Ich liege noch im Schlafsack, ziehe den Reißverschluss meines Zeltes auf und sehe einen wolkenfreien, blauen Himmel und den glitzernden See vor mir. Herrlich!

Da ich gestern ja nicht mehr geschrieben habe, wird das jetzt erstmal in Ruhe nachgeholt. Ich hänge schon ein paar Tage hinterher im Moment. Und morgens habe ich häufig mehr Lust dazu, als abends noch zu schreiben, wenn ich schon müde bin. Ich werde allerdings abgelenkt… Die Eisscholle lag da doch gestern noch nicht vor meiner „Haustür“. Die muss nachts vom Wind und den Wellen angetrieben worden sein. Ob die mich wohl hält? Das Eis unter Wasser sieht noch ziemlich dick aus. Das wäre ja schon cool, mal auf einer Eisscholle zu stehen. Ich wate ein paar Schritte durch das knietiefe und eisige Wasser, weit vom Ufer ist es nicht. Erstmal vorsichtig testen – alles fest. Dann draufklettern. Jippieh! Eisschollen-Surfen am Morgen!

Oder lieber eine Runde Eisschollen-Yoga?

Dann wird doch noch geschrieben und gegen halb 12 gehe ich weiter. Das passt ganz gut, so kann ich meinen Rhythmus schon mal ein bisschen anpassen. Morgen ist schließlich Sommersonnenwende, wo ich nachts laufen wollte.

Ich gehe weiter am See entlang. Beim Blick zurück schaue ich auf das Bessfjellet. Dort oben ist auch ein Gletscher, aber den kann ich von hier leider nicht sehen.

Es wird immer sumpfiger und ich wechsele doch auf den Pfad etwas weiter oben, statt direkt am Wasser entlangzugehen. Es sind noch 2 andere Leute unterwegs, die ich überhole und 2 kommen mir entgegen. Es geht bis zum Fluss Bessa und dann biege ich links ab. Hinaus aus dem Heim der Riesen. Das war Jotunheimen.

Durch ewig weite Landschaft herunter zum nächsten See, dem Russvatnet. Hier wäre ich auch herausgekommen, wenn ich Richtung Glitterheim, dann aber weiter am See entlang gegangen wäre. Das wäre meine nächste Alternative bei zu viel Schnee gewesen.

Vor der Brücke über die Russa mache ich eine kleine Pause, bevor es dann an den langen Abstieg durch das Russdalen geht.

Die ersten paar Minuten werde ich von 3 Schafen angeführt, als wollten sie mir den Weg zeigen. Sie sind mir aber zu langsam und ich setze zum Überholvorgang an.

Der Weg ist ganz schön, eine breite Traktorspur und einfach zu gehen. Aber es zieht sich ziemlich und zum Wandern ist es echt warm heute. Ich komme immer wieder an kleinen Grüppchen von Schafen vorbei. Es geht am Fluss entlang, an einer Schlucht mit Wasserfall vorbei und zum Schluss durch einen lichten Birkenwald. Die mag ich gerne diese Wälder. Wo gibt es bei uns schon reine Birkenwälder?

Als ich endlich an der Straße ankomme, habe ich schon die ersten 18 Kilometer hinter mir. Und wieder Empfang. Also setze ich mich auf einen kleinen Hügel und überlege, was ich mache. Irgendwo am Straßenrand im Wald einen Zeltplatz suchen? Oder bis nach Randsverk zum Campingplatz laufen? Das wäre aber noch ziemlich weit. In 5 Kilometern komme ich an der Hütte Hindsæter vorbei, erstmal dahin. Vielleicht bekomme ich ja eine kühle Erfrischung.

Also auf durchs Sjoadalen, an der Straße entlang. Es ist auch relativ wenig Verkehr. Und obwohl ich vor der Straße über eine Treppe über das Gatter der riesigen Schafsweide gestiegen bin, liegen hier am Straßenrand auch immer wieder Schafe. Oder laufen gemütlich über die Straße und halten die Autos auf. Bei den ersten dachte ich noch, sie wären ausgebüchst, aber dazu sind es zu viele. Das scheint normal zu sein. Das sieht ganz lustig aus, weil ich an einem Schild vorbeikomme, was die Autofahrer vor Kühen warnt. In die andere Fahrtrichtung wird vor Elchen gewarnt und auf der Straße laufen die Schafe herum.

Meine Füße sind schon richtig müde und ich habe auch nicht mehr so richtig Lust aufs Gehen heute. Irgendwie geht das im Moment schnell, dass ich so müde bin. Vielleicht lege ich in Tynset mal 2 Pausentage ein, damit mein Körper sich ordentlich erholen kann.

