Es hat letzte Nacht richtig gestürmt und zwischendurch habe ich Donner gehört. Hoffentlich hat Markus einen geschützten Platz für sein Zelt gefunden. Ich liege lange wach und bin froh, drinnen zu sein. Morgens schlafe ich dafür dann nochmal ein und gehe erst nach 10 Uhr los. Hoffentlich ist der Weg nicht zu schlammig und überschwemmt nach dem ganzen Regen letzte Nacht.

Die ersten 2 Kilometer geht es die Straße entlang. Zum Warmlaufen. Ich lasse den Hof hinter mir. Schön, dass es schon ein paar blaue Löcher zwischen den Wolken gibt.

Hinter der Leitplanke fängt dann der Wanderweg an. An der Gressvasshytta mache ich eventuell Pause, mein Ziel ist aber der Gletscher. Da freue ich mich schon seit ein paar Tagen drauf. Man soll nämlich richtig nah herankommen, da bin ich gespannt. Vielleicht kann ich ja sogar ganz in der Nähe mein Zelt aufbauen.

Bis dahin habe ich aber noch einen langen Tag vor mir, mit einigen Höhenmetern. Noch ahne ich auch nicht, dass der Tag so wunderschön wird. Wieder ein richtiger Traum-Tag. Erstmal stapfe ich auf matschigem Boden durch den Wald und über sumpfige Wiesen. Es geht immer weiter hinauf. Ich schaue nach, wie viele Kilometer und Höhenmeter es sind, bis ich über die Baumgrenze komme. Das macht mich immer froh. Als die Bäume weniger werden, habe ich schon einen richtig schönen Blick zurück. Auf den Røssvatnet und das Hjartfjellet dahinter. Heute hat der Berg den Wolkenmantel mal abgelegt.

Je höher ich komme, desto besser wird der Blick. Ich bleibe ständig stehen und schaue mich um. Am liebsten würde ich rückwärts den Berg hochgehen Richtung Artfjellet. Und als ich auf dem Grat angekommen bin und auf der anderen Seite ins nächste Tal schauen kann, bin ich auch ganz fasziniert. Ich mache ein Foto nach dem anderen. Was für ein schönes Tal, das Spjeltfjelldalen. Eingebettet zwischen Okstindan-Massiv und Artfjellet, eine grüne Ebene, über die sich der Fluss Spjeltfjellelva in schönen Kurven schlängelt. Das ist mein Blick nach vorne.

Und zurück. Herrlich, oder? Nur super windig, lange bleibe ich nicht stehen.

Die nächsten paar Stunden geht es jetzt oberhalb des Tals am Hang entlang. Über Wiesen, manchmal mit niedrigen Sträuchern. Ich sehe ganz am Ende des Tals ein buntes Schimmern und frage mich, ob das ein Regenbogen ist. Richtig erkennen kann ich ihn aber erst einige Zeit später. Dafür begleitet mich die bunte Brücke über das Tal dann noch bestimmt eine Stunde lang. Mal blasser, dann wieder kräftiger. Das hier ist eines meiner Lieblingsfotos.

Der Boden ist überwiegend trocken und die Bäche sind mit einem Schritt überquert. Immer wieder treffe ich auf Rentiere. Einfach ein richtig schöner Pfad.

Auf der anderen Seite des Tals schaue ich schon die ganze Zeit auf das Okstindan-Massiv mit seinen hohen Gipfeln und Gletschern. Der Gletscher ist der achtgrößte in Norwegen und der Oksskolten mit 1.916 Metern der höchste Gipfel Nordnorwegens. Nördlich des Dovrefjells gibt es keinen höheren Gipfel. Ich schaue mit der PeakFinder App nach, welcher es genau ist. Den kompletten Gipfel bekomme ich aber leider den ganzen Tag nicht zu sehen. Die Wolken lichten sich zwischendurch, aber die oberste Spitze bleibt immer bedeckt.

Ich treffe 4 norwegische Frauen, die auch mit großen Rucksäcken unterwegs sind. Als sie hören, wie lange ich schon unterwegs bin, klatschen und jubeln sie. Naja, ich habe ja noch ein bisschen was vor mir. Sie haben gestern in der Gressvasshytta geschlafen und abends hatte man wohl einen schönen Blick auf den Oksskolten, da ist es komplett aufgeklart. Sie erzählen, dass sie schon ein deutsches Pärchen getroffen haben, so vor 3 oder 4 Stunden. Mal sehen, ob ich später dann irgendwo ein Zelt entdecke.

Es geht ein bisschen runter und wird gleich wieder sumpfig. Mit dem Nebel im Tal herrscht zwischen den Birken eine mystische Stimmung.

An der neuen Balskota mache ich eine Pause und stärke mich. Drinnen ist die Gamme ziemlich zugemüllt, schade. Da setze ich mich lieber nur davor. Es kommt noch eine Norwegerin mit 2 Hunden vorbei. Sie mache nur einen Spaziergang. Ihr Mann hätte sie an der Straße abgesetzt und komme ihr jetzt aus meiner Richtung entgegen. Sie haben ein Stück weiter eine Hütte. Auch sie habe das deutsche Pärchen getroffen.

Dann geht es weiter, mit Okstindan-Blick. Auf dem zweiten Foto sieht man den Oksskolten. Der linke Gipfel der ganz rechten Bergkette. Hier zeigt er sich kurz fast ganz.

