Das ist doch schön, wenn man zu so einer Aussicht aufwacht. Auch wenn ich die Berge liebe, hat das Meer immer etwas Besonderes. Am besten sind natürlich Orte, wo es beides gibt.

Vidar möchte noch ein Foto von mir machen, bevor ich losgehe. Auch wenn ich nichts mit Facebook zu tun haben möchte, erlaube ich ihm ausnahmsweise meine Bilder zu posten. Aber der richtige Zieleinlauf kommt ja erst noch.

Es ist zwar richtig kalt, aber sonnig und fast windstill. So ist das angenehm. Da macht mir die Kälte auch nicht so viel aus. Um kurz nach 9 Uhr mache ich mich auf den Weg.

Erst möchte ich noch am Hafenbüro vorbeischauen. Vidar meinte, ich könne direkt dort meine Rückfahrt buchen. Ich fände es ja immer noch super, wenn ich das Schiff nächsten Donnerstag nehmen könnte und nicht erst am Sonntag, damit ich in Bergen mehr als einen halben Tag Zeit habe. Aber das ist vom Wetter abhängig und wie schnell ich vom Kinnarodden zurück bin. Jetzt schon für Donnerstag zu buchen, ist mir zu unsicher.

An dem unscheinbaren Gebäude laufe ich erstmal vorbei. Erst bei genauerem Hinschauen mache ich das Büro und einen Warteraum ausfindig. Es ist allerdings niemand dort. Als ich gerade wieder gehen will, parkt ein Auto und ich frage die Frau, wann das Büro öffnet. Das passt ja, sie will gerade aufschließen. Sie wären heute ein bisschen spät dran, weil das Verladen letzte Nacht so lange gedauert hat. Ich erzähle ihr von meiner Wanderung und wie ich zurückreisen möchte. Sie ist total begeistert. Wir gehen den Fahrplan gemeinsam durch und sie meint, ich könne ja auch mit Havila Voyages fahren. Das Unternehmen fährt seit diesem Jahr genau dieselbe Route wie die Hurtigruten. Vielleicht hätte ich da auch mehr Glück mit einem Rabatt. Bei den Hurtigruten war ich nämlich trotz mehrerer Anrufe erfolglos. Das riesige Unternehmen hat es anscheinend nicht nötig. Umso besser, dass sie ein bisschen Konkurrenz bekommen. Das würde von der Abfahrt auch perfekt passen mit Freitag. Dann hätte ich die ganze Woche Zeit für mein Finale und zwei Tage, um Bergen zu erkunden.

Die nette Dame ruft auch gleich ihre Kontaktperson bei Havila an und erzählt ihr von mir. Ich solle ihr eine E-Mail schreiben und kurz von meiner Wanderung erzählen. Dann könne sie das weiterleiten an ihre Kollegen, die mehr Entscheidungsgewalt haben. Das mache ich doch direkt. Ich bekomme auch noch einen Tee und sitze im Endeffekt eine ganze Stunde mit der Dame und ihrem Kollegen zusammen und unterhalte mich. Ich solle auf jeden Fall nächste Woche nochmal vorbeikommen.

Jetzt geht’s aber mal weiter. Es ist inzwischen Viertel vor 11. Auf dem Gehweg kommt mir ein älterer Mann mit Gehhilfe entgegen, die er vor sich herschiebt. Allerdings nicht mit Rollen, sondern Kufen. Praktisch.

Der Weg ist einfach und ich genieße es, mich beim Gehen entspannt umschauen zu können. Die Straße ist mit einer dünnen Schicht Schnee bedeckt und nicht mehr so rutschig wie gestern.

Links von mir liegt das weite Meer, die Barentsee. Immer wieder komme ich an Fjorden und Buchten vorbei. Es ist so schön hier und ich habe ganz viele Glücksgefühle in mir. Wobei ich nicht so richtig begreife, wo ich hier eigentlich bin, wie weit nördlich.

Es geht immer wieder hinauf und hinab. Über Hügel und an Seen vorbei. Ein paar Autos halten und die Leute bieten an, mich mitzunehmen. Dann hält ein Auto, das mir entgegenkommt. Es ist Jan Erik, bei dem ich mich wegen der Übernachtung heute melden sollte. Er muss eben jemanden in Mehamn abholen und dann wollen wir uns in Gamvik treffen. Der Supermarkt dort hat eine schöne Kaffee-Ecke, die mir auch Vidar schon empfohlen hat. Super, dann brauche ich ihn gar nicht mehr anrufen.

Die Kilometer fliegen nur so dahin. Hier der Blick auf den Sandfjorden.

Immer wieder stehen Straßenschilder neben der Straße, die man weder von meiner, noch von der Gegenseite erkennen kann. Vorgestern dachte ich erst, der Wind hätte das Schild gedreht oder es wäre jemand davor gefahren. Aber jetzt sind es so viele Schilder, dass ich doch mal die paar Schritte durchs Gras gehe und draufschaue. Hier kreuzt eine Schneemobil-Strecke die Straße.

