Uns wurde gestern gesagt, dass wir den Weg nach Holden und Gjefsjøen auch ohne die alte Telegraphenleitung finden sollten. Wir sind gespannt. Wir wollen gerne heute in Gjefsjøen ankommen, da ich uns bei der letzten Gelegenheit, wo ich Empfang hatte, für gestern oder heute angekündigt hatte. Nicht, dass Christian sich sonst Sorgen macht. Auf der Hälfte ungefähr liegt Holden, wo eine SB-Hütte des DNT steht. Da planen wir eine Mittagspause ein. Draußen wird das sonst eh wieder nichts mit Pause bei dem Wetter. Die ganze Nacht hat es gestürmt und ich war froh, nicht im Zelt liegen zu müssen. Auch jetzt ist es windig, kalt und nass.

Rechts hinter mir sieht man auf dem Foto den Flugzeug-Hangar.

Wir gehen hoch zum Waldrand und ich hätte gedacht, dass man von dort auch die Start- und Landebahn sieht. Leider nicht.

Im Wald finden wir tatsächlich einen schmalen Pfad, der wohl unter der Telegraphenleitung herführte. Gut, dass wir durch den Wald laufen, da haben wir noch ein bisschen Windschutz. Als wir aus dem Wald auf sumpfige Ebenen kommen, verlieren wir den Pfad immer wieder. Zwischendurch kommen wir an Löchern vorbei, wo die Masten standen, die jetzt in Haufen am Weg liegen. Draht liegt als Stolperfalle auch noch herum. Immer wenn wir an diesen Überresten vorbeikommen, wissen wir, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind.

Es wird immer anstrengender, dem Pfad zu folgen. Nasse Wiese, Fußspuren, da könnte ein Pfad sein, oder da oben, doch nicht, vielleicht ein Stück weiter wieder. Das kostet richtig Zeit und nachdem wir merken, dass wir schon ziemlich weit abgekommen sind vom direkten Weg, entscheiden wir uns, die Sucherei sein zu lassen und stattdessen nach Kompass zu gehen. Das macht gleich viel mehr Spaß und die Laune bessert sich ein wenig.

Allerdings nur bis wir oben auf dem Pass zwischen Nordskardklumpen und Gaundalklumpen ankommen. Der Wind ist brutal, es ist eisig und der Regen peitscht uns um die Ohren. Vielleicht ist es zwischendurch auch Hagel. Die Laune ist bei uns beiden am Tiefpunkt angekommen. Wir müssen über einen Bach zwischen zwei Seen und ich stapfe durch das Wasser und warte dahinter auf Markus, der seine Schuhe zum Furten auszieht. Nächstes Mal sollte ich vorher warten und nach ihm gehen, damit ich meine Füße direkt wieder warmlaufen kann. Ich laufe ein bisschen hin und her, bleibe dann aber doch stehen. Das geht schon. So stehe ich im Wind, muss bei ein paar heftigen Böen Ausfallschritte nach vorne machen, habe kein Gefühl mehr in Händen und Füßen vor Kälte. Okay, geht wohl doch nicht so gut. Mir läuft eine Träne die Wange hinunter. Fotos gibt es von diesem Abschnitt übrigens keine… Das sagt schon alles. Wenn es jetzt wieder runter geht, müsste ja zumindest der schreckliche Wind nachlassen, der von hinten kommt. Leider aber nur ein bisschen. Pausen fallen aus und seit dem Bach haben wir das Tempo ziemlich erhöht. Einfach bitte den direktesten Weg zur Hütte, ich will keinen Schritt weiter gehen heute.

Auf dem Weg runter werden die Sträucher und Bäume langsam wieder höher und der Wind lässt endlich nach. Es geht langsam wieder ein bisschen besser, zumindest meine Füße sind aufgetaut. Allerdings müssen wir noch über einige Bäche, die alle überlaufen. Es muss ziemlich viel geregnet haben letzte Nacht. Oder auch die letzten Tage schon.

Ich schreibe diesen Bericht jetzt erst zwei Tage später und kann mich schon nicht mehr erinnern, wie es genau aussah. Dazu ist danach schon wieder so viel neues passiert. So viele Eindrücke, vielleicht verdrängt man dann die nicht schönen Teile als erstes. Sonst helfen mir immer die Fotos, mich zu erinnern, wenn ich erst später schreibe, aber die gibt es hier ja nicht. Das oben war das einzige.

Jedenfalls kommen wir frierend und tropfend in Holden an. Aufschließen, Kamin anfeuern, nasse Sachen ausziehen, trockene Sachen anziehen, Tee kochen. Langsam wärme ich wieder auf. Und nach dem Essen und noch einem Kakao kann ich auch wieder lachen.

Wir machen 2 Stunden Pause, wollen dann aber noch weiter nach Gjefsjøen. Laut Schild sind es 15 Kilometer. Allerdings frage ich mich, wie die ermittelt wurden. Das ist das einzige Schild weit und breit und es gibt keinen Weg und keine Markierungen.

