Um 8 Uhr gibt es erst Frühstück, das heißt ausschlafen ist angesagt. Ich liege noch ein bisschen herum und schaue mir mal wieder die Karte an. Ich weiß immer noch nicht, wo ich heute hergehe.

Unser Plan, das Zimmer zu teilen und dabei zu sparen geht leider nicht auf. Da gab es wohl ein Missverständnis. Statt 145 € für das Zweibettzimmer, zahlen wir jeder 145 € für die eine Nacht. Zwar inklusive Abendessen und Frühstück, aber das ist trotzdem super teuer. Wir sind ja nicht in einem Sterne-Hotel, sondern in einer einfachen Berghütte. Wo man vor der Tür seine Schuhe auszieht, in seinem eigenen Schlafsack schläft oder extra Bettwäsche mieten muss und mit zig anderen Leuten zusammen am Tisch sitzt. Über die Preise darf man hier echt nicht so viel nachdenken. Zum Vergleich – ich habe letztes Jahr in Österreich als Mitglied im Alpenverein maximal 15 € für ein Bett im Schlaflager bezahlt. Dazu eventuell noch Halbpension für 30 €. Das sind dann insgesamt 45 € für dieselbe Leistung. Hier kostet mich jede Nacht in einer unbewirtschafteten Hütte mit Vorratsregal 29 € und in einer bewirtschafteten im Zimmer eher mindestens 50 €.

Dazu kommt noch eine Tüte Chips für 6 €, die ich mir heute Abend im Zelt gönnen will. Vielleicht sollte ich mir angewöhnen, erst nach dem Preis zu fragen. Das größte Schnäppchen ist mein neuer Buff. In einem kleinen Verkaufsraum finde ich einen gebrauchten Buff für 5 €. Und dann auch noch vom Gaustatoppen, dem Gipfel vor Rjukan, wo ich unbedingt hoch wollte. Super, das ist meiner. Da freue ich mich sehr drüber!

Nach dem Bezahlen frage ich noch nach dem Weg nach Glitterheim. Nach dem ersten Anstieg solle ich sehr aufpassen, da sei ein großes, überhängendes Schneefeld, wo es runter geht. Das müsse ich komplett umgehen. Dann komme ein Fluss, wo die Sommerbrücke wahrscheinlich noch nicht stehe. Falls ich vorher abbiege und um den Russvatnet gehe, hat sie keine Info zu der Sommerbrücke. Irgendwie blöd, dass selbst die Leute auf den Hütten nicht genau Bescheid wissen über die Brücken.

Naja, erstmal starten. Das erste Stück können Markus und ich noch zusammen gehen und dann kann ich mir oben am Abzweig hoffentlich ein Bild vom Weg machen. Den sollte ich von oben sehen.

Auf geht’s Richtung Glitterheim und Besseggen. Im Hintergrund sieht man den steilen Abstieg von gestern und kann auf dem langen Schneefeld deutlich meine Spur erkennen, wo ich auf dem Hintern heruntergerutscht bin.

Nach 1,5 Stunden haben wir den steilen Anstieg geschafft. Ganz schön was los hier, uns überholen einige Leute, die ohne Rucksack oder nur mit leichtem Tagesgepäck unterwegs sind. Hier geht’s ja schließlich auch zum Besseggen-Grat. Dem berühmtesten Grat in Norwegen. Ein schmaler Fels-Grat hinter dem der dunkle Bergsee Bessvatnet liegt. Auf der anderen Seite blickt man auf den blau leuchtenden Gjende unten im Tal. Markus geht auch dort her. Ich bin mir gerade nicht mehr so sicher, eigentlich meide ich solche überlaufenen Orte gerne. Allerdings habe ich tatsächlich einen Blick auf meinen Weg nach Glitterheim. Erst sieht das besagte Schneefeld gar nicht so schlimm aus. Wir gehen aber ein Stück weiter nach oben, um einen besseren Blick zu haben und da sieht man die Kante und den Überhang. Gefährlich, wenn man das nicht weiß und einfach von vorne nichtsahnend drauf losläuft. Auf dem Foto links.

