Planänderung. Wir gehen nicht, wie ursprünglich geplant, weiter nach Norden, wo wir hinter dem Nesskardet auf einen Wanderweg und noch später auf eine Straße kommen. Auf dem Weg ist ein Fluss eingezeichnet, über den wir uns Gedanken machen und wer weiß, ob es den Wanderweg wirklich gibt. Als ich die Karte morgens im Schlafsack nochmal genauer anschaue, finde ich eine Möglichkeit, wie wir schneller aus dem Sumpf raus und zu einer Straße kommen. Die Straße finde ich nördlich des Sees Holden, sie endet einfach im Nichts. Ich zeige es Markus auf der Karte und er ist sofort dafür. Er sagt schon die ganze Zeit, dass der Sumpf ihn echt fertig macht. Und wenn man sich unsere Gehzeit für die paar Kilometer die letzten beiden Tage anschaut, kommen wir auch nicht wirklich gut vorwärts in diesem Gelände. Das heißt zwar dann heute nochmal durch wahrscheinlich viel Sumpf und auch über 2 Flüsse, aber wir werden irgendwo schon eine passende Stelle finden. Das bedeutet auch, dass wir heute auf jeden Fall das erste große, weglose Wildnis-Gebiet hinter uns lassen können. Und es werden noch viele folgen, das war erst der Einstieg. Vor allem für mich, wenn ich wirklich komplett auf norwegischer Seite bleibe.

Also los, machen wir uns auf. Es ist schon wieder nach 10 Uhr.

Erstmal geht es am Rand des Urddalsfjellets über einen kleinen Berg und dahinter durchs Tal bis zum Fossdalstjønna. Nachdem Markus rechts über den Berg wollte und ich links herum, wird es irgendwie die Mitte. Auf dem Weg nach unten müssen wir wieder ein paar Schluchten und Einschnitte durchqueren. Uns durch Gestrüpp kämpfen und unten durch die nassen Wiesen stapfen.

Diesen Bach können wir über die Felsen queren, die allerdings einen recht großen Abstand zueinander haben. Und der in der Mitte ist so schmal und spitz oben, dass es einfacher ist, sich darauf zu hocken und dann das Bein zum nächsten Stein auszustrecken, als sich daraufzustellen. Markus ist vor mir rüber und nimmt mir meine Stöcke ab, damit ich mich besser festhalten kann. Dann gibt er mir die Hand und zieht mich die Steile Böschung hoch. Das war jetzt schon einige Male ganz praktisch, sich bei den Furten gegenseitig helfen zu können.

Wir haben vor, den Zufluss zum großen Fluss Fossdalselva direkt am Ausfluss vom See zu queren. Der Fluss sieht nämlich echt breit und tief aus, den können wir von oben schon sehen. Als wir näher kommen, hören wir das Wasser immer lauter. Das hört sich nach Wasserfall an. Oh, oh. Das sieht man halt auf keiner Karte vorher. Und tatsächlich stehen wir vor dieser tiefen Schlucht mit Wasserfall.

Dahinter wird das Wasser aber ruhiger und wir kommen problemlos auf die andere Seite. Ich nutze die Zeit, wo Markus seine Schuhe aus- und drüben wieder anzieht meistens für eine kleine Pause und esse ein paar Nüsse oder setze mich und strecke die Füße aus. Und freue mich jedes Mal über meine Trailrunner, die ich einfach anlasse.

Nachdem diese Hürde gemeistert ist, sind wir schon mal auf der richtigen Seite des großen Flusses. Sehr gut. Die nächsten paar Stunden geht es das Fossdalen hinunter. Die Orientierung ist einfach. Rechts der Fluss, links eine Bergkette. Den letzten Berg in der Reihe peilen wir an, den Litlklokklumpen. Dort geht es herum und wieder Richtung Norden. Den Kompass brauchen wir dafür eigentlich gar nicht, weil wir den Berg die ganze Zeit vor uns sehen.

Wir gehen über riesige sumpfige Wiesen und Ebenen. Mit vereinzelten Birken und ganz viel Wollgras. Es ist echt schön! Und auch das Wetter spielt im Moment mit. Nur stehenbleiben darf man nicht, dann sind sofort die lästigen Mücken da.

Hier ein paar Fotos von den verschiedenen Untergründen, die uns nasse Füße bescheren. Diese braunen Schlammlöcher sollte man sorgfältig meiden. Sie sind meist weich und tief.

Genauso aufpassen muss man bei diesen versteckten Pfützen oder manchmal auch eher schon Seen im hohen Gras.

Und dann ist da noch das Moos. Das sieht hier ja am harmlosesten aus. Man geht darüber, jeder Schritt schmatzt vom Wasser und wenn man Glück hat, sinkt man nur wenig ein. Aber es ist anstrengend, wie Gehen in weichem Sand. Am besten sind die Stellen, wo noch Gras wächst, so wie hier. Wenn es nur Moos ist, muss man wieder vorsichtiger sein. So wird man hier ungewollt zum Sumpf-Profi.

