Als ich aufwache und aus dem Fenster schaue, geht die Sonne gerade auf. Ich ziehe mir schnell ein paar Lagen über und gehe raus.

Gestern Nachmittag war es ja leider so schnell dunkel, dass ich mich gar nicht weiter umschauen konnte. Jetzt genieße ich es, eine Weile auf den Felsen zu sitzen, raus auf das weite Meer zu schauen und die Wellen zu beobachten.

Nach einem warmen Tee und den restlichen Pfannkuchen zum Frühstück, mache ich mich um kurz nach 9 Uhr wieder auf den Weg.

Heute geht es denselben Weg zurück, den ich gestern gekommen bin. Ich gehe durch Gamvik, zwischen den wenigen Häusern her und am Museum vorbei, das auf Stelzen im Wasser steht. Europas nördlichstes Museum, so steht es auf den Plakaten. Es wird auch nicht versäumt, das hier ständig zu erwähnen. Genauso wie es in Lindesnes war, wo alles um „das südlichste“ ergänzt wurde.

Ich halte Ausschau nach dem gelben Haus mit rotem Schuppen. Es ist einfach zu finden. Ich klopfe und Jan Erik bittet mich herein. Wir quatschen noch ein bisschen und ich gebe ihm die Schlüssel zurück. Da er mein Kleingeld nicht haben möchte, bezahle ich sogar nur 40 € für die Übernachtung. Ein richtiges Schnäppchen.

Dann geht es aus dem Ort heraus. An dem Schild mit den Uhrzeiten für die Kolonnefahrten im Winter vorbei.

Die Straße ist wieder schneefrei und es gibt nur noch wenige vereiste Stellen. 18 Kilometer lang folge ich dem Asphalt und schaue mir die Berge, Seen und Buchten heute von der anderen Seite an.

Mein Ziel ist eine Hütte, die Vidar mir empfohlen hat. Er hat sogar bei der Verwalterin nachgefragt, ob auch genug Holz da ist, damit ich es mir schön warm machen kann. Die Hütte wurde erst diesen Sommer aufgestellt und liegt auf der Landzunge Kamøynæringen. Sie ist für jeden offen und kostenlos. Ich freue mich schon richtig darauf. Damit hatte ich gar nicht gerechnet, dass ich hier oben nochmal in einer Hütte schlafen kann.

Da vorne kommt schon die Landzunge in Sicht. Die Hütte liegt auf der westlichen Seite, am Mehamnfjorden.

Es gibt auch einen markierten Wanderweg, den nehme ich auf dem Rückweg nach Mehamn. Hin kann ich aber ein bisschen abkürzen. Vidar und Jan Erik haben mir beide davon abgeraten, östlich um den See Skittenfjordvatnet herumzugehen. Da müsste ich am Nordende einen Fluss queren und es gäbe viele Steinfelder. Ich solle lieber westlich um den See herumgehen. Jetzt, wo ich das Gelände vor mir habe, beschließe ich aber auf meine eigene Einschätzung zu vertrauen. Das Westufer sieht sehr viel steiler aus und östlich herum kann ich einem Trampelpfad folgen.

Das sieht jetzt nicht so schwierig aus. Der Pfad ist gut sichtbar und ich komme an ein paar Hütten vorbei. Selbst, wenn ich tatsächlich nicht über den Fluss kommen sollte, ist es früh genug, einen anderen Weg zu wählen.

Der Fluss ist allerdings ziemlich schmal und flach. Das ist ja ein Witz. Ich kann echt nicht verstehen, wieso mir von diesem Weg abgeraten wurde. Aber gut, jedem seine eigene Einschätzung, was einfach ist und was er lieber meidet. Ich mache mir gerne selber ein Bild. Und hier zahlt es sich aus, da dies auch der kürzeste Weg ist.

Ich komme über ein paar Steine trockenen Fußes über den Fluss. Hier fülle ich auch alle meine Behälter mit Wasser. Sonst wird es schwierig, an Süßwasser zu kommen. Ich gehe über den steinigen Strand. Es hört sich ein bisschen gruselig an, wenn die Wellen anrollen und sich das Wasser zwischen den Steinen verteilt.