Ich könnte am Rand entlanggehen und danach sieht es relativ schneefrei aus. Dann wären da aber immer noch die 2 Sommerbrücken, die wahrscheinlich noch nicht stehen. Dagegen steht der Grat mit vielen Menschen, allerdings auch perfektem Wetter dafür heute. Ich überlege noch ein bisschen hin und her, bis es zu kalt wird, hier herumzustehen und gebe mir einen Ruck. Ich gehe auch über den Besseggen-Grat. Da kann ich zumindest sicher sein, dass es schneefrei und begehbar ist.

Auf dem Foto oben sieht man im Hintergrund übrigens auch einen Ausläufer des Blåbrean Gletschers.

Als wir gerade weitergehen wollen, sehe ich 2 Menschen direkt oben auf das überhängende Schneefeld zulaufen. Die vordere Person steht schon auf dem Schnee. Ich rufe und winke, um mich bemerkbar zu machen. Auf Englisch rufe ich ihnen zu, dass sie außen herumgehen sollen und zeige einen großen Bogen. Da sei eine hohe Kante. Erst gehen sie noch weiter, als ich aber nochmal rufe, scheinen sie zu verstehen, drehen um und ich höre ein „Thank you“. Meine gute Tat für heute.

Na dann mal los auf die Wander-Autobahn. Wobei das wahrscheinlich noch wenig Leute sind. Die Wandersaison hat gerade erst gestartet. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es hier im Sommer aussieht. Also im norwegischen Sommer meine ich 🙂 Wahrscheinlich ähnlich wie auf dem Fellhorn im Allgäu, eine lange Menschenschlange, die sich über den Grat schiebt.

Beim Blick zurück sieht man jetzt gut den ganzen Gebirgszug, wo es gestern drüber ging – rechts vom See.

Da hier so viele, wahrscheinlich auch wanderunerfahrene Leute hergehen, wurden in regelmäßigen Abständen Schilder aufgestellt. Wie weit es noch ist, wo man sich gerade befindet und mit einem Hinweis, wann es Zeit ist, umzudrehen. Hier zum Beispiel steht, dass man zurückgehen und absteigen soll, falls man von Memurubu länger als 3 Stunden gebraucht hat. Glück gehabt, wir dürfen locker weitergehen.

Wir gehen weiter über den schönen Grat und ich freue mich über meine Entscheidung. Gratwege mag ich sehr und so voll ist es nun auch nicht. Die Leute verteilen sich ganz gut und so hat jeder genug Platz. Markus und ich bleiben alle paar Meter stehen und machen Fotos. Die Aussicht ist jedes Mal noch besser und schöner und überhaupt. Deswegen brauche ich auch so lange für die Berichte gestern und heute. Ich muss erstmal die allerschönsten Bilder aus den Tausenden heraussuchen.

Hier eine kleine Auswahl auf dem Weg zum Besseggen. Vorbei am Bjørnbøltjønne. Auf der anderen Seite die Seen Øvre und Nedre Leirungen. Dazwischen der schmale Gebirgszug mit der Knutshøe. Der gefällt mir. Auf manche Bilder bekomme ich alle 4 Seen drauf.

Und dann kommt der Bessvatnet in Sicht. Das ist der dunkle Bergsee auf dem beliebten Fotomotiv vom Besseggen-Grat.

Wir machen Mittagspause an diesem schönen Platz. Einfach herrlich! Es nieselt kurz ein paar Tröpfchen, dann ist es wieder schön. Es sieht gut aus, wie der Gjende da hinten ganz glatt ist und blau leuchtet, während die Oberfläche hier vorne eher matt und dunkel aussieht.

Und da ist er dann, der Besseggen. Mit dem hohen Veslfjellet im Hintergrund. Und noch ein bisschen Eis auf dem Bessvatnet.