Wir suchen uns einen schönen Pausenplatz und genießen die Sonne. Mückenschutzmittel ist zu meinem besten Freund geworden. Ich mag es gar nicht, meine Haut damit einzuschmieren oder einzusprühen. Aber noch weniger mag ich die Mückenschwärme. Unser Favorit ist das schwedische MyggA, das zum Schmieren. Die norwegische Variante Myggolf ist okay, gibt es aber nur zum Sprühen oder als Roller, was irgendwie unpraktisch ist. Und wir haben das Gefühl, dass MyggA besser hilft. Man bekommt es nur eher selten hier. Ich hatte einen Stick von Anfang an dabei und einen hat Markus von den Schweden in Gjefsjøen geschenkt bekommen.

Damit können wir zumindest auch ein bisschen Sonne an die Haut lassen, wenn sie schon mal scheint. Wir essen, liegen auf einem Felsen und ich nähe mein Zelt. An einer der Befestigungen für die Trekkingstöcke hat sich die Naht gelöst. Das nähe ich lieber direkt wieder an, das ist eine wichtige Stelle. Und heute Abend, wenn ich müde bin und mich nur noch hinlegen will, habe ich da bestimmt keine Lust mehr zu. Vor allem soll es wieder regnen später.

Weiter geht’s durch das schöne Tal. Wiese, Sumpf, Wald, Spiegel-Seen. Wir halten uns viel an den Waldrand. Da ist es weniger nass und die Bäume sind nicht so dicht.

Auf der Karte entdecke ich eine Hütte. Nur ein paar Meter rechts von uns im Wald. Komm, wir gehen da mal hin, sage ich zu Markus. Ich habe die leise Hoffnung, dass es dann auch einen Pfad gibt. Als wir ankommen, sehen wir 3 Hütten auf der schönen Lichtung, mit Blick auf den Fluss und die Berge dahinter. Echt schön. Die Türen stehen offen, also ist jemand da. Markus will einfach weiterlaufen, aber ich schlage vor, dass wir vorne herumgehen. Dann können wir vielleicht nach den beiden Flussquerungen fragen, wenn wirklich jemand da ist.

Uns kommt ein Hund entgegen und vor der Tür sitzt eine Frau in der Sonne. In Unterhose und T-Shirt, sie hat wohl keinen Besuch erwartet. Das sieht man ihrem Gesichtsausdruck auch an. Aber sie ist freundlich und schaut mit uns auf die Karte. Es gibt tatsächlich eine Quad-Spur bis hierher. Und wenn wir der folgen, kommen wir direkt zum Westufer des Holden Sees. Da wollen wir hin. Das ist ja perfekt! Die Flüsse wären auch nicht so groß. Sie warte auf ihren Mann, der gleich wiederkomme und dann wollen sie hoch in die Berge, nach ihren Rentieren schauen. Das ist eine kleine Rentier-Farm hier.

Wir bedanken uns und freuen uns riesig über die Spur. Sie ist gut sichtbar und wir kommen gleich eine ganze Ecke schneller voran. Wenn auch nicht unbedingt leichter. Die beiden Fahrrillen sind matschig und stehen oft unter Wasser, also gehen wir daneben im hohen Gras, um Bäume herum oder über nasses Moos. Aber schon alleine, dass einem die Richtung vorgegeben wird und man sich nicht ständig orientieren muss, spart eine Menge Zeit.

Jetzt gehen wir nicht mehr, wie eigentlich gedacht, um den Litlklokklumpen herum, sondern folgen einfach der Spur. Zwischendurch wundern wir uns zwar über die Richtung und ob die Frau uns wirklich die richtige Stelle am See gezeigt hat, wo wir herauskommen. Aber dann macht der Weg doch einen Bogen nach links. Als wir fast am See sind und überlegen querfeldein weiterzugehen, um eine Stelle zum Furten zu finden, hören wir Motorengeräusche. Das wird ihr Mann sein, der zurückkommt. Sehr gut, da fragen wir direkt nochmal nach. Er hält neben uns an und wir erzählen, dass wir schon mit seiner Frau geredet haben. Dann frage ich nochmal nach dem Weg. Sein Englisch ist nicht so gut, aber er scheint sich sehr viel besser auszukennen als seine Frau. Wir sollen nicht der Quad-Spur weiter folgen, das wäre ein riesiger Umweg. Zu Fuß sollen wir einfach jetzt quer durch den Wald zum Fluss gehen. Der wäre einfach zu queren, da fahre er auch durch. Dann über einen Hügel zum nächsten Fluss, da dasselbe. Dahinter sollen wir seine Spur wiederfinden und kämen durch den Wald auf die Straße, wo wir hinwollen. Das hört sich doch super an. Damit mache ich mir jetzt auch nicht mehr solche Gedanken um die beiden Flussquerungen. Wir sind sehr froh, dass wir vorhin zu den Hütten gegangen sind und die netten Leute und die Spur gefunden haben. Man muss auch mal Glück haben.