Ich frage mich, wie ich über die hohen Felsen da vorne kommen soll.

Aber es stellt sich auch als einfach heraus. Es gibt eine grasbewachsene Schneise hinauf und eine auf der anderen Seite der spitzen Zacke wieder hinunter.

Dahinter komme ich an noch einer Hütte vorbei. Nett, so eine abgelegene Bucht für sich zu haben. Wobei das Meer hier im Sommer bestimmt nicht unbedingt Badetemperatur erreicht. Die Durchschnittstemperatur in Mehamn liegt im Hochsommer bei gerade einmal 12 Grad.

Jetzt muss ich nur noch auf die andere Seite der Landzunge. Einmal über den Buckel in der Mitte rüber. Der Hang ist echt steil und das schwierigste Stück auf meinem Weg. Aber hier hätte ich auch her gemusst, wenn ich westlich um den See gegangen wäre. Oben komme ich an noch einem See vorbei und werde mit einem tollen Blick belohnt. Oben der See, dahinter der Skittenfjorden.

Und wenn ich eine halbe Drehung mache, sehe ich auf der anderen Seite den Mehamnfjorden.

Ich gehe durch Gräser und über sumpfige Wiese den Berg hinab und sehe bald die Hütte vor mir. Und außerdem in der Ferne die Felsen östlich vom Kinnarodden, meinem Ziel. Das hier ist ja ein Traum, diese kleine Bucht. Und als ich näher zur Hütte komme, steigt meine Begeisterung noch weiter.

Ich glaube, ich habe eine neue Lieblingshütte und die Slettningsbu ist abgelöst. Die kleine Holzhütte ist ziemlich einfach, es gibt nicht mal einen richtigen Boden, nur Steine. Ringsherum eine Holzbank und einen Kamin. Dazu Panoramafenster zu zwei Seiten. Ich bin absolut verliebt in die Perleturhytta und überhaupt, diesen Ort. Wer hätte gedacht, dass es so schön ist am Ende Europas.

Es gibt genug Feuerholz, also mache ich erstmal den Kamin an. Das habe ich schon vermisst. Ich stelle auch gleich meine Flasche und meinen Topf mit Wasser darauf, um Gas zu sparen. Dann dauert es eben etwas länger, bis das Wasser kocht.

Als ich einen Schluck von dem warmen Wasser trinke, verziehe ich das Gesicht. Es schmeckt salzig. Nicht sehr stark, aber der Geschmack ist da. Na toll. Wie kommt denn das Salzwasser in den Fluss? Da ich mir unsicher bin, ab welcher Menge Salzwasser schädlich ist, kippe ich alles Wasser weg, das ich extra mitgeschleppt habe. Salzwasser trocknet den Körper nur aus und man bekommt noch mehr Durst. Also muss ich wohl nochmal zu dem See zurückgehen. Das waren ja zum Glück nur 500 Meter. Ich stapfe die Wiese hinauf, schlage ein Loch in das Eis und betrachte das gelbliche Wasser. Das koche ich lieber ab, das sieht nicht ganz so appetitlich aus. Aber es ist meine einzige Option hier in der Nähe.

Ich ziehe mich um und richte meinen Schlafplatz auf der obersten Holzbank ein. Ich liege in meinem Schlafsack und kann direkt aufs Meer schauen. Wenn ich auf dem Rücken liege, sehe ich stattdessen aus dem anderen Fenster in der Ferne die roten Lichter vom Flughafen in Mehamn und einen hellen Schein über dem Ort. Und noch vor 22 Uhr entdecke ich grüne Schleier am Himmel. Es ist inzwischen fast sternklar und ich kann die Polarlichter beobachten. Auch wenn sie heute nur schwach sind, freue ich mich, nochmal in den Genuss dieses Spektakels zu kommen.


20,2 km
4:15 h
452 hm
421 hm
136 m