Das nächtliche Gewitter ist zum Glück ausgeblieben. Ich freue mich schon auf die Straße heute und mal einen Tag mit trockenen Füßen. Als ich noch im Zelt liege, fängt es aber doch wieder an zu schütten. Na toll, dann kann ich auch direkt wieder meine noch nassen Socken anziehen und das trockene Paar für wann anders aufheben. Die Zelte können wir zwar in einer Regenpause abbauen, dafür fängt es auf der Straße aber doch wieder an. Wir wollten spätestens um 8 Uhr losgehen, aber Markus ist so fertig von den letzten Tagen, dass er wieder einschläft. Also geht’s erst um kurz nach halb 9 los. Zum Entspannungstag die Straße entlang.

Ich habe vorher schon überlegt, ob ich nicht nach einer Stunde schon wieder genug vom Laufen auf Asphalt habe. Aber wir sind wohl so vom Sumpf geschädigt, dass es mir tatsächlich nichts ausmacht. Ich genieße es, den Gedanken mal wieder freien Lauf zu lassen, statt immer darauf zu achten, wo ich hintrete und in welche Richtung wir müssen. Nur das Wetter könnte besser sein. Wir schauen täglich in den Wetterbericht und hoffen auf Regenpausen und wenigstens ein bisschen Sonne. Heute sollte es nur bis 11 Uhr nieseln und danach die Sonne rauskommen. Tatsächlich ist es aber den ganzen Tag bewölkt, immer wieder nass und zwischendurch windig. Ich gebe mein bestes, meine gute Laune davon nicht beinträchtigen zu lassen. Mal sehen, wie lange ich das noch schaffe. Markus hat schon keine Sonne mehr im Herzen und trottet deprimiert neben mir her.

Wie ungewohnt es doch ist, für 5 Kilometer mal nicht über 2 Stunden zu brauchen. Ruckzuck sind wir nach 16 Kilometern an unserem ersten Ziel angekommen. Wir folgen der Straße bis nach Nordli. Es ist so wenig Verkehr, dass wir fast die ganze Zeit nebeneinander auf der Straße gehen können. Nur ab dem letzten Abzweig am See entlang sind mehr Autos unterwegs.

Wir steuern erstmal Liverten an, eine Tankstelle mit Laden und Kantine. Wir haben vorher schon den Tipp bekommen, dass alle Norge på langs Läufer hier kostenlos mit Essen und Trinken versorgt werden. Es ist gerade halb 1, perfekt für eine ausgedehnte Mittagspause. Wir stellen die Rucksäcke ab und schauen uns um. Sollen wir jetzt einfach sagen, dass wir NPL laufen und gehört haben, dass man hier eingeladen wird? Irgendwie blöd. Die Entscheidung wird uns aber schnell abgenommen. Als ich noch kurz um die Ecke verschwunden bin, wird Markus schon gefragt, ob wir ganz bis in den Norden laufen. Und tatsächlich sollen wir uns am Buffet bedienen, bis wir nicht mehr können. Wow, das ist doch ein Traum jedes Langstreckenwanderers! Es gibt eine Salatbar und Kartoffeln und Frikadellen mit Sauce. Einfach, sättigend und lecker! Der Geschmack erinnert mich an Königsberger Klopse von Mama – damals, zu Schulzeiten, als es Zuhause noch Fleisch gab. Wasser, Kaffee, Kakao und alle anderen warmen Getränke aus dem Automaten sind außerdem gratis. Wir machen über 2 Stunden Pause und schlagen uns den Bauch voll. Es gibt auch einen Liverten Foodtruck und ganz stolz wird uns erzählt, dass sie im Oktober damit in München auf einem Food Festival stehen und ihren einzigartigen Wrap mit Elch-Fleisch servieren.

Wir bedanken uns ganz herzlich und schultern unsere Rucksäcke wieder. Noch kurz am Supermarkt vorbei und dann geht es die Straße den Berg hoch. Wir wollen noch ungefähr 6 Kilometer laufen. Bis zu einem See, wo wir die Zelte aufstellen. Jetzt bleibt es zum Glück auch mal trocken.

Wir lassen den großen See Laksjøen hinter uns.

