Wir haben gestern Abend schon kurz überlegt, ob wir nicht hierbleiben und das schlechte Wetter aussitzen. Bevor wir uns weiter im Regen und Nebel durch den Sumpf kämpfen, wäre das eine Alternative. Zumindest der Wind soll übermorgen nachlassen und danach den Tag soll es aufhören zu regnen. Dann hätten wir noch einen trockenen Tag im Blåfjell, wo wir doch von allen Seiten hören, wie schön es sein soll. Wir wollen heute morgen nochmal in die Vorhersage schauen, so richtig verlassen kann man sich darauf allerdings doch nicht.

Sowieso wollen wir aber ausschlafen und einen entspannten Morgen machen. Wir liegen noch im Bett als Els hereinkommt und fragt, ob wir frühstücken kommen. Christian hätte für uns auch was gemacht und räumt es sonst wieder weg. Na gut, das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Dann gehen wir eben frühstücken und entscheiden uns auch gleich für den ganzen Pausen- bzw. Nebel-Wind-Regen-Aussitz-Tag.

Es gibt ein kleines Buffet mit Brot, Knäcke, Käse, Wurst, Marmelade, ganz frischen Eiern von den Hühnern unten im Hof und ein bisschen Rohkost. Wir lassen uns Zeit, jetzt haben wir ja den ganzen Tag. Christian fährt gleich einkaufen und fragt uns sogar, ob wir einen Wunsch für das Abendessen haben. Er fragt mich nach meinem Lieblingsgemüse, damit er eine vegetarische Alternative machen kann. Und auch, ob wir sonst noch irgendetwas brauchen. Ich wünsche mir Brokkoli, falls es welchen gibt und wir bitten um frisches Obst zum Frühstück und Mitnehmen, Äpfel und Birnen. Das ist echt super 🙂 Christian wird den ganzen Tag unterwegs sein und wir sind quasi alleine auf dem Hof. Zum Einkaufen muss er erst mit seinem Quad zur Anlegestelle, mit dem Boot über den See und dann noch 150 Kilometer mit dem Auto weiter nach Verdal. Zurück dasselbe nochmal. Er hofft, dass er so wieder da ist, dass wir heute Abend gegen 8 Uhr essen können. Ich versuche auf der Karte seinen Weg nachzuverfolgen. Wahnsinn, was er da für eine Strecke zurücklegen muss. Auf schwedischer Seite gibt es eine kleine Straße am See und in Sandvika kommt er wieder nach Norwegen und fährt das Tal durch bis an die Küste. Das macht er alle eineinhalb Monate einmal, häufiger wird nicht eingekauft.

Wir legen die Füße hoch, entspannen und schauen dem Regen von drinnen zu. Mittags kochen wir 2 meiner Gerichte, da ich noch genug habe. Markus hat auch schon nach meinen Rezepten gefragt, da wollte ich ja sowieso nochmal einen Artikel zu schreiben. Es scheint also nicht nur mir zu schmecken 🙂 Wobei ich das ja schon weiß, der größte Fan ist meine Schwester. Wenn mit den Zwillingen mal wieder Land unter und keine Zeit zu kochen ist, hat sie damit trotzdem ruckzuck eine vollwertige und gesunde Mahlzeit.

Wir haben zwar kein Mobilfunknetz, aber wieder W-Lan. Der nächste Anschluss ist 25 Kilometer weiter, Richtung Snåsa, aber auf einem gegenüberliegenden Berg steht ein Spiegel, der das Signal hierhin reflektiert. Da muss man eben kreativ werden in der Einöde. Dafür ist das Signal auch je nach Wetter ziemlich unbeständig. Oder es sind die Bären, die den Spiegel entdeckt haben und davor stehen und sich frisieren. Dann ist das Signal auch mal für ein paar Minuten weg 😉

Ich mache einen Ausrüstungs-Check und repariere ein paar Sachen. Mein Schlafsack war nach dem letzten Regentag unten feucht, also suche und flicke ich die Löcher in meinem Packsack. Bei meinen Merino-Handschuhen beschließe ich allerdings, dass sich das Stopfen so langsam nicht mehr lohnt. Sonst bestehen sie bald nur noch aus Zahnseide. Da müssen vielleicht doch mal neue her für den Norden, wenn es wieder kälter wird. Das kommt auf meine Einkaufsliste für Fauske, wo ich in ein paar Wochen hergehe. Die einzige größere Stadt mit Sportgeschäften, wo ich auf dem Weg nach Norden noch durchkomme.

Wir hören Christians Quad erst um kurz vor 8 wieder auf den Hof rollen. Das kann ja dann noch dauern mit Abendessen. Und wir haben schon wieder ein Loch im Bauch. Wir gehen schonmal rüber in den Aufenthaltsraum mit den schön großen Panoramafenstern. Laut Christian ist aber noch nie ein Bär vorbei gelaufen. Das hier wäre sonst der perfekte Beobachtungsposten. Heute sind auch noch 5 Schweden da, die hier 3 Tage bleiben. Sie machen einen Familienausflug, 3 Brüder, Vater und Onkel. Der Opa der Brüder war im 2. Weltkrieg hier stationiert. Es gibt auf dem Hof auch ein kleines Museum in der Gammelstua. Das alte Haus war das Hauptquartier der amerikanischen Militäroperation RYPE, deren Ziel es war, die Eisenbahn zu sabotieren, um die Mobilisierung der deutschen Truppen zu erschweren.