Der halbwegs sichtbare Pfad, in die Richtung in die das Schild zeigt, führt nach Schweden, wie wir etwas weiter erst feststellen. Also gehen wir ab jetzt querfeldein. Wir haben in der Hütte schon den Kompass anhand der Karte eingestellt und laufen einfach fast Luftlinie, soweit es geht. Erst am Klokkartjønna vorbei, zur Spitze des großen Sees Gjevsjøen, zur Brücke über den Fluss Kasttjønnelva, dann zum Hof. Das Laufen nach Kompass macht mir inzwischen richtig Spaß. Wir gehen entspannt, die gute Laune ist zurück. Und nach dem ersten Anstieg zum Høgberget durch den Wald, können wir dann tatsächlich etwas von der schönen Landschaft um uns herum sehen und ein bisschen genießen.

Bevor es wieder hinunter geht, haben wir einen super Blick auf den riesigen See Gjevsjøen. Die Grenze verläuft mitten durch. Der südliche, oder auf dem Bild rechte Teil, liegt in Schweden, da ist es der Jävsjön. Am nördlichen Ende liegt unser Ziel. Unterhalb des linken Gipfels, des Gjevsjøhatten.

Im dichteren Wald ist es manchmal etwas komplizierter einen Weg zu finden. So sieht es auf diesem Abschnitt häufig aus. Vor allem wenn die Sträucher am Boden noch etwas höher sind oder darunter moosige Felsen mit Lücken dazwischen, muss man sehr aufpassen, wo man hintritt. Man kann den Boden unter sich nicht sehen.

Wir finden eine Schneise zwischen den Bäumen und wollen ihr folgen. Allerdings steht die Wiese so hoch unter Wasser, dass wir nach ein paar Schritten doch lieber umdrehen und zwischen den Bäumen weitergehen. Unsere größte Hoffnung ist, dass die Brücke existiert, die auf der Karte eingezeichnet ist. Wege dahin gibt es nämlich nicht. Aber dass die Norweger gerne Hütten oder Brücken ohne Wege mitten ins Nirgendwo bauen, haben wir ja inzwischen schön häufiger gesehen.

Etwas vor dem Fluss finden wir einen Pfad, was ich als gutes Zeichen deute, dass es die Brücke gibt. Und als sie dann tatsächlich hinter den Bäumen auftaucht, stoße ich einen kleinen Freundenschrei aus. Juchhu!

Auf dem Foto sieht man das nicht, aber die Brücke ist wieder echt abenteuerlich. Ich traue mich nicht, auf dem Weg rüber meine Kamera herauszuholen. Die Abstände zwischen den schmalen Holzlatten sind ziemlich groß und darunter donnert das Wasser her.

Jetzt peilen wir eine Bucht nahe des Hofes an. Ab da soll es eine Traktorspur geben. Noch etwas weiter quer durch den Wald, Abhänge rauf und wieder runter, über umgefallene Bäume. Bis wir tatsächlich an der Bucht ankommen. Geschafft! Das sieht echt gut aus, mit Insel und Sandstrand.

Und etwas weiter liegen ein paar Boote. Bestimmt zum Angeln.

Wie gut es doch tut, auf einem breiten Weg einfach einen Fuß vor den anderen setzen zu können, ohne groß nachdenken zu müssen. Völlig nass und ziemlich fertig, geht’s die letzten hundert Meter nach Gjefsjøen.

Wir werden von einem Hund begrüßt und halten Ausschau nach Leuten. Wir klopfen an der Tür des größten Hauses, es scheint aber niemand da zu sein. Wir laufen ein bisschen herum und über einer Scheune entdecke ich jemanden am Fenster. Wir gehen die Rampe hinauf und klopfen. Ein Mann öffnet uns die Tür und ich frage nach Christian. Das ist er. Und in dem großen Aufenthaltsraum mit angrenzender Küche ist auch noch mehr los. Els kommt strahlend auf uns zu. Das ist ja eine schöne Überraschung, sie hier wiederzusehen! Wir haben in den letzten Tagen schon immer ihre Hüttenbuch-Einträge gelesen und wussten, dass sie nicht weit vor uns ist. Außerdem sind noch 3 schwedische Angler da.

Das allerbeste ist, dass Christian uns direkt ein Bier in die Hand drückt und uns einlädt, uns an der selbstgemachten Pizza zu bedienen. Die anderen haben noch was übergelassen vom Abendessen. Perfekt, das ist genau das richtige nach dem anstrengenden Tag! Auch wenn ich eigentlich kein Bier mag. Jetzt schmeckt sogar das. Und auch die Pizza mit Fleisch esse ich. Els hatte Christian schon verraten, dass ich gerne vegan esse und er fragt mich auch nochmal etwas besorgt, ob ich die Pizza trotzdem esse. Natürlich – als hungriger Wanderer brauche ich mir das Leben nicht noch unnötig kompliziert machen!

Wir unterhalten uns mit Els und den anderen, eine lustige Runde. Els hat wohl immer schon meinen Blog und Markus‘ Instagram Posts gelesen, um zu schauen, ob es uns gut geht und wo wir uns nochmal über den Weg laufen.

Wir ziehen auch gleich zu ihr in die Hütte. Da sind wir wieder zu dritt 🙂 Wenn auch nur kurz. Els hat hier gestern schon einen Tag Pause gemacht und geht morgen östlicher weiter als wir, Richtung Berglia. Christian übergibt mir noch mein Paket und die Gaskartusche, die er mir besorgt hat. Perfekt, was für ein Service.


26,0 km
8:15 h
898 hm
864 hm
755 m