ist komplett trocken. Auf der Karte ist er eingezeichnet und bei genauerem Hinsehen erkenne ich dann auch die große Mulde in den Steinen, wo sonst wohl das Wasser steht.
Die Flüsse sind beide Zuläufe des Stuorrajohka. Ich habe meine Route mit Absicht so weit südlich gewählt, dass ich die großen Flüsse Bissojohka, Stuorrajohka und Važžejohka nicht direkt queren muss. Vielleicht wäre es möglich gewesen, vielleicht auch nicht. Meine ist die sichere Variante.
Vor den Flüssen kommt noch ein breiter Bach, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Er ist flach und hat kaum Strömung. Es ist aber doch nicht so einfach, wie ich erst dachte. Der Boden ist mit Moos bedeckt und richtig glitschig. Ich habe weder auf den Steinen Halt, noch dazwischen, da sie wegrutschen. Ich gehe im Schneckentempo durch das Wasser, um bloß nicht ganz auszurutschen. Jetzt komplett durchgenässt weiterzugehen ist eine Horrorvorstellung.
Ich beobachte schon die ganze Zeit die dichten, dunklen Wolken, die von hinten immer näher kommen. Es dauert wohl nicht mehr ganz so lange bis sie mich eingeholt haben. Sie bringen bestimmt den Niederschlag, der ab heute Mittag angesagt ist. Vor mir ist der Himmel noch blau. Links von mir ein großer Regenbogen. Dann regnet es da hinten wohl auch schon.
Der erste Fluss sieht wieder ziemlich flach aus. Erst will ich diese Stelle mit den vielen Steinen nutzen, aber der hintere Flussarm sieht tiefer aus. Also probiere ich es weiter links. Dort ist der Fluss sehr viel schmaler, aber das Wasser in der Mitte tiefer als gedacht. Ich gehe wieder ein Stück zurück und im Bogen über einige höhere Steine unter Wasser.
Vor der Flussquerung hat es angefangen zu schneien. Nur ein paar kleine Flocken. Die Wolken kommen immer näher. Ich ziehe schnell meine Regensachen über, bevor es gleich ganz ungemütlich wird.
Schön eingemummelt geht es wieder ein Stück hoch und über viele Steine. Ein bisschen Geröll-Balancieren als Übung für meine letzten beiden Tage zum Kinnarodden. Ich gehe langsam, damit ich nicht ins Schwitzen komme und dann anfange zu frieren.
Vor mir ist der Himmel immer noch blau. Der Rásttigáisá begleitet mich den ganzen Tag.
Dann kommt der zweite Fluss. Er hat wenig Wasser und die Querung ist die einfachste heute. Ein paar Schritte durch das Wasser, dann über dicke Steine. Wäre das geschafft. Jetzt dürfte es keine größeren Furten mehr geben bis ich wieder auf die Straße treffe.
Der Wind nimmt zu und es schneit plötzlich ganz viele dicke Flocken. Der Wind kommt von links und fegt sie fast waagerecht vor meinen Augen her. Die Hügel hinter mir sind verschwunden, da ist nur noch weiß zu sehen. Nach 10 Minuten ist der Spuk aber schon wieder vorbei. Der Himmel über mir klart auf und die Berge hinter mir sind nun alle weiß gepudert. So schnell kann es gehen.
Ich beobachte das Wolkenschauspiel. Ich scheine Glück zu haben, dass die Wolken ihr Unwesen jetzt lieber weiter nördlich treiben. Dort sieht man deutlich den Niederschlag. Als ob die Wolken in Streifen bis zum Boden gehen.
Das Bergmassiv rechts wird eingehüllt und angestrahlt. Das sieht super aus.
Ich beschließe heute mal wieder eine schöne Mittagspause zu machen. Es ist gerade nicht so windig. Gerade als ich das denke, fängt es zwar wieder an zu schneien, aber nur leicht. Ich peile den nächsten See an, da dahinter eine ganze Weile kein Wasser mehr kommt. Hoffentlich ist er nicht auch ausgetrocknet. Vielleicht sollte ich dort auch sicherheitshalber schonmal Wasser fürs Camp mitnehmen.
Den See gibt es und hier ist es richtig schön. Ich suche mir einen bequemen Stein und packe meinen Kocher aus. Das Mittagsmenü besteht heute aus Blumenkohl-Brokkoli-Suppe und ein paar Crackern. Zum Nachtisch gibt es einen der streng rationierten Müslikekse. Die mag ich gerade echt gerne.