Markus quatscht weiter mit den Schweden und ich setze mich etwas abseits an einen Tisch, um noch zu schreiben. Ich komme aber nicht weit, da Christian aus der Küche schaut und fragt, ob ich das vegetarische Gericht kochen wolle. Ich bin etwas verdutzt und frage nochmal nach, ob ich ihn auch richtig verstanden habe. Wir hatten Els vorher noch gefragt, was die Nacht hier koste – sie hat 95 € inklusive Frühstück und Abendessen bezahlt. Und dafür soll ich jetzt selber kochen? Allerdings habe ich echt Hunger und wir warten alle aufs Essen, da geht es doch schneller, wenn ich helfe. Und vielleicht bekomme ich ja dann einen Rabatt. Außerdem koche ich schon gerne und habe das ja jetzt über 2 Monate nicht mehr gemacht.

Letztendlich macht es auch richtig Spaß und der bisher eher ruhige Christian taut auf und wir unterhalten uns die ganze Zeit super. Es gibt einen Elch-Eintopf und Wok-Gemüse mit Nudeln. Ich soll einfach machen, wie ich meine. Also gut, am Ende des Abends kenne ich mich in der Küche ziemlich gut aus. Um kurz vor 22 Uhr gibt es dann auch endlich Essen für alle. Ich probiere den Elch-Eintopf, der mir sogar schmeckt. Allerdings mag ich die Konsistenz von Fleisch nicht mehr so inzwischen. Aber probieren muss man ja mal. Das Fleisch kommt zumindest nicht aus Massentierhaltung, sondern von Elchen aus den umliegenden Wäldern, die Christian selber geschossen hat.

Während wir noch lange am Tisch sitzen, kommt Christian irgendwann an unser Ende und meint, dass es ein Problem gebe. Er hätte eine Nachricht von Els‘ Notfallsender bekommen, dass sein Hund, Elsa, bei ihr sei. 15 Kilometer von hier. Er ist sofort überzeugt, dass Els wiederkommen und den Hund zurückbringen muss. Markus und ich kennen sie aber ein bisschen besser inzwischen und glauben nicht, dass sie das machen würde. Ganz ehrlich – würde ich wahrscheinlich auch nicht. Also überlegen wir weiter und fragen Christian, was es für Optionen gibt. Alleine findet der Hund die weite Strecke nicht zurück. Wenn Els ihn morgen weiter mitnimmt bis zum nächsten Ort, könnten Freunde von Christian ihn ihr abnehmen. Allerdings sind es dann wieder über 100 Kilometer den Hund mit dem Auto herzubringen. Und Els ist wohl nicht der größte Hunde-Fan. Für einen Hubschrauber ist das Wetter zu schlecht. Markus will gerne helfen und bietet an, loszugehen und den Hund wiederzuholen. Er hat selber lange Hunde gehabt. Ich bin nicht so begeistert von der Idee, draußen ist es recht finster durch die dunklen Wolken und zwischen den hohen Tannen hängt Nebel. Für das sumpfige Gelände würde man mindestens 5 Stunden pro Weg brauchen. Vielleicht wäre es besser, wenn wir dann zu zweit gehen. In mir sträubt sich allerdings alles gegen diese Nachtwanderung. Inzwischen ist es fast Mitternacht und mir fallen schon im Sitzen die Augen zu. Markus überlegt noch lange hin und her, möchte aber trotzdem gehen. Obwohl wir nicht genau wissen, ob der Hund oder Els noch da sind, wenn er ankommt. Wir haben nur den aktuellen Standort von Els‘ Zelt.

Markus nimmt nur einen leichten Rucksack mit und ich bitte Christian, ihm seinen Notfallsender mitzugeben, damit Markus uns zumindest kontaktieren kann. Dann verschwindet er im nächtlichen Nebel. Ich stehe noch eine ganze Weile bei Christian in der Küche, bevor ich dann endlich gegen halb 2 in mein Bett falle. Ich beschließe, dass ich mir keine Sorgen machen muss um Markus, da wir in diesem Gelände ja schon die ganze Zeit unterwegs sind. Ein etwas blödes Gefühl ist es aber schon, dass ich jetzt hier gemütlich im Bett liege. Allerdings habe ich auch nicht so viel für Hunde übrig, dass ich für sie 10 Stunden durch den Sumpf stapfen würde, wenn es noch andere, sicherere Möglichkeiten gibt.