Im Wald müssen wir uns ziemlich zwischen den Bäumen herschlängeln. Und der Boden ist so hoch mit Gräsern und Pflanzen bewachsen, dass wir lieber die Regenhosen drüberziehen. Zumindest wächst hier auch wieder eine ganze Menge giftiger Eisenhut. Blöd ist, dass man so den Untergrund überhaupt nicht sehen kann und zwischendurch mit dem Fuß in einer Senke oder auf einem morschen Stamm landet. Das Gras versteckt alles. Dann noch durch eine richtig hohe Wildwiese und wir stehen vor dem Fluss. Das ist ja einfach, da hätten wir uns echt keine Sorgen machen müssen.

Auf der anderen Seite geht es weiter durch die Wiese, die mir bis zu den Hüften reicht und wo man den Boden mit den Füßen ertasten muss. Durch dichte Bäume und quer hängende Äste den Berg hinauf. Bis wir vor ein paar riesigen Felsen stehen. Markus schafft es hinaufzuklettern. Die Tritte auf morschem Holz und Moos haben aber nur einmal gehalten. Also zieht er mich hinauf, während ich versuche mit den Füßen Halt zu finden. Die zweite Stufe bekommen wir auch irgendwie hin ohne abzurutschen. Auf der anderen Seite des Hügels geht es wieder runter und durch den zweiten Fluss. Das ist auch einfach. Da ist es schwieriger die hohe Kante hinter dem Fluss wieder auf die Wiese hochzukommen.

Die Quad-Spur haben wir schon entdeckt. Über die letzte hohe Wiese und dann können wir ihr wieder folgen. Hoch in den Wald und zwar ziemlich steil. Jetzt kann es nicht mehr weit zur Straße sein. Wir haben gar nicht gefragt, wo diese Spur hinführt, wahrscheinlich ja auch zu irgendeiner Straße. Da wir es aber nicht wissen, schauen wir uns etwas kritisch den Wald links von uns an. Der Typ meinte, hier wäre es gut zu gehen bis zur Straße. Das sieht mal gar nicht so aus. Das letzte Stück hat es nochmal richtig in sich. Rutschiger Waldboden, Sumpf, steile Anstiege, dichte Bäume und viele Äste, die den Weg versperren. Dazu Mücken über Mücken. Ich bin unter meiner Regenkleidung klitschnass geschwitzt. Nur noch 200 Meter, dann sollten wir an der Straße sein. Noch 100 Meter. Zu weit rechts, 20 Meter links von uns. Woohoo! Wir haben es geschafft!! Wir haben das weglose Skjækerfjell und Blåfjella gemeistert. Die erste Straße seit 7 Tagen.

Dass man sich so über eine langweilige Schotterstraße freuen kann. Aber genau das tun wir. Markus ist völlig fertig, aber auch ich freue mich über die nächsten paar Tage, die zur Abwechslung ganz super einfach werden. Straße, Straße und nochmal Straße. Mal schauen, wie schnell ich mich wieder ins Fjell wünsche.

Jetzt können wir auch noch ein Stück weitergehen. Einfach so vor uns hintrotten. So schön. Rechts und links ist Wald und wir halten schonmal Ausschau nach einem Schlafplatz. Fündig werden wir ein paar Kilometer weiter an einem See. Einem schönen See mit schrägem Steg – und Mücken. Natürlich. Da ist wieder nichts mit draußen sitzen und den Anblick genießen.

Nur mit Regenkleidung und Mückennetz bewaffnet, kann man es noch ganz gut aushalten. Bis die Knots in die Party einsteigen. Dann bringt mein Mückennetz nichts mehr.

Nach dem Foto-Shooting geht’s dann doch schnell ins Zelt. Heute haben wir zumindest mal wieder 20 Kilometer geschafft. Und das Tal war echt schön, alles richtig gemacht mit unserer spontanen Planänderung.

Vor dem Schlafen schauen wir nochmal in den Wetterbericht. Hier haben wir wieder Empfang. Oh, das sieht aber nicht gut aus. Es soll zwischen 3 und 4 Uhr morgen früh gewittern. Da ist die nasse Wiese direkt am See vielleicht nicht der beste Aufenthaltsort. Also legen wir uns einen Notfall-Plan zurecht. Wenn Blitz und Donner weniger als 9 Sekunden auseinander sind, das Gewitter also nur noch 3 Kilometer entfernt ist, ziehen wir eben Regensachen über und laufen oben zur Schotterstraße. Da können wir besser warten bis es vorbei ist, ohne Wasser und nicht exponiert.


20,1 km
6:10 h
397 hm
509 hm
646 m