Irgendwann kommt vor mir der große See Gresvatnet in Sicht. Unten im Wald liegt die Gressvasshytta. Es gibt auch einen Weg oben herum, aber ich nehme den unteren und gehe an der Hütte vorbei. Aktuell gibt es nur 2 Schlafplätze, da die Haupthütte renoviert wird. Bleiben will ich aber sowieso nicht. Auch wenn es inzwischen schon halb 5 ist, möchte ich unbedingt noch zum Gletscher weitergehen. Also geht es durch den Wald und dichte Sträucher bis zum Fluss Oksfjellelva.

Der Fluss und auch der See sehen ganz milchig türkis aus. Das ist typisch, wenn das Wasser vom Gletscher kommt. Der Gletscher scheuert über die Felsen und dadurch lösen sich winzigkleine Gesteinspartikel. Diese landen durch das schmelzende Eis im Wasser und lassen es so milchig trüb aussehen. Wenn die Sonne scheint, reflektieren sie das Licht und das Wasser schimmert türkis.

Hinter der Brücke hat man die Wahl, einem Pfad am See entlang zu folgen oder den Berg hinauf und am Gletscher vorbeizugehen. Natürlich gehe ich da hinauf und lasse die nasse und bunte Moos-Wiese rechts liegen.

Am Fluss entlang und an einem tosenden Wasserfall vorbei, quäle ich mich den Berg hinauf. Ich bleibe ständig kurz stehen und mache eine kleine Pause. Irgendwie ist es plötzlich richtig anstrengend, meine Beine fühlen sich ganz schwer an. Aber weit ist es nicht mehr zum Gletscher, damit kann ich mich motivieren.

Bald wird es felsiger und als ich weit genug um den Berg Ridaren herumgegangen bin, habe ich auch einen ersten Blick auf den Gletscher. Den Austre Okstindbreen. Die Gletscherzunge reicht bis hinab auf 800 Meter Höhe. Dieser Gletscher ist wohl der älteste Norwegens und ungefähr 9.000 Jahre alt. Wahnsinn, wenn man versucht, sich das vorzustellen.

Irgendwo – ich glaube, bei Komoot – habe ich gelesen, dass man dem Gletscher ganz nah kommt, wenn man um den See herumgeht. Also folge ich nur noch ein Stückchen dem markierten Pfad und klettere dann einfach so über die Felsen direkt am See entlang. Die Felsen sind total glatt geschliffen und schimmern rötlich. Ein guter Kontrast zu dem Eis und dem türkisblauen Gletschersee.

Es ist schon ziemlich beeindruckend, vor dem dicken Eis zu stehen. Schon beim Näherkommen habe ich gemerkt, wie es immer kälter wurde. Das ist ja auch wichtig, dass die noch bestehenden Gletscher unsere Erde kühlen.

Als ich fast am Gletscher bin, fängt es an zu regnen und ich muss aufpassen, auf den Felsen nicht auszurutschen. Dazwischen liegt ganz viel loses Geröll und Sand.

Ich finde eine Stelle, von der man die Gletscherspalten und das blaue Eis besonders gut sehen kann.

Unter dem Eis tropft es so vor sich hin. So nah war ich einem Gletscher noch nie.

Ich stehe direkt an der Kante. Das Eis betrete ich aber nicht, da bin ich vorsichtig. Und irgendwie denke ich, dass man ja nicht überall seine Fußspuren hinterlassen muss.

Über dem Gletscher hängt inzwischen eine dunkle Wolke. Das sieht ein bisschen nach Unwetter aus. Aber wie so häufig lohnt sich auch der Blick zurück. Dort erstrahlt ein riesiger Regenbogen.

Nachdem ich eine ganze Weile auf den Felsen gestanden und den Gletscher betrachtet habe, mache ich mich daran, den markierten Pfad wiederzufinden. Dazu muss ich einen recht steilen Abhang über die Felsen und Geröll hochklettern.

Bis ich auf einem kleinen Pass zwischen Ridaren und Kjennsvasshammaren ankomme. Wo es auch so schön ist. Das nimmt ja gar kein Ende heute!

Ich hatte überlegt, dass es ja cool wäre, direkt am Gletscher zu schlafen. Also cool wäre es wortwörtlich. Auf dem Hinweg unten am See habe ich auch einige schöne Zeltplätze gesehen. Aber zurückgehen möchte ich nicht. Also mache ich mich lieber schon an den Abstieg auf der anderen Seite und bringe ein paar Höhenmeter bergab hinter mich. Die mag ich nicht so gerne, wenn es rutschig ist, dann muss ich damit morgen früh nicht starten. Meine Energie ist jedenfalls wieder zurück. Die hat der Gletscher wohl aufgeladen.

Als ich über den Pass rüber bin, gibt es eine komplett neue Sicht. Und was für eine. Auf den See Kjennsvatnet und in schönes Abendlicht getauchte Berge drumherum.

Auf halbem Weg nach unten finde ich den perfekten Zeltplatz. Ein kleines Stückchen ebene und trockene Wiese, wie gemacht für mein kleines Zelt. Und mit einer genialen Aussicht. Hier muss ich einfach bleiben.

Es ist viertel vor 9 bis ich alles aufgebaut habe und ich bin ziemlich müde. Das war ja auch ein langer Tag. Aber der hat sich sowas von gelohnt. Solche Tage verdrängen alle anderen nassen, sumpfigen und ungemütlichen Tage der Tour und zaubern einem ein breites Lächeln ins Gesicht.


29,6 km
7:50 h
1.168 hm
855 hm
963 m