Wir kundschaften schon mal unseren weiteren Weg aus. Man kann nämlich entweder weiter über den Grat und nochmal steil hinaufgehen oder man nimmt die einfachere Variante und geht um den See herum. Der Weg ist zwar nicht markiert, aber es sieht ziemlich schneefrei aus bis auf ein paar Reste. Und da es immer am See entlang geht, kann man sich auch schlecht verlaufen.

Bei einer Tagestour wäre ich sofort aufs Veslfjellet gestürmt, aber jetzt muss ich nicht alle Höhenmeter mitnehmen. Ich habe ja noch genug vor mir und gestern war schon anstrengend. Markus will auch den Weg um den See nehmen, dann können wir also noch weiter zusammen gehen. Wir wollen aber wenigstens noch kurz rauf auf den Grat, wenn wir schonmal hier sind. Also verstecken wir die Rucksäcke hinter einem großen Felsen und machen uns gefühlt fliegend an den kurzen Anstieg.

Schön ist es hier, das auf jeden Fall. Und wenn man ein bisschen Geduld hat, bekommt man auch ein Foto ohne viele Leute drauf hin. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich gestern genauso schöne Ausblicke hatte, dafür aber ganz alleine war. Ich lasse eben gerne die Touristenattraktionen links liegen und entdecke häufig abseits der überlaufenen Pfade genauso schöne Stellen.

Wir gehen ein kleines Stückchen hinauf Richtung Veslfjellet und machen es uns dort auf den Felsen bequem, um die anderen Leute vorbeizulassen. Wahrscheinlich geht man am besten etwas nach den ganzen Leuten los, die mit dem Boot nach Memurubu gefahren sind. Dann hat man gute Chancen, hier kurz seine Ruhe zu haben, bevor der nächste Schwung ankommt.

Auch meinen neuen Buff kann ich direkt einweihen. Im Wind ist es nämlich eisig.

Es ist wunderschön hier oben, aber mein größtes Highlight heute ist eigentlich der Weg um den Bessvatnet herum, den wir dann gehen. Damit hatte ich nämlich gar nicht gerechnet. Wir gehen auf einem schmalen Pfad über Wiese und Geröll direkt am Ufer entlang. Das Wasser ist glasklar und die Sonne wirft schöne Muster auf die Steine auf dem Grund. Manche Eisschollen bilden lustige Skulpturen und die Spiegelung ist klasse.

Schon nach ein paar Metern würde ich am liebsten direkt mein Zelt aufstellen und einfach hierbleiben. Es ist so traumhaft schön, vor allem wenn die Sonne dann noch rauskommt. Das ist mir aber noch zu nah am Grat und den ganzen Leuten, auch wenn hier kaum jemand hergeht.

Also weiter um den schönen See. Nach fast der Hälfte kommt nochmal eine relativ ebene Fläche mit Wiese, wo ich direkt vorne am Wasser einen perfekten Platz für mein Zelt finde. Da brauche ich dann nicht mehr lange zu überlegen, sondern gehe mit meinem Gefühl, das unbedingt bleiben will. Auch wenn es erst eine kurze Strecke war heute, solche Momente muss man doch auch nutzen. Markus ist hin- und hergerissen, macht noch ein bisschen Pause, möchte dann aber doch weitergehen. Wir sehen uns! Spätestens in Otta haben wir uns zum Pizzaessen verabredet.

Ich stelle mein Zelt auf und genieße meinen Traum-Platz. Mit den Füßen traue ich mich in den eisigen See, ganz reinzugehen ist mir dann aber doch noch zu kalt.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, in der Sonne zu liegen und zu schreiben. Daraus wird aber nichts, da ich den ganzen Nachmittag verschlafe. Ich bin die letzten Tage schon immer so schnell müde gewesen, ich glaube, ich muss ein bisschen mehr schlafen. Dafür bin ich dann später nochmal wach und schaue mir den bunt gefärbten Mitternachts-Himmel an. Wahnsinn, es ist einfach genauso hell als wäre es Tag.


10,8 km
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