Morgens liege ich lange einfach herum, bestimmt bis halb 11. Draußen sieht es relativ freundlich aus, zur Abwechslung mal ein paar Sonnenstrahlen zwischen den dicken Wolken. Eigentlich das perfekte Wetter um Weiterzugehen. Allerdings habe ich Markus gesagt, dass ich auf ihn warte, bevor er letzte Nacht losgegangen ist. Also warte ich. Ohne zu wissen, wann er genau wiederkommt und ob wirklich alles klappt. Wir haben Els noch eine Nachricht auf ihren Notfallsender geschickt, dass Markus unterwegs sei und sie warten solle bis er bei ihr ist. Nicht, dass sie vorher schon weitergeht. Das passiert richtig selten, aber ich weiß nichts mit mir anzufangen und habe eine ganz komische Laune. Nachdem wir eine Nachricht von Els bekommen, dass der Hund um 6 Uhr heute morgen noch da war, um 10 Uhr aber nicht mehr und sie Markus auch nicht gesehen hat, mache ich mir doch ein bisschen Sorgen. Ich rufe erstmal meine Eltern an und mir geht es auch gleich wieder besser nachdem ich ein paar Minuten mit ihnen geredet habe und sie mich zum Lachen bringen. Ich habe einfach die besten Eltern der Welt 🙂

Christian kommt von einer Fahrt über den See wieder. Er holt zwischendurch Gäste ab oder bringt sie wieder weg mit dem Boot. Von Markus gibt es keine Nachricht. Aber wir hätten jetzt einen Helikopter zur Verfügung. Ein Freund von Christian würde mit uns eine Runde fliegen, um Markus und den Hund zu suchen. Dann erlebe ich ja auch noch was heute, Christian fragt mich, ob ich mitfliegen will. Natürlich! Mit dem Helikopter bin ich noch nie geflogen. Ich gehe noch schnell zur Toilette und hole meine Jacke. Als ich wiederkomme, haben sich die Pläne aber leider schon wieder geändert. Statt uns fliegt ein anderer Kerl mit, der nach Rentieren Ausschau hält. Es ist nur ein kleiner Helikopter und wir alle zusammen würden die Gewichtsbeschränkung überschreiten. Außerdem ist das vielleicht auch eine Möglichkeit den Hund zu finden, da er als Hütehund für die Schafe auch Rentieren hinterherjagt.

Na gut, dann doch weiter herumstehen und warten. Ich schaue immer wieder zum Wald hinter der Wiese und erwarte, dass jeden Moment ein Mann mit Hund daraus auftaucht. Um mich zu beschäftigen mache ich einen Spaziergang zu der Brücke, die etwas 800 Meter von hier ist. Darüber müssen sie auf jeden Fall. Durch die nasse Wiese und den Sumpf sind meine Socken und Schuhe schon nach 2 Minuten wieder klitschnass.

Niemand in Sicht.

Als ich wieder zurück bin, höre ich schon den Helikopter. Er landet kurz und macht sich dann auf die Suche, nachdem ich den beiden Kerlen erzählt habe, welche Farben Markus trägt. Da ist nichts knalliges bei, außer seiner blauen Regenhose ist alles dunkelgrün oder braun.

Christian nimmt mich hinten auf seinem Quad mit zum Museum. Die schwedische Familie möchte sich dort umschauen und ich darf auch mit. Christian fragt mich, ob wir in Deutschland in der Schule über den zweiten Weltkrieg lernen und erzählt ein bisschen was von der Geschichte hier und was sich auf diesem Hof abgespielt hat.

Die Kerle im Hubschrauber haben nichts gefunden, weder Markus, noch Hund, noch Rentiere. Sie sind nur kurz bei Els gelandet, die noch bis Mittags gewartet hat, ob Markus kommt. Nach der Info werden die Sorgen noch ein bisschen größer und der Pilot fragt bei Christian nach, ob ein größerer Helikopter und mehr Leute für die Suche benötigt werden. Wir wollen aber erstmal noch warten.

Es ist gegen 14 Uhr und ich stehe mit einem der Schweden draußen und quatsche. Alle fragen nach Markus und dem Hund und schauen besorgt drein. Wir haben immer den Waldrand im Blick und tatsächlich – kurz darauf tauchen 2 Gestalten auf. Markus und Elsa sind wieder da!

Markus ist völlig erschöpft und Christian überglücklich, dass sein Hund wieder da ist. Er geht in die Küche, um was zu Essen für Markus aufzuwärmen. Wir haben noch genug Reste von gestern Abend. Kurz darauf kommt er schon wieder und fragt, ob ich mich um das Essen kümmern kann. Er hätte noch anderes zu erledigen. Jetzt bin ich scheinbar eingestellt… Hauptsache Markus bekommt was zu Essen. Also stelle ich mich an den Herd und decke den Tisch. Wir essen gleich zu dritt, da wir alle noch nichts hatten heute.

Die Schweden sind abgereist und Christian bietet uns an, in ihre Hütte umzuziehen. Das ist ja richtiger Luxus, mit eigenem Bad und Dusche. Markus schläft erstmal eine Runde und ich mache es mir vor dem Kamin gemütlich. Abends essen wir dann noch die allerletzten Reste vom Vorabend auf, wieder zu dritt. Wir sitzen noch eine ganze Weile zusammen und quatschen mit Christian. Es ist interessant zu hören, wie es sich lebt, ganz alleine auf so einem abgeschiedenen Hof. Hier könnte ich mir vorstellen, nochmal wiederzukommen, um gegen Kost und Logis ein bisschen zu helfen.