Zum auserkohrenen See zum Zelten, dem Stor-Rolandmorsatjønna, müssen wir von der Straße den recht hoch bewachsenen Abhang hinauf. Ich weiß, dass 2018 ein norwegisches Pärchen hier übernachtet hat, ich habe ihre Route auf dem Handy. Ansonsten wären wir den Berg nicht auf gut Glück hochgestapft. Solche Tipps bzw. Infos sind super! So finden wir diesen schönen Zeltplatz.

Und es ist sogar zur Abwechslung mal richtig früh, erst 17 Uhr. Ein freier Abend. Wobei ich noch so viel schreiben muss. Da kann ich mich im Moment schlecht zu aufraffen. Die letzten Tage bin ich abends direkt eingeschlafen und morgens ging es weiter. Es war echt anstrengend, ich habe um die 9 Stunden geschlafen und war morgens immer noch müde.

Der See ist perfekt zum Baden, der Untergrund ist mal nicht so schlammig, sondern steinig und fest. Das tut gut, auch wenn es draußen frisch und das Wasser auch kalt ist. Aber bei weitem nicht so schlimm wie in anderen Bergseen. Ich lasse mich kurz im Wind trocknen und kuschel mich dann schnell in meine Schlafsachen. Ein herrliches Gefühl – kaltes Wasser und dann einkuscheln!

Statt zu schreiben, kümmere ich mich dann um die Route für die nächsten Tage. Markus und ich überlegen, wie lange wir noch zusammen gehen wollen oder eher können. Wir müssen beide ein paar Kompromisse eingehen, ich bin alleine schneller unterwegs und laufe gerne auch mal längere Etappen, vor allem auf der Straße. Markus plant seine Tage nicht und hat auch keine festen Termine, wann er wo sein muss. Ihm reichen 20 Kilometer pro Tag. Er hat theoretisch ewig Zeit, praktisch aber auch nur bis zum Winteranfang. Ich muss schauen, dass ich pünktlich zum Arbeiten Anfang November wieder Zuhause bin und habe mir für jede Etappe eine Deadline gesetzt, damit ich weiter oben nicht in Zeitnot komme.

Markus‘ Plan ist es, in 3 Tagen in Røyrvik zu sein und dort einen Pausentag zu machen. Ich würde die Strecke eigentlich in 2 Tagen gehen und je nach Wetter einen Pausentag einlegen. Ich mache mir nämlich ein bisschen Gedanken über die Kanufahrt über den Namsvatnet. Bei Wind und Regen wäre das nicht so toll. Da mache ich lieber Pause und warte auf besseres Wetter, die Umgehung ist nämlich gar nicht ohne und würde mich auch 2 bis 4 Tage kosten. Hinter dem See sind wir dann im Børgefjell, dem nächsten Gebirge, was wir weglos durchqueren müssen. Und genau das wollten wir eigentlich noch zusammen machen.

Ich bin mir nicht sicher, was ich machen soll und mag das Gefühl gerade gar nicht. Ich sitze in meinem Zelt und starre die dunklen Wolken an. Lieber auf Sparflamme weitergehen, um mit Markus zusammen durchs Børgefjell laufen zu können oder mehr Tempo aufnehmen und versuchen, meinen Zeitplan einzuhalten? Und was ist mit der Kanufahrt? Wenn starker Wind aufkommt? Und will ich wirklich die nächsten Straßenkilometer auf 3 Tage strecken? Und überhaupt und sowieso? Und dazu habe ich auch noch meine Tage. Und es fängt schon wieder an zu regnen und meine Sachen, die ich außen ans Zelt gehängt habe, trocknen nicht. Manno.

Okay, so, das waren meine „Mecker-5-Minuten“. Markus und ich gehen noch zusammen weiter bis ins erste Tal hinter dem Børgefjell, danach geht jeder wieder seinen eigenen Weg. Dann werden wir uns wahrscheinlich auch nicht mehr über den Weg laufen bis zum Ende. Morgen in Kvelia machen wir Pause und organisieren ein Zimmer in Røyrvik für den Pausentag und 2 Kanus für die Überquerung des Namsvatnet. Mit der Lösung sind wir beide glücklich und ich verdränge meine Zeit-Sorgen auf danach. Entscheidung ist getroffen, mir geht es ein bisschen besser und jetzt wird geschlafen.


22,6 km
4:50 h
445 hm
347 hm
630 m