Es hat die ganze Nacht geregnet. Und heute morgen kommt dann noch ziemlich starker Wind dazu. Ich bin schon gegen 4 Uhr wach und lausche dem Regen. Bei jedem starken Windstoß habe ich ein mulmiges Gefühl. Aber das Zelt hält. Laut Wetterbericht soll es ab 6 Uhr aufhören zu regnen und dann ganz schön werden. Vielleicht zwischendurch mal ein Schauer, sonst Sonne und Wolken. Morgen soll es dann noch ein bisschen schöner werden. Das sind doch mal gute Aussichten.

Um kurz vor 7 Uhr gehe ich los. Bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Da sieht die Welt doch schon ganz anders aus als gestern. Und ich habe einen schönen Blick auf den jetzt blau leuchtenden See. Meine gute Laune und Motivation sind zurück, als ich diesen schönen Pfad am Ufer des Bygdin entlanglaufe.

Links von mir kommen zig Wasserfälle den Berg hinuntergestürzt. Die meisten sind hier unten dann nur noch relativ schmale Bäche, über die ich gut herüberkomme.

Dieser hier ist ein bisschen stark, um durch das Wasser zu waten. Und die Brücke hat den Winter scheinbar nicht überlebt. Ich komme aber trotzdem sicher rüber. Ich setze mich einfach hin und klemme meine Schuhkanten in die Rillen. Ein Bein vorsichtig über das Wasser, sicheren Halt auf der anderen Seite finden und dann kann ich wie eine Leiter hinaufklettern.

Der Weg führt weg vom See und den Berg hinauf. Ein richtig schöner Weg mit super Aussicht. Von weitem kann ich schon die Gischt vom Høystakka Wasserfall sehen. Wahnsinn, der muss ja riesig sein! Als der Fluss in Sicht kommt, entfährt mir ein „Wow“. Was für Wassermassen, die da in die Tiefe donnern.

Erleichtert sehe ich etwas weiter oben auch die Brücke. Gut, dass sie wirklich steht. Hier würde man ansonsten nicht rüberkommen.

Ich stehe noch eine Weile einfach da und beobachte das Wasser. Ganz schön gewaltig.

Dann geht es über ein großes Schneefeld zur Brücke. Hier kann man zum Glück besser gehen. Auf dem Weg hoch musste ich kurz vor dem Wasserfall über ein relativ kleines Schneefeld, das komplett vereist war und genauso rutschig, wie eine Eislaufbahn. Da konnte man nicht mal Kerben hineintreten. Es hatte aber schon eine Art Wellenmuster und ich habe irgendwie Halt gefunden.

Die Brücke ist ganz schön wackelig und man schaut besser nicht runter in das Wildwasser. Das fühlt sich an, als würde man direkt mitgezogen.

Ich freue mich schon, dass es auf der anderen Seite der Brücke nach relativ wenig Schnee aussieht. Das ist aber eine riesige Täuschung! Über eine kleine Kuppe rüber und dann sieht es so aus.

Der Schnee ist nicht mehr hoch und ich finde immer wieder Fußspuren. Mindestens zwei Leute und ein Hund sind hier schon hergegangen. Vielleicht Katharina und Manuel mit Lando, die ein paar Tage vor mir sind. Und Markus bestimmt auch. Ansonsten geht jetzt ja noch niemand hier oben durchs Gebirge. Nur die verrückten Norge på langs Läufer.

Der Schnee ist zwischendurch immer wieder richtig weich und es ist super anstrengend dadurch zu waten. Der Weg zieht sich und ich bin froh, dass es „nur“ diese Ebene ist, wo ich rüber muss. Das Tal hinunter sollte schneefrei sein.

Irgendwann schauen zwischendurch ein paar Felszüge aus dem Schnee, da kann ich kurz normal gehen. Dann wieder in den Schnee. Ein paar vorsichtige Schritte am Rand, wo ich tiefer einsinke, dann hoffentlich auf festeren Schnee, beschleunigen, zum Rand hin wieder langsamer werden, vorsichtige Schritte, einsinken und auf den Fels. Dann das ganze wieder von vorne. Wieder und wieder.

