Heute ist Sommersonnenwende und kalendarischer Sommeranfang. Der längste Tag des Jahres. Wobei ich heute morgen erst ein bisschen verwirrt bin. Ich will nochmal nachschauen, wie in Norwegen gefeiert wird und stoße dabei immer auf den 23. Juni. Ich liege aber schon richtig mit dem 21. Juni, also heute, nur hier wird Mittsommer immer am Vorabend vom Johannestag gefeiert und zwar traditionell mit Sankt-Hans-Feuer.

Da ich heute nachts laufen möchte, lasse ich mir morgens Zeit. Dann brauche ich ja erst nachmittags losgehen. Einen genauen Plan habe ich nicht, wie weit und wo ich dann mein Zelt aufstelle oder ob ich sogar direkt bis Otta laufe. Mal schauen, je nachdem, wie ich mich fühle und wie müde ich dann doch irgendwann wahrscheinlich bin. Markus geht vormittags weiter, nachdem wir noch zusammen gefrühstückt haben. Wenn man das denn so nennen kann. Ich habe noch Reste trockenes Knäckebrot, das total zerkrümelt ist und er hat noch einen Rest Tuben-Paprika-Käse. Da dippen wir die Krümel rein. Zusammengeschmissene Resteverwertung. Dann lege ich mich wieder ins Zelt und schreibe.

Beim Wasserholen habe ich übrigens von unten einen ganz schönen Blick in die Schlucht, wo der Ritter drüber gesprungen ist.

Inzwischen wird es hier immer voller. Die meisten Leute folgen aber dem Pfad direkt unten zum Wasser und kommen gar nicht hoch auf die Felsen, wo mein Zelt steht. Irgendwann höre ich es allerdings direkt vor meinem Zelt rascheln und sehe eine Frau weggehen. Den Eingang habe ich offen. Sie hat ein Stück Rinde in der Hand. Vielleicht hat sie das hier aufgehoben, wer weiß. Sie kommt aber wieder zurück und bevor ich merke, was sie da wirklich tut, grüße ich freundlich und sie grüßt auch zurück. Dann sehe ich, dass sie auf der Rinde leere Bierdosen transportiert und mir mitten vor mein Zelt legt. Sie ist aber schon verschwunden, bis ich draußen stehe. Mein Zelt ist doch kein Müllabladeplatz! Sie hat sich wahrscheinlich eine schöne Geschichte in ihrem Kopf zusammen gesponnen, dass ich mich gestern Abend betrunken habe, meinen Müll habe liegen lassen und jetzt verkatert bis mittags im Zelt liege. Und das, wo ich meinen eigenen Müll schon seit Tagen mit mir herumtrage. Eben bis ich im nächsten Ort mal wieder an einem Mülleimer vorbeikomme.

Gegen Viertel nach eins halte ich es nicht mehr aus herumzuliegen und gehe los. Die Bierdosen nehme ich mit und entsorge sie im Container oben am Parkplatz. Die Frau war ziemlich auffällig gekleidet mit ihrer pinken Jacke, ich entdecke sie aber nirgendwo. Sonst hätte ich sie gerne gefragt, ob sie Müll, den sie findet, immer anderen Leuten vor die Tür legt.

Bis heute Abend ist der Tag und Weg ziemlich unspektakulär. Statt zurück zur Straße nach Randsverk zu gehen, folge ich einem Waldweg nach Osten bis Brurusti.

Das ist wieder ein Wolken-Schauspiel heute.

Dann geht es ein paar Stunden diese Schotterstraße entlang.

Rechts und links Wald. Zwischendurch mal ein Auto. Später dann ein paar Bauernhöfe. Zum Glück sind die Hunde alle eingesperrt, die mich so wild anbellen. Da rutscht mir aber trotzdem immer erstmal das Herz in die Hose, wenn ich das laute Bellen höre und noch nicht sehe, ob der Hund angeleint oder eingesperrt ist. Vor ein paar Wochen hat mich ja auch schon ein Hund die ganze Straße lang durch das Dorf verfolgt.

Ich bekomme eine Nachricht von Markus mit einer „Anleitung“ zu dem Abstieg nach Heidal. Auf der Karte ist nämlich ein Weg eingezeichnet, mit dem man ein paar Serpentinen sparen kann. Allerdings steht man dann mitten auf einem Hof. Markus hat den Bauern getroffen, der ihm erklärt hat, wie man gehen soll. Das ist praktisch, jetzt habe ich es einfacher. Hinter dem Haus am Wohnwagen vorbei und dann am Zaun entlang die Wiese runter. Dann steht man wieder auf dem eingezeichneten Weg. Das hätte ich ohne Hilfe wahrscheinlich nicht gefunden.

Durch ein Wohngebiet und Richtung Supermarkt. Dann sind die ersten 21 Kilometer schon mal geschafft. Und es ist gerade mal halb 7. Noch richtig früh, ich wollte doch nachts laufen. Dann ist jetzt erstmal eine lange Pause angesagt. Markus war schon etwas essen und einkaufen, ist aber auch noch hier. Also sitzen wir eine Weile zusammen unter dem Vordach eines Hauses, wo niemand ist, bis er weitergeht. Aber vielleicht sehen wir uns ja später nochmal. Markus will oben auf dem Berg zelten, das liegt auch auf meiner Route. Lustig ist das, wenn man so dicht hintereinander hergeht. Jeder geht sein Tempo und macht Pausen, wie es ihm gerade passt und trotzdem trifft man sich immer wieder zwischendurch.