Kurz vor der Hütte komme ich an einem kleinen SB-Campingplatz vorbei. Mich stört aber irgendwie, dass ich für ein kaltes Getränk zur Hütte und dann die 500 Meter wieder zurücklaufen müsste. Und richtig schön ist es hier auch nicht. Also weiter. Erstmal zur Hütte und dann überlegen.

Es sitzen einige Leute draußen in der Sonne. Ich will direkt reingehen, aber sehe dann das Schild, dass man die Schuhe ausziehen soll. Na gut, das geht zum Glück bei meinen schneller als bei dicken Bergstiefeln. Ich wandele ein paar Tees von Frank um in eine kühle Erfrischung. Danke dir für die Einladung! Das ist ja mal wieder ein Schnäppchen – 14 € für eine Apfel-Johannisbeer-Schorle und einen Schoko-Keks-Riegel. Kvikk Lunsj ist quasi die norwegische Variante vom KitKat. Das gibt es hier auf jeder Hütte und ist bei den Norwegern als Wegzehrung beim Skifahren und Wandern äußerst beliebt.

Es ist 17 Uhr oder so als ich ankomme und ich bleibe über eine Stunde lang sitzen. Ich suche mir auf der Terrasse einen schönen Platz und als die Kellnerin irgendwann rauskommt, meint sie mit einem Grinsen, dass ich ja noch nicht weit gekommen wäre.

Markus schickt mir ein paar Bilder vom Riddarspranget, wo er sein Zelt aufgestellt hat. Das sieht gut aus dort. Eine tiefe Schlucht zwischen den Felsen, wo das Wasser hindurchrauscht. Wieder ein Punkt von Markus‘ Liste, den er gerne sehen wollte auf seiner Tour. Das sind zwar noch 10 Kilometer von hier, aber in die Richtung gehe ich jetzt. Das liegt sowieso nur ein paar Meter neben meiner geplanten Route. Und die lange Pause hat Wunder gewirkt. Meine Füße sind wieder relativ fit.

Jetzt gibt es auch einen Wanderweg parallel zur Straße, dem ich folgen kann.

Durch den Wald, an mehr Schafen vorbei, an Seen und über den Fluss Veo.

Hier sind überall Loipen oder Skitouren ausgeschildert. Muss ich mich dann eher so fortbewegen?

Ich höre ein bisschen Musik und finde, als ich nach einem anderen Lied suche, zufällig ein Album von den Beach Boys. Das weckt Erinnerungen und ich muss grinsen. Das habe ich seit Jahren nicht gehört. Als ich mit 16 ein Jahr in Neuseeland gewohnt und dort zur Schule gegangen bin, hatte ich noch einen Gastbruder aus Schweden, Axel. Unser Musikgeschmack passte so gar nicht zusammen. Wenn Pauline, meine Gastmama, am Wochenende mit uns zum Strand gefahren ist, wurden aber immer die Beach Boys laut aufgedreht. An Surfin‘ USA und Barbara Ann kann ich mich erinnern. Das passte ja auch als Gute Laune Musik auf dem Weg zum Meer. Wobei Pauline und ich Axel meistens überstimmt haben und er es über sich ergehen lassen musste.

Bisher bin ich gut vorangekommen auf dem breiten Waldweg. Irgendwann wird es aber so sumpfig, dass ich doch bei der nächsten Möglichkeit zurück auf die Straße wechsele. So entkomme ich auch den ganzen Mücken, die mich ärgern wollen. Und ich habe einen Blick auf die umliegenden Wälder und Berge, wovon ich im Wald gar nichts sehen konnte.

Noch ein Stück weiter durch den Wald und am Parkplatz mit einigen Wohnmobilen vorbei, dann bin ich am Ziel. Ich entdecke Markus‘ Zelt zwischen den Bäumen, direkt vor den Felsen der Schlucht. Es ist knapp 21 Uhr, als ich ankomme. Und ich bin ziemlich müde und kaputt. Ich schaue mich ein bisschen um und baue schnell mein Lager auf.

Der Blick runter in die Schlucht ist echt gut. Laut Sage ist ein Ritter auf seinem Pferd über die Schlucht gesprungen. Im Arm seine Geliebte, die eigentlich einem anderen Ritter versprochen war. Daher der Name Riddarspranget, oder auf deutsch Rittersprung.

Ich will mich auf die Felsen setzen, die Beine ausstrecken und essen. Aber es werden immer mehr Mücken, die um uns herumschwirren. Also verlegen wir das Essen in Markus‘ Zelt, wo wir auch zu zweit gemütlich sitzen können. Lange halte ich aber sowieso nicht mehr durch, mir fallen schon im Sitzen die Augen zu.


33,6 km
6:40 h
326 hm
962 hm
1.398 m