Auf dem Schnee bleibe ich zwischendurch stehen, um das Wasserrauschen zu orten. Unter mir fließen immer wieder Bäche, da muss ich besonders vorsichtig sein. Manchmal gibt es ein Loch im Schnee, wo man das Wasser sehen kann. So wie hier. Dann kann man sich ungefähr denken, wo der Bach herfließt. Manchmal hört man nur das Rauschen unter sich. Und manchmal denke ich, dass ich Wasser rauschen höre, bleibe stehen und es ist alles ruhig.

Ich muss über 3 Flüsse rüber, wo ich relativ schnell eine Stelle mit weniger Strömung finde. Aber das Wasser ist so eiskalt, dass ich nach dem zweiten Fluss meine Zehen nicht mehr spüre. Ich überlege, mir mein trockenes Paar Socken anzuziehen, laufe aber einfach weiter, in der Hoffnung, dass es schnell besser wird. Ich weiß nicht, wie oft ich noch durchs Wasser muss. Irgendwann tauen meine Füße auch tatsächlich wieder auf.

Weiter oben ist der letzte Fluss noch vom Schnee bedeckt und auch am Rand kann ich nicht sehen, wo der Fluss aufhört. Bei den letzten Schritten über den Schnee sinke ich soweit ein, dass ich schon im Wasser stehe. Zum Glück an einer ruhigen Stelle.

Dann noch an diesem Eis-See vorbei und ich kann die weiße Ebene hinter mir lassen. Endlich! Für die ersten 10 Kilometer habe ich jetzt schon fast 4 Stunden gebraucht.

Nun geht es das Veslådalen hinab bis nach Gjendebu. Der Schnee wird immer weniger, der Boden dafür sumpfiger. Aber das stört mich nicht.

Ich betrete den Jotunheimen Nationalpark. Hier beginnt das „Heim der Riesen“, wo die höchsten Berge in ganz Skandinavien stehen. Der höchste Gipfel ist der Galdhøppigen mit 2.469 Metern.

Das nächste „Wow“ kommt aus meinem Mund, als ich den riesigen See Gjende das erste Mal sehe. Einfach fantastisch dieser Blick. Links der Gjendetunga und weiter hinten der dunkle Berg ist eventuell schon die Besshøe.

Mit immer besserer Laune stapfe ich das matschige Tal hinab. Über eine Sommerbrücke, die so halb aufgebaut ist. Das zweite Gitter liegt komplett unter Wasser und das Geländer daneben im Gras.

Es geht am Fluss entlang und durch einen schönen Birkenwald. Immer den blau leuchtenden Gjende im Blick. Es gefällt mir so gut hier, dass die Anstrengung oben im Schnee schnell vergessen ist.

Und dann kommen mir Leute entgegen. Immer mehr. Hier unten hat die Wandersaison wohl doch schon begonnen. Ich unterhalte mich mit einem jungen Pärchen. Sie haben eine Hütte unten in Gjendebu gemietet. Morgen finde dort die Hochzeit ihrer Freunde statt. Das ist ja mal ein schöner Ort, um zu heiraten. Sie wollen aber nicht ganz hoch in den Schnee, nur ein bisschen herumlaufen. Als ich dann meine Handschuhe ausziehe, weil mir langsam warm wird, fragt die Frau mich ganz entsetzt, was denn mit meinen Händen passiert sei. Ich denke da schon gar nicht mehr dran, aber es sieht wohl immer noch ziemlich schlimm aus. Ich muss ihr ein paar mal versichern, dass es schon wieder heilt und ich keine Schmerzen mehr habe.

Auf dem Weg nach unten treffe ich noch mehr Leute und kurz bevor ich an der Hütte ankomme, sehe ich eine ganze Gruppe vor mir herlaufen. Das bin ich ja gar nicht mehr gewohnt, so viele Leute auf einmal. Gjendebu besteht aus mehreren Gebäuden und auf einem steht groß „Selvbetjent“. Da biege ich ab und habe in der Hütte meine Ruhe. Sonst ist niemand da. Ab morgen ist offiziell Eröffnung, dann ist die Hütte bewirtschaftet. Das heißt heute werde ich die SB-Hütte ja noch nutzen dürfen. Es fängt auch gerade an zu regnen, gutes Timing.

Ich hatte überlegt, ob ich heute hier schlafe. Allerdings ist es erst kurz nach 13 Uhr. Also mache ich erstmal Mittagspause. Da ich im Vorratsregal aber nur herzhafte Sachen mit Fleisch finde oder trockenes Knäcke, gibt es eben mal wieder Pfannkuchen. Mit Blaubeermarmelade. Zwar nicht herzhaft, aber lecker!