Ich schaue nochmal auf die Karte und überlege, wie ich es mache. Ich habe gestern Abend einen groben Plan aufgestellt. Morgen Abend könnte ich neben der Hütte übernachten, die ich auf der Karte entdeckt habe. Übermorgen würde ich den Fahrweg erreichen und auf der Hälfte nach Ifjord ist auch eine Hütte eingezeichnet. Dann hätte ich in den beiden Nächten auf jeden Fall einen Windschutz. Jetzt sind es noch über 20 Kilometer bis zur Hütte, das schaffe ich wohl nicht bevor es dunkel wird. Allerdings geht es weiter bergauf und ich habe ein bisschen Angst, dass es dort zu steinig ist und ich gar keinen Windschutz finde. Ich müsste noch mindestens 10 Kilometer gehen, um wieder auf derselben Höhe wie hier zu sein. Und dann wären es auch nur noch 10 Kilometer bis zu der Hütte morgen. Dann könnte ich stattdessen doch auch heute den kurzen Tag machen, wo es mir hier gefällt. Wobei ich schon Lust hätte, noch weiterzugehen. Ich rufe nochmal den Wetterbericht ab. Heute ist es den Rest des Tages grau und regnerisch. Heute Nacht klart es auf und morgen ist es bis mittags wieder ganz schön.
Ich weiß auch nicht, erstmal esse ich jetzt meine Suppe. Irgendwie wird mir plötzlich bewusst, dass meine Wanderung tatsächlich bald zu Ende ist. Auch wenn ich das natürlich eigentlich weiß, trifft es mich gerade wie ein Schlag. Von Ifjord sind es 3 Tage auf der Straße und dann nur noch 2 bis 3 Tage zum Kinnarodden. Und nochmal 2 Tage zurück nach Mehamn. Ich freue mich richtig auf meine langsame Rückreise, finde das aber trotzdem gerade nicht gut. Ich möchte nicht weg hier. Möchte nicht drinnen sein und keinen Stadtmief einatmen. Das Leben ist doch so schön hier draußen. Trotz schlafloser Nächte im Wind. Die sind schnell vergessen nach so schönen Tagen wie heute.
Mir kommt es schon fast so vor, als wäre meine Entscheidung heute Nacht hier an dem See zu bleiben, eine Trotzreaktion. Aber nichtsdestotrotz passt es gut. Ich schaue mich um und finde einen halbwegs ebenen und steinfreien Platz hinter einem Hügel und einem kleinen Felsen. Hoffentlich bieten sie mir wenigstens ein bisschen Windschutz. Um 13 Uhr habe ich mein Zelt aufgebaut. Gerade als es anfängt zu regnen. Oder zu schneien. Das Wetter kann sich nicht so recht entscheiden. Alles richtig gemacht. Die Heringe halten zwar nicht so gut in dem trockenen, steinigen Boden, aber ich finde ein paar dicke Steine zum Beschweren.
Den ganzen Nachmittag ist es wirklich grau, regnet immer wieder und die Sonne kommt nicht mehr zum Vorschein. Ich freue mich schon richtig auf morgen früh. Vielleicht ist es da ja wieder genauso schön wie heute Morgen. Und jetzt freue ich mich, es in meinem Schlafsack schön warm zu haben. Ich trinke Tee, esse und schreibe. Und schon wird es wieder dunkel. Vielleicht stelle ich mir für heute Nacht meinen Wecker und schaue nach Nordlichtern. Ab 2 Uhr soll der Himmel wolkenfrei sein.
Frank
„Möchte nicht drinnen sein und keinen Stadtmief einatmen.“ Was‘n fürn Stadtmief???Hier gibts keinen!!
Wie sieht es mit T‘s aus? Brauchst Du noch welche?
Sophie
Dann bist du noch nie in den Genuss einer Nase voller Natur gekommen 😉
Danke, das ist lieb von dir! Aber ich werde nicht verhungern.
Hacky
Du schreibst. du hättest Glück gehabt! Dazu kann ich nur sagen: Können heißt, dem Glück eine Chance geben, und so gut wie du dich vorbereitet und informiert hast, kannst du nur gute Entscheidungen treffen!