Am Gunnarsfjordvatnet gibt es schöne Spiegelungen und links hinter den Bergen ein paar Blumenkohl-Wolken.

Dann kommt wieder das Meer in Sicht und ich erreiche Gamvik. Ein noch kleineres Fischerdorf mit 200 Einwohnern. Ich frage mich, was die Symbole auf dem Wappen darstellen sollen. Sie sehen ein bisschen aus wie Raketen. Später lese ich, dass es sich um drei Netznadeln handelt. Ein Werkzeug, um Fischernetze von Hand herzustellen oder zu reparieren.

Ich gehe am Museum vorbei und entdecke den kleinen Supermarkt. Der Nebenraum mit Tischen und Stühlen ist wirklich richtig schön, mit Panoramafenstern Richtung Hafen. Zwei Tische sind mit Einheimischen besetzt, die Kaffeeklatsch machen. Ich frage bei der Verkäuferin nach, ob ich erst bezahlen soll. Aber zu meiner Überraschung antwortet sie, dass die Getränke kostenlos sind. Ich soll mich einfach am Kaffeeautomaten bedienen. Es gibt auch Tee und Kakao. Und das, wo sonst alles so teuer ist.

Ein älterer Mann aus der Kaffeeklatsch-Runde verschwindet kurz im Laden und kommt mit einer großen Packung Donuts wieder, wovon er mir auch einen anbietet. Er erzählt von einem Mädel, das letztes Jahr mit dem Fahrrad hier war. Sie ist in 4 Jahren von Afrika bis hierhin gefahren. Ein weiterer Mann kommt zur Tür herein und direkt auf mich zu. Er hätte mich vorgestern schon auf der Straße gesehen und dann gehört, wie Jan Erik und Vidar telefoniert haben. Daher wusste er, dass ich heute hier sein würde. Er wollte nur kurz mit mir quatschen und auch er erzählt mir von dem Fahrrad-Mädel. So etwas ist hier wohl ein Highlight. Dann können sie nächstes Jahr schon von ihr und der verrückten Wanderin erzählen.

Gerade als ich überlege, ob ich Jan Erik anrufen soll, kommt er zur Tür rein. Er erklärt mir, in welchem Gebäude und Zimmer ich schlafen kann und will mir noch eben den Schlüssel zum Leuchtturm besorgen. Ich trinke sowieso noch meinen Tee in Ruhe aus. 10 Minuten später ist er wieder da und hat mir die Schlüssel in mein Zimmer gelegt. Zum Bezahlen soll ich morgen auf dem Weg einfach bei ihm Zuhause klopfen. Das gelbe Haus mit dem roten Schuppen. Das funktioniert so auch nur auf dem Dorf. Ich finde es super.

Ich mache mich auf den Weg zum Leuchtturm. Es sind nur noch 4 Kilometer. Es geht die Straße weiter bis zu einem kleinen Parkplatz und den restlichen Weg über eine Schotterpiste. Bald sind keine Häuser mehr zu sehen. Nur der Leuchtturm, das Meer und karge, weite Tundra. Passend zum nördlichsten Leuchtturm, kommt es einem hier auch glatt so vor wie am Ende der Welt. Es wird schon dunkel, als ich den Slettnes Fyr um kurz nach 16 Uhr erreiche. Laut Beschreibung auf dem Schild ist es nicht nur der nördlichste Leuchtturm auf dem europäischen Festland, sondern weltweit der nördlichste Leuchtturm, der auf dem Festland steht.

Der Turm ist 39 Meter hoch und wurde 1905 gebaut. Bis 2005 gab es noch einen Leuchtturmwärter.

Erinnert ihr euch an den Wegweiser in Lindesnes? Dort ist dieser Leuchtturm ausgeschildert. Und jetzt bin ich da. Allerdings nicht nach 2.814 Kilometern über die Straße, sondern nach 3.066 Kilometern mit möglichst wenig Asphalt.

Und das Beste ist, dass ich den Schlüssel habe. Dann schaue ich doch erstmal nach dem Rechten als heutige Leuchtturmwärterin. Mit meiner Stirnlampe bewaffnet, steige ich eine Stahltreppe nach der nächsten hinauf. Im Inneren ist es ziemlich dunkel. Bis zu den letzten schmalen und ziemlich steilen Stufen. Dann bin ich oben, wo das Leuchtfeuer brennt. Beeindruckend, das habe ich noch nie aus der Nähe gesehen.

Zur Feier des Tages gibt es ein letztes Mal Pfannkuchen. Ich habe vorhin im Supermarkt welche aus Hafermehl und ohne Zucker gefunden. Dazu habe ich Blaubeermarmelade mitgenommen. Lecker! So geht der Abend schnell um. Was für ein schöner Tag!


26,3 km
4:55 h
481 hm
465 hm
131 m