Ich habe noch Energie und Lust weiterzugehen. Nach der langen Pause fühlt es sich irgendwie an, als wäre schon ein neuer Tag und ich wäre heute noch gar nicht gelaufen. Also gehe ich gegen halb 3 weiter Richtung Memurubu. Ich kann ja vorher im Memurudalen am Fluss irgendwo mein Zelt aufschlagen.

Es ist wieder trocken und der Himmel sieht auch nicht nach mehr Regen aus. Also entscheide ich, dass ich den Umweg über das Storådalen nicht brauche, sondern den steilen Bukkelægret nehme. Die ganze Bergseite zum See hin sieht auch schneefrei aus von hier.

Ich komme am Bootsanleger vorbei. Ein paar mal täglich fährt hier ein Boot zwischen Gjendesheim, Memurubu und Gjendebu hin und her. Besonders beliebt ist es, mit dem Boot nach Memurubu zu fahren und dann über den Besseggen-Grat zurückzulaufen. Die Wanderung ist eine der beliebtesten in ganz Norwegen.

Gjendebu ist laut Schild die älteste DNT-Hütte.

Nach 2 Kilometern auf einem schönen Pfad am See entlang, beginnt der steile Aufstieg. So ein schöner Pfad, hier komme ich mir glatt vor wie in den Alpen. Erst ist es noch grün, dann wird es felsiger und an manchen großen Felsplatten sind Stahlketten als Hilfe angebracht. Gut, dass die Felsen trocken sind, sonst würde das hier wirklich nicht so viel Spaß machen. Vorhin gab es zwar ein paar Tropfen, aber ich konnte richtig beobachten, wie die Wolke über den See hinweg gezogen ist. Ein paar Minuten später war der Himmel schon wieder blau.

Mir kommen 3 Leute entgegen, die mich fragen, wie weit es noch zur Hütte sei. Als ich sage, wahrscheinlich so 45 Minuten, werden sie plötzlich ganz hektisch, weil sie das Boot bekommen wollen. Mir gibt das ein gutes Gefühl, das heißt nämlich, dass hier heute schon Leute hergegangen sind und ich nicht die einzige bin.

Auf schmalen Pfaden geht es weiter hinauf.

Da hinten sieht man das Tal, wo ich heute Vormittag hergekommen bin.

Die nächste Wolke, die über den See hinweg zieht, bringt kleine Hagelkörner. Und windig ist es, ganz schön kalt. Bevor ich ganz oben bin, ziehe ich noch meinen Fleecepulli und Handschuhe über. Obwohl es so steil hinauf geht, friere ich.

Und dann ist es geschafft und ich stehe oben auf einem Felsplateau. Das sieht gut aus, unten der blaue Gjende und oben ein ganz dunkler Bergsee.

Jippieh, die meisten Höhenmeter sind erklommen!

Jetzt geht es über die Memurutunga und Lågtunga Ebenen. Vor mir sehe ich ein paar Schneefelder. Allerdings mit frischen Spuren, denen ich einfach folgen kann. Sieht so aus, als wären hier schon viel mehr Leute hergegangen, als die drei, die ich vorhin getroffen habe. Dann kann ich ja doch den oberen Weg nehmen und muss nicht direkt wieder runter und durch das Memurudalen gehen. Im Endeffekt habe ich mir gestern Abend viel zu viele Gedanken über die Wege gemacht. Aber das weiß man ja vorher nicht, wie es hier aussieht.

Wenn ich nicht unten durchs Tal gehe, heißt das allerdings, dass ich entweder hier oben im Schnee und eisigen Wind zelten oder es noch bis zur Hütte schaffen muss. Die zweite Option klingt verlockender.

Es fängt an zu schneien, richtig viele und dicke Flocken. Nochmal „Wow“. Das sieht so schön aus.

Es wird richtig nebelig und ich kann nur noch ein paar Meter weit gucken. Dann tauchen auf dem Hügel vor mir plötzlich Tiere im Nebel auf, ich erschrecke mich fast ein bisschen. Rentiere! Meine allerersten. Das nächste „Wow“. Ich halte möglichst viel Abstand, ohne selber abzurutschen. Die Herde macht zweimal Anstalten wegzurennen, bleibt aber dann doch stehen und beobachtet mich.