Ich werfe auch mal einen Blick auf die Karte des kleinen Restaurants, von dem Markus mir gerade vorgeschwärmt hat. Vegetarisch sind nur die Pommes mit Aioli, aber die reichen, um mich hereinzulocken. Dazu ein alkoholfreies Radler zur Feier des Tages. Das ist gut! Danach geht es noch kurz in den Supermarkt, um ein paar Nachtwanderungs-Snacks und neues Knäckebrot zu kaufen. Da ich von der ziemlich kleinen Portion Pommes nicht annähernd satt geworden bin, will ich mir gleich noch einen schönen Picknickplatz suchen.

Als nächstes stehen einige Höhenmeter auf dem Programm. Von 400 auf über 1.200 Meter hoch. Es gibt ein Wirrwarr an Wegen oberhalb der Hauptstraße durch den Wald. Also nehme ich die erste Möglichkeit hinauf und schaue oben dann nach einem schönen Pausenplatz. Als die Schotterstraße aufhört, stehe ich allerdings vor einem Gatter zur Kuhweide. Dahinter auf ziemlich engem Raum eine ganze Herde Kühe. Zum einen ist das Gatter doppelt und dreifach gesichert, da müsste ich schon drüber klettern und zum anderen habe ich keine Lust, mich durch die ganzen Kühe zu quetschen. Rechts und links von mir ist es zu steil und zugewuchert. Also lieber wieder zurück und einen anderen Weg ausprobieren. Heute stört mich das nicht so, ich will ja sowieso noch ein bisschen Zeit totschlagen.

Auf dem Weg zurück schaue ich mir mal den offiziellen Wanderweg hoch zum Ranglarkampen an. Der startet an der Kirche und geht dann erst hoch. Den werde ich jetzt einfach nehmen. Dann kann ich zumindest sicherer sein, dass der Weg auch begehbar ist. Also geht es doch ein Stück die Straße entlang. Der Bürgersteig geht zwar nur bis zum Kindergarten, aber um diese Uhrzeit sind nicht mehr viele Autos unterwegs.

Auf der Wiese vor der Heidaler Kirche finde ich einen Tisch mit Bänken, das ist mein Picknickplatz. Hier gibt es auch Mülleimer und Wasser. Perfekt! Und nachdem es den ganzen Tag bewölkt war, klart es nun langsam auf. Das hatte ich mir gewünscht für heute Nacht.

Inzwischen ist es Viertel nach 9 und ich mache noch eine halbe Stunde Pause, bevor ich mich an den Aufstieg mache. Meine Füße waren nach der ganzen Schotterstraße heute Nachmittag ziemlich müde, haben aber jetzt zum Glück schon wieder neue Kraft getankt.

Der Himmel sieht mal wieder gut aus. Hinter den Bergen eine ganz dunkle Wolken-Wand und darüber noch ein paar helle Fetzen.

Von der Kirche gehen ich noch ein ganzes Stück die Schotterstraße hoch, bevor ich einen Wegweiser in den Wald finde. Der Ranglarkampen ist mit 1,5 Stunden ausgeschildert. Dann sollte ich ja genau Mitternacht oben sein, wenn ich mich ein bisschen beeile.

Noch ein letzter Blick die Straße zurück in den Himmel, der sich inzwischen schon leicht orange färbt.

Dann geht es steil hinauf. Über mir sehe ich es immer kräftiger orange leuchten. Das passt mir gerade gar nicht, dass ich zwischen den hohen Bäumen nicht viel sehe. Also schaltet sich automatisch mein Bergauf-Turbo ein. Vielleicht schaffe ich es ja über die Baumgrenze, bevor die Sonne untergegangen ist.

Ich komme leider ein paar Minuten zu spät, freue mich aber trotzdem. Ich mag es immer wieder, die Baumgrenze hinter mir zu lassen und das offene Fjell vor mir zu sehen. Ich mache eine kurze Trinkpause, ich habe ganz schön geschwitzt bei dem steilen und schnellen Anstieg.

Dann schicke ich Markus eine Nachricht, um zu fragen, wo er sein Zelt aufgestellt hat und ob er gleich mit auf den Gipfel möchte. Von seinem Zelt sind es keine 100 Höhenmeter mehr. Ich hole ihn also ab, wir lassen die Rucksäcke liegen, ziehen uns dick an und dann geht es weiter hoch. Der Gipfel verdeckt den Blick nach Nordwesten und in die andere Richtung sieht der Himmel grau aus. Deswegen freue ich mich umso mehr, als wir oben sind und der Himmel am Horizont noch ganz orange leuchtet. Um halb 1 sind wir oben. Jippieh! Mein Mittsommer-Mitternachts-Gipfel – der Ranglarkampen mit 1.262 Metern.

Der Heidalsmuen auf der anderen Seite hat sich eine Wolken-Mütze übergezogen. Und die Böden leuchten wieder überall ganz hellgrün.

Wir bleiben ein bisschen oben sitzen und es gibt eine Gipfel-Dattel für jeden. Wir schmieden schon Pläne, dass wir zum Sonnenaufgang wieder hierauf wollen. Dann müssten wir allerdings schon in 2 Stunden wieder los. Vielleicht doch lieber ein bisschen schlafen.

Da ist er nochmal von unten unser Gipfel.

Ich hatte zwar erst überlegt, noch weiterzugehen, aber da es bis Otta jetzt nur noch runter geht, schlage ich mein Zelt doch lieber hier oben auf. Es ist fast windstill und ich habe eine schöne Aussicht auf die nächsten Berge in Rondane.

Bis ich dann fertig bin und im Schlafsack liege, ist es fast 2 Uhr. Und es ist immer noch ziemlich hell und der Himmel leuchtet wahrscheinlich bis zum Sonnenaufgang weiter so orange. Ich bin glücklich!


33,7 km
7:25 h
1.194 hm
716 hm
1.265 m