Als ich über das nächste Schneefeld drüber bin, ist auch der Nebel verschwunden und der Himmel wieder blau. So schnell geht das hier oben.

Weiter geht es über einen ganz langen Gratweg. Es ist so wunderschön! Ich würde mal behaupten, der schönste Tag auf meiner Wanderung bisher. Rechts sieht man den Grat, wo ich drübergehe und links unten ist das Memurudalen mit dem Fluss Muru. Da wäre ich hergekommen, wenn ich nach dem ersten Anstieg den Abzweig genommen hätte. Das sieht auch schön aus. Aber es kann gar nicht schöner sein als hier oben!

Da unten kommt auch das erste Mal die Hütte in Sicht, Memurubu. Das schaffe ich, das sieht nicht mehr so weit aus.

Inzwischen habe ich wieder Empfang und lese, dass Markus auch heute dort übernachtet. Da es bereits nach 19 Uhr ist und ich telefonisch niemanden erreiche, bitte ich ihn, mir schonmal einen Schlafplatz zu reservieren. Wäre das auch geklärt.

Hier noch ein Blick ins Memurudalen. Der Berg rechts sieht lustig aus mit den ganzen Furchen.

Von weitem sah es so aus, als würde es nur noch oben den Grat entlanggehen und dann am Ende runter zur Hütte. Allerdings geht es noch 3 oder 4 mal runter in eine Senke und dann wieder hoch. Inzwischen merke ich dann auch meine Beine ein bisschen. Hier der Blick zurück. Vor allem runter geht es noch über ein paar steile Schneefelder. Die Spuren, die schon da sind, helfen zwar, machen es aber nicht weniger rutschig.

Rechts unter mir liegt der Gjende, links rauscht die Muru. Vor mir der schmale Grat. Ich schwebe im Himmel, so gut gefällt es mir hier.

Auf der anderen Seite des Gjende schaue ich auf diesen riesigen Wasserfall. Das sieht gut aus, wie die Strömung den See hell färbt.

Noch ein letztes Bild von oben, bevor es steil hinab zur Hütte geht.

Der Abstieg hat es wirklich in sich. Jetzt bloß aufpassen, dass ich nicht noch abrutsche. Meine Füße sind inzwischen richtig müde, das war ja auch ein langer Tag. Es ist matschig und rutschig und geht über weiche, steile Schneefelder. Einmal will ich um den Schnee herum, weil es so steil aussieht, verliere aber den Pfad. Gut, dass ich dann doch der Spur auf dem Schnee folge, es geht nämlich nur über eine Welle und dahinter auf dem Fels weiter. Vorher sah es so aus, als ob es dahinter einfach senkrecht runter geht. Auf einem der letzten Schneefelder ist es so weich und rutschig, dass ich gar nicht viele Möglichkeiten habe, da heile herunterzukommen. Ich setze mich auf den Hintern und versuche mit den Füßen zu lenken und nicht zu weit von der Spur abzukommen. Puh, mir tut alles weh – Beine und Füße, ich bin echt fertig. Über eine letzte Brücke und dann habe ich es geschafft. Komplett erledigt, aber überglücklich!

Es ist halb 9. Das Mädel an der Rezeption meint, ich könne meine Rucksack hier stehen lassen und direkt durchgehen zum Essen, es gäbe Buffet. Perfekt, genau das richtige jetzt! In dem vollen Speisesaal entdecke ich auch Markus, der mit einigen anderen am Tisch sitzt. Die meisten sind schon beim Nachtisch. Ich belade meinen Teller mit Kartoffeln, Sauerkraut und Wurzelgemüse. Das ist alles, was es ohne Fleisch gibt. Das schmeckt! Nach dem zweiten Teller wird aber leider schon abgeräumt und es gibt nur noch was Süßes. Schade, ich hätte auch noch eine dritte Portion essen können. Dann eben noch 2 Schälchen Nachtisch.

Ich teile mir mit Markus ein Zimmer mit Etagenbett und ganz luxuriös – eigenem Bad. Dann können wir wieder ein bisschen sparen, das ist immer ganz gut bei den norwegischen Preisen. Noch schnell unter die Dusche und ab ins Bett. Mir fallen die Augen zu, sobald ich im Schlafsack liege.


26,6 km
9:10 h
1.239 hm
1.318 